Karol Irzykowski: Literat und Schachspieler

von ChessBase
02.01.2005 – Karol Irzykowski (1873-1944) war Schriftsteller, Kritiker und zu seiner Zeit einer der führenden Schachspieler Polens. Er gehörte zur Intelligenz des Landes, doch heute ist er außerhalb Polens kaum noch bekannt. Sein schriftliches Werk - Romane, Essays, Artikel, aber auch seine über viele Jahre notierten und kommentierte Schachpartien - verbrannte während der Besetzung Warschaus durch die Deutschen. Irzykowski selbst wurde schwer verletzt und erlag seinen Verletzungen am 2.November 1944 in einem Krankenhaus in Żyrardów. Thomas Lemanczyk erinnert an einen großen Mann und hat aus dem Nachlass Partiekommentare und den Essay von Karol Irzykowski über "Futurismus und Schach" ins Deutsche übersetzt. Karol Irzykowski...

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Karol Irzykowsky: Portrait von Witold Jacek Zbroja

 

KAROL IRZYKOWSKI – Literat und Schachspieler

Von Thomas Lemanczyk

   Die Schachleidenschaft mancher berühmter Schriftsteller ist wohldokumentiert, meist durch sie selbst[1]. Doch auch weniger berühmte Literaten haben sich das Schachspiel als einen lebenslangen Begleiter erwählt. Es lohnt sich für den Schachinteressierten oft, einen von ihnen dem Beinahevergessen zu entreißen, da sie auf diesem besonderen Gebiet Einiges zu bieten haben. Der Pole KAROL IRZYKOWSKI (1873-1944) war von Beruf Schriftsteller und Kritiker, ein zu Lebzeiten geachteter Vertreter der polnischen Intelligenz, und ein begeisterter Schachspieler.

   IRZYKOWSKI wurde am 25. Januar 1873 in dem Dorf Błaszkowa im damals österreichischen Galizien (heute Polen) als Sohn eines adeligen Grundbesitzers geboren. Als sein Vater sein Vermögen verlor, mußte er sein Philosophiestudium an der Universität Lemberg (poln. Lwów, heute ukr. Lviv) abbrechen, und wurde 1896 Lehrer in Brzeżany. Aus seiner Lemberger Studentenzeit haben sich einige Briefe an Freunde erhalten. Für Schachspieler ist folgender Brief an einen gleichfalls schachbegeisterten Freund, EMIL GROSS, von Interesse, da IRZYKOWSKI in ihm mitteilt, wie er seinen Ehrgeiz, ein besserer Spieler zu werden zu befriedigen suchte und gleichfalls, ganz nebenbei, das Schachleben in Lembergs Cafés beschreibt, das sicherlich in allen Metropolen (Lemberg war die Hauptstadt Galiziens)  des k. u. k. – Imperiums ähnlich ausgesehen haben mag.[2]

     Vor einigen Tagen ging ich ins Wiener Café, da ich mich zu Hause, mein Freund, ohne Ihre Gegenwart, langweilte. Dort traf ich an den Tischen eine Reihe Schachspieler an. Einige von ihnen spielten eifrig, andere kiebitzten. Ich setzte mich in die Nähe von Kohns Tisch, meinem früheren Gegner. Als ich ihm so zuschaute, beschlich mich ein Bedürfnis, selbst zu spielen. Besonders darum, weil ich in den letzten Kämpfen, die ich mit Ihnen ausfocht, mein Schachwissen ein wenig auffrischen konnte. Aber Kohn besiegte seinen Gegner und verließ das Brett. Ich setzte mich mit einem anderen Gegner zum Spiel. Es war dies ein Mensch mit großem Kopf und kleinen schwarzen Augen; solche sind meistens eingebildet (dies ist die Regel – eine Ausnahme wird im weiteren beschrieben). Als ich ihn fragte, ob er spielen möchte, fragte er: „Spielen Sie stark, mein Herr? Ich weiß nicht, ob ich Ihnen eine Vorgabe geben soll oder nicht.“ Ich antwortete darauf: „Na, mittelmäßig.“ „Haben Sie schon einmal mit jemandem von den hiesigen Spielern gespielt?“ „Ich spielte mit Kohn, aber ich habe verloren.“ „Nun, das ist keine Empfehlung.“ Wir setzten uns dennoch ans Brett. Mein Partner opferte eine Menge Figuren, angeblich um meine Spielstärke zu testen; er verlor aber, wozu ich wahrscheinlich den kleinsten Beitrag leistete. Hier die Partie:

KAROL IRZYKOWSKI – Dr. BUJAK

Lemberg 1894

   1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.d4 d5 5.exd5 e4 6.dxc6 exf3 7.Dxf3 Dxd4 8.cxb7 Lxb7 9.Dxb7 Dxc4 10.Dxa8+ Kd7 11.Df3 

  Zu diesem Zug notiere ich eine Bemerkung und mache Sie darauf aufmerksam, daß ich solche Anmerkungen bei jeder der Partien anbringen werde, die ich Ihnen schicke. Zunächst allerdings erlaube ich mir zu erläutern, welcher Art diese Anmerkungen sein werden: sie werden nicht sachlicher, sondern psychologischer Art sein, denn ich möchte lernen stark zu spielen und habe mir vorgenommen zu beobachten, welche Ungenauigkeiten meinem schachlichen Denken unterlaufen und wie ich infolgedessen das eigene und das gegnerische Spiel beurteilen muß.

Hier z. B. ist der Zug 11.Df3 gut, da 11...Lb4+ mit Damenverlust drohte, allerdings habe ich das gar nicht gesehen. Ich sah bloß, daß Schwarz mit 11...Sd5 meine Dame von der weißen Armee hätte abschneiden können. Selbstverständlich sollte ein Schachspieler solche Sachen beinahe unbewußt wahrnehmen, ganz zu schweigen von längeren Kombinationen.

   11...Lb4+ 12.c3 Te8+ 13.Le3 Sd5 14.Sd2 Dd3 15.De2 Dg6 16.cxb4 Te6 17.0–0 Tf6 18.Sf3

   Diesen Zug führte ich bloß aus, um meinem Gegner zu zeigen, daß ich mich vor seinem 18...Sf4 wegen 19.Dd2+ (auch sofort Se5 geht an) nicht fürchtete. Allerdings sah ich nicht, daß mir das nur wenig geholfen hätte wegen 19...Td6 (...), neben alledem entstand nun zufällig die Drohung Se5+.

   18....Ke8 19.Dd2

   Vielleicht wäre 19.Lc5 genauso stark gewesen, aber Weiß imponierte die Aufstellung von Dame und Läufer in einer Linie, besonders darum, weil zwei Sachen miteinander verbunden werden: die Deckung des Bauern b4 und der Angriff auf den Springer d5. Solch eine Kalkulation ist beim Schach allerdings unzweckmäßig.

   19...c6 20.Lc5

   Dieser Zug ist gut, denn wenn jemand eine Figur mehr hat, dann sind alle seine Züge gut. Hier z. B. öffnet sich die e-Linie für den Turm. Hauptsächlich erfreute mich hier allerdings, daß ich auf 20...Txf3 21.Dd2+ spielen kann.

   20...Sf4 21.Tfe1+ Se6 22.Tad1 und er gab auf.

   In der zweiten Partie spielte Dr. Bujak das Muzio-Gambit und gewann tatsächlich infolge meines schlechten Spiels am Anfang die Figur zurück, aber danach opferte er wieder zuviel und verlor. Soweit ich die Partie erinnere, schreibe ich sie Ihnen auf:

 

Dr. BUJAK – KAROL IRZYKOWSKI

Lemberg 1894

   1.e4 e5 2.f4 exf4 3.Sf3 g5 4.Lc4 g4 5.0–0 gxf3 6.Dxf3 Df6 7.e5 Dxe5 8.d3 Lh6 9.Ld2 Se7 10.Kh1 Sbc6 11.Lc3 Sd4 12.Df2 Sef5 13.Sd2 Se3?

   Besser 13...c5; 13.Sg5+ wäre schlecht.

14.Sf3 Dh5

   Vielleicht war 14...Sg4 besser?

15.Lxd4 Tg8 16.Lxe3 fxe3 17.Tae1 d5 18.Txe3+ Lxe3 19.Dxe3+ Le6 20.Sd4 Dh4 und gewinnt.

 

   Nun erklärte mein Partner: „Ich teste am Anfang immer den Spieler, wie er sich zu wehren weiß; aus einigen Ihrer Züge in der ersten und zweiten Partie konnte ich erkennen, daß Sie schwach spielen. Ich gebe Ihnen jetzt eine Springervorgabe und nun lassen Sie uns um eine halbe Krone spielen.“

   Ich war einverstanden. Mir scheint, daß mit dem Testen bloß die Hälfte der Wahrheit ausgesprochen war. In Wirklichkeit hat doch jeder die Absicht zu siegen und auch das Hingeben von Figuren verfolgt diesen Zweck; erst nachdem er sich vergaloppiert hat, erwacht in ihm der neue Plan, das „Testen“ des Gegners; es geht ihm aber nur um die Rettung seiner Ehre. Es folgt die dritte Partie:

 

Dr. BUJAK – KAROL IRZYKOWSKI

Lemberg 1894

(Weiß gibt den Sb1 vor)

    1.e4 e6 2.e5 d5 3.d4 c5 4.Sf3 f6 5.exf6 Sxf6

   Wie gewöhnlich schauten viele Kiebitze bei unserer Partie zu; unter ihnen auch einer der besseren Spieler, Wiśniowiecki, der besser als Bujak sein soll. Dieser schlußfolgerte hier, daß ich verlieren würde, weil man die Französische Verteidigung mit dem Springer auf h6 spielt!

   6.Lg5 Le7 7.dxc5 Da5+ 8.c3 Dxc5 9.Ld3 Sc6 10.0–0 e5 11.Lc2 e4

   Besser war 11...Lg4 und erst danach e5-e4; auf diese Weise hätte ich unvermeidlich eine Figur gewonnen, weil das Fehlen des Springers b1 es verhindert, daß sein Bruder auf f3, wie es sonst der Fall ist, von d2 aus gedeckt werden kann. Falls 12.h3 und 13.g4, so folgt 13...Sxg4 und der Sf3 ist nicht zu retten.

   12.Sd2 Lg4 13.De1 0–0 14.Le3 Dd6? (Da5) 15.Lb3 Kh8 16.f3 exf3

   16...Sa5 hätte nichts eingebracht; beispielsweise 17.fxg4 Sxg4 18.g3 Sxb3 19.axb3 und Schwarz besitzt kein Äquivalent für die Figur.

   17.Sxf3 Lxf3 18.Txf3 Sg4 19.Tg3 Sxe3 20.Txe3 Dc5 21.Kh1 Tad8

   Um den faulen Bauern d5 zu verteidigen; besser jedoch war 21...Lf6 und der spätere Tausch des Bauern auf d4.

   22.Td1 Tf5 23.Th3 Tdf8

   War es jetzt nicht vielleicht besser, sofort 21...Tf5 und 22...Taf8 zu spielen?

   24.Tf3 Txf3 25.gxf3 Txf3 26.Lxd5 Te3 27.Df1 h6?

    Ein grober Fehler. Ich hätte 27...Se5 spielen müssen, womit ich alles Folgende vermieden und sogar Angriff erlangt hätte.

   28.Df7

   Weiß glaubte, dieser Zug sei ein rechtmäßiger Erfolg seines Angriffs; meiner Meinung nach gibt es allerdings gar keinen Angriff und der Zug 28.Df7 ist bloß zufällig ermöglicht worden durch die Unterlassung von 27...Se5. Unwidersprochen sei jedoch, daß die gesamte Gruppe d5, Le7, Sc6 schwach war und mein Spiel hemmte.

   28...Kh7 29.Tg1 Lg5 30.Dg8+ Kg6 31.Lf7+

   Spekulationen mittels 31.Txg5 (auf Dh5 matt) wären vergebens wegen 31...Te1+. Weiß konnte hier ein Dauerschach mit der Dame auf den Feldern f7 und g8 oder f5 und f8 geben, aber er wollte auf Gewinn spielen.

   31...Kf5 32.Dxg7

   Außer 30.Dg8+ hätte Weiß auch noch 30.Df5+, 31.Dc8+ und danach 32.Lf7, wodurch er gewonnen hätte, probieren können, weil 32...Se7 unspielbar ist wegen 33.Dxc5! So teilte es Wiśniowiecki mit -  ich bemerkte darauf, daß ich doch 31...Ld8, und nicht 31...Kh7, spiele. Statt alledem hätte Weiß h2-h4 probieren können.

   32...Se5 33.Tf1+ Tf3 34.Dh7+ Kg4?

   Besser ist 34...Kf6 oder 34...Kf4. Schwarz hätte doch die Folgen des Zuges De4+ oder Le6+, die man zu erwarten hatte – jetzt oder nach Turmtausch –  berechnen können. Weiß spielt allerdings in gleicher Weise wie Schwarz, d. h. kläglich, und zieht:

   35.Tg1+

   Hierauf bietet sich die Gelegenheit zu 35...Dxg1+ und Gewinn, ich sah diese Gelegenheit darum, weil solche Züge dem Schachspieler weniger wegen ihrer Güte als wegen ihrer Ungewöhnlichkeit auffallen. Trotzdem zog ich anders.

   35...Kh4

   Ich erinnere mich nicht mehr genau, was mich derart blendete. Es war wohl so, daß ich gerade die Folgen von 35...Dxg1 berechnete, als plötzlich etwas anderes den Gang meiner Gedanken kreuzte. Kaum hatte ich den Zug 35...Kh4 gemacht, als Wiśniowiecki meine Aufmerksamkeit darauf lenkte, daß ich Dxg1 spielen konnte.

   36.Lg6 Sxg6?

   Wozu? Besser sofort 36...Dxg1+.

   37.Dxg6

    37...Dxg1+ und gewinnt, wenngleich auch Bujak sich noch lange besann, ob diese Stellung nicht doch noch zu retten ist. Also war es mein Sieg, auch wenn Bujak sich jetzt beschwerte, daß Wiśniowiecki mir den Zug vorgesagt hätte. Ich fragte mich, was passiert wäre, wenn er nicht 35.Tg1 gespielt hätte. Wir stellten die Position auf und er spielte jetzt 35.Le6+ Kh4 (besser Kh5) 36.Txf3 Sxf3 37.De4+, worauf ich ihm dann sagte, daß er gewonnen hätte, weil wirklich nicht zu sehen ist, daß ich im 34. Zug Kf6 oder Kf4 spielen konnte, und nach 35.Le6+ Kh5, dachte ich, daß das Recht auf den Sieg ihm gebührt.

   Die Kiebitze waren allerdings schon nach dem ersten Partieschluß gegangen, also war ich in ihren Augen der Sieger. Wir gaben uns je eine halbe Krone. (...)

   Am Montag spielte ich mit Kohn zwei Partien, die beide remis ausgingen, aber in beiden hatte ich die Überhand, besonders in der ersten, die ich Ihnen notiere. Kohn spielt klar besser als Bujak, aufmerksamer, er ist ein älterer und ruhiger Spieler, der lange überlegt und mir dadurch Gelegenheit zum Nachdenken gibt. Bujak dagegen steckt mich mit seiner Gedankenlosigkeit und Fiebrigkeit an. Ich glaube allerdings, daß Kohn sich gegen mich nicht anstrengte – letztlich muß ich beiden zuerkennen, daß sie besser als ich spielen, sie haben eine größere Routine und sind an das Caféhaus-Spielen gewöhnt: auf Tischchen, die von flimmerndem Gaslicht beleuchtet werden, inmitten eines riesigen Lärms in dem gestritten wird, Züge vorgeschlagen werden und den Spielern zugerufen wird: „Oho, jetzt stehen Sie auf Verlust!“ Aber ich kehre zurück zur Partie:

 

KAROL IRZYKOWSKI – KOHN

Lemberg 1894

 

   1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.d3 Sf6 5.Le3 Lb6 6.Sbd2 h6 7.Sf1 0–0 8.Sg3 d5 9.exd5 Sxd5 10.Dd2 Sxe3 11.fxe3 Sa5? 12.Sxe5 Dg5

   Diesen Zug habe ich übersehen als ich 12.Sxe5 spielte! Es ist bloß ein Zufall, daß ich auf ihn eine gute Antwort habe.

   13.d4 c5 14.0–0 Sxc4 15.Sxc4 Lc7 16.Se4?

     Ich sah die Gefahr, die h2 drohte, doch machte wieder den gleichen Gedankenfehler, indem ich mit zunächst 16...Dh4 rechnete, worauf 17.Sed6 beabsichtigt war; allerdings sollte jemand, der so viele Partien wie ich durchgearbeitet hat, die besonders einfache Kombination, die jetzt erfolgt vorhergesehen haben.

   16...Lxh2+ 17.Kxh2 Dh4+ 18.Kg1 Dxe4 19.Tf4 De7 20.Taf1 Le6?

   Er hätte vorher mit 20...cxd4 schlagen sollen.

   21.d5 Tad8 22.e4 Dg5?

   Ein grober Fehler. Schwarz hätte nicht das Feld verlasen sollen, von dem aus er den Punkt f7 und den Bauern c5 deckt. Vielleicht war das beste 22...b6, aber darauf könnte der Springer über e5 nach c6 gelangen.

   23.Df2

   Ein sehr guter Zug, aber er ist ein Ergebnis der Situation, also nicht mein Verdienst. Wer weiß, ob ich ihn gemacht hätte, wenn ich nicht ein Feld für die Dame hätte finden müssen, weil ich sie aus dem Wirkkreis des Turmes entziehen wollte! Mit diesem Zug habe ich vierfachen Nutzen erzielt: 1) ich ziehe die Dame weg; 2) ich bedrohe f7, weil 3) der Läufer ziehen muß; 4) ich bedrohe c5.

   23...Lxd5

   Dieser Zug zeigt, wie sehr Kohn mich unterschätzt, denn das Opfer ist unnötig; man konnte einfach 23...Lh3 spielen. Sicherlich, 24.Txf7 wäre die Folge, und nach den Abtäuschen auf f7: 23.Lh3 24.Kh2 Lg4 25.Txf7 Txf7 26.Dxf7+ bleiben zwei starke Freibauern übrig. Kohn dachte lange über diesem Zug nach, sicherlich wußte er nicht, ob er sich vor Tf4-f5 ängstigen sollte.

   24.exd5

   24.Tf5 wäre nicht gut, wegen 24...Dg4 25.Se3 De4.

   24.Dxd5 25.Se3 Dxa2 26.b3

   Damit die Dame durch das Schlagen auf b2 nicht den Punkt g7 deckt; daß auf diese Weise auch Dd4 (nach Txf7) ausgeschaltet ist, habe ich überhaupt nicht bedacht. Es kann aber sein, daß eine tiefere Analyse aufzeigt, daß 26.Sf5 sofort besser ist, trotz des Stellung der Dame auf b2 (z. B. 26.Sf5 Dxb2 27.Sxh6+ oder 27.Tg4).

   26...Da5 27.Sf5 f6 28.Sxh6+

   Als ich den Springer opferte, freute ich mich darüber, später Df2-f4 spielen zu können, weil die schwarze Dame a5 von nirgends her Entsatz leisten kann, weder von c7 aus (was mir übrigens nichts schaden würde) noch von d2 aus (?).

   28...gxh6 29.Tg4+ Kh8

   Am besten. Jetzt zog ich...

   30.Df4

   ...übersehend, daß Schwarz die Diversion nach d2, wo die Dame durch den Turm doch gedeckt ist, machen kann. Mit dem Zug 30.Dh4 hätte ich auf der Stelle gewonnen, weil ich auf 30...Dc7 mit 31.Dxh6+ Dh7 32.Txf6 gewinne, und auf 30...Dd2 mit 31.Txf6. Jetzt geschah etwas, das mir den Humor vollends verdarb.

   30...Dd2 31.Df5

   Es ist denkbar, daß 31.Dh2 besser wäre; und danach z. B. so: 31...Td4 32.Txd4, aber damit hätte ich die Partie ja nicht gewonnen. 31.Dc7 hätte zu nichts geführt.

   31...Td4 32.Dxc5 Tfd8 33.Txd4

   Lange dachte ich über 33.Txf6 nach, es hätte aber im besten Falle bloß remis gebracht.

   33...Dxd4+ 34.Dxd4 Txd4 35.Txf6 Kg7 und remis.

 

   Am Dienstag spielte ich wieder mit Bujak, von dem ich glaube, daß er mehr Kreativität, d. h. mehr Routine besitzt als ich, aber weniger aufpaßt. Die erste Partie war eine Springervorgabe (die Vorgabe gab er), die ich verlor. Weiter spielten wir vier Partien ohne Vorgabe, von denen ich drei gewann und eine verlor. In zwei der Siege hatte ich Angriff, also habe ich zurecht gewonnen; in der dritten gab es ein Evans-Gambit, das Bujak mit Schwarz gewann, aber wieder einmal übertrieb er es. (...)

    Am nächsten Tag spielte ich mit Dr. Bujak vier Partien, von denen ich drei verlor und eine remis machte. (...)

Dr. BUJAK – KAROL IRZYKOWSKI

Lemberg 1894

 

   1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.Sc3 Lb4 5.d3 d6 6.h3 h6 7.0–0 Lxc3 8.bxc3 g5 9.d4 Sxe4 10.dxe5 Sxe5?

   Besser ist 10...dxe5. Ich hätte hier die Folgen dieses Zuges ausrechnen sollen, nämlich den Zug Dd1-e2 nach dem Abtausch auf e5, der doch auf der Hand liegt – ich hätte ihn ja selbst gezogen.

   Hier ist der Ort, um Ihnen – wie versprochen – , die Sache mit den Anmerkungen darzulegen. Auf das Denken eines Spielers von meinem Kaliber hat die augenblickliche Stellung der Figuren auf dem Brett starken Einfluß und behindert mich bei den Kombinationen. Sehr oft geschieht es im Zugabtausch, daß ich nicht die Veränderung der Figurenstellung berücksichtige und ich als Folge der gemachten Züge z. B. übersehe, daß die Dame, die zuvor den Turm überdeckte, nach dem nächsten Zug den Turm „en prise“ läßt. Dies geschieht, weil man die Dame augenblicklich auf ihrem Posten sieht, von dem aus sie den Turm deckt und dieses Bild der Situation wird fehlerhaft auf die neue Situation übertragen. Dieses Beispiel ist nicht prägnant – ich hoffe, Ihnen einmal ein weniger gesuchtes geben zu können. Dies ist ein Denkfehler im Schach, wie es auch Denkfehler im Leben gibt, z. B. ist die Hoffnung solch ein Denkfehler.

   Ich glaube deshalb, das beste Mittel um das Schachspielen zu erlernen ist es, in solch einer Kaffeehausatmosphäre seine Züge zu berechnen. Das Nacharbeiten der Partien, aber sogar das Fernschach eignen sich hierzu weniger, weil man selbst die Figuren bewegt und sich alles vor Augen führt, sich folglich nicht an das Berechnen ohne zu ziehen gewöhnen kann. Ich meine, die Turnierspieler spielen darum so stark, weil sie sich an solch ein Denken gewöhnt haben. Sie ziehen nicht bedenkenlos drauflos, weil sie sich daran gewöhnten, über Züge nachzudenken. Während bei ihnen alles geordnet zugeht, würde ich, selbst wenn mir jemand genügend Zeit zum Nachdenken geben würde, dies nicht ausnützen können, da ich nicht ans Denken gewöhnt bin. Nach einer gewissen Zeit gerät einem die Stellung im Kopf durcheinander, und man macht einen Zug, von dem man weiß, daß er schwach ist, und man stellt dann fest, daß der Gegner mit eben solchen Zügen antwortet, die man selbst auch gemacht hätte. Denken im Schach bedeutet: sich die Stellung nach dem Wechsel genau vorzustellen ohne sich von dem gegenwärtigen Bild irritieren zu lassen.

   11.Sxe5 dxe5 12.De2 Lf5 13.f3 Sd6 14.Dxe5+ Kd7 15.Td1 Kc8 16.Txd6 cxd6 17.Dxf5+ Kb8 18.La3 Te8 19.Dxf7

   und Schwarz gab auf. (...)

    Das Schach-Niveau des 21-jährigen KAROL war noch nicht sehr hoch, aber sein Ehrgeiz ein besserer Spieler zu werden, wird aus diesen Mitteilungen doch deutlich. Mehr Briefe das Schach betreffend haben sich nicht erhalten.

   Seine Lehrerstelle gab er indes auf, da ihm der Vortrag aufgrund seines Stotterns sehr schwer fiel. 1898 zog er um nach Lemberg, wo er eine Stelle als Stenograph im Lemberger Landtag annahm. Bereits 1897 begann er seine Arbeit am Drama Zwycięstwo [Der Sieg], einem Werk, das er 1906 veröffentlichte, und das die Partie TARRASCH-WALBRODT, Hastings 1895[3], zur Grundlage hatte. Es erschien auch sein schriftstellerisches, 1891 begonnenes, Hauptwerk, die Pałuba [Vogelscheuche, Hexe] (1903), gemeinsam mit der Novelle Sny Marii Dunin [Die Träume der Maria Dunin] (entstanden 1896). Dieses damals nur wenig verstandene Werk hatte dennoch literaturgeschichtliche Bedeutung. Der geniale BRUNO SCHULZ (1892-1942) schreibt in seiner Besprechung der Ferdydurke, WITOLD GOMBROWICZ’ (1904-1969) Hauptwerk, daß dessen Buch „einen dem Autor vielleicht nicht einmal bekannten (!) Vorgänger hat – die verfrühte und daher erfolglose Pałuba von KAROL IRZYKOWSKI.“ (zitiert nach: WITOLD GOMBROWICZ, Gesammelte Werke, Band 1, Frankfurt/Main 1998, S. 369.)

   Kindlers Neues Literaturlexikon (Bd. 8, München 1990, S. 448) bemerkt zu IRZYKOWSKIS Pałuba folgendes: „Drei Jahre nach SIEGMUND FREUDS Traumdeutung veröffentlicht, doch augenscheinlich unabhängig von dessen Lehre, stellt die dem Werk vorangestellte Novelle Sny Marii Dunin (...) den ersten Versuch einer literarischen Nutzung psychoanalytischer Einsichten dar, der, jahrzehntelang übersehen, zum eigenwilligen Vorläufer der Prosa PROUSTS und JOYCES wurde.“[4] (MIKOŁAJ DEUTSCH)

   Neben alledem spielte IRZYKOWSKI fleißig Schach und gewann enorm an Spielstärke dazu.

   Im Klubturnier des Lemberger Schachvereins traf er u. a. auf den bekannten Meisterspieler IGNAZ VON POPIEL, der l898 beim Kölner Turnier STEINITZ unterlag (auch ein Sieg gegen EMANUEL LASKER, Berlin 1889, ist überliefert, vgl. Megabase 2004).

 

KAROL IRZYKOWSKI – IGNAZ VON POPIEL

Lemberg 1904

 

   1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4 4.Sxe4 Ld7 5.Sf3 Lc6 6.Ld3 Sd7 7.0–0 Sgf6 8.De2 Le7 9.Te1 0–0 10.Seg5 Lxf3 11.Dxf3 h6 12.Sh3 c6 13.Dg3 Kh8 14.Sf4 Da5 15.c3

    15...e5? 16.dxe5 Sxe5?? 17.Txe5 Dxe5 18.Sg6+ fxg6 19.Dxe5 Tae8 20.Ld2 1–0

    1908 übersiedelte IRZYKOWSKI nach Krakau, der alten Königsstadt Polens. Zwei Jahre zuvor heiratete er. Auch in Krakau blieb er dem Schach treu und suchte regelmäßig den Krakauer Schachklub auf. Als einer der führenden Krakauer Schachspieler war er ein würdiger Gegner des CAPABLANCA-Bezwingers (Turnier New York 1916) OSCAR CHAJES, dem galizisch-amerikanischen Schachmeister, der 1911 seine alte Heimat besuchte.

 

KAROL IRZYKOWSKI – OSCAR CHAJES

Krakau 1911 (Anmerkungen nach IRZYKOWSKI)

 

   1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 c6 5.Sf3 Sbd7 6.e3 Lb4 7.Sd2 Da5 8.Dc2 Se4 9.Sdxe4 dxe4 10.Lf4 e5 11.Lg3 Lxc3+ 12.Dxc3 Dxc3+ 13.bxc3 exd4 14.cxd4 0–0 15.Tb1 f5 16.Ld6 Tf6?

   Besser war 16...Te8.

   17.c5 b5

   Um sich vom Druck auf den Damenflügel zu entlasten und den Läufer entwickeln zu können.

   18.d5! cxd5 19.Lxb5 Sb8

   Schwarz glaubt, mit diesem originellen Zug allem gerecht zu werden und den Läufer nach b7 entwickeln zu können. Die unmittelbare Drohung war 20.Lc6.

   20.Kd2!

 

   Der Anfang einer weitberechneten Kombination, die einen Bauerngewinn zum Ziel hat. Dieser Zug verbindet nicht bloß die Türme sondern verhindert vor allem die Möglichkeit eines Schachs im 23. Zug.

   20...Lb7 21.Lxb8 Txb8 22.c6! Lc8

   Falls 22...La8, dann gewinnt 22.c7 Tc8 23.Thc1.

   23.Lc4!

   Das war die Idee der Kombination, die nicht möglich gewesen wäre ohne den 20. Zug von Weiß, da Schwarz jetzt ein Turmschach hätte.

   23...Txb1 24.Lxd5+ Kf8 25.Txb1 Td6 26.Tb5

   Auch dies mußte beim 20. Zug berücksichtigt werden. Darum spielte Weiß 20.Kd2, weil nach 20.Ke2 Schwarz hier 26...La6 hätte antworten können, oder er würde nach 25...Td6 26.Tbd1 mittels 26...La6 den König zurückwerfen.

   23...Ke7

   Wäre jetzt 26...Le6 mit Gewinn des Läufers möglich, so erwiese sich die ganze Kombination als verfehlt. Aber auf 26...Le6 antwortet Weiß 27.c7 Le728.Kc3 Kd7 29.Lxe6+ Txe6 30.Tc5 oder 30.Txf5.

   27.Kc3

   Und Weiß gewann schließlich nach verschiedenem Umherziehen.

 

    IRZYKOWSKI veröffentlichte regelmäßig seine Partien in polnischen Schachzeitungen. In dieser Phase vor dem 1. Weltkrieg, als in Polen ein organisiertes Schachleben noch nicht stattfand, konnte sich IRZYKOWSKI durch seinen Schachenthusiasmus und seine Veröffentlichungen einem breiten Kreis polnischer Schachspieler nahe bringen.
 Hier nochmals eine Kostprobe:

 

KAROL IRZYKOWSKI – ALEKSANDER AMEISEN

Krakau, 14.01.1913 (Anmerkungen nach IRZYKOWSKI)

 

   1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 e6 5.Sc3 Lb4 6.Sdb5 Sf6 7.Sd6+ Lxd6

   Hier wird gewöhnlich 7...Ke7 gespielt.

   8.Dxd6 De7 9.e5 Dxd6

   In der Hoffnung, danach den Bauern d6 zu gewinnen.

   10.exd6 a6 11.a4 Sb4 12.Kd1 Sg4 13.Le3 Sxe3+ 14.fxe3 0–0 15.a5 b5 16.axb6 Tb8 17.Sa4 Sd5 18.Ta3!

   Deckt gleichzeitig die Bauern e3 und b6, da auf 18...Sxb6 19.Tb3 folgt.

   18...f5 19.c4 Sxb6

   Schwarz möchte lieber die Qualität opfern als den weißen Bauern zu erlauben sich zu verbinden. Ein verzweifelter Zug.

   20.Tb3 Sxa4 21.Txb8 Sc5 22.b4!

   Eine Kombination, die zum Ziele hat, mittels dreier Opfer den Gewinn zu forcieren.

   22...Se4 23.c5 Sf2+ 24.Ke1 Sxh1 25.Lc4 g5?

   Am besten war 25...Kf7. Weiß kann dann den Springer h1 zurückschlagen, und die Spannung auf der 7. und 8. Reihe läßt nach, allerdings kann der König sich nicht allzuweit von dem Turm entfernen, da eine Kombination wie die jetzt folgende zu befürchten wäre.

 

   26.Lxe6+ dxe6 27.c6 f4 28.Txc8

   Schwarz gab auf.

 

   KAROL IRZYKOWSKI traf im folgenden auch auf andere führende Spieler Polens, so besuchte Meister ALEKSANDER FLAMBERG[5] 1914 die alte Hauptstadt und nahm an einem Turnier des Krakauer Schachklubs teil:

 

ALEKSANDER FLAMBERG – KAROL IRZYKOWSKI

Krakau 1914

 

   1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Sc3 Sf6 4.Lb5 d6 5.d4 exd4 6.Sxd4 Ld7 7.0–0 Le7 8.Sde2 0–0 9.Sg3 Te8 10.b3 Lf8 11.Lb2 g6 12.Dd2 Lg7 13.Tae1 a6 14.Le2 Sg4 15.h3 Sh6 16.Sd1 Dh4

   Besser 18...Lxb2, wonach der weiße Springer schlecht stehen würde.

   17.Lxg7 Kxg7 18.Se3 Se7?

   Kein Opfer, sondern ein Übersehen.   

   19.Dc3+ f6 20.Dxc7 Lc6 21.Ld3

   Nach 21.Dxd6 Lxe4? 22.Sxe4 Dxe4 23.Ld3 wäre die schwarze Stellung reif zum Aufgeben.

   21...Tad8 22.c4 Td7

   Falls sofort 22...Sf7, dann 23.Dxe7 und 24.Sf5+.

   23.Db6 Sf7 24.b4

   Diesen Zug bezeichnete Herr Flamberg selbst als schwach.

   24...Se5 25.Lc2 Kh8

   Um Sc8 zu ermöglichen.

   26.a4 Sc8 27.Dd4 b5 28.cxb5 axb5

 

   29.Se2!

   Es droht d6-d5, also mußte Weiß die Dame decken um e4xd5 zu ermöglichen.

   29...Tde7

   Der Turm hat keine arbeit mehr auf der d-Linie, also räumt er das Feld für den Springer und übt in Erwartung von f2-f4 Druck auf der e-Linie aus.

   30.f4 Sd7 31.e5 bxa4 32.f5 Dxd4 33.Sxd4 Txe5 34.Sxc6 Txe3 35.Txe3 Txe3 36.Lxa4 Scb6

   Beidseitig für remis erklärt.

 

  

Im Jahre 1918 übersiedelte er nach Warschau, wo er bis zum Ende seines Lebens verblieb. 1919 wurde er Redakteur im Büro der polnischen Sejmstenographen. Seine Weigerung, dem damaligen Präsidenten PIŁSUDSKI eine Ehrenadresse zu unterschreiben (1933) brachte ihn um seine Stelle. Er wurde emeritiert und beschäftigte sich ab da nur noch mit Literatur. 1939 wählte man ihn in den Wissenschaftlichen Beirat des Polnischen Schachbundes.

   Die Phase der Okkupation durch das faschistische Deutschland erlebte er in Warschau. Seine schriftliche Hinterlassenschaft verbrannte in dieser tragischen Zeit. Er selbst, schwer verletzt, wurde damals in ein Krankenhaus in Żyrardów gebracht, wo er seinen Verletzungen am 2. November 1944 erlag. Es hat angesichts der dort damals herrschenden Unmenschlichkeiten durchaus einen seltsamen (vielleicht für Schachspieler weniger seltsamen) Beigeschmack, wenn man seinen Erinnerungen aus dieser Okkupationszeit folgt, und ihn sagen hört: „Es meldete sich eine Versuchung, die schon lange bekannt war: ich ließ mich dazu verführen an einem Schachturnier teilzunehmen. Ich gewann vier Partien, verlor vier – davon legal wohl bloß zwei, dabei lernte ich manches, besonders über Fehler. Ach, meine alten Schachnotizen, in gelegentlichen Anwandlungen über Jahre geführt – sie sind alle verbrannt!“[6]

 

Es folgt nun eine Kostprobe aus dem literarischen Schaffen IRZYKOWSKIS, ein im Jahre 1921 erschienener literaturkritischer Essay, der Schach als Metapher aufgreift. Eine erstmalige Veröffentlichung in deutscher Übersetzung[7]:

 

KAROL IRZYKOWSKI

Futurismus und Schach[8]

(Übersetzung aus dem Polnischen von Thomas Lemanczyk)

 

   Wollen wir uns die Situation der modernsten Kunst veranschaulichen, so bieten sich zu diesem Behuf  einige Proben aus dem Mikrokosmos des Schachspiels an.

   Die Art und Weise nach der heute Schach gespielt wird währt erst einige Jahre. Früher bewegten sich Dame und Läufer bloß um ein Feld weiter, mit der Folge daß die Möglichkeiten zu Kombinationen dünn gesät waren; erst als spanische Schachspieler auf die Idee verfielen, den Wirkungskreis dieser Figuren zu erweitern, eröffneten sich sehr schöne Kombinationsmöglichkeiten, entwickelte sich langsam die Theorie, bis plötzlich im 19. Jahrhundert eine grandiose Schachblüte einsetzte, sich Turnierveranstaltungen mehrten sowie Schachschulen und Schachstile entstanden: klassisch, idealistisch, realistisch, mit verschiedenen Renaissancen in neuester Zeit. So erwies sich also die Einführung einer neuen Zugregel, nur zwei Figuren betreffend, für das Schachspiel als ein solcher Antrieb wie es beispielsweise die Erfindung des Schießpulvers für die Menschheitsgeschichte war.

   Aber die Schachspieler sind sich darüber im klaren, daß das heutige Schachsystem, das auf einer gewissen Absprache beruht, nicht ewig andauern kann, daß irgendwann eine Zeit anbrechen wird, in der die Kombinationen innerhalb dieses Systems sich mehr oder weniger erschöpft haben und kodifiziert sein werden. Dann werden den Meistern, Künstlern und Denkern des Schachs nicht mehr viele Felder verbleiben auf denen sie ihre Fantasie zur Schau stellen können. So ist es verständlich, daß gelegentlich Projekte auftauchen, die Schach wieder auffrischen sollen. Der Schachmeister LASKER erfand das „Freßschach“, ein Spiel bei dem der König eine mit den anderen gleichwertige Figur ist und bei dem Schlagzwang besteht, was also bedeutet, daß sich das Spiel nicht mehr um den König dreht sondern die republikanischen Prinzipien des Damespiels aufs Schach angewendet werden. Jemand anderes führte die Spielvariante der sog. ‚Fliegenden Springer’ ein: Beide Spieler beginnen mit nur einem Springer, bei Bedarf können sie den anderen Springer auf ein beliebiges Feld stellen. Andere wiederum versuchen, zu viert zu spielen und verbinden zwei Bretter und zwei Partien. Es gibt auch die Legende, der berühmte Schachmeister KISERITZKY[9] hätte ein dreidimensionales Schachspiel erfunden: sein Schachbrett war ein Kästchen in Form eines Würfels, entsprechend zogen die Figuren.

   Solche Projekte und Neuerungen, die man noch beliebig erweitern könnte, verkomplizieren das Schachspiel und machen es unendlich schwer. Die Folge aber dieser Erschwerungen ist eine ganz andere als die angestrebte: anstelle das Spiel zu bereichern verarmt man es, anstelle die Fantasie anzuregen desorientiert man sie, den Platz der Berechnung nimmt der Zufall ein und der genialste Meister fällt herunter auf das Niveau eines Stümpers. Folglich wird das Spiel primitiver durch die Einführung komplizierender Elemente.

   Man stellt also fest, daß die gegenwärtig Art und Weise Schach zu spielen auf einer sehr glücklichen Konvention beruht: Das Spiel ist weder zu leicht und es langweilt nicht, noch ist es zu schwer und deshalb lassen sich seine Kombinationen im gewissen Rahmen beherrschen; dem Zufall bleibt soviel Raum, als notwendig ist um aus dem Spiel keine Wissenschaft, sondern eine Kunst zu machen, damit es die Sphären der Irrationalität betreten kann. Nicht genug damit: das gesamte heutige Schach stellt in gewisser Weise eine geistige Errungenschaft mehrerer Generationen von Schachspielern dar; das Schachniveau wuchs unaufhörlich, denn die Jüngeren nutzten die Erfahrungen der Vorgänger; Stile und Spielmethoden entwickelten sich aus einander, teilweise wurden sie aufgesogen, teilweise wurde ihnen ihr Gegenteil entgegen gestellt. Jeder heutige Schachmeister kennt Tausende berühmter Schachpartien, Analysen und Positionen auswendig – nur ein Laie kann glauben, daß infolge dessen für einen solchen Meister das Schachspiel an Interesse verlieren würde. Die Sache verhält sich genau umgekehrt: Schach kann nur für einen Stümper, der auf dem Brett bloß wenige Möglichkeiten wahrnimmt, langweilig sein – erst ein gewisser Wissensschatz und Sachkenntnis beflügeln die Fantasie und geben dem Spiel eine Perspektive. Schach in seiner heutigen Form ähnelt alten Geigen, auf denen im Laufe der Jahre verschiedene Meister spielten: das Holz dieser Geigen ist gleichsam ein lebender und singender Organismus. Nicht die Essenz, sondern die Bedingung aller Kunst ist das Echo, der Vorrat an schon gebahnten Wegen im Geiste, der plötzliche Assoziationen, emotionale Kurzschlüsse auf weiten Räumen, ermöglicht.

   Würde man aber beispielsweise der Dame bloß die Eigenschaften des Springers hinzugeben – auch dies wurde schon probiert – so riefe bereits diese geringe Modifikation wandalische Verwüstungen des Erbes der Schachkultur hervor. Die gesamte vielbändige Schachliteratur, die gesamte bisherige Spieltradition würde überflüssig – alles müßte von neuem beginnen, neue Traditionen müßten begründet werden, dafür aber würde man viel Zeit brauchen und sicherlich auch andere, aufnahmefähigere, gescheitere Gehirne. Solche Krisen im schachlichen Mikrokosmos können sich noch viele Male wiederholen, bis jener utopische Moment eingetreten sein wird, in dem eine Schachmathematik mit Hilfe ihrer Formeln im voraus alle möglichen Kombinationen erschöpft hat.[10]

   Derjenige, dem es schwer fällt, sich mit diesem Fall vertraut zu machen, stelle sich das gleiche beim Kartenspiel vor: was würde passieren, wenn beispielsweise zu den üblichen Karten eine fünfte Farbe oder ein viertes Bild eingeführt würde?

   Wer die bisherige Argumentation gut verstanden hat, wird sich gewiß denken können, in welcher Beziehung sie zur tatsächlichen Kunst steht. Schach ist bloß eine Quasi-Kunst, aber die Krisis, die heute in fast jedem Bereich der Kunst herrscht, läßt sich gerade mit Hilfe der angewandten Analogie zum Schachspiel unter mehr als einem Gesichtspunkt verstehen und veranschaulichen.

 Wir sind Zeugen einer sehr intensiven Vermehrung der Elemente der Kunst. Diese Vermehrung setzte schon vor einigen Jahrzehnten ein, doch etappenweise; in letzter Zeit scheint es, als habe das Tempo dieses Prozesses zugenommen. In der Musik gab es zuvor bloß die Neuerungen Wagners, jetzt kehrt man nicht bloß zurück zu früheren Tonarten, zu früheren Instrumenten, sondern man versucht auch Vierteltöne einzuführen, was eine wahre Revolution ist, da es der Musikalität der Menschen außerordentliche Forderungen stellt. Ein Piano mit Vierteltönen wird sich gegenwärtig sicherlich nicht einbürgern und Konzerte auf einem solchen würden eine kurzfristige Sensation sein, aber allein in einem solchen Versuch wurzelt bereits der Futurismus.

  Futurismus, das heißt – so verstehen wir hier diesen Begriff – Antizipieren der Zukunft, ein gewaltsames momentanes Hinauslehnen über die zwangsläufigen Etappen der Evolution und ein Blick auf das, was uns dort vielleicht erwartet. Dieser Futurismus ist eine Welle, die, sehnsuchtsvoller oder interessanter als andere, über den Pegel schießt, um zumindest in sich selbst ein Endresultat zu erzielen. Offensichtlich hat dieser Futurismus nichts zu tun mit dem Futurismus MARINETTIS[11], der ein NIETZSCHE’sches Äffchen, ein verspäteter Impressionist und ein Schreier veralteter Losungen ist[12]; es geht auch nicht an, ihn mit einer bestimmten Technik aus der Malerei gleichen namens zu vergleichen, obschon diese eines von vielen Details der hier besprochenen Richtung darstellt. Der gegenwärtige Futurismus versteht sich nicht mehr als eine Mode, sondern als ein psychologisches Bedürfnis: um über die eigene Zukunft zu sprechen – es dringt besser in den im geraden Stile WELLS’ verfaßten Antizipationen durch als in vielen „futuristischen“.

  In der Architektur finden wir die interessanten Ideen des deutschen Architekten TAUT[13]: er reichte Projekte von ziemlich kleinen Tempeln bzw. Zukunftshäusern ein, aber auch von Plastiken und Überarbeitungen von Bergen im Geiste einer höheren Schönheit, von Umgestaltungen von Flüssen und Seen[14], von Umgestaltungen des gesamten Weltkreises und späterhin der Sterne. Folglich ist dies kosmische Architektur und gleichzeitig das krasseste Beispiel für expressionistischen Subjektivismus: wir gewöhnten uns daran, die ursprüngliche Schönheit der Natur als Maßstab für die Schönheit in der Kunst zu nehmen, ein Maßstab der unbewußt an allen unseren Urteilen haftet, aber hier getraut sich menschlicher Geist, dieser Schönheit sein Recht aufzuzwingen.

  Von allen Künsten jedoch stellte die Malerei einen Rekord bezüglich der bewußten Vermehrung ihrer Elemente auf und wurde zur heutigen philosophischen Kunst par excellence, die sich mit Experimenten aus der Theorie der optischen Erkenntnis beschäftigt. Wie wird der Gegenstand aussehen, wenn wir unsere gesamte Kenntnis seiner verdrängen, können wir uns vorstellen, wir würden ihm zum ersten Male sehen? Wie würde dann die ganze Welt aussehen? Wie sehen die Gegenstände in unserer Vorstellung, der Erinnerung und im Traum aus? Oder ein zweites Extrem: Wie sieht der Gegenstand aus, wenn wir ihn gemeinsam mit der gesamten Fülle der Gedanken und Gefühle betrachten, die in uns geweckt werden? Ein anderes Experiment wiederum ist die Verschmelzung verschiedene Momente auf einem Bild zu einem einzigen – gleichsam eine Behandlung der Zeit als Raum; oder ein unsymmetrisches Ornament, die Ambition, aus der Malerei optische Musik zu gestalten, in der unheimliche Linien, Punkte, Pläne und Konturen, eingeflochten gemäß eines optischen Kontrapunktes, spielen und singen sollen... – Die Malerei, aus der Welt der Realität verdrängt durch die Fotographie, möchte nicht bloß ihre eigenen Mittel erweitern sondern sie möchte in die Welt auch neue Sachen hineinsehen, sie bevölkern, bebauen und möblieren mit noch nicht dagewesenen Schöpfungen.

  Ist das Kino schon eine Kunst ist oder ist es erst dabei, eine zu werden? Der Streit darum bleibt fruchtlos. Gewiß ist, daß es künstlerische Elemente in sich trägt und daß es schon auf das Drama, die Lyrik und die Malerei einwirkte, indem es Verwirrung und Komplikationen in die Elemente dieser Künste brachte. Allein das Faktum der Geburt des Kinos verheißt, daß die zukünftige Technik der Kunst noch andere Überraschungen und Umwälzungen bringen kann – die man vorläufig als Barbarei bezeichnen wird, als Feinde der geordneten Tradition. Würde sich beispielsweise das Kino mit dem Grammophon verbinden, so zerstörte dies innerhalb weniger Jahre das gesamte Theater, aber nicht bloß das Theater, auch die gesamte geschriebene Literatur würde verarmen.[15]

   Das übermächtige Beispiel der Malerei bewirkte, daß innerhalb der Poesie die futuristischen Proben sich nicht, wie es bisher geschah, auf dem Felde des Inhalts zeigten, sondern im Bereich der Form, besonders im Bereich des Hauptinstruments der Poesie, dem Wort. Wer sich auch bloß flüchtig die neuesten polnischen futuristischen Werke anschaut: von CZYŻEWSKI, STERN, WAT, MŁODOŻENIEC, JASIEŃSKI und die Słopiewnie von TUWIM[16], würde den sicheren Eindruck gewinnen, daß sich aus der polnischen Sprache irgendein gemütliches Esperanto entwickelt. Dies sind neue Assoziationen und Assoziationsstörungen, ein etymologisches sich Austoben der erstarrten Sprache – manchmal bloß Späßchen der Drucker und dadaistisches Geplapper. In Deutschland dauert dieses Fließen der literarischen Sprache schon seit einigen Jahren an, sodaß wer heutzutage modernste deutsche Literatur liest, glauben muß, er könne kein Deutsch. Wir möchten hier kein grundlegendes Urteil über diese Neuerungen fällen, uns interessiert ihre kulturelle Bedeutung. Wir sehen, daß die Auflösung der bisherigen Formen noch nicht alle Elemente erfaßt hat: die Syntax, die Flexion, die Teile der Rede bewegten sich nicht vom Platz, wenngleich bekannt ist, daß auch sie bloß historische konventionelle Gebilde sind und daß bloß im Gymnasium die Grammatik die Mathematik der Sprache zu sein scheint. Die Auflösung hat auch nicht die Laute ergriffen, obwohl die Linguisten wissen, daß die menschliche Rede sich ohne weiteres noch hunderter weiterer Geräusche bedienen könnte und daß allein 50 Vokale zu haben wären. Neuerer der Sprache kann man nur bis zu einer gewissen Grenze sein, solange nämlich die kontrastreiche Grundlage der bisherigen Sprache funktioniert, muß, nach einigen unsinnigen Versuchen, sogar der am weitesten linksgerichtete Dadaist ausgehungert und ermüdet wiederkehren. Man kann nämlich nicht kompletten Unsinn sagen, immer wird er Rest oder Schutt gewissen Sinnes sein.

  Diese Versuche sind also eher futuristische Faxen, als bewußter Futurismus in großem Maßstab. Aber genauso wie in der Malerei, haben sie eine sichere Wirkung: sie sind asozial, unverständlich und individualistisch. Die Sprache ist ein gesellschaftliches Band; wer sie ohne Vertrag auflockert, ohne neue Konventionen verbindlich zu machen, der wird automatisch mit Unverständlichkeit bestraft. Kein Futurist versteht den anderen – das ist die erheiternde Seite dieser Angelegenheit. Das Echo, das wir als die Bedingung ästhetischer Wirkung bestimmten, funktioniert in diesem Falle nicht – so, als nähme man aus einer alten Geige den Resonanzboden heraus. Die Kunst begibt sich auf gefährliche Irrwege und je fesselnder sie dem Philosophen erscheint, desto besorgter um sie sollte ihr Adressat und Liebhaber sein.

  Wir haben unsere Sache nun an einen Punkt geführt, an dem die Berechtigung, Schach zum Vergleich heranzuführen vollends offensichtlich wird. Aber es lohnt, sich Gedanken über die Art der von uns angesprochenen Gefahr zu machen. Diese Gefahr ist nicht allzu fürchterlich, da der Prozeß der Futurisierung der Kunst sich über Jahre erstreckt und unter neuen Einflüssen zum Versiegen kommen kann oder aufgeschoben wird. Wir erwägen hier tatsächlich bloß seine ideale Dauerhaftigkeit. Um uns seine weitere Entwicklung zu veranschaulichen, gebrauchen wir ein weiteres Bild – das Bild des Reims.[17]

   Zwischen Reim und Inhalt des Gedichts besteht jenes Verhältnis, daß der Reim wie ein Dirigent verfährt, der die in der Seele des Dichters angesammelte potentielle Elektrizität lenkt, bündelt und konkretisiert.

   Es gibt heute wohl keinen derart naiven Dichter mehr, der behaupten wollte, die Reime kämen ihm „von selbst“ in den Kopf. Die Künstlichkeit des Reims als poetisches Werkzeug ist etwas zu offensichtlich. Die Improvisation, die Leichtigkeit des Reimens kommt von der Übung oder von einer besonderen Fertigkeit des Gedächtnisses und hat folglich nichts zu tun mit dichterischem Talent. Ich hörte auf einem Bankett die Improvisationen eines gewissen Ex-Theaterdirektors, der eine uferlos lange gereimte Rede hielt, die voller durchschnittlicher Prosa war. Ich kann mir auf der anderen Seite ausgesprochen gut vorstellen, daß ein wahrer Dichter mit dem Reimen große Probleme haben würde. Nicht der „hat Form“, der die raffiniertesten Reime machen kann, sondern der, der zu seinen Reimen den besten Inhalt findet, der in jedem seiner Gedicht ein Maximum dessen herauszukristallisieren vermag, was er ausdrücken wollte. Ob nun der Reim seinen Inhalt sucht oder der Inhalt seinen Reim, ist ziemlich unbedeutend: weder ist das eine schändlich noch das andere besonders rühmlich. Das Ergebnis kann in beiden Fällen das gleiche sein, und ich bin geneigt anzunehmen, daß der erste Fall häufiger auftritt als der zweite.

  Die heute entstehenden neuen „Formen“ der Kunst sind sozusagen erst der Reim, der vorausgeeilt ist und sich nach seinem Inhalt umsieht. Der Reim für sich ist etwas Wunderliches; natürlich und selbstverständlich macht ihn erst all das, was vor ihm steht. Das Schicksal der neuen Formen hängt davon ab, ob sie es schaffen, die in der gegenwärtigen kulturellen Atmosphäre enthaltene Elektrizität auf sich zu ziehen, oder ob diese sich auf verschiedenen anderen Punkten, ohne spezifisch künstlerische Bedeutung, entlädt. In gleicher Weise irrt der futuristische Reim – ich gebrauche den Begriff „Reim“ hier in einem weitergehenden Sinne – zur Zeit umher, ist selbstzufrieden und verlangt nach Bewunderung wie ein beschäftigungsloser Lakai, der eine zeitlang die Rolle des Herrn spielt.

  Späterer Zusatz: Der Futurismus entstand, als die Kunst zum ersten Mal eine größere Erschütterung von seiten rein technischer Elemente (besonders von seiten des Kinos) erfuhr, und sie sich, in stärkerem Maße als früher, erinnerte, daß sie ebenfalls (das heißt: nicht ausschließlich) eine Technik ist. Deshalb begnügte sich der Futurismus auch mit der Genugtuung, die das Erregen von Aufsehen erzeugte. Genauso wie jemand, der zum ersten Mal in seinem Leben die Klaviatur eines Pianos berührte und davon – immerhin – einen gewissen ästhetischen Eindruck gewann, wie abwegig und barbarisch dieser auch sein mag.



[1] Dieser Artikel würdigt das Leben eines polnischen Autors. Den Liebhabern deutscher Literatur sei die Seite des ARNO-SCHMIDT-Experten Dr. MARIUS FRÄNZEL anempfohlen: http://www.musagetes.de/as/schachstellen.html.

Dr. FRÄNZEL hat mit vorbildlichem Fleiß ein kommentiertes Verzeichnis aller Schachstellen im Gesamtwerk ARNO SCHMIDTS zusammengestellt.

[2] An dieser Stelle möchte ich Herrn TOMASZ LISSOWSKI (Warschau), der mir erlaubte, Text- und Bildmaterial aus seinem gemeinsam mit MIROSŁAWA LITMANOWICZ verfaßten Buch KAROL IRZYKOWSKI - Pióro i Szachy [Schriftstellerei und Schach] (Warschau 2001) für meinen Artikel zu verwenden, meinen Dank aussprechen.
[3] Hier die Partie mit den Chessbase-Kommentaren aus der Megabase 2004:

TARRASCH - WALBRODT, Hastings 1895

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.Sc3 d6 6.d4 Ld7 7.Lxc6 Lxc6 8.De2 [8.Dd3! exd4 9.Sxd4 Ld7 10.Lg5 Le7 11.0–0–0±] 8...exd4 9.Sxd4 Ld7 against 10.Sd4-f5 10.0–0 Le7 11.b3 [11.Lg5!] 11...0–0 12.Lb2 b514... c5, 15... b4, 16... Lb5µ 13.a4 [¹13.e5; ¹13.Tfe1 b4 14.Sd5] 13...b4 14.Sd1 [14.Sd5 c5 15.Sf3 (15.Sxe7+ Dxe7 16.Sf3 Dxe4 17.Dd2 De7 18.Tfe1 Le6³) 15...Sxd5 16.exd5 Lf6ƒ] 14...c5 15.Sf3 Lc6 16.Sd2 [16.e5 Sd5ƒ] 16...d517.e5 [17.exd5 Sxd5µ] 17...Se8 18.Se3 Dd7 19.Tad1 d4! 20.Sec4 De6 21.f4 f5 22.Sa5 Ld5 23.Dd3 Kh8!Tg8, g524.Dg3 Ta7 25.Sac4 Tg8 26.Tde1 g5! 27.Te2 Ld8 28.Dd3 Tag7 29.g3–+ TARRASCH [¹29.fxg5 Txg5 30.Sf3µ] 29...gxf4?! ×f5 [29...g4! TARRASCH 30.Kf2 h5 31.Ke1 Th7 32.Kd1 h4 33.Kc1 Kg7 34.Kb1 Tgh8 35.Tg1µ/–+] 30.Txf4 Tg5 31.Tef2 Sg7 32.Sd6 Dxe5?! [32...Tf8 33.S2c4 Th5Lg5 34.g4‚; 32...Lc7! 33.Sxf5 (33.S6c4 Lxe5 34.Te2 Lxf4 35.Txe6 Sxe6µ) 33...Lxe5µ] 33.Sxf5 Sh5? [33...Se6! 34.Te4 (34.Th4? T5g6 35.Th6 Lg5 36.Txg6 hxg6 37.Sh4 Lxh4 38.gxh4 Sf4–+) 34...Lxe4 35.Dxe4 Dxe4 36.Sxe4 Tg4! 37.Sed6©] 34.Txd4 Sxg3 [34...cxd4 35.Lxd4+-; 34...Sf6 35.Txd5 Dxb2 36.Txd8+-; 34...Lf6 35.Txd5 Dxb2 36.Se4+-] 35.Sxg3 Txg3+ 36.hxg3 Txg3+ 37.Kf1! Txd3 38.Tg4! 1–0

[4] Es sei hier erwähnt, daß sowohl Zwycięstwo als auch die Pałuba als deutsche Übersetzung nach wie vor Desiderat sind.
[5] FLAMBERG bezwang nicht bloß ČIGORIN, sondern war auch zäher Gegner ALEKHINES und RUBINSTEINS, vgl. die Megabase 2004.
[6] Zitiert nach: WŁADYSŁAW LITMANOWICZ/JERZY GIŻYCKI: Szachy od A do Z [Schach von A bis Z], Bd. 1, Warschau 1986, S. 377f..
[7] Ich bin Chessbase sehr dankbar für diese so seltene Möglichkeit.

[8] Quelle: KAROL IRZYKOWSKI: Cięższy i lżejszy Kaliber, [Schwereres und leichteres Kaliber] o. O. 1957, S. 399-409; Erstdruck in: Kurier Lwowski, 1921, Nr. 109 und Ponowa, Warschau, 1921, Nr. 1, S. 36-42.
[9] Anm. d. Üb.: Im polnischen Original: ‚KIZIERZYCKI’.
[10] Der Schachmeister DUFRESNE behauptet, Schach sei nicht bloß ein Spiel, sondern auch die Exemplifikation eines gewissen Wissens vom Raum, dessen Grundlagen noch nicht erforscht seien. Tiefe Gedanken über das Schachspiel teilt WEKERIE in seinem Werk Philosophie des Schachs mit. Seines Erachtens sind die Elemente des Spiels: Raum, Zeit sowie Wert und Dynamik die den Figuren eigen sind.
[11] Anm. d. Üb.: FILIPPO TOMMASO MARINETTI (1876-1944), der italienische Begründer des ‘Futurismus’ (1909 veröffentlichte er das Futuristische Manifest), einer ursprünglich literarischen Bewegung, die einen Bruch mit den überkommenen, ihrem Verständnis nach der technischen Entwicklung nicht gerecht werdenden, Stilrichtungen forderte und u. a. eine neue Syntax und ein neues Vokabular zu erschaffen versuchte. Der Futurismus griff auch bald auf die Malerei über (1910 entstand das Manifest der futuristischen Maler), wo er allerdings bald wieder verschwand. Die futuristischen Maler um UMBERTO BOCCIONI (1882-1916) stellten in ihren Bildern die Dynamik der Gegenstände, ihre Bewegungen in Zeitraffer, sogar Geräusche (!) dar.
[12] Anm. d. Üb.: Immerhin brachte er es später unter der faschistischen Regierung MUSSOLINIS zum italienischen Kultusminister. In seinem Buch Futurismo e Fascismo (1924) pries er den Faschismus als natürliche Fortsetzung des Futurismus.
[13] Anm. d. Üb.: BRUNO TAUT (1880-1938) wurde bekannt durch seinen Glaspavillon für die Kölner Werkbundausstellung 1914. 1919 erschien sein Buch Alpine Architektur, auf das sich IRZYKOWSKI hier offenbar bezieht. Eine Vorstellung dieses Werkes findet sich unter: http://emmet.de/por_taut.htm.
[14] Eine Tatsache ist die Ausbesserung der Niagarafälle auf der kanadischen Seite. Mit Hilfe von „unsichtbaren Stauwehren“, die die Fließrichtung der Wasser der Ufergegend abändern, da diese das Felsgestein des Wasserfalls durch Reibung vermindern, konnte ein Rückgang bewirkt werden.
[15] Diese Befürchtung war eitel, da alle alten Formen der Kultur ein zähes Leben führen. Zweifellos jedoch gelang dem Tonkino ein neuerlicher Raub innerhalb der Klientel des Theaters und der Literatur. Gäbe es nicht die enormen Kosten in der Herstellung der Tonfilme, gelänge es dem Kapital, vollständig die sprachlichen Schwierigkeiten zu überwinden um den Film für jedes einzelne Land zu adaptieren, und schließlich, würde die finanzielle Notwendigkeit es nicht erzwingen, den künstlerischen Wert des Tonfilms so niedrig wie möglich zu halten, um ihn populär zu machen – die Katastrophe hätte beträchtlich an Geschwindigkeit zugenommen.
[16] Anm. d. Üb.: TYTUS CZYŻEWSKI (1880-1945), ANATOL STERN (1899-1968), ALEKSANDER WAT (eigentlich ALEKSANDER CHWAT) (1900-1967), STANISŁAW MŁODOŻENIEC (Pseudonyme JAN CHMUREK und JAN RUTA) (1895-1959), BRUNO JASIEŃSKI (1901-1939). Die Genannten bildeten den Kreis der polnischen Futuristen, die sich am italienischen und russischen Futurismus (um VLADIMIR MAJAKOVSKIJ (1893-1930)) orientierten und bald nach ihrem Erscheinen (etwa 1917) auch wieder von der Bildfläche verschwanden (Mitte der 20er Jahre). IRZYKOWSKI nennt hier auch JULIAN TUWIM (1894-1953), der allerdings nicht zu den Futuristen zählte. TUWIMS unter Einfluß des Dadaismus entstandenes Gedicht Słopiewnie (eine Wortschöpfung aus „Wort“ (słowo) und „Lied“ (pieśń), also Wortlied) ist dem polnischen Komponisten KAROL SZYMANOWSKI (1882-1937) gewidmet, der es 1921 als ‚Słopiewnie für Stimme und Orchester, op. 46 bis’ vertonte.
[17] Dieser Vergleich hinkt nur insofern, als daß die neueste Poesie anstelle des Reims sich der Assonanz bedient

 

 

 


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