"Schach soll endlich wieder populärer werden"
Interview mit dem FIDE-Präsidentschaftskandidaten Anatoli Karpow
Text und Fotos: Dagobert Kohlmeyer
Eine Schachlegende hielt zwei Tage lang in Dortmund Hof, und viele Medienvertreter
kamen. Zu Beginn der 7.Runde führte Anatoli Karpow im Schauspielhaus am Brett
von Wladimir Kramnik und Ruslan Ponomarjow den ersten Zug aus. Es war eine wichtige
Partie und ein seltenes Bild, drei Weltmeister an einem Schachtisch zu sehen.
Karpov führt in Runde 7 den ersten Zug aus.
Danach gab es eine Pressekonferenz im Rathaus, wo Karpow sein Programm zur Veränderung
der Schachwelt erläuterte. Der russische Exweltmeister Anatoli Karpow befindet
sich auf einer weltweiten Wahlkampftour, im Herbst möchte er neuer Präsident
des Internationalen Schachbundes FIDE werden.
An Dortmund hat der Moskauer gute Erinnerungen, hier spielte er in der Vergangenheit
fünfmal und konnte das Sparkassen Chess-Meeting 1993 gewinnen. Nachdem er seine
aktive Laufbahn beendet hat, will der 59-jährige Karpow, der auch russischer
UNICEF-Botschafter ist, seine Erfahrungen in die Schachpolitik einbringen. "Wir
brauchen einen grundsätzlichen Wandel, die jetzige FIDE-Führung ist unfähig,
die Probleme im Weltschach zu lösen. Ich bin angetreten, um das Renommee des
Schachs als Spiel und als Beruf zu retten." Auch die Arbeitsbedingungen der
Trainer und Schachlehrer müssen in vielen Ländern verbessert werden, fordert
Karpow, der von seinem früheren Rivalen am Brett, Garri Kasparow, im Wahlkampf
Schützenhilfe erhält.
Karpov und der Schachnachwuchs
Begleitet wurde der 12. Weltmeister der Schachgeschichte in Dortmund von seinem
designierten Vizepräsidenten Richard A. Conn (USA). Beide kamen direkt von einer
neuntägigen Asienreise, die sie u.a. nach China, Singapur, Malaysia und Thailand
führte. "Überall wird unsere Kampagne unterstützt", teilte Karpow mit, der sich
gute Chancen ausrechnet, den umstrittenen Amtsinhaber Kirsan Iljumschinow (Russland)
abzulösen, der die FIDE seit 15 Jahren selbstherrlich regiert. Im folgenden
Gespräch gibt Karpow nähere Auskunft über seine Wahlkampfstrategie.
Anatoli, welche Gedanken bewegen Sie, wieder in Dortmund zu sein?
Ich habe nur gute Erinnerungen. In meiner aktiven Zeit nahm ich fünfmal am Chess-Meeting
teil, 1993 habe ich es gewonnen. Die Organisation war stets hervorragend.
Wer wird 2010 siegen?
In der 7. Runde sahen wir eine wichtige Partie, vielleicht hat sie schon über
den Ausgang des Turniers entschieden. Kramnik musste unbedingt gegen Ponomarjow
gewinnen, um ihn zu stoppen. Das ist ihm nicht gelungen.
Wie erklären Sie sich das?
Ponomarjow hat sich sehr verbessert und spielt auf einem hohen Niveau. Er war
schon früher ein starker Großmeister, wir haben auch mal gemeinsam trainiert.
Aber, was Ruslan jetzt zeigt, ist wie eine zweite Geburt nach seinem FIDE-WM-Titel,
den er schon mit 18 Jahren erobert hat.
Ein Schachpolitiker am Brett
Sie sind in die Schachpolitik gegangen und wollen FIDE-Präsident werden.
Warum?
Das Ansehen des Schachs hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten sehr gelitten.
Sein Renommee als weltweites Spiel und als Beruf muss wieder hergestellt werden.
Die jetzige Führung der FIDE ist unfähig, die Probleme im Weltschach zu lösen
und muss deshalb abgelöst werden.
Was wollen Sie ändern, wenn Sie gewählt werden?
Der Massencharakter des Schachs soll erhöht und der Leistungssport verbessert
werden. Das sind die Schlüsselfragen. Es geht aber nicht nur um die sichere
Existenz der Schachprofis. Auch die Trainer und Schachlehrer müssen stabile
Lebensverhältnisse haben.
Sie reisen, auch mit Ihrem früheren Rivalen Kasparow, durch die Welt und
trommeln für Ihre Sache. Mit Erfolg?
Mit dem bisherigen Verlauf der Wahl-Kampagne bin ich zufrieden, weil sehr viele
Leute in den einzelnen Regionen freiwillig mitarbeiten. Ich sehe die Dinge ganz
positiv. Auch wenn es nicht einfach war, in kurzer Zeit ein Team auf die Beine
zu stellen, das effektiv handelt. Aber wir haben noch mehr als zwei Monate bis
zur Wahl. Diese werden wir gut nutzen, um unsere Projekte vorzustellen und den
großen Zeitvorsprung der alten FIDE-Führung zu egalisieren.
Wie ist das zu schaffen?
Unsere Chance liegt vor allem in dem überzeugenden Programm, den Schachsport
wieder populärer zu machen. Wir haben bereits gute persönliche Kontakte zu vielen
Schachorganisationen und potentiellen Sponsoren. Dennoch wird es nicht leicht
sein zu gewinnen, weil unsere Konkurrenten schon 15 Jahre lang an der Macht
sind und mit allen Mitteln arbeiten, diese Position zu behalten.
Zum Beispiel?
Nehmen Sie die Hotelsituation in Chanty-Mansysk, wo die Schacholympiade und
auch der FIDE-Kongress stattfinden. Der Ort ist gar nicht dafür geeignet, etwa
2.000 Teilnehmer, Betreuer, Funktionäre und Journalisten aufzunehmen. Viele
von ihnen müssen dann wahrscheinlich im Wald schlafen. Auf unsere Frage antwortete
man, dass es keinen Platz für alle gibt. Das ist ein großer Skandal.
Karpov im Gespräch mit dem holländischen Schachjournalisten Dirk Jan
ten Geuzendam (links)
Iljumschinows Nominierung zum FIDE-Präsidentschaftskandidaten erfolgte
in Moskau "von oben herab" und nicht durch eine demokratische Wahl. Sie nannten
das illegal und zogen vor das Sportgericht in Lausanne. Werden Sie damit durchkommen?
Wir hoffen es. Geklagt haben ja insgesamt fünf Landesverbände. Alle unterstützen
meine Nominierung, auch Deutschland. Es ist das erste Mal, dass so viele große
Föderationen beim Sportgericht in Lausanne vorstellig wurden und gegen einen
internationalen Verband geklagt haben. Dies ist ein einmaliger Fall in der Sportgeschichte.
In der Regel klagt ein Landesverband gegen eine internationale Föderation oder
ein Verband gegen einzelne Sportler. Aber dieser Vorfall zeigt, dass die Verletzung
der Regeln durch die russische Bürokratie eindeutig ist.
Wird das Gerichtsurteil Einfluss auf die FIDE-Wahlen haben?
Wenn wir dort gewinnen, erhöht das sicher unsere Chancen. Ich weiß allerdings
nicht, was für Tricks sich die FIDE-Oberen dann noch einfallen lassen. In der
Vergangenheit haben sie schon öfter ihre eigenen Regeln missachtet, Stimmen
gekauft usw. Aber so einfach werden wir es ihnen nicht machen du ihnen genau
auf die Finger sehen. Schach gehört zur olympischen Bewegung, auch die Mächtigen
im Weltverband und in Russland müssen das zur Kenntnis nehmen.
Iljumschinow prahlt auf der FIDE-Webseite damit, schon die Stimmen von
beinahe 80 Ländern in der Tasche zu haben. Ihr Kommentar dazu?
Das ist eine dicke Übertreibung. Am Schluss wird abgerechnet. Was unser Team
angeht, so haben wir keine Veranlassung, unsere sicheren Stimmen bereits vor
der Abstimmung bekanntzugeben.
In der sibirischen Gastgeberregion gab es einen Machtwechsel. Der schachfreundliche
Gouverneur Filipenko ist abgewählt worden, an seine Stelle trat eine Frau. Was
bedeutet das für die Olympiade oder den Kongress?
Ich habe die neue Gouverneurin Natalja Komarowa kennengelernt und halte sie
für eine seriöse Person. Auch wenn sie kein großer Schachfan ist, will sie sich
unserem Sport gegenüber neutral verhalten und dafür sorgen, dass die Schacholympiade
auf einem hohen Niveau durchgeführt wird. Dies hat sie mir versichert.
Sie kommen gerade mit Ihrem designierten Vize Richard A. Conn aus Asien,
waren unter anderem in China, Singapur, Malaysia und Thailand. Die Wahl-Kampagne
kostet sehr viel Kraft. Wann haben Sie denn Zeit für Urlaub und Erholung?
Anatoli Karpov und Richard Conn
Urlaub, was ist das? Ferien habe ich schon 26 Jahre nicht mehr gemacht.
Ihre Familie dürfte davon nicht begeistert sein.
Sie ist daran gewöhnt und versteht die Situation. Meine Tochter wird in diesen
Tagen elf Jahre alt. Ich werde ihren Geburtstag leider verpassen.