Die besondere Faszination, die von Kasparov
ausgeht, liegt nicht etwa nur darin, dass er vielleicht lange Weltmeister war oder die
Nummer Eins im Schach, sondern ist schon lange darin begründet, dass
er eben "Kasparov" ist. 1984/85 eroberte er als 22-Jähriger von Karpov den
Weltmeistertitel, den er danach in den Jahren 1986 (gegen Karpov) , 1987 (gegen
Karpov), 1990 (gegen Karpov), 1993 (gegen Short), 1995 (gegen Anand) fünf Mal
erfolgreich verteidigte. 2000 verlor er den von Braingames organisierten
WM-Kampf gegen Kramnik. Seit dem Gewinn des Titels spielte er in unzähligen
Turnieren, immer mit dem Anspruch Erster zu werden - alles andere war für ihn
eine Niederlage. Und meistens konnte er sein Ziel verwirklichen und drückte dem
Schach durch viele herausragende Partien seinen Stempel auf. Er setzte sich
folgerichtig mit großer Überlegenheit an die Spitze der Eloliste, und genau dort
ist er nach fast 20 Jahren immer noch zu finden. In den Schaukämpfen gegen Deep
Blue hat er dem Schach eine weltweit nicht für möglich gehaltene Aufmerksamkeit
geschenkt. Als Organisator schuf er den PCA- Weltmeisterzyklus der Jahre 1994
und 1995 und die PCA- Grand Prix- Turniere. Beides zusammen brachte etwa 4 Mio.
Dollar Preisgeld in die Schachszene, wobei auch nicht vergessen werden soll,
dass er sich durch den Sieg gegen Anand 1995 selber ein großes Stück davon
sichern konnte.
Kasparov hat durch seine überragenden Leistungen
über nun fast 20 Jahre hinweg von sich selber einen Mythos erzeugt, der selbst
für die Sportwelt insgesamt einzigartig ist. So ziemlich jeder in der Welt
dürfte seinen Namen schon einmal gehört haben, selbst wenn er sich nicht im
mindesten für Schach interessiert. Seine Nachfolger - wenn es sie einmal geben
wird, denn eine Schachweltmeisterschaft im klassischen Sinne, die von allen
Kräften im Schach unterstützt wurde, gibt es ja nicht
mehr - müssen sich an diesem Mythos messen lassen und werden es schwer haben,
den Vergleich auszuhalten.
Im Gegensatz zu seinen vielen Verdiensten als Schachspieler steht der Kasparov,
der 1993 im Streit mit der FIDE die Schachwelt spaltete. Die negativen
Auswirkungen sind bis heute für jedermann sichtbar. Seine Aktivitäten als
Schachpolitiker hinter den Kulissen waren meistens ebenfalls wenig erfolgreich.
Dennoch bleiben seine Leistungen für das Schachspiel selbst unbestritten.
Wenn nun der beste Schachspieler der Welt ein Buch über Schach schreibt, dann
ist das sicher als solches schon ein Ereignis für sich. Sein mehrbändiges Werk
über die Schachweltmeister, der Titel der deutschsprachigen Ausgabe lautet
"Meine großen Vorkämpfer", ist nicht das erste Buch von Kasparov über das
Schach, aber sein umfangreichstes. Im Mittelpunkt stehen Analysen und Kommentare
zu den Partien der besten Spieler der Schachgeschichte, den Vorläufern der
Weltmeister - diesen Titel gibt es erst seit Steinitz - und der Weltmeister
selbst.
Die Spieler werden in Kurzbiographien vorgestellt
und Kasparov hat versucht, sie in einen gesamthistorischen Kontext als typische
Vertreter ihrer Zeit vorzustellen. Einige Schachhistoriker zeigten sich in der
Rezeption des ersten Bandes enttäuscht (oder in Wirklichkeit erfreut?), dass der
13.Weltmeister auf ihrem Betätigungsfeld keine sensationellen neuen Gedanken
formulierte und in manchen Details vielleicht auch nicht mit dem neuesten Stand der
Forschung vertraut war. Alle, die die Bände jedoch nicht in diesem Sinne
missverstanden haben, dürfen sich auch mit dem nun zweiten auf deutsch
erschienenen Band auf viele Stunden Lese- und Nachspielvergnügen freuen.
Gegenstand der Betrachtung von Band Zwei sind die Weltmeister Capablanca,
Aljechin und Euwe, die letzten Weltmeister vor dem zweiten Weltkrieg. In den
chronologisch angeordneten kommentierten Partien - in diesem Band sind es 103
Partien- erfährt der aufmerksame Leser eine Unmenge über das Schachverständnis
Kasparovs, das sich in den Kommentaren zu den großen Klassikern heraus
kristallisiert. Zudem gibt es in den Zwischentexten eine Menge an historischen
Informationen. Wer nicht in unzähligen in geringer Auflage gedruckten
Einzelpublikationen oder in den verschiedenen Ausgaben einzelner
Schachzeitschriften bzw. Schachkolumnen von Tageszeitungen in jahrelanger
Recherche heraus finden will, wie der aktuelle wissenschaftlich korrekte Stand
der Forschung ist, sondern sich mit dem Anspruch einer populärwissenschaftlichen
Publikationen zufrieden geben mag, wird hier bestens bedient. Dem Teil über Euwe
wurde zudem ein sehr interessanten Abschnitt über dessen Arbeit als
FIDE-Präsident angehängt, in dem die politischen Verwicklungen und Skandale zu
jener Zeit skizziert werden, sehr aufschlussreich für alle, die nicht dabei
waren.
"Meine großen Vorkämpfer" Band 2 hat einen Umfang
von 388 Seiten und ist ein grandioses und extrem lesenswertes Buch über
Schach. Als Zugabe ist dem Buch eine CD beigefügt, die alle bekannten Partien
der drei besprochenen Spieler enthält, insgesamt 4550. Preis:
Als Kasparov im März 2004 in Dresden einer Einladung zu einer
Signierstunde in die neu gebaute Altmarktgalerie folgte, war er über die große
Menge an Schachfreunden, die ihn dort erwartete überrascht, ja fast erschreckt.
Im ersten Moment dachte, es könne gar nicht sein, dass hier so viele Leute
nichts anders von ihm wollten, als ein Autogramm in ihrer Ausgabe seines Buches.
Aber so war es. Die anfängliche Angst wich großer Freude über das Interesse an seiner Arbeit bei den Schachfreunden. Tatsächlich war der zweite Band kurz nach
Erscheinen im Großraum Dresden sofort ausverkauft.
Caroline Landesvatter, Filialleiterin der
Buchhandlung Hugendubel in der Dresdner Altmarktgalerie schildert ihre
Eindrücke: "Als Buchhändlerin in der Altmarkt-Galerie in Dresden war ich sehr
gespannt auf die Signierstunde mit Garri Kasparow. Durch den Kontakt zu Herrn
Dr. Jordan war bereits im Vorfeld spürbar, dass die Dresdner Schachgemeinde rund
um die Schach-EM der Frauen ein sehr abwechslungsreiches Programm auf die Beine
gestellt hat und das Schachwochenende in der Altmarkt-Galerie sicherlich eine
tolle Veranstaltung würde. Einer der Höhepunkte dieses Wochenendes, wenn nicht
das Highlight überhaupt, war der Auftritt Garri Kasparows und die Resonanz der
Dresdner war überwältigend. Wir hatten die Chance, die bei der Edition Olms
verlegten Bücher Kasparows anlässlich der Präsentation des zweiten Bandes der
Reihe "Meine großen Vorkämpfer" an einem Büchertisch zu verkaufen und wurden
förmlich überrannt. Für mich als Nicht-Schachspielerin war es sehr beeindruckend
zu beobachten, wie viel Bewunderung und Verehrung Kasparow entgegengebracht
wird. In den Gesprächen mit den Kunden an unserem Büchertisch war zu spüren, wie
kostbar ein signiertes Exemplar für jeden einzelnen sein würde. Es ist eine
große Ehrfurcht vor seinem spielerischen Genie ebenso wie vor seiner großen
Ausstrahlung und Präsenz zu spüren. Leider mussten wir einige von Ihnen
enttäuschen, der Run war so groß, dass alle Titel komplett ausverkauft waren.
Aber der Verleger, Herr Olms, hat für nächste Woche Nachschub in Aussicht
gestellt!"
André Schulz
Fotos: Frederic Friedel und Benjamin Bartels