Kasparow zeigt beim Comeback den alten Biss
Von Dagobert Kohlmeyer, Valencia
Garri Kasparow hat das Schachspielen nicht verlernt. Der Exweltmeister
gewann am Dienstagabend in Valencia die ersten beiden Partien des
WM-Revival-Matchs gegen seinen alten Rivalen Anatoli Karpow. Und wie er es
tat! Kurz und schmerzlos fegte er den Gegner vom Brett wie in seinen besten
Zeiten.
Natürlich half ihm Karpow dabei durch zu langsames Spiel und einen Patzer in
der zweiten Partie.
Karpow zu langsam
Beide Exweltmeister aus Russland spielen in der drittgrößten Stadt Spaniens
ein Match anlässlich des 25. Jahrestages ihres ersten WM-Kampfes. Obwohl
Kasparow sich im März 2005 aus der Turnierarena zurückgezogen hat, glänzte
er bei seinem Comeback wie in alten Tagen und bezwang Karpow zum Auftakt
zweimal überraschend sicher.
Der Sieger des Tages
Dieses Bravourstück erstaunt Fachleute und Schachfans, weil sich die
Schachtheorie in den letzten Jahren stürmisch weiter entwickelt hat. Karpow
fand an diesem Abend jedenfalls kein Mittel gegen Kasparows Attacken,
besonders im zweiten Spiel mit Schwarz.
Seine Bedenkzeit lief ab und konsterniert verließ der 58-Jährige die Bühne.
Er kam dann auch nicht zur anschließenden Pressekonferenz. Hoffentlich ist
damit nicht schon die Spannung aus dem Duell. Aber wir wissen ja, welche
Wendungen im Schach immer möglich sind.
Rückblende
Bevor die Schachwelt ihren gespannten Blick auf Valencia richtete, wurde in
vielen Medien an die unendliche Geschichte der beiden K. erinnert, die vor
exakt 25 Jahren begann. Die Beziehung zwischen Karpow und Kasparow ist eine
Story von großer Rivalität, zu unterschiedlich waren und sind ihre
Ambitionen und Ansichten. Auch in politischer Hinsicht. Am Schachbrett aber
hatten beide höchste Achtung voreinander. In ihren fünf WM-Matches (1984
-1990) spielten sie insgesamt 144 Partien - ein in der Schachgeschichte
beispielloses Duell. Längster Zweikampf war der erste. Er ging 1984/85 in
Moskau über 48 Partien. Nach fünf Monaten wurde er vom damaligen
FIDE-Präsidenten Campomanes beim Stand von 5:3 für Karpow abgebrochen. Die
Begründung lautete, beide Spieler seien zu erschöpft. Auch das nächste
WM-Match (24 Spiele) fand in Moskau statt. Im November 1985 stand der
22-jährige Kasparow als neuer und bis dato jüngster Schachkönig fest. Er
hatte seinen Vorgänger mit 13:11 entthront. Die Schachwelt feierte den
unangepassten Rebellen, der die Fans durch sein ideenreiches
Kombinationsspiel verzauberte.
1986 gab es ein Revanchematch in London und Leningrad, das Kasparow knapp
mit 12,5:11,5 für sich entschied. Ein Jahr später erlebte Sevilla den
dramatischsten aller Zweikämpfe. Nach 23 Partien führte Karpow mit 12:11.
Ein Remis im Schluss-Spiel hätte ihm gereicht, um den WM-Titel wieder in
seinen Besitz zu bringen. Aber ein falscher Springerzug Karpows in Zeitnot
brachte Kasparow auf die Siegerstraße. Mit dem glücklichen Punktgewinn glich
er zum 12:12 aus und verteidigte seine Schachkrone. Millionen Spanier
verfolgten die letzte Partie live im Fernsehen.
Mit dem WM-Kampf 1990 in New York und Lyon fand die epische Serie der beiden
ein Ende. Auch diesmal triumphierte Kasparow. Wie knapp es immer zwischen
beiden zuging, zeigt die Statistik: Von ihren WM-Partien gewann Kasparow 21,
Karpow siegte 19mal, alle übrigen Spiele endeten remis.
Rivalen mit Respekt
Nie waren die beiden Freunde, doch sie respektierten sich. „Bei aller
Konkurrenz hatten wir immer diplomatische Beziehungen“, sagte Karpow 2007 in
einem Interview. Da hatte er den alten Rivalen, der inzwischen
Oppositionspolitiker geworden war, in einem Moskauer Gefängnis besuchen
wollen. Diese Geste hat Kasparow sicher berührt und dazu beigetragen, sich
jetzt mit Karpow wieder ans Brett zu setzen, obwohl er seine Schachkarriere
vor vier Jahren beendet hatte.
Kasparow kam bei der ersten Pressekonferenz in Valencia auch noch einmal auf
die noble Geste Karpows zu sprechen. Ein wichtiger Beweggrund für beide zu
spielen dürfte natürlich auch die schöne Geldsumme sein, die sie von den
spanischen Organisatoren für ihr Match erhalten. Auskünfte über die Höhe der
Gage gab es keine. Wir fragten den milliardenschweren Scheich Sulaiman Al
Fahim, der hier in Valencia weilt, ob er vielleicht Sponsor des Matchs sei.
Der Scheich vereinte dies und sagte: „Ich bin hier als Ehrengast
eingeladen“. Dennoch scheint da etwas – vielleicht in Zukunft - zu laufen,
denn warum ist der Mann aus Dubai, der ganze Fußball-Klubs kaufen kann, vor
Ort und eröffnet dann sogar das Match?
Schiedsrichter ist der Holländer Geurt Gijssen, der schon die beiden letzten
WM-Kämpfe der Protagonisten leitete. Vor dem Match hatte er einen offenen
Ausgang erwartet. „Sie spielen Schnellpartien, und Karpow ist noch immer
blitzgescheit“, erklärte der 75-jährige Referee. Gijssen: „Es sind zwei
Schachhelden, die jeder immer noch gern sehen will“. Im Internet tun es in
diesen Tagen etliche Millionen.
Vorbereitet haben sich beide Spieler in aller Stille. Karpow weilt schon
seit über einer Woche in Valencia. Sein Hauptsekundant ist der moldauische
Großmeister Viorel Bologan. Karpows langjähriger Trainer Michail Podgajez
war im Mai verstorben. Kasparow traf erst zwei Tage vor dem Wettkampf ein.
Er ist zum ersten Mal in der spanischen Küstenmetropole. Mit dem Norweger
Magnus Carlsen hatte er vorher einen Weltklasse- Sparringspartner. Beide
arbeiten seit Monaten zusammen. Denn Kasparow will dem jungen Großmeister
helfen, Nr. 1 der Schachwelt zu werden.
Ungewohnte Harmonie
Am Tag vor dem Nostalgie-Match ging es zwischen den Sportlegenden Karpow und
Kasparow ungewohnt harmonisch zu wie bei einem Familientreffen.
Annatoli Karpow, Antonia Lys, Garri Kasparow
Die früheren Erzrivalen am und außerhalb des Schachbretts präsentierten sich
bei der Auftakt-Pressekonferenz vor Journalisten aus vier Kontinenten gut
gelaunt und hungrig auf neue Züge. „So viele WM-Partien haben wir schon
gegeneinander gespielt“, das ist beispiellos in der Schachgeschichte“,
resümierte Karpow.
Jetzt kommen in Spanien 12 Spiele mit verkürzter Bedenkzeit dazu, ohne dass
es um einen Titel geht. Dennoch sei das Interesse an dem Event größer als an
den Schachpartien der heutigen Weltelite, erklärte Karpow. Schuld sei u. a.
das bisherige Hickhack des Weltschachbundes um die Ermittlung des
Weltmeisters. Das WM-Format im K.-o.-System habe ausgedient. Ein
Schach-Champion muss der Tradition entsprechend in Zweikämpfen ermittelt
werden.
Kasparow pflichtete ihm bei und bemängelte, dass es derzeit im Schach keine
echten Stars mehr gebe. Die Spitzenspieler von heute hätten zu wenig
Persönlichkeit bzw. Charisma. Mit Karpow habe er in den 1980er Jahren die
Ära des modernen Schachs begründet. Einig waren sich die beiden früheren
Kampfhähne auch darin, dass man in dieser Sportart selbst nach 25 Jahren
herausragende Leistungen zeigen könne. Das sei in Disziplinen wie Tennis
nicht möglich. Ein Match zwischen Borg und McEnroe wäre heutzutage sicher
auch noch ganz nett, aber würde nicht so viele Leute vom Sitz reißen. „Wir
können hingegen noch interessante Partien zeigen“, meinte Kasparow.
Auf die Frage, ob die Weltelite im Schach früher stärker als heute war,
erwiderte Garri, das sei relativ. „Überall im Sport nehmen Tempo und Dynamik
zu. Dennoch kann keiner sagen, ob das Fußballteam der Brasilianer von 1970
besser war als das heutige.“ Deshalb sei die Frage eher müßig.
Und nach den beiden für ihn so erfolgreichen Auftaktpartien schrieb er
seinen Kontrahenten noch nicht ab: „Karpow ist noch immer ein starker Gegner
und mein 2:0-Vorsprung keine sichere Bank. Er hat bestimmt noch
Überraschungen in petto“, wiegelte Kasparow auf die Frage ab, ob er sich
schon als Sieger fühle. Schauen wir mal, wie Anatoli Karpow die beiden
Schläge von gestern verdaut hat und sich heute am Abend präsentieren wird,
wenn die Partien 3 und 4 gespielt werden.
Lothar Schmid
Klara Kasparov mit Familie Schmid
Scheich Sulaiman Al Fahim
Mutter Klara Kasparova und Ehefrau Dasha
Neben dem Match gibt es hier ein internationales Symposium zur
Schachgeschichte, denn die Organisatoren werden nicht müde, Valencia als
Wiege des modernen Schachs zu bezeichnen. Das Spiel habe im Mittelalter
seinen Weg aus dem Orient nach Europa genommen. Schachsammler Lothar Schmid
absolviert täglich ein großes Pensum. Erst konferiert der Großmeister aus
Bamberg im Palast der Künste mit seinen Fachkollegen, danach schaut er sich
im gleichen Saal die Partien der beiden K. an. Man kennt sich seit vielen
Jahren. 1978 leitete Schmid das WM-Match von Karpow und Kortschnoi in Baguio
und 1986 das von Kasparow und Karpow in London.