Vishy Anand verpasst erstmals das Finale in Mainz
Text: Harry Schaack, Fotos: Carsten Straub
Schafft er es, oder schafft er es nicht? Das war die Frage, die die Gemüter
in der vollbesetzten Rheingoldhalle bewegte. Weltmeister Anand hatte eine denkbar
schlechte Ausgangsposition. Nach zwei Auftaktniederlagen konnte er gestern nur
gegen Naiditsch gewinnen. Seine Kontrahenten Aronian und der überraschend starke
Nepomniachtchi brachten es dagegen auf 2,5 Zähler. Einen Rückstand von 1,5 Punkte
in drei Partien aufzuholen, ist selbst für den weltbesten Schnellschachspieler
eine große Aufgabe.
Weltmeister Vishy Anand - dieses Jahr in Mainz nicht in Top-Form
Der zweite Tag begann mit einem verhaltenen Auftakt des Inders. Gegen Aronian
geriet er in die Defensive, konnte jedoch mühsam eine schlechtere Stellung zum
Remis verteidigte. Mit einem Figurenopfer beseitigte er im Endspiel alle verbliebenen
Bauern, sodass schließlich mit Turm gegen Turm + Springer ein theoretisches
Remis entstand.
Am Nebenbrett rehabilitierte sich die deutsche Nr. 1 für seine schlechte Vorstellung
am Vortag. Naiditsch sagte in der Pressekonferenz, er sei nach seinen drei Niederlagen
sehr enttäuscht gewesen. Er war eigentlich in sehr guter Form nach Mainz gekommen,
konnte er doch vor einer Woche noch ein starkes Schnellschachturnier für sich
entscheiden. Am Nachmittag hatte er sich im ORDIX Open warmgespielt, wo er im
Moment mir 5/5 Punkten führt. Zum Auftakt gegen Nepomniachtchi, gegen den er
schon in der Hinrunde eine vielversprechende Stellung hatte, verlängerte er
seine Siegesserie überzeugend.
Nepomniachtchi (links) gegen Arkadi Naiditsch
Runde 2 hatte schon vorentscheidenden Charakter. Anand musste gegen seinen direkten
Kontrahenten gewinnen, wollte er noch eine Chance aufs Finale haben. Mit einer
selten gespielten Variante im Caro-Kann versuchte Anand seinen jungen Gegner
zu überraschen. Und tatsächlich erhielt er eine gewisse Initiative. Im taktischen
Damenendspiel materialisierte sich sein Vorteil. Doch der trickreiche Nepomniachtchi
opferte noch zwei weitere Bauern und erreichte in einem hoffnungslos aussehenden
Damenendspiel durch Dauerschach Remis. Dadurch hatte der Russe 3 Zähler, Anand
fand sich dagegen mit zwei Punkten in einer aussichtslosen Situation.
Naiditsch baute sich gegen die "krumme" Spanischvariante Aronians sehr gut auf
und erreichte schnell Vorteil. In gedrängter Stellung gelang es jedoch Aronian,
seine Figuren zu entknoten und einen gefährlichen Gegenangriff zu initiieren.
Plötzlich entstanden große Komplikationen und Naiditsch verlor mehr und mehr
die Kontrolle über die Stellung. Am Ende lief er in unklarer Stellung in eine
Springergabel. Damit war Aronian vorzeitig fürs Finale qualifiziert.
Trifft im Finale auf Ian Nepomniachtchi: Levon Aronian
In der dritten Runde reichte den beiden Führenden Aronian und Nepomniachtchi
im direkten Aufeinandertreffen ein Remis, um den indischen Seriensieger auszubooten.
Anand war ironischer Weise auf die Hilfe Aronians angewiesen. Der Armenier zeigte
wahren Sportsgeist und machte mit Weiß keineswegs ein Kurzremis. Aronian drückte,
verrechnete sich aber an einer Stelle und musste schließlich im Turmendspiel
mit einem Remis sehr zufrieden sein. Die bedeutungslos gewordene Partie zwischen
Anand und Naiditsch endete ebenfalls Unentschieden. Vishy hatte zwar einen kleinen
Vorteil, der sich allerdings bald verflüchtigte. Außerdem stand Anand die Enttäuschung
ins Gesicht geschrieben.
Die Überraschung des Turniers: Ian Nepomniachtchi
Für den 11-maligen Sieger Vishy Anand ist es eines der schlechtesten Resultate,
die er je in einem Schnellschachturnier erzielt hat. Die niedergeschlagene Stimmung
während der Pressekonferenz brachte die Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass
eine Ära zu Ende gegangen ist. Anand zeigte sich als fairer Verlierer. "Ich
denke, die beiden Finalisten haben es verdient. So ist das Leben. Wenn Du schlecht
spielst, wirst Du bestraft." Morgen wird er um Platz 3 gegen Arkadi Naiditsch
spielen. Aber alle hoffen, dass der Mann, der mit den Chess Classic so eng verbunden
ist, wie niemand sonst, im nächsten Jahr zurückkehrt, um sich seinen Titel zurückzuholen.
Tabelle: