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Die neue Version 18 bietet völlig neue Möglichkeiten für Schachtraining und Analyse: Stilanalyse von Spielern, Suche nach strategischen Themen, Zugriff auf 6 Mrd. LiChess-Partien, Download von chess.com mit eingebauter API, Spielervorbereitung durch Abgleich mit LiChess-Partien, eingebaute Cloud-Engine u.v.m..
von Walter Eigenmann
Das moderne Computerschach kennt mittlerweile hunderte von verschiedenen Engines unterschiedlichster Spielstärke – und die stärksten unter ihnen würden mit WM Magnus Carlsen und seinen genialen Profi-Kollegen wohl umspringen wie mit Lehrlingen. Dabei handelt es sich zumeist um Freeware, darunter mit Stockfish auch die aktuelle Nummer-Eins. Seit langem ist diesem Platzhirschen – neben dem drittstärksten Programm LeelaChess – aber eine kommerzielle Engine dicht auf den Fersen: Komodo Dragon. Dessen jüngste, dritte Version wird nun ebenfalls – exakt ein Jahr nach Dragon 2 – von der Hamburger Schachsoftware-Firma Chessbase unter deren hauseigenem Interface „Fritz“ vertrieben.
Dass die Komodo-Gründer bzw. -Programmierer Don Dailey (†), Larry Kaufman und Mark Lefler ihre erfolgreiche Engine nicht nur in Eigenregie verkaufen, sondern zusätzlich bei Chessbase unterkommen konnten, dürfte für beide Seiten eine Win-Win-Situation darstellen: Mit dem weltweit sehr erfolgreich vertriebenen „Fritz“-Interface (hier: die Version 18) kann der starke Motor unter eine professionelle Haube kriechen, während die Hamburger neben ihrer „klassischen“ Fritz-Engine noch ein zweites, extrem starkes Programm-Pferd im Stall haben.
Der Zukauf von kommerziellen Engines hat bei Chessbase jahrzehntelange Tradition: Von „ChessTiger“ und „Junior“ über „Hiarcs“, „Shredder“ und „Rybka“ bis hin zu jetzt „Komodo“ nahm CB immer wieder externe Programme bzw. Programmierer unter Vertrag – natürlich stets gleichzeitig mit seiner Hausmarke „Fritz“.
Über das Graphical User Interface „Fritz“ in seiner aktuellsten Version haben wir bereits berichtet: Fritz 18. Die „Fritz“-Programmoberfläche ist seit Jahren – trotz eines gewissen Innovations-Staus, der bei den letzten Nummern zu beobachten war – der unangefochtene Leader unter allen kommerziellen GUI und bei den internationalen Schachprofis das meistverwendete Schachprogramm; beim Heer der Amateur- und Klubspieler ist „Fritz“ ohnehin seit Jahrzehnten fest etabliert als Analyse- und Datenbank-Werkzeug.
Die jüngste Komodo Version 3 von Chessbase übernimmt dieses Interface unverändert – „neuer Wein in alten Schläuchen“ also. Wenden wir uns dementsprechend der Engine selber zu.
Nach der Installation der neuen Komodo-Ausgabe von Chessbase hat der Anwender plötzlich neun weitere Engines in seinem Programme-Ordner. Denn wie schon bei der Vorgänger-Version 2.6 diversifiziert auch Komodo-Dragon 3 seine Default-Engine in sog. „Personalities“.
Damit knüpfen die Macher des Schach-Warans – wenngleich in sehr viel geringerem Ausmaß – an das legendäre Schach-Paket „Chessmaster“ (1991-2007) an, das seinerzeit viele Dutzende solcher vorprogrammierter „Spieler-Persönlichkeiten“ für ein möglichst abwechslungsreiches Spiel des Users gegen das Programm mitlieferte und damit einen der wichtigsten Kaufanreize für diese damals weitverbreitete Software darstellte. (Ein weiteres, kostenloses Schachprogramm, bei dem die Personality unterschiedlich gewählt werden kann, ist z.B. Pro Deo von Ed Schröder. Zu nennen ist außerdem das spielstarke Stockfish-Derivat ShashChess mit mehreren solcher Personalites).
Unter dem Chessbase-GUI konnten schon immer all jene, die „Fritz“ nicht zum Analysieren, sondern zum Selberspielen nutzen, die Engine-Stärke drosseln. Bei Komodo-Dragon wählt der Anwender nun fix programmierte Varianten aus, die da heißen: Dragon 3 (Default), Dragon Active, Dragon Aggressive, Dragon Beginner, Dragon Defensive, Dragon Endgame, Dragon Human, Dragon MCTS, Dragon Positional.
Zitieren wir diesbezüglich hier kurz aus dem Beschrieb von Chessbase, wo die Programm-Macher festhalten, dass sich die Spielstärke bei Komodo Dragon 3 grundsätzlich „beliebig nach der gewünschten Elo-Stärke von 1 bis maximal 3500 einstellen“ lasse. „Die Elo-Werte beziehen sich dabei auf menschliches Spiel im Schnellschach und eignen sich z.B., um für ein ausgeglichenes Match zu sorgen. Denn bei reduzierter Spielstärke unterlaufen der Engine die Fehler, die von Menschen mit der eingestellten Wertungszahl zu erwarten sind.
Die Elo-Einstellungen von Komodo Dragon 3 sind gegen viele menschliche Spieler unterschiedlichster Spielstärke getestet und abgestimmt worden, insbesondere im GM-Bereich in zahlreichen Schnellschachpartien gegen GM Alex Lenderman, der zum Entwicklerteam von Komodo gehört.“
Welche der acht zusätzlichen Dragon-Personalities nun genau wie in welchem Schach-Segment spielt, müssten weitergehende Tests und Analysen zeigen.
Der Autor hat sich bis jetzt mit einer näher beschäftigen können, nämlich der Option „Endgame“.
Performt diese Personality tatsächlich besser als die Default-Einstellung? In einem Stellungstest mit 100 mittelschwierigen bis sehr schwierigen Endspiel-Aufgaben schnitt die „Endgame“-Option keineswegs besser ab – im Gegenteil.
Zahlreiche Lösungen, die andere Spitzen-Engines innert 15 Sekunden entdeckten, schaffte Dragon’s Endgame-Personality auch nach Minuten nicht. Umgekehrt kam es nur sehr selten vor, dass sie als einzige der Programme eine Aufgabe löste.
In diesem Zusammenhang muss allerdings erwähnt werden, dass alle Dragon-3-Personalities außer der Default-Einstellung ohne NN-Unterstützung, also merklich schlechter spielen, weil sie dann auf die normale Komodo-Bewertung umschalten. Näheres dazu findet sich in der offiziellen Readme-Datei von Komodo.
Hier stellvertretend einige Stellungen, welche von den meisten Programmen in Sekunden gelöst werden, aber für „Endgame“ von Komodo-Dragon-3 eine Nummer zu hoch sind.
(Der Autor testete auf einem AMD-Ryzen-7 / 16Threads & 5-men-Syzygy):
Die obigen vier Stellungen sind natürlich nicht repräsentativ, umfangreichere Tests könnten andere, positivere Ergebnisse zeitigen. Ebenso bleibt abzuwarten, ob von Seiten der Anwenderschaft weiterführende Untersuchungen auch der anderen Dragon-Personalities kommen.Die obigen vier Stellungen sind natürlich nicht repräsentativ, umfangreichere Tests könnten andere, positivere Ergebnisse zeitigen. Ebenso bleibt abzuwarten, ob von Seiten der Anwenderschaft weiterführende Untersuchungen auch der anderen Dragon-Personalities kommen.
Natürlich interessiert primär mal die Default-Spielstärke der neuen Dragon-Engine. Komodo ist wie alle führenden modernen Schachmotoren eine sog. Neural-Network-Engine (NN), wobei sie ihr eigenes, natürlich programmiertechnisch speziell abgestimmtes Netzwerk „eingebettet“ mitbringt und dieses nicht wie die meisten anderen (z.B. Stockfish) extra downloaden muss; letzteres ist optional aber nach wie vor möglich.
Hinsichtlich Spielstärke hat Dragon 3 zugelegt – aber der Zugewinn ist überschaubar, wie die bisherigen Turnier-Resultate der einschlägigen Partiengeneratoren CCRL und CEGT ausweisen. (Auch das eigene Privat-Turnier des Autors – siehe unten – zeigt gegenüber Dragon 2.6 einen Zuwachs der Turnier-Performance in bescheidenstem Rahmen).
Unbestritten ist aber, dass der „Drachen“ der stärkste Konkurrent des „Fisches“ war und vorläufig auch bleiben wird, auch dies zeigen alle bisherigen Tests und Turniere mit dem jüngsten Komodo-Zuwachs:
Dem Leader dicht auf den Fersen: Dragon 3 gelistet bei CCRL in der Blitz-Rating-Liste vom 25. Mai 2022
Merklich hinter Stockfish, knapp vor FatFritz und LeelaChess: Dragon 3 gelistet bei CEGT in der 40/20-Rating-Liste vom 25. Mai 2022
Interessanter als Ranglisten-Vergleiche ist allerdings das Untersuchen der Binnenstrukturen von Partien des neuen Dragon, aber auch das Verhalten der Engine beim Analysieren.
Um das Zweite vorwegzunehmen: Gerade hier zeigen sich die neuen computerschachlichen Ansätze unmittelbar, wie schon ein paar erste, aber repräsentative Test-Stellungen demonstrieren. (Die folgenden Ergebnisse wurden auf einem AMD-Ryzen-7 mit 16Threads, 2Gb Hash und 5-men-Syzygy-TB’s unter dem Interface Komodo-Dragon-3 von Chessbase erzielt):
Das Analysieren von eigenen oder fremden Games gehört bei Schachspielern (gleich welcher Stärkeklasse) ohne Zweifel zum Hauptverwendungszweck von Schachprogrammen, sei es zum Aufspüren von Fehlern oder zum Trainieren des Eröffnungsrepertoire. Dieser Zielsetzung trägt Chessbase Rechnung, indem neben der neuen Engine und dem zugehörigen Interface auch eine Sammlung von über einer Million Partien mitgeliefert wird. Die „Database 2022“ enthält dabei auch tausende von Games, die professionell von Großmeistern kommentiert wurden. Die jüngste Partie der Datenbank datiert vom 20. Oktober 2021, die älteste ist eine Begegnung zwischen Bird und Anderssen aus dem Jahre 1851.
In spezifischen Computerschach-Kreisen ist eine weitere Spielwiese für Engines verbreitet (allerdings weniger aus schachlichen denn aus statistischen Gründen): Das automatisierte Ausspielen von Engine-Partien. Die so generierten Games zwischen Motoren untereinander sollen Aufschluss geben über die Gesamt-Performance eines Programmes, wobei meist mehr oder weniger ausgeklügelte „Opening-Books“ sowie 5-7-Steiner-Endgame-Tablebases zum Einsatz kommen. Die beiden wichtigsten dieser Partien-Ersteller CCRL und CEGT wurden oben bereits erwähnt, zahlreiche weitere private Engine-Turniere werden laufend von der weltweiten Anwenderschaft generiert.
Der Autor hat unter der Komodo-3-Grafikoberfläche von Chessbase ebenfalls ein solches kleines Engine-Turnier aufgesetzt für 16 der besten und häufigst verwendeten Schachmotoren, die aktuell den Engine-Zirkus bevölkern. Generiert wurden dabei insgesamt knapp 500 Partien mit der offiziellen Blitz-Bedenkzeit der FIDE von 3 Min. + 2 Sek. (= Hauptspielzeit plus Zeitbonus pro Zug).
Dies allerdings mit zwei eher selten angewendeten Optionen: Erstens wurde komplett verzichtet auf den Einsatz von Eröffnungsbüchern, um den Engines nicht vorzuschreiben, welche Eröffnungszüge sie spielen sollen. Und zweitens hatten die Programme keine Endspiel-Datenbanken zur Verfügung, damit bei der späteren Partien-Analyse die eigentliche Performance einer Engine auch in dieser Spielphase objektiver untersucht werden kann. Drittens durften die Engines – via die Turnier-Option „Pondering“ – auch dann rechnen, wenn sie nicht am Zuge waren; dies ist das „natürlichste“ Verhalten beim Schachspielen…
Detailliert sah das Tournament Setting folgendermaßen aus:
Natürlich ist das Turnier mit seinen knapp 500 Partien statistisch nicht wirklich belastbar, trotzdem entspricht sein Ranking recht genau auch jenen Ranglisten, die tausende von Games pro Engine ausspielen lassen:
Update: Die nachfolgenden Ausführungen, Ergebnisse und Tabellen werden aufgrund eines technischen Fehlers in einigen Tagen revidiert!
Die Liste zeigt das nunmehr schon seit vielen Monaten bekannte Bild mit dem führenden Triumvirat Stockfish/LeelaChess/Komodo, wobei die Plätze Zwei und Drei immer mal wieder wechseln. Überblickt man viele der zahlreich existierenden Computerschach-Rankings im Internet, zeigt sich ziemlich deutlich, dass sich Komodo meist auf dem Silber-Podest einreiht.
Interessant ist, dass dieses Turnier nur gerade mal zwei Partie-Doubletten generierte, obwohl keine Opening Books im Spiel waren, die das Eröffnungsverhalten der Motoren gespreizt hätten. Trotzdem verzeichnet die Eröffnungs-Palette einen überraschend weiten ECO-Range.
Auch hinsichtlich Endspiel entsprechen die 480 Partien in etwa jenen Häufigkeiten, wie sie sich im Computer- wie im Human-Schach zeigen. Und auch hier machen die reinen Turm-Endspiele die größte und wichtigste Kategorie aus.
Ist Komodo-Dragon-3 aus dem Hause Chessbase ein Must-have für Schachspieler? Unbedingt – sofern man nicht zumindest schon das Fritz-18 oder -17-GUI hat und außerdem mal nicht immer bloß den gleichen Einheitsbrei von Stockfish & Co. aus dem Netz runterladen möchte.
Denn Dragon 3 hat ein deutlich anderes Spiel- und Analyse-Verhalten als alle anderen NN-Engines, beweist aber trotzdem immer wieder eine extrem starke Turnier-Performance. Damit ist dieser dritte „Drachen“ ein echtes Gegen-Programm zum üblichen Freeware-Kuchen mit seinen aberdutzenden von Derivaten und Klonen, die sich inzestiös oft nur in winzigsten Kleinigkeiten unterscheiden.
Chessbase rundet sein jüngstes Komodo-Paket außerdem ab mit einer großen Partien-Datenbank sowie einem 6-monatigen Premium-Account mit Zugang zu den bekannten CB-Online-Services.
Natürlich empfiehlt sich der Kauf weniger für jene, die F17 oder F18 bereits besitzen und somit die Dragon-3-Engine durchaus direkt bei den Komodo-Machern kaufen und dann einbinden können. Allerdings ist der Preis-Unterschied minim: Bei Amazon z.B. kostet die Chessbase-DVD 74 Euro, während die Programmierer auf ihrer Komodo-Webseite 75 Dollar, also ca. 70 Euro für die nackte Engine verlangen. Rechnet man bei CB noch ein paar Euro für den DVD-Versand hinzu, ist der pure Engine-Download günstiger – aber einbezogen werden sollten bei CB noch die kostenlosen Goodies Premium-Account & Database 2022.
Wie auch immer: Komodo-Dragon-3 zählt nicht nur zu den aktuell stärksten Schachprogrammen überhaupt, sondern setzt dem bunten Engine-Zirkus den vielleicht glänzendsten, weil schachlich und programmiertechnisch sehr alternativ auftrumpfenden Farbtupfer hinzu.
Der neue „Drachen“ 3.0 wird damit zum vielfältig einsetzbaren Analyse- und Sparring-Werkzeug – ein Schachpaket also für alle Fälle.
Chessbase: Komodo Dragon 3 & Fritz 18 GUI – Schachsoftware by Chessbase Hamburg, DVD oder Download
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