Komodo 13 ist Weltmeister im Computerschach

von Klaus Besenthal
22.08.2019 – In Macau (China) sind in der vergangenen Woche die "Chess Events" der International Computer Games Association (ICGA) zu Ende gegangen. Tatsächlich verbergen sich hinter dieser prosaischen Bezeichnung Weltmeisterschaften in drei Disziplinen: die "World Computer Chess Championship" (WCCC), die "World Chess Software Championship" (WCSC) und die "Speed Championship". Am Start waren sechs Teams mit ihren Programmen, darunter auch das bei ChessBase erhältliche Komodo 13, das in den beiden Hauptdisziplinen WCCC und WCSC jeweils den Titel gewann. Fotos: Erdogan Günes

Komodo Chess 13 Komodo Chess 13

Komodo 13 denkt wie kein anderes Schachprogramm. Inspiriert von AlphaZero haben die Entwickler ihre Engine von Grund auf neu erfunden.

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"ICGA Chess Events 2019" in Macau

Die 1977 u.a. von dem schottischen Internationalen Meister David Levy gegründete "International Computer Games Association" beschäftigt sich nicht mehr nur mit Schach, sondern z.B. auch mit Go, Dame oder Mühle. Die Computerschachweltmeisterschaft gibt es schon seit 1974; seit dem Jahr 2002 wird sie jährlich ausgetragen. 

Wer sich noch nie tiefer mit dem Thema "Computerschach" beschäftigt hat, wird sich vermutlich fragen, worin der Unterschied zwischen der "World Computer Chess Championship" und der "World Chess Software Championship" besteht. Die vor zehn Jahren von der ICGA verkündete Entscheidung verrät es: 

  1. The World Computer Chess Championship for the Shannon Trophy will be contested by teams who have no Restriction placed on them as to their choice of hardware.
  2. A new tournament will be introduced called the "World Chess Software Championship" to be held at the same location and during the same period as the WCCC. This will be a uniform platform event using computers loaned by the host organisation. In each game played in this tournament the two computers will be, so far as is possible, identical with respect to their hardware capabilities: number of cores, processor speed, memory size.

Für die WCCC bestehen also keine Restriktionen bezüglich der Hardware, auf der man sein Programm laufen lässt. Bei der WCSC dagegen sind Rechner zu verwenden, die der Veranstalter zur Verfügung stellt, und die für beide Gegner gleich ausgestattet sein sollen.

Nicht ganz denselben Stellenwert wie die WCCC und die WCSC  hat offenbar die "Speed Championship", die Blitzmeisterschaft, die sich den dafür vorgesehenen Tag im Zeitplan mit einer "excursion", einem Ausflug, teilen muss. 

Das nachstehende Video (Spieldauer ca. eineinhalb Minuten) zeigt, dass es bei der Meisterschaft (noch) nicht ganz so futuristisch zugeht, wie man vielleicht denken könnte. Es agieren dort Menschen aus Fleisch und Blut an einem ganz normalen Schachbrett:

Die "Shannon Trophy", mit der der Titelgewinn in der WCCC belohnt wird, ist nach dem amerikanischen Mathematiker Claude Shannon (1916 - 2001) benannt.

Erdogan Günes vom Komodo-Team stemmt den "Shanny" in die Höhe

Erdogan Günes berichtet vom Turniergeschehen in der WCSC ("Software-Gruppe"):

"Weil das Team Komodo in der Regel einen Tag vor dem Turnier anreist, konnte ich mich von den Reisestrapazen einigermaßen erholen. Am Tag 1 mussten wir zunächst für das Software-Turnier die Tablebases auf den einheitlichen Rechnern installieren und und und... Es gibt immer viel zu tun vor Ort, und man hilft sich auch gegenseitig, da unsere Wanderkaravane inzwischen wie eine große Familie ist. Nach der Auslosung standen dann die ersten Paarungen fest. Man konnte einige Programmierer nach der Verkündung wie eine Art 'Usain Bolt und Rambo in einer Person' zu ihren Rechnern rennen sehen, um noch schnell die letzten Vorbereitungen zu machen. Ich hatte meine Hausaufgaben schon daheim gemacht, blieb einfach cool und schaute den anderen zu, was Sie so an Hektik veranstalteten!"

"Es ging dann auch gleich los mit der Software-Gruppe. Unser Tagesprogramm war leider sehr straff gestaltet worden - mir kam es vor, als hätten wir kaum Zeit zum Atmen gehabt. Von 9 Uhr morgens bis abends 22 Uhr sollten wir im Turniersaal unsere Partien spielen. Mein erster Gegner war kein geringerer als der mehrfache Weltmeister Shredder, ein altbekannter Haudegen der auch schon optisch in die Jahre gekommen ist (graue Haare). Stefan Meyer-Kahlen war diesmal guter Dinge mit seinem Hybrid-Programm, und hatte auch wie in den Jahren zuvor gute Ambitionen für das Turnier mitgebracht. Ich hingegen hatte noch vor dem Turnier eine Art Marschroute gegen Shredder angelegt. Nachdem ich zuhause Partien meiner Kontrahenten aus den letzten Turnieren studiert hatte, war mir ihre Neigung zu den sicheren Eröffnungen aufgefallen. Sie wollten eben kein großes Risiko eingehen, und schon gar nicht am Anfang eines Turniers - so wie ein Boxer sich nach dem ersten Gongschlag erst einmal an den Gegner herantastet. Na ja, meine Devise ist so wie auch mein Eröffnungsturnierbuch für das Team Komodo: 'No risk, no fun!' Mit dieser Einstellung bin ich auch zu unserem ersten Spiel gegen Shredder angetreten. Ich wusste von meinen Heimtests mit Deus X beta v1.18 (Fat Fritz) oder Leela Chess Zero und anderen neuronalen Programmen, das die Netze erst ab einer gewissen Tiefe ihr Potenzial aufs Brett bringen können. Der Einheitsrechner, den wir für das Softwareturnier hatten, war aber kaum schneller als ein Herzschrittmacher - ein Handicap für die Neuronen."

"In meiner zweiten Begegnung hatte ich den nächsten Titelanwärter und Dauerrivalen Jonny mit den weißen Steinen gegen mich. Nur nicht aus der Ruhe bringen lassen, war die Devise für mich. Also rantasten und sich auf eine lange und solide Partie einrichten, so dass die neuronalen Netze zum Schluss mit weniger Zeit auf der Uhr nicht mehr ihre gewohnten Rechentiefen erreichen können und dadurch nicht die besten Züge finden werden. Gesagt, getan: Nach einer soliden Eröffnung von beiden Seiten kam es nach dem 20. Zug zu einem Massenabtausch und wir hatten kaum noch Material auf dem Tisch, um irgendeinen Schaden beim Gegner anrichten zu können. Nach einigen weiteren banalen Zügen kam das unvermeidliche Remis."

"In der dritten Partie kam es zum Match gegen Chiron, von dem ich in etwa weiß, wie er seine Bücher macht. Mein Plan war es, gegen Chiron etwas Komplexes auf den Tisch zu zaubern, da seine Engine in Unterschied zu Komodo weniger Schachwissen hat. Also würde er bei der schwachen Hardware sicherlich auch viele strategische Fehlgriffe machen. Und es kam so, wie ich es mir so ausgemalt hatte. Er wiederholte die Partie Komodo - Shredder von der ersten Runde, in der Hoffnung, dass der Feind schläft. Dass ich statt Le4?!  Lg6! in meinem Komodo-Buch hatte, war nicht auf seiner Rechnung. In dieser Partie ging mir der Spruch 'Schafe, die sich von der Herde weit entfernen, werden vom bösen Wolf gefressen' durch den Kopf. Und so kam es auch mit dem weit vorgerückten a-Bauern!"

Erdogan Günes und ICGA-Präsident David Levy in Macau

"In der vierten Begegnung gegen Ginkgo stand mir mit Wolfgang Zugrav ein guter alter Freund gegenüber, mit dem ich bei einigen Projekten (Hydra) zusammengearbeitet habe. Er hatte diesmal etwas vorbereitet gegen mich, eine Variante, die wir schon mal gemeinsam analysiert hatten. Nur gingen unsere Meinungen in der entscheidenden Stellung weit auseinander: 13. ... Springer b oder f schlägt auf d5? Ich war für Sbxd5, aber Wolfi wollte mir in dieser WM-Partie wohl beweisen, dass auch der andere Gaul spielbar ist. Ich habe mich dann nach der Partie mit seinen Fernschachanalysen eines Besseren belehren lassen. Nach dem ganzen Abtauschen war tote Hose in der Stellung und wir warteten sehnsüchtig auf eine Punkteteilung bei ungleichfarbigen Läufern."

"Bei der Partie gegen The Baron bin ich bis heute nicht daraus schlau geworden, was sich Komodo und vor allem The Baron dabei gedacht hatten. Nach einer soliden Eröffnung von Weiß kam es zu einem Geplänkel und plötzlich hatte Komodo einen Bauern mehr. Aber bei The Baron müssen wohl die Pferde durchgegangen sein und sein König machte sich auf den langen Weg, um an den weißen König zu kommen. Wir haben dann festgestellt, dass The Baron in den Tablebases wohl einen Fehler hatte und dadurch die Stellung falsch bewertete. Ok, Punkt ist Punkt. Abhaken und weiter geht die Reise!"

"Tag 1 war überstanden und Team Komodo sah sich in der Tabelle oben stehen. Jetzt mussten einige Teams Wunden lecken und Bugs in den Programmcodes und Löcher in den Eröffnungen ausbügeln. Das gleiche Prozedere wie alle Jahre zuvor, und das wiederholen wir so lange, bis wir die 32-Steiner erreicht haben."

"Tag 2 war angebrochen und somit auch die Rückrunde in der Softwaregruppe. Gut gelaunt und voller Zuversicht stand mir der Shredder-Programmierer mit den weißen Steinen gegenüber. Aber nach dem Buchverlassen von Komodo stand fest, dass Weiß hier keinen Blumentopf gewinnen würde ohne Damen auf dem Brett! Zehn Züge später zeigte die Tachonadel dann, dass nur noch Schwarz am Drücker war, es aber zum Sieg wohl nicht reichen würde. Somit hatte Shredder ein Happy End in dieser Begegnung."

"In der zweiten Begegnung gegen Jonny wollte ich etwas experimentieren, aber Komodo wollte es nicht so spielen, wie sein Mentor es erhofft hatte, trotz des Läuferpaares. Meine Idee war, dass Weiß mittels Sf5 oder f4-f5 einen Königsangriff inszenieren würde, aber nein, er muss ich wegen der kleinen Rechentiefen und der Undurchschaubarkeit ins Geplänkel am Damenflügel einmischen. Außer 'gut gestanden' hat Komodo in dieser Partie leider nichts erreicht."

"Bei der zweiten Begegnung gegen Ginkgo ging mir der folgende Satz durch den Kopf: Die lassen mich gegen meine eigenen Eröffnungen spielen! In der Fachsprache nennt man diese Jungs auch 'Copy-Paster'. Aber okay, hat man eine Variante gespielte, muss man eben in Kauf nehmen, dass es eines Tages gegen einen selbst auch auf den Tisch kommt. So nach dem Motto: Was Magnus Carlsen und Co. spielen, kann ja nicht schlecht sein. Mein Plan war, nur nicht die Punkteführung aus der Hand zu geben und deswegen etwas Solides zu spielen. Die wollen mir an die Wäsche, und deswegen sollen sie auch was dafür tun... Mehr Risiko meine Herren! So kam es auch zu einer langweiligen Partie, wo man keine Gewinnambitionen von Weiß sehen konnte. Während der Partie dachte ich mir meinen Teil: 'Wenn er schon mit Weiß nicht nicht gewinnen will, mit welcher Farbe dann?'"

"The Baron hatte diesmal ein glücklicheres Händchen mit der Eröffnungswahl, Komodo hingegen opferte einen Bauern, um aktives Spiel zu bekommen, für seine verkorkste Eröffnung. Diesmal hatte ich den SPARTA König auf meiner Seite und rannte ins feindliche Lager rüber ( Attackeee!) und konnte damit das Remis sichern."

"Mit der letzten Begegnung des Tages gegen Chiron wollte ich meinen Vorsprung durch einen Sieg noch erweitern und so den Titel verteidigen. Jeder andere würde einen sicheren Remishafen ansteuern, um seine Schäflein im Trockenen zu halten. Ich nicht, ich mache dort weiter wo andere aufhören! Nun gut meine Eröffnungswahl war für Komodo auf mehreren Cores gedacht gewesen. Ich war zuversichtlich mit der Eröffnung, nur Komodo macht mir wieder ein Strich durch die Rechnung wegen den fehlenden Rechentiefen. Ach ja, auch bei mir waren die Tiefen erbarmungslos niedrig. Komodo auf meinem Handy hätte mehr PS gehabt als der Herzschrittmacher, auf dem wir spielen mussten. In der Partie konnte Komodo seine Kraft nicht aufs Brett zaubern, leider. Außer einem schön anzusehenden Zentrum hatte Weiß nichts in der Hand, aber es reichte zum sicheren Remishafen und somit zum Titelgewinn in der Softwaregruppe."

World Computer Chess Championship (WCCC)

Komodo 13 ist "World Champion Computer Chess 2019". Für Komodo ist es der vierte Titel in Serie.

Ergebnisse

Runde 1

  1. Chiron – Ginkgo 1/2
  2. Shredder – Komodo 1/2
  3. The Baron – Jonny 0-1

Runde 2

  1. Ginkgo – Jonny 1/2
  2. Komodo – The Baron 1-0
  3. Chiron – Shredder 1/2

Runde 3

  1. Shredder – Ginkgo 1/2
  2. The Baron – Chiron 0-1
  3. Jonny – Komodo 1/2

Runde 4

  1. Ginkgo – Komodo 0-1
  2. Chiron – Jonny 1/2
  3. The Baron – Shredder 0-1

Runde 5

  1. The Baron – Ginkgo 1/2
  2. Jonny – Shredder 1/2
  3. Komodo – Chiron 1/2

Runde 6

  1. Ginkgo – Chiron 1/2
  2. Komodo – Shredder 1-0
  3. Jonny – The Baron 0-1

Runde 7

  1. Jonny – Ginkgo 1/2
  2. The Baron – Komodo 0-1
  3. Shredder – Chiron 1/2

Runde 8

  1. Ginkgo – Shredder 1/2
  2. Chiron – The Baron 1-0
  3. Komodo – Jonny 1/2

Runde 9

  1. Komodo – Ginkgo 1-0
  2. Jonny – Chiron 1/2
  3. Shredder – The Baron 1-0

Runde 10

  1. Ginkgo – The Baron 1-0
  2. Shredder – Jonny 1/2
  3. Chiron – Komodo 1/2

Abschlusstabelle nach 10 Runden

Pos Name Gms W D L Score SBgr Rtg TPR SRtg
1 United States Komodo 10 5 5 0 7.5 31.25 0   0
2 Italy Chiron 10 2 8 0 6.0 25.50 0   0
3 Germany Shredder 10 2 7 1 5.5 22.25 0   0
4 Germany Jonny 10 1 8 1 5.0 25.00 0   0
5 Germany Ginkgo 10 1 7 2 4.5 18.75 0   0
6 Netherlands The Baron 10 1 1 8 1.5 7.25 0   0

Partien

 

World Chess Software Championship (WCSC)

Komodo 13 ist "World Chess Software Champion 2019". 

Ergebnisse

Runde 1

1 Ginkgo – The Baron 1-0
2 Chiron – Jonny 1/2
3 Komodo – Shredder 1-0

Runde 2

1 The Baron – Shredder 1/2
2 Jonny – Komodo 1/2
3 Ginkgo – Chiron 1/2

Runde 3

1 Chiron – The Baron 1-0
2 Komodo – Ginkgo 1/2
3 Shredder – Jonny 1/2

Runde 4

1 The Baron – Jonny 0-1
2 Ginkgo – Shredder 1/2
3 Chiron – Komodo 0-1

Runde 5

1 Komodo – The Baron 1-0
2 Shredder – Chiron 1/2
3 Jonny – Ginkgo 1/2

Runde 6

1 The Baron – Ginkgo 0-1
2 Jonny – Chiron 1/2
3 Shredder – Komodo 1/2

Runde 7

1 Shredder – The Baron 1-0
2 Komodo – Jonny 1/2
3 Chiron – Ginkgo 1/2

Runde 8

1 The Baron – Chiron 0-1
2 Ginkgo – Komodo 1/2
3 Jonny – Shredder 1/2

Runde 9

1 Jonny – The Baron 1/2
2 Shredder – Ginkgo 1/2
3 Komodo – Chiron 1/2

Runde 10

1 The Baron – Komodo 1/2
2 Chiron – Shredder 1-0
3 Ginkgo – Jonny 0-1

Abschlusstabelle nach 10 Runden

Pos Name Gms W D L Score SBgr Rtg TPR SRtg
1 United States Komodo 10 3 7 0 6.5 29.50 0   0
2 Germany Jonny 10 2 8 0 6.0 27.50 0   0
3 Italy Chiron 10 3 6 1 6.0 24.50 0   0
4 Germany Ginkgo 10 2 7 1 5.5 23.00 0   0
5 Germany Shredder 10 1 7 2 4.5 20.00 0   0
6 Netherlands The Baron 10 0 3 7 1.5 8.50 0   0

Partien

 

Speed Championship

Abschlusstabelle nach 8 Runden

Pos Name Gms W D L Score SBgr Rtg TPR SRtg
1 Jonny 8 3 5 0 5.5 19.75 0   0
2 Chiron 8 1 6 1 4.0 16.00 0   0
3 Ginkgo 8 0 7 1 3.5 13.75 0   0
4 Komodo 8 1 5 2 3.5 13.75 0   0
5 Shredder 8 0 7 1 3.5 13.75 0   0

Homepage der ICGA


Klaus Besenthal ist ausgebildeter Informatiker und ein begeisterter Hamburger Schachspieler. Die Schachszene verfolgt er schon seit 1972 und nimmt fast ebenso lange regelmäßig selber an Schachturnieren teil.