Kramnik auf Kurs

von ChessBase
23.07.2011 – Neunmal hat Vladimir Kramnik schon das Dortmunder Turnier gewonnen - dieses Jahr könnte er mit dem zehnten Turniersieg ein Jubiläum schaffen. Für den Ex-Weltmeister waren die ersten Runden ein Auftakt nach Maß. Nach zwei Siegen und einem Remis führt er das Feld souverän an. Ohne Punkteteilungen kam bisher Rusaln Ponomariov aus. Der Ukrainer gewann zweimal und musste ein Niederlage quittieren und belegt Platz zwei. Reichlich Pech hatte Georg Meier. Der Dortmund-Neuling lag gegen Kramnik gut im Rennen, zog in verwickelter Position dann in Zeitnot jedoch den Kürzeren. Heute stellte er in ausgeglichener Endspielstellung erneut die Partie ein. Dagobert Kohlmeyer zieht ein erstes kleines Fazit und Frank Jarchov hat weitere Bilder des Tages eingefangen. Bericht und Bilder...

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Kramnik führt nach Traumstart beim Chess-Meeting in Dortmund
Von Dagobert Kohlmeyer (Text und Fotos)

Dortmund ist seit Donnerstag Schauplatz des 39. Sparkassen Chess-Meetings. Beim stärksten Schachturnier auf deutschem Boden liegt Seriensieger Wladimir Kramnik nach drei Runden mit 2,5 Punkten allein in Führung. Mit den beiden Auftaktsiegen gegen Ruslan Ponomarjow und Georg Meier legte er einen Traumstart hin, zuletzt spielte Kramnik remis gegen den Vietnamesen Le Quang Liem. Das übrige Feld liegt bis auf Ruslan Ponomarjow (2,0 Punkte) schon deutlich zurück.

Das Schauspielhaus, von Veranstaltungsleiter Gerd Kolbe gern die gute Stube Dortmunds genannt, ist prächtig herausgeputzt. Das Foyer zeigt sich im neuen Outfit, auf der Bühne sehen wir das gewohnte Bild: Sechs Weltklasse-Großmeister setzen dort ihre Figuren, im Hintergrund spielen vier Teilnehmer des B-Turniers. Schon der erste Spieltag war sehr gut besucht. Dieser Jahrgang bietet ja auch ein besonders interessantes Teilnehmerfeld. Seriensieger Kramnik und Titelverteidiger Ponomarjow werden von den ehrgeizigen Dortmund-Neulingen Hikaru Nakamura, Georg Meier und Anish Giri herausgefordert.

Und nicht zu vergessen Le Quang Liem aus Vietnam.

Der inzwischen 20-jährige Großmeister und zweifache Aeroflot Open Sieger ist ein freundlicher Zeitgenosse, am Brett aber wird er zum harten Kämpfer. Voriges Jahr schrammte er in Dortmund nur ganz knapp am Turniersieg vorbei. In der ersten Runde spielte der Gast aus Asien mit Schwarz gegen Georg Meier remis. Der Großmeister aus Trier vertritt diesmal anstelle von Arkadij Naiditsch die deutschen Farben. Le Quang Liem wählte die Grünfeld-Indische-Verteidigung und wehrte ohne Mühe alle Angriffsbemühungen seines Gegners ab. Nach 38 Zügen teilten sie den Punkt. Die Analyse der Partie im Pressezentrum war sehr kurz. „Ich hätte gern noch weiter gespielt, aber mein Gegner hat sehr präzise Züge gefunden, mehr als Remis war in dem Turmendspiel nicht drin“, sagte Meier.

Zur Eröffnung der Schachtage hatte Bürgermeisterin Birgit Jörder betont, das Turnier verleihe Dortmund in jedem Sommer einen Hauch Internationalität. Sie stehe der Stadt gut zu Gesicht. Jörder wünscht sich, dass Schach eine ähnliche Aufmerksamkeit im Revier finden möge wie König Fußball. Sparkassen-Chef Uwe Samulewicz vom Hauptsponsor ergänzte, dass die Weltstars Schach vom Feinsten bieten und Dortmund damit das geben, was die Stadt verdient. Sein Geldhaus werde das Chess-Meeting auch nächstes Jahr bei der 40. Auflage und in der Zeit danach unterstützen.

„Eine bessere Nachricht kann es nicht geben, freute sich der neue Präsident des Deutschen Schachbundes, Herbert Bastian. Er danke Dortmund im Namen des Verbandes und lobte das Engagement der Stadt für das königliche Spiel. Bastian ist selbst Internationaler Schachmeister und zudem begeisterter Fußballspieler. Er eröffnete gemeinsam mit Birgit Jörder und Uwe Samulewicz die 1. Runde des Turniers. Am Brett von Wladimir Kramnik führte die Kommunalpolitikerin symbolisch den ersten Zug bei dessen Auftaktpartie gegen Ponomarjow aus.  

Es war ein Traumstart für Kramnik. Der Rekordsieger von Dortmund (neun Erfolge) gewann in Runde 1 gegen Ruslan Ponomarjow und tags darauf auch gegen Georg Meier. Damit setzte sich der Schachkönig in seinem Revier sogleich an die Tabellenspitze. Im Duell mit dem Ukrainer hatte Kramnik Weiß und demonstrierte im Endspiel überlegene Strategie. Ponomarjow hatte zuletzt keinen guten Zug mehr und musste nach 42 Zügen kapitulieren. Wladimir revanchierte sich damit bei Ruslan für seine schmerzliche Niederlage aus dem Vorjahr, die dem Mann aus Kiew damals zum überraschenden Turniersieg im Schauspielhaus verhalf. In der Rückrunde treffen die beiden Stars am nächsten Mittwoch noch einmal aufeinander. Ponomarjow hat dann Weiß und schon Revanche angekündigt. Die anderen Spiele der Auftaktrunde endeten jeweils remis, wobei Anish Giri (Niederlande) und Hikaru Nakamura (Japan) sich einen Kampf über fünfeinhalb Stunden lieferten. Erst stand der 17-jährige niederländische Meister gut, dann öffnete Nakamura die Trickkiste und stellte Drohungen mit seinem Mehrbauern auf der a-Linie auf, aber Giri hielt die Stellung.

Schach ist Kopfsache

In vielen Turnieren leidet das Schach an Zuschauermangel. Nicht so in Dortmund, weil dort wie nirgendwo in Deutschland die Weltelite spielt. Natürlich sind Tätigkeiten wie Sitzen und Denken kein Fußball, sie haben deshalb nicht so einen großen optischen Reiz. Die schnellsten körperlichen Bewegungen gibt es im Schauspielhaus zu Beginn jeder Runde, wenn der Schiedsrichter von Tisch zu Tisch eilt und die Schachuhren mit einem Schlag in Gang setzt. Dann kehrt Ruhe ein. Der zuschauende Schachfreund kommt in der Stille des Theatersaals voll auf seine Kosten, wenn er das Geschehen auf der Bühne und die Partien auf  fünf großen Monitoren verfolgt. Schach spielt sich ja vor allem im Kopf ab. Dazu gibt es die Kommentare der Großmeister Klaus Bischoff und Sebastian Siebrecht. Mit ihren Erläuterungen über Kopfhörer bringen sie noch mehr Bewegung in die Gedanken des Publikums. 

Spieler und Zuschauer fühlen sich wohl, das Wetter draußen kann ihnen nichts anhaben. „Lieber Weltklasse-Schach sehen, als im Freibad frieren“, sagen sich auch viele Schulkinder zum verregneten Ferienbeginn. Ein großer Teil der Kids spielt Schach in Dortmunder AGs. Patrick Zelbel, inzwischen 18 Jahre alt, wurde jahrelang systematisch gefördert und ist heute Internationaler Schachmeister. Zu Beginn des Chess-Meetings wurde er auf der Bühne des Schauspielhauses mit dem Ferdinand-Fabra-Preis geehrt. Er ist mit 250 Euro dotiert, die von der Sparkasse kommen. Patrick erhielt die Auszeichnung aus den Händen von Bürgermeisterin Birgit Jörder, die auch Kramnik mit ihrem Eröffnungszug an diesem Tag Glück brachte.

In Runde 2 war auf dem Brett des Russen noch mehr los. „Wladimir Kramnik hat heute eine sehr mutige Partie gespielt und ist dafür belohnt worden“, lautete das lakonische Urteil von Kommentator Klaus Bischoff. Der Exweltmeister ging mit Schwarz sehr offensiv gegen Georg Meiers weißen Aufbau zu Werke. Es war eine taktisch hochbrisante Stellung, in der auch Georg bis zuletzt gute Chancen besaß, dann aber in höchster Zeitnot fehlgriff. Hätte er 29. Txd4 gespielt statt 29.Lxg5, wäre seine Stellung noch immer sehr aussichtsreich gewesen. „Ich hatte nur noch sieben Sekunden auf der Uhr, die komplizierten Varianten waren beim besten Willen nicht so schnell durchzurechnen“, sagte Meier hinterher.

Beide Großmeister analysierten die aufregende Partie, Georgs Mutter verfolgte das Geschehen aufmerksam. Sie fieberte zuvor schon die ganze Zeit im Saal oder im Pressezentrum mit. Frau Meier bestätigte uns, dass sie es war, die ihren Sohn einst zum Schach gebracht hat.

Bereits mit drei Jahren hatte der kleine Georg mit ihrer Unterstützung zu den Figuren gegriffen. Der Trierer hat aber noch andere Talente. Er spielt Klavier und spricht vier Sprachen. Es gibt also nicht nur Schach in seinem Leben. Im Herbst möchte Georg ein Wirtschafts-Studium in den USA aufnehmen. 

Ponomarjow holt auf

Was tat sich indessen am Nachbartisch bei Ruslan Ponomarjow?

Der Vorjahressieger zeigte sich von seiner Startniederlage gegen Kramnik gut erholt und gewann mit Weiß gegen Anish Giri. Der Jüngste des Feldes hatte zunächst eine gute Position, aber dann verlor er den Spielfaden. Am Ende entschied ein Freibauer zugunsten des Ukrainers. Er band die Kräfte des Gegners so stark, dass dieser sich nicht mehr rühren konnte. „Schach ist manchmal ein seltsames Spiel. Gestern war ich kreativ und verlor, heute spielte ich nicht so kraftvoll, aber mein Gegner machte ein paar Fehler, und ich gewann“, äußerte sich Ponomarjow nach der Partie.

Le Quang Liem und Nakamura trennten sich remis, so dass nach dem zweiten Spieltag Kramnik mit 2,0 Punkten führte und das Trio Nakamura, Le Quang Liem und Ponomarjow (je 1,0) sowie die beiden Schlusslichter Meier und Giri (je 0,5) folgten.

In der dritten Runde am Samstag schlug Ruslan Ponomarjow erneut zu. Sein Opfer war Hikaru Nakamura, der zum ersten Mal im Turnier Weiß und sich ganz sicher viel vorgenommen hatte.

Vielleicht zu viel. Jedenfalls kam er mit Ponomarjows Nimzoinder überhaupt nicht klar, leistete sich etliche ungenaue Züge, die den Ukrainer schnell in Vorteil und dann auf die Siegerstraße brachten. „Ich kann nur vermuten, dass Hikaru noch nicht richtig akklimatisiert ist“, sagte Ruslan und fügte hinzu, dass er selbst als Europäer bei ihrem kürzlichen Match in St. Louis auch Probleme mit der Anpassung hatte.

Zum Partieverlauf meinte „Pono“: „Ich brauchte nur ganz normale Züge machen und den Druck etwas zu erhöhen. Sein Zeitnotfehler kam fast von allein“. Zufrieden verließ der Ukrainer das Pressezentrum und begab sich ins Hotel. Vergessen ist seine Auftaktniederlage gegen Kramnik, Ponomarjow ist dem Russen schon dicht auf den Fersen, denn Kramnik begnügte sich zuletzt gegen Le Quang Liem mit einem Remis durch Dauerschach. Im längsten Duell des Tages wurde Georg Meier zum tragischen Helden, als er im Endspiel seiner Partie gegen Anish Giri in ausgeglichener Stellung eine Springergabel übersah.

Da waren schon mehr als sechs Stunden gespielt und über 70 Züge gewechselt. Giri konnte sein Glück nicht fassen, eilte schnell von der Bühne und bekam den Applaus der Zuschauer gar nicht mehr richtig mit.  

Im Gesamtklassement führt Kramnik, der Seriensieger von Dortmund, jetzt mit 2,5 Punkten vor Ponomarjow (2,0) sowie Giri und Le Quang Liem (je 1,5), der bisher dreimal remisierte. Es folgen Nakamura (1,0) und Meier (0,5).  Die Schlagerpaarung am Sonntag lautet: Nakamura – Kramnik. Wir hoffen auf spannende Partien an allen Brettern.

 

Tagesimpressionen
Fotos: Frank Jarchov




















Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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