Kramnik
führt nach Traumstart beim Chess-Meeting in Dortmund
Von Dagobert Kohlmeyer (Text und Fotos)
Dortmund ist seit
Donnerstag Schauplatz des 39. Sparkassen Chess-Meetings. Beim stärksten
Schachturnier auf deutschem Boden liegt Seriensieger Wladimir Kramnik nach drei
Runden mit 2,5 Punkten allein in Führung. Mit den beiden Auftaktsiegen gegen
Ruslan Ponomarjow und Georg Meier legte er einen Traumstart hin, zuletzt spielte
Kramnik remis gegen den Vietnamesen Le Quang Liem. Das übrige Feld liegt bis auf
Ruslan Ponomarjow (2,0 Punkte) schon deutlich zurück.

Das Schauspielhaus,
von Veranstaltungsleiter Gerd Kolbe gern die gute Stube Dortmunds genannt, ist
prächtig herausgeputzt. Das Foyer zeigt sich im neuen Outfit, auf der Bühne
sehen wir das gewohnte Bild: Sechs Weltklasse-Großmeister setzen dort ihre
Figuren, im Hintergrund spielen vier Teilnehmer des B-Turniers. Schon der erste
Spieltag war sehr gut besucht. Dieser Jahrgang bietet ja auch ein besonders
interessantes Teilnehmerfeld. Seriensieger Kramnik und Titelverteidiger
Ponomarjow werden von den ehrgeizigen Dortmund-Neulingen Hikaru Nakamura, Georg
Meier und Anish Giri herausgefordert.
Und nicht zu
vergessen Le Quang Liem aus Vietnam.

Der inzwischen
20-jährige Großmeister und zweifache Aeroflot Open Sieger ist ein freundlicher
Zeitgenosse, am Brett aber wird er zum harten Kämpfer. Voriges Jahr schrammte er
in Dortmund nur ganz knapp am Turniersieg vorbei. In der ersten Runde spielte
der Gast aus Asien mit Schwarz gegen Georg Meier remis. Der Großmeister aus
Trier vertritt diesmal anstelle von Arkadij Naiditsch die deutschen Farben. Le
Quang Liem wählte die Grünfeld-Indische-Verteidigung und wehrte ohne Mühe alle
Angriffsbemühungen seines Gegners ab. Nach 38 Zügen teilten sie den Punkt. Die
Analyse der Partie im Pressezentrum war sehr kurz. „Ich hätte gern noch weiter
gespielt, aber mein Gegner hat sehr präzise Züge gefunden, mehr als Remis war in
dem Turmendspiel nicht drin“, sagte Meier.
Zur Eröffnung der
Schachtage hatte Bürgermeisterin Birgit Jörder betont, das Turnier verleihe
Dortmund in jedem Sommer einen Hauch Internationalität. Sie stehe der Stadt gut
zu Gesicht. Jörder wünscht sich, dass Schach eine ähnliche Aufmerksamkeit im
Revier finden möge wie König Fußball. Sparkassen-Chef Uwe Samulewicz vom
Hauptsponsor ergänzte, dass die Weltstars Schach vom Feinsten bieten und
Dortmund damit das geben, was die Stadt verdient. Sein Geldhaus werde das
Chess-Meeting auch nächstes Jahr bei der 40. Auflage und in der Zeit danach
unterstützen.
„Eine bessere
Nachricht kann es nicht geben, freute sich der neue Präsident des Deutschen
Schachbundes, Herbert Bastian. Er danke Dortmund im Namen des Verbandes und
lobte das Engagement der Stadt für das königliche Spiel. Bastian ist selbst
Internationaler Schachmeister und zudem begeisterter Fußballspieler. Er
eröffnete gemeinsam mit Birgit Jörder und Uwe Samulewicz die 1. Runde des
Turniers. Am Brett von Wladimir Kramnik führte die Kommunalpolitikerin
symbolisch den ersten Zug bei dessen Auftaktpartie gegen Ponomarjow aus.
Es war ein Traumstart
für Kramnik. Der Rekordsieger von Dortmund (neun Erfolge) gewann in Runde 1
gegen Ruslan Ponomarjow und tags darauf auch gegen Georg Meier. Damit setzte
sich der Schachkönig in seinem Revier sogleich an die Tabellenspitze. Im Duell
mit dem Ukrainer hatte Kramnik Weiß und demonstrierte im Endspiel überlegene
Strategie. Ponomarjow hatte zuletzt keinen guten Zug mehr und musste nach 42
Zügen kapitulieren. Wladimir revanchierte sich damit bei Ruslan für seine
schmerzliche Niederlage aus dem Vorjahr, die dem Mann aus Kiew damals zum
überraschenden Turniersieg im Schauspielhaus verhalf. In der Rückrunde treffen
die beiden Stars am nächsten Mittwoch noch einmal aufeinander. Ponomarjow hat
dann Weiß und schon Revanche angekündigt. Die anderen Spiele der Auftaktrunde
endeten jeweils remis, wobei Anish Giri (Niederlande) und Hikaru Nakamura
(Japan) sich einen Kampf über fünfeinhalb Stunden lieferten. Erst stand der
17-jährige niederländische Meister gut, dann öffnete Nakamura die Trickkiste und
stellte Drohungen mit seinem Mehrbauern auf der a-Linie auf, aber Giri hielt die
Stellung.
Schach ist Kopfsache
In vielen Turnieren
leidet das Schach an Zuschauermangel. Nicht so in Dortmund, weil dort wie
nirgendwo in Deutschland die Weltelite spielt. Natürlich sind Tätigkeiten wie
Sitzen und Denken kein Fußball, sie haben deshalb nicht so einen großen
optischen Reiz. Die schnellsten körperlichen Bewegungen gibt es im
Schauspielhaus zu Beginn jeder Runde, wenn der Schiedsrichter von Tisch zu Tisch
eilt und die Schachuhren mit einem Schlag in Gang setzt. Dann kehrt Ruhe ein.
Der zuschauende Schachfreund kommt in der Stille des Theatersaals voll auf seine
Kosten, wenn er das Geschehen auf der Bühne und die Partien auf fünf großen
Monitoren verfolgt. Schach spielt sich ja vor allem im Kopf ab. Dazu gibt es die
Kommentare der Großmeister Klaus Bischoff und Sebastian Siebrecht. Mit ihren
Erläuterungen über Kopfhörer bringen sie noch mehr Bewegung in die Gedanken des
Publikums.
Spieler und Zuschauer
fühlen sich wohl, das Wetter draußen kann ihnen nichts anhaben. „Lieber
Weltklasse-Schach sehen, als im Freibad frieren“, sagen sich auch viele
Schulkinder zum verregneten Ferienbeginn. Ein großer Teil der Kids spielt Schach
in Dortmunder AGs. Patrick Zelbel, inzwischen 18 Jahre alt, wurde jahrelang
systematisch gefördert und ist heute Internationaler Schachmeister. Zu Beginn
des Chess-Meetings wurde er auf der Bühne des Schauspielhauses mit dem
Ferdinand-Fabra-Preis geehrt. Er ist mit 250 Euro dotiert, die von der Sparkasse
kommen. Patrick erhielt die Auszeichnung aus den Händen von Bürgermeisterin
Birgit Jörder, die auch Kramnik mit ihrem Eröffnungszug an diesem Tag Glück
brachte.
In Runde 2 war auf
dem Brett des Russen noch mehr los. „Wladimir Kramnik hat heute eine sehr mutige
Partie gespielt und ist dafür belohnt worden“, lautete das lakonische Urteil von
Kommentator Klaus Bischoff. Der Exweltmeister ging mit Schwarz sehr offensiv
gegen Georg Meiers weißen Aufbau zu Werke. Es war eine taktisch hochbrisante
Stellung, in der auch Georg bis zuletzt gute Chancen besaß, dann aber in
höchster Zeitnot fehlgriff. Hätte er 29. Txd4 gespielt statt 29.Lxg5, wäre seine
Stellung noch immer sehr aussichtsreich gewesen. „Ich hatte nur noch sieben
Sekunden auf der Uhr, die komplizierten Varianten waren beim besten Willen nicht
so schnell durchzurechnen“, sagte Meier hinterher.

Beide Großmeister
analysierten die aufregende Partie, Georgs Mutter verfolgte das Geschehen
aufmerksam. Sie fieberte zuvor schon die ganze Zeit im Saal oder im
Pressezentrum mit. Frau Meier bestätigte uns, dass sie es war, die ihren Sohn
einst zum Schach gebracht hat.

Bereits mit drei
Jahren hatte der kleine Georg mit ihrer Unterstützung zu den Figuren gegriffen.
Der Trierer hat aber noch andere Talente. Er spielt Klavier und spricht vier
Sprachen. Es gibt also nicht nur Schach in seinem Leben. Im Herbst möchte Georg
ein Wirtschafts-Studium in den USA aufnehmen.
Ponomarjow holt auf
Was tat
sich indessen am Nachbartisch bei Ruslan Ponomarjow?

Der
Vorjahressieger zeigte sich von seiner Startniederlage gegen Kramnik gut erholt
und gewann mit Weiß gegen Anish Giri. Der Jüngste des Feldes hatte zunächst eine
gute Position, aber dann verlor er den Spielfaden. Am Ende
entschied ein
Freibauer zugunsten des Ukrainers. Er band die Kräfte des Gegners so stark, dass
dieser sich nicht mehr rühren konnte. „Schach ist manchmal ein seltsames Spiel.
Gestern war ich kreativ und verlor, heute spielte ich nicht so kraftvoll, aber
mein Gegner machte ein paar Fehler, und ich gewann“, äußerte sich Ponomarjow
nach der Partie.
Le
Quang Liem und Nakamura trennten sich remis, so dass nach dem zweiten Spieltag
Kramnik mit 2,0 Punkten führte und das Trio Nakamura, Le Quang Liem und
Ponomarjow (je 1,0) sowie die beiden Schlusslichter Meier und Giri (je 0,5)
folgten.
In der dritten Runde
am Samstag schlug Ruslan Ponomarjow erneut zu. Sein Opfer war Hikaru Nakamura,
der zum ersten Mal im Turnier Weiß und sich ganz sicher viel vorgenommen hatte.

Vielleicht zu viel.
Jedenfalls kam er mit Ponomarjows Nimzoinder überhaupt nicht klar, leistete sich
etliche ungenaue Züge, die den Ukrainer schnell in Vorteil und dann auf die
Siegerstraße brachten. „Ich kann nur vermuten, dass Hikaru noch nicht richtig
akklimatisiert ist“, sagte Ruslan und fügte hinzu, dass er selbst als Europäer
bei ihrem kürzlichen Match in St. Louis auch Probleme mit der Anpassung hatte.

Zum Partieverlauf
meinte „Pono“: „Ich brauchte nur ganz normale Züge machen und den Druck etwas zu
erhöhen. Sein Zeitnotfehler kam fast von allein“. Zufrieden verließ der Ukrainer
das Pressezentrum und begab sich ins Hotel. Vergessen ist seine
Auftaktniederlage gegen Kramnik, Ponomarjow ist dem Russen schon dicht auf den
Fersen, denn Kramnik begnügte sich zuletzt gegen Le Quang Liem mit einem Remis
durch Dauerschach. Im längsten Duell des Tages wurde Georg Meier zum tragischen
Helden, als er im Endspiel seiner Partie gegen Anish Giri in ausgeglichener
Stellung eine Springergabel übersah.

Da waren schon mehr
als sechs Stunden gespielt und über 70 Züge gewechselt. Giri konnte sein Glück
nicht fassen, eilte schnell von der Bühne und bekam den Applaus der Zuschauer
gar nicht mehr richtig mit.
Im Gesamtklassement
führt Kramnik, der Seriensieger von Dortmund, jetzt mit 2,5 Punkten vor
Ponomarjow (2,0) sowie Giri und Le Quang Liem (je 1,5), der bisher dreimal
remisierte. Es folgen Nakamura (1,0) und Meier (0,5). Die Schlagerpaarung am
Sonntag lautet: Nakamura – Kramnik. Wir hoffen auf spannende Partien an allen
Brettern.
Tagesimpressionen
Fotos: Frank Jarchov
















