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Wladimir Kramnik vor dem Turniersieg in Dortmund
Text und Fotos: Dagobert Kohlmeyer
Endspurt beim Sparkassen Chess-Meeting. Noch zwei Runden, dann ist das stärkste
Schachturnier auf deutschem Boden schon wieder Geschichte. Wir fassen die Ereignisse
der vergangenen Tage auf und neben den Brettern zusammen. Je näher das Turnierende
im Dortmunder Schauspielhaus rückt, umso mehr steigt auch die Zahl der akkreditierten
Fachjournalisten. Manch einer war bisher noch beim Schachfestival in Biel und
wird auch zum Halali im Revier erwartet.
Wladimir Kramnik wurde am Freitag ernsthaft vom Vietnamesen Le Quang Liem geprüft.
Es war seine bislang schwierigste Partie. Nur der Großmeister aus Ho-Chi-Minh-Stadt
konnte den Russen auf seinem Weg zum 10. Titelgewinn überhaupt noch aufhalten.
Der dreifache Weltmeister kam punkt 15 Uhr voll konzentriert zur Partie, um
auch diesen Angriff abzuwehren. Und Vietnams Nr. 1 erwies sich als härtester
Gegner, der beinahe zum Stolperstein für Kramnik geworden wäre. In der spannenden
Partie kam Le als Weißer mit Stellungsvorteilen aus dem Mittelspiel heraus,
die Position des Russen wurde immer ungemütlicher. Es wäre ganz eng für Kramnik
geworden, wenn der Vietnamese den starken Zug 44.Ta6! (statt 47.Ta7) gefunden
hätte, wonach Weiß laut Rybka gute Gewinnchancen gehabt hätte.
Le Quang Liem - Wladimir Kramnik, Stellung nach 43...e4
Das sahen beide Spieler hinterher auch so. Doch diese Fortsetzung kam nicht
aufs Brett, so dass der Seriensieger von Dortmund mit Glück und Geschick seine
komplizierte Stellung halten konnte. Die anschließende Analyse im Pressezentrum
dauerte sehr lange, um den Tisch herum stand eine große Traube von Journalisten,
und der Mann aus Asien hörte andächtig zu, wie Kramnik gemeinsam mit Großmeister
Konstantin Landa (dieser berichtet aus Dortmund für die Webseite chesspro.ru)
die Varianten aus dem Ärmel schüttelten.
Konstantin Landa
Nur ab und zu warf Le Quang Liem schüchtern einen Zugvorschlag dazwischen. Sein
sehr bescheidenes Auftreten täuschte aber niemanden darüber hinweg, dass dort
ein ganz starker Großmeister am Tisch saß, der in Zukunft noch viel von sich
reden machen wird. Im Vorjahr war der zweifache Aeroflot-Open-Sieger schon Zweiter
in Dortmund, und sicher wird er auch 2011 wieder diesen Platz belegen. Er ist
beim Chess-Meeting genau wie der souverän führende Kramnik noch unbesiegt. Das
wird wahrscheinlich auch bis morgen so bleiben.
Le Quang Liem und Georg Meier mit ihren Müttern
Le Quang Liem und seine Mutter beim Chinesen
Doch einer gibt hier unangefochten den Ton an. Seit über einer Woche erleben
wir, dass Wladimir Kramnik in Dortmund einfach nicht zu stoppen ist. In der
siebenten Runde bezwang er zum zweiten Mal den Trierer Großmeister Georg Meier.
Hinterher analysierten beide im Presseraum wieder ausgiebig ihre interessante
Partie.
Georg Meier und Wladimir Kramnik analysieren, Georg Meiers Mutter schaut zu.
Auch im weiteren Verlauf des Turniers geht es immer wieder um Varianten.
Kramnik war in bester Stimmung, hatte er zu diesem Zeitpunkt doch bereits 6,0
Punkte auf seinem Konto. Dahinter klaffte eine große Lücke zum übrigen Feld
- so überragend ist in diesem Jahr die Vorstellung des Exweltmeisters, der auf
der Bühne des Schauspielhauses seinen Kontrahenten eine Lektion nach der anderen
erteilt.
Auf dem zweiten Tabellenplatz mit 4,0 Punkten lag drei Spieltage vor Schluss
Le Quang Liem, der sich in seinem Rückrundenspiel mit Schwarz von Hikaru Nakamura
(USA) remis trennte. Dritter mit 3,5 Punkten war nach der siebten Runde der
junge Anish Giri (Niederlande), weil er den Vorjahressieger Ruslan Ponomarjow
in einem Turmendspiel überlistete. Der Ukrainer kassierte damit schon seine
dritte Niederlage im Turnier - auch das gehört zu den großen Überraschungen
dieses Jahrgangs. Ruslan nahm die Verlustpartie dennoch, zumindest äußerlich,
gelassen und setzte sich anschließend im Presseraum erstmal an einen Computer,
um seine E-Mails zu lesen. Am nächsten Turniertag lief es dann besser für ihn,
als Ponomarjow gegen Nakamura gewann. Dem Amerikaner gelingt in Dortmund rein
gar nichts, er wartet immer noch auf seinen ersten Sieg.
Ruslan Ponomariov
Anish Giri
Hikaru Nakamura
Ein nachhaltiger Sponsor
Das Chess-Meeting wäre ohne seinen Titelsponsor, die Sparkasse Dortmund, nicht
denkbar. In Runde 7 führte der frühere Vorstandsvorsitzende der Bank, Helmut
Kohls, auf der Bühne des Schauspielhauses den ersten Zug am Spitzenbrett aus.
Dieser Mann hat über Jahre hinweg viel für das Dortmunder Schach getan, darum
ist nach ihm auch das hiesige B-Turnier benannt. Kohls schnappte sich den weißen
Königsspringer von Wladimir Kramnik und setzte ihn auf das Feld f3. Damit war
die Partie des Russen gegen Georg Meier eröffnet. Nachdem er dem Geschehen auf
der Bühne eine Weile zugesehen hatte, kam Helmut Kohls im Pressezentrum vorbei
und betonte, dass sein Interesse am Schach nach wie vor sehr groß ist, obwohl
er schon seit längerem das Leben als Pensionär genießt. Er freue sich jedes
Jahr aufs Neue über die hohe Qualität des Chess-Meetings. "Doch neben diesem
herausragenden Ereignis mit weltweiter Resonanz hat für mich die Arbeit in unseren
Dortmunder Schachschulen die gleiche Bedeutung. Ich finde es sehr wichtig, gerade
junge Menschen für dieses schöne Spiel zu begeistern", sagte der Ehrengast.
Anschließend ging Kohls noch zu den beiden Kommentatoren Klaus Bischoff und
Sebastian Siebrecht, um über Kopfhörer auch mit den Zuschauern im Saal in Kontakt
zu treten.
Helmut Kohls beim 1. Zug
Die Kommentatoren Klaus Bischoff (links) und Sebastian Siebrecht
In der sechsten Runde hatten wir im Schauspielhaus ein Remisfestival erlebt,
so dass Spitzenreiter Wladimir Kramnik auch nach Beginn der zweiten Turnierhälfte
das übrige Teilnehmerfeld weiter auf Distanz hielt. Nach sechs Runden führte
er mit 5,0 Punkten die Tabelle an. In der Spitzenpartie wehrte Kramnik mit Schwarz
alle Angriffe von Ruslan Ponomarjow erfolgreich ab. Nach 50 Zügen endete das
Spiel remis. Zuvor gab es auch in der Partie zwischen Le Quang Liem und Georg
Meier ein Unentschieden, so dass sich im Gesamtklassement keine Änderungen ergaben.
Hinter Kramnik folgten Le mit 3,5 und Ponomarjow mit 3,0 Punkten. Auch Hikaru
Nakamura und der junge Anish Giri teilten im längsten Duell dieses Spieltages
den Punkt. Damit endeten zum ersten Mal in diesem Turnier alle Partien der Schachstars
auf der Bühne des Schauspielhauses friedlich.
Nach Lage der Dinge konnten zu diesem Zeitpunkt außer Kramnik nur noch Le Quang
Liem und Ponomarjow bei der diesjährigen Titelvergabe in Dortmund ein Wort mitreden.
Jedoch nur ein kleines. Oder anders gesagt, sie hatten nur noch theoretische
Chancen. Dann müsste Kramnik aber in den verbleibenden Runden mehrmals fehlgreifen,
was bei seiner augenblicklichen Superform nicht zu erwarten war (und auch nicht
passierte). Schon keine reellen Aussichten mehr auf einen Spitzenplatz hatten
zu Beginn der zweiten Turnierhälfte die Großmeister Anish Giri (2,5 Punkte)
sowie Hikaru Nakamura und Georg Meier (je 2,0).
Meier und Nakamura zu Beginn ihrer Partie, die sich schließlich zur "Seeschlange"
entwickeln sollte.
Trainer Wladimir Tschutschelow mit seinem Schützling Anish Giri
Autogrammstunde und Rasenschach
Vor dem Start der Rückrunde lockte am einzigen Ruhetag eine Autogrammstunde
in der Sparkasse Dortmund etwa 200 Schachfans aus der ganzen Region an. In einer
langen Reihe standen die Schachjünger bis vor die Tür, um von ihren Idolen ein
Autogramm zu ergattern. Es zeigte sich, dass nicht nur die Unterschriften von
Popstars oder Fußballern gefragt sind, sondern auch die der Figurenkünstler.
Das Schlangestehen lohnte sich. Alle Autogrammjäger bekamen ein Plakat der 39.
Internationalen Dortmunder Schachtage, und die Großmeister schrieben geduldig
ihren Namenszug darauf, jeder in einer anderen Farbe. Sie hörten nicht auf damit,
bis auch der letzte Schachjünger zufrieden war. Viele hatten auch Bücher und
Fotos von einzelnen Spielern mitgebracht, die sie sich extra signieren ließen.
Vielleicht wird aus dem einen oder anderen Schachschüler später mal ein Meister.
Die Digitalkameras klickten, nicht wenige Schachfans ließen sich mit ihren Idolen
ablichten.
Große und kleine Autogrammjäger
Ein junger Schachfan
Das Chess-Meeting steht in diesem Jahr auch unter dem Motto "Schach und Rasenschach".
Zwischen Fußball und Schach gibt es durchaus Parallelen, das weiß man nicht
nur in der Stadt des amtierenden deutschen Meisters. Der BVB ermöglichte es,
dass Schachfreunde und Fußballfans sich im Schauspielhaus mit der Meisterschale
ablichten konnten.
Schachjournalist Dirk Poldauf
Schach- und Fußballfan: Der Autor Dagobert Kohlmeyer
Dafür kam eine ältere Salatschüssel, und zwar diejenige, die Borussia als Erinnerung
an die Meisterschaft 2002 erwerben durfte, zwei Tage lang ins Dortmunder Theater.
Viele Schachfreunde brachten deshalb ihre eigene Kamera mit.
Der Reporter machte am Vormittag des Ruhetages eine Stippvisite in den Dortmunder
Vorort Brackel, wo der deutsche Fußballmeister sein modernes Trainingsgelände
hat. Die Spieler von Trainer Jürgen Klopp absolvierten erst eine Einheit im
Kraftraum, danach erfolgte ein Lauftraining rund um den Platz.
Das Dortmunder Team beim Lauftraining
Es war schön für einen Berliner, die BVB-Fußballer mal in Natura zu sehen und
erheiternd, dabei den erheblichen Größenunterschied zwischen Verteidiger Mats
Hummels und dem japanischen Stürmer Shinji Kagawa (zwei Köpfe) in Augenschein
zu nehmen.
Der deutsche Fußballmeister 2011 beim Training
Der Mann aus Nippon beweist aber genau wie seine Landsfrauen, die Weltmeisterinnen
wurden oder wie sein hochtalentierter Kollege Mario Götze, dass man kein Riese
von Gestalt sein muss, um einen Riesen-Fußballspieler abzugeben. Die Klopp-Truppe
flog dann am Nachmittag noch nach Frankreich, wo sie abends beim Erstligisten
Valenciennes ein Testspiel hatten und 1:0 gewannen. Am heutigen Samstag müssen
die Borussen zum Pokalspiel nach Sandhausen. Dann sitzen die Schachspieler wohl
noch an ihren Brettern im Schauspielhaus. Wladimir Kramnik genügt ein Remis,
dann ist er uneinholbar und zum 10. Mal Schachkönig von Dortmund - eine Marke
für das Guinness-Buch der Rekorde!