Kulturtage Frankfurt: Was ist Schach?

von Gerd Densing
07.11.2018 – In Frankfurt wurde unter dem Titel: Kulturtage Frankfurt eine Podiumsdiskussion in prominenter Besetzung zur Frage "Was ist Schach?" organisiert. Gerd Densing hat sie verfolgt und fasst die Standpunkte zusammen.| Fotos: Gerd Densing

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Sportgeist – Geistessport?

Das Königliche Spiel als Königliche Sportart

Podiumsdiskussion am 30.10.2018 in der Evangelischen Akademie in Frankfurt am Main

Im Rahmen einer dreistündigen Abendveranstaltung ging es in der Evangelischen Akademie in Frankfurt am Main, sehr zentral in der Nähe des „Römer“ gelegen, um das Thema Schach.

Konzipiert und organisiert wurde die Veranstaltung durch Dr. Eberhard Pausch, Pfarrer und Studienleiter und Harry Schaack, dem Herausgeber von „Karl“, dem kulturellen Schachmagazin.

Das Panel der Podiumsdiskussion war sehr bunt und über Generationen gemischt.

  • GM Helmut Pfleger, u.a. bekannt durch seine häufigen Auftritte im Westdeutschen Rundfunk und seiner Schachkolumne in der Zeitung „Die Zeit“
  • GM Dorian Rogozenco, Trainer der deutschen Schach-Nationalmannschaft (in Vertretung für den terminlich verhinderten Präsidenten des Deutschen Schachbundes, Ulrich Krause)
  • WGM Sarah Hoolt, deutsche Nationalspielerin, aktuelle Nr. 4 der deutschen Rangliste bei den Damen
  • Prof. Dr. Ernst Strouhal, österreichischer Autor, Publizist und Kulturgeschichtsforscher, Universität für angewandte Kunst Wien
  • Ulrich Stock, Reporter „Die Zeit“

Souverän, ruhig, fachkundig und sehr gut vorbereitet moderiert wurde der Abend durch Harry Schaack.

Gastgeber Dr. Eberhard Pausch begrüßte die Teilnehmer freundlich und zeigte sich als Freund des Denkens allgemein und Freund des Schachspiels im Besonderen.

Harry Schaack

Harry Schaack skizzierte kurz das Ziel der Podiumsdiskussion damit, den Sonderstatus von Schach zu beschreiben. Er stellte alle Teilnehmer vor und leitete über zum Impulsvortrag von dem aus Wien angereisten Professor Dr. Ernst Strouhal. Dieser bezeichnete in seinen Ausführungen Schach als ungewöhnliches Thema und gleichzeitig als Experiment, verschiedene Welten zusammenzubringen. Dr. Strouhal öffnete seinen Impulsvortrag mit der Frage von Botwinnik. Was ist Schach? Kunst, Wissenschaft oder Spiel? Es folgte die Frage, was gewonnen wird, wenn Schach Sport ist, oder was verloren wird, falls Schach Sport wird? Es folgte die Frage nach der Bedeutung des Sports allgemein in der aktuellen Zeit. Welche Möglichkeiten hat Schach im Kontext des Sports heute, ohne unterzugehen?

Anschließend stellte er die Frage in den Raum: „Was zeichnet Schach aus?“ Und beantwortete recht interessant mit mehreren Aspekten. Es gebe kein Spiel mit einer ähnlich großen Dynamik, wie das Schachspiel. Es gibt sechs verschiedene Spielfiguren und eine 8*8 Felder große Matrix als „Welt“. Es sei ein Spiel von idealer Form von Komplexität. Schach sei etwas Besonderes. Es sei sehr flexibel und passe sich – über die Jahrhunderte – gesellschaftlichen Entwicklungen an. Es gibt flexible Narrative, viele Erzählungen, Rationalität und auch eine dunkle Seite. Zudem bietet Schach die Möglichkeit des „Ringen des Menschen mit Maschinen“.

Beleuchtet wurde auch, dass der Sport (allgemein) sich zu einem Spektakel entwickle. Im Zusammenhang mit der Verfolgung von Schach-Übertragungen fiel die Aussage: „Schach braucht Expertise“. Es gebe keine Fankulturen im Schach. Bester Fan sei „der Kiebitz“, der immer alles besser weiß …

Abgeschlossen wurde der Impulsvortrag mit Feststellungen, was Schach auszeichnet bzw. welche Möglichkeiten es beinhaltet:

  • Schach ist egalitär (es steht jedem offen, es zu spielen)
  • Schach ist langsam (in der extrem schnellen Gesellschaft)
  • Schach ist ein Spiel, wo wir intergenerationell spielen können (u.a. auch eine Reaktion auf den demografischen Wandel. Die demografische Entwicklung in der Bevölkerung spiegele sich in der Entwicklung der Verbände wieder)

Kulturtage Frankfurt

Moderator Harry Schaack ging kurz auf den Impulsvortrag ein und begrüßte die Gäste bzw. Zuschauer. Die überschaubare Gruppe enthielt nicht nur schachinteressierte Bürger oder Amateur- und Vereinsspieler sondern auch starke Schachspieler (Titelträger). GM Klaus Bischoff nebst Gattin WIM Ingrid Lauterbach, IM Bernd Schneider und FM Jochen Wege waren ebenso interessiert wie der ehemalige Präsident des Deutschen Schachbundes, der aus dem Saarland angereiste IM Herbert Bastian.  Schach-Historiker Dr. Michael Negele war auch mit von der Partie.

Harry Schaack hatte sich gut auf die Podiumsdiskussion vorbereitet und auf die einzelnen Teilnehmern zugeschnittene Fragen gestellt, die aber das ein oder andere Mal auch von anderen Podiumsteilnehmern gerne mit aufgegriffen wurden.

Dorian Rogozenco wurde u.a. gefragt, wie der DSB Schach definiert und warum? Der Bundestrainer antworte klar, dass es sich um Sport handele.

Sarah Hoolt wurde u.a. gefragt, wie ein Tagesablauf einer Leistungssportlerin aussieht. Sie beschrieb die Situation und den Tagesablauf bei der vor wenigen Wochen in Batumi in Georgien durchgeführten Schacholympiade und erzählte auch etwas zu ihrem Trainingspensum neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit. Angesprochen wurden auch die positiven Effekte des Schulschachs (Schach als Schulfach, Bildungs- und lernunterstützende Effekte etc.).

Sarah Hoolt, Dr. Ernst Strouhal

Ulrich Stock erläuterte auf Nachfrage, welche Ressorts in der „Zeit“ für Schach zuständig sind. Schach ist dem Bereich „Wissenschaft“ zugeordnet. Hinterfragt wurde auch, warum die Schachberichterstattung in der „Zeit“ (letzte WM-Kämpfe und Kandidatenturnier 2018) und auch in anderen Medien so erfolgreich gewesen ist. Thematisiert wurde die mediale Vermittelbarkeit. Diskussionspunkt im Teilnehmerkreis war der Aspekt des Sponsorings. Die Funktion, Geschichte und Bedeutung von Mäzenen wurde dabei herausgestellt.

Helmut Pfleger konnte sehr viele Geschichten aus seiner jahrzehntelangen Schacherfahrung vortragen und oft zur Erheiterung der Gesprächsrunde und Zuschauer beitragen. Sportmedizinische Untersuchungen in den Siebzigern und Achtzigern zu Schach und Sport und der Physiologie bei Schachspielern waren eines der Kernthemen. Besprochen wurde auch das Thema Doping (Selbstversuch mit Beda-Blockern) und der 1. Wettkampf Kasparov – Karpov über 5 Monate (Gewichtsverlust, psychische Belastung etc.). Nach der Frage der Definition von „Schach als Sport“, wurde Schach und Sport in der Sowjetunion mit Schachspielern als Sportler des Jahres als Beispiel angeführt.

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Ernst Strouhal beschrieb die Entwicklung des Schachs von der höfischen Bildung über das Glücksspiel bis hin zum Sport und versuchte eine Abgrenzung zwischen Spiel und Sport. Thematisiert wurde der Fokus auf die körperlichen Aspekte des Sports. Die Rolle der mediale Sportvermarktung und Fernsehtauglichkeit des Schachs wurde hinterfragt. Angesprochen wurde Schach als Demenzprävention sowie Zukunftsperspektiven für das Schach durch den demographischen Wandel.

Nach einer kurzen Pause bei Getränken und belegten Brötchen kamen in der anschließenden Fragerunde aus dem Zuschauerkreis einige weitere Fragen.

Angesprochen wurde beispielsweise die Höhe der Sportförderung des DSB durch das Innenministerium und die Situation im Jahr 2014 (Vorgesehene Kürzung der Förderung). Weiter wurde das Thema Frauen im Schach ausführlich thematisiert. Herbert Bastian ergänzte u.a., dass während seiner Amtszeit als DSB-Präsident der Anteil der Frauen von 7 % auf 9 % aller DSB-Mitglieder gesteigert werden konnte. Ein weiterer Fragesteller merkte kritisch an, dass der Untertitel der Veranstaltung „Königliche“ Sportart bei der Podiumsdiskussion zu kurz gekommen sei.

Zum Ende der Abendveranstaltung bedankte sich Dr. Eberhard Pausch ganz herzlich bei allen Teilnehmern für die interessante Gesprächsrunde und den Zuschauern für ihr Interesse und die Fragen. Er überreichte jedem Podiumsteilnehmer ein Geschenk und stellte offen in den Raum, dass es möglicherweise nicht die letzte Veranstaltung zum Thema Schach in der Evangelischen Akademie in Frankfurt gewesen sei. Es seien wohl noch viele weitere Aspekte zu Schach zu beleuchten … 

 


Gerd Densing ist ein begeisterter Vereins- und Turnierspieler. Seine Eindrücke hat er in vielen Berichten auf der ChessBase-Nachrichtenseite festgehalten.

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