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Richters Spitzname lautete „Scharfrichter“, ein Tribut an Richters taktische Fähigkeiten und sein Gespür für dynamische Möglichkeiten. Abseits des Schachs verlief Richters Leben, wenn man McGowan glauben darf, jedoch sehr viel unspektakulärer. Sein Vater Paul Richter arbeitete als Versicherungsvertreter und starb kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 an der Front. Der frühe Tod des Vaters führte dazu, dass Richter trotz sehr guter schulischer Leistungen nicht aufs Gymnasium gehen konnte, sondern in die Fußstapfen seines Vaters trat und eine Lehre als Versicherungskaufmann machte, um Geld zu verdienen.
Bis 1927 arbeitete er in der Firma von Albrecht Jatzko im Versicherungsgeschäft, danach machte Richter sein Hobby zum Beruf und verdiente sein Geld als Schachspieler, Autor, Redakteur (unter anderem für die Deutschen Schachblätter und die Deutsche Schachzeitung) und Schachjournalist. Schach hatte Richter im Alter von zehn Jahren von seinem Großvater gelernt und 1922 gewann er zum ersten Mal die Berliner Stadtmeisterschaft und zählte damit zu den besten Schachspielern Deutschlands.
Richter reiste nicht gerne, lebte Zeit seines Lebens in Berlin und war durch die schlechte Ernährungslage in Deutschland während und nach dem Ersten Weltkrieg sein Leben lang gesundheitlich angeschlagen und krankheitsanfällig. Richter hatte einen Bruder, Gerhard (1903-1097), blieb sein Leben lang unverheiratet und hatte eine sehr enge Bindung zu seiner Mutter. Doch bis auf die kurze Notiz, dass Richter gerne auf Pferde wettete, verrät McGowan wenig über das Privatleben Richters – er konzentriert sich auf die Schachkarriere des Angriffskünstlers. (Mehr über den Menschen Richter erzählt Michael Dombrowsky in seinem lesenswerten Buch Berliner Schachlegenden, das auch ein Kapitel über Kurt Richter enthält.)
Das Schach war die Leidenschaft und die Konstante im Leben Richters. Richter erlebte das deutsche Kaiserreich, den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, die Machtergreifung der Nationalsozialisten, den Zweiten Weltkrieg, die deutsche Teilung nach Kriegsende und lebte nach dem Mauerbau 1961 als Ostberliner in der DDR. Doch welche politischen Umstände auch gerade herrschten – Richter spielte Schach und schrieb darüber.
Richter war lange Zeit einer der besten Spieler Deutschlands und gehörte mit einer historischen Elo-Zahl von 2652 Anfang der 40er Jahre auch zu den besten Spielern der Welt und 1950 verlieh ihm die FIDE den IM-Titel. Als Schachjournalist, Redakteur und Autor von populären Schachbüchern wie Die Hohe Schule der Kombination, Kurzgeschichten um Schachfiguren oder 666 Kurzpartien – Eine Hohe Schule der Schachtaktik, um nur einige zu nennen, begeisterte er zahllose Schachspieler für das Spiel.
McGowan, der Autor der Biographie, lebt in Kanada, doch als junger Schachspieler fiel ihm in der Bibliothek von Glasgow in Schottland ein Buch von Arpad Földeak über Schacholympiaden in die Hände, das eine Reihe schwungvoller Angriffspartien von Richter enthielt. McGowan wurde zum Richter-Fan und sammelte im Laufe der Jahrzehnte mit Hilfe von Schachspielern in aller Welt Partien, Turnierberichte, Tabellen, Fotos, Dokumente sowie andere Zeugnisse, die er über Richter finden konnte. Auf diesem Material basiert seine Biographie und einmal mehr ist es faszinierend zu sehen, wie sich in der Welt des Schachs die Geschichte der Welt spiegelt.
Kurt Richter
So besteht ein Reiz des Buches in den vielen mit leichter Hand nebenbei erzählten Geschichten über vergangene Schachzeiten und Menschen, die das Schachleben von Kurt Richter gekreuzt haben. So erfährt man etwas über die Schachcafés im Berlin der Weimarer Republik, die Einführung der Schachfiguren in Bundesform, dass Isaak Lipnitsky, Autor der Buches Fragen der Modernen Schachtheorie, nach dem Zweiten Weltkrieg in führender Position in Berlin für die Rote Armee gearbeitet hat, oder dass Joseph Goebbels im Dritten Reich nicht nur Propagandaminister, sondern auch Ehrenvorsitzender des Großdeutschen Schachbundes war.
Doch solche Geschichten stehen eher am Rand, den Hauptteil des Buches machen die Partien Richters aus. Richter genießt den Ruf, ein gefährlicher und origineller Angriffsspieler gewesen zu sein, aber trotzdem verblüfft die Kunst Richters, in zweischneidigen, theoretisch eher abschätzig betrachteten Varianten, immer wieder gefährliche Angriffsstellungen aufs Brett zu zaubern, ein ums andere Mal.
Hier ein Beispiel, das zeigt, wie einfallsreich Richter war, wenn es darum ging, den gegnerischen König anzugreifen.
In seinem Drang, von Anfang an auf Matt zu spielen, hat Richter eine Reihe von Beiträgen zur Eröffnungstheorie geleistet. Die immer noch beliebte Richter-Rauser Variante im Sizilianer (1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 d6 6.Lg5!?) trägt seinen Namen und auch die Variante 1.d4 d5 2.Sc3 hat er mit zahlreichen Ideen bereichert. Als Schwarzer griff er gerne zur Polnischen Verteidigung (1.d4 b5!?) oder probierte es mit dem Budapester Gambit, mal mit Opfer des e-Bauern, wie in der obigen Partie gegen Schlage, mal ohne. Tatsächlich gelten einige der von Richter bevorzugten Eröffnungssysteme als theoretisch nicht ganz vollwertig, aber sie bieten die Möglichkeit zu scharfem Spiel mit taktischen Komplikationen. Richters Kunst, die Dynamik und das Angriffspotenzial in diesen zweischneidigen Varianten zu entdecken, macht viele seiner Partien auch heute noch sehenswert und zu Musterbeispielen, wie man einen Angriff führt.
Solche Partien, die vielen Geschichten und die wunderbaren zeitgenössischen Fotos, die McGowan gesammelt hat, machen diese Schachbiographie Kurt Richters zu einem schönen Lesebuch und einer gelungenen Erinnerung an einen Spieler, der in mehr als einer Hinsicht Schachgeschichte geschrieben hat.
Alan McGowan, Kurt Richter: A Chess Biography with 499 Games, McFarland 2018, ca. 65 Euro.
Zum Abschluss noch eine der berühmtesten Partien des "Scharfrichters", gespielt bei der Schacholympiade 1930 in Hamburg: