Ein Gespräch mit dem legendären Lajos Portisch
Von Albert Silver
Übersetzung: Bastian Pielczyk
Als ich ihn das erste Mal kontaktierte, bat mich Lajos um eine kleine Verschiebung
des Termins, da er gerade eine Stellung studierte und dies zunächst beenden
wollte. Natürlich willigte ich ein, war aber beeindruckt, dass er im Alter von
74 Jahren, trotz seiner verringerten Aktivität, immer noch solche Motivation
und Antrieb aufbrachte. Er analysierte ein interessantes Abspiel, ein Bauernopfer,
für das er keine Lösung finden konnte. Aus Prinzip, so erklärte er, weigerte
er sich, den Computer zu konsultieren, und meinte augenzwinkernd, er sei eben
ein alter Spieler - was zwar sicherlich richtig war, aber doch nicht die ganze
Erklärung zu sein schien.
Lajos Portisch, immer noch betriebsam und aktiv
Albert Silver: In Ihrem Profil auf Wikipedia
werden Sie als ungarischer Botwinnik bezeichnet. Was halten Sie davon?
Lajos Portisch: Erst in diesen Sommer spielte ich ein Senioren-Blitzschachturnier
in Russland, das Kortschnoi gewann. Dort habe ich diese Bezeichnung auch gehört.
Als ich dann eine öffentliche Rede hielt, nutzte ich den Moment, um dies als
falsch zu bezeichnen, da ich mich selbst nie mit Botwinnik verglichen hatte.
Natürlich habe ich alle großen Spieler der Schachgeschichte studiert, darunter
auch Botwinnik, aber das bedeutet nicht, dass es irgendwelche größeren Ähnlichkeiten
unserer Spielstile gibt.
Wie würden Sie Ihren eigenen Spielstil charakterisieren?
Positionell. Ich bin immer sehr positionell orientiert gewesen. Leider habe
ich sehr spät angefangen. Ich war schon zwölf Jahre, alt als ich mit dem Schachspielen
begann, und bin nur langsam vorangekommen, da ich einer kleinen ungarischen
Stadt geboren wurde. Dort gab es keine Bücher, natürlich keine Computer, und
noch nicht einmal Schachuhren. Das ist auch der Grund, warum ich nicht so gut
Schnellschach und noch schlechter Blitzschach spiele. Als Kinder konnten wir
kein Blitzschach spielen, da der Schachclub insgesamt nur drei Uhren besaß,
die vor uns versteckt wurden.
Der Leiter des Clubs befürchtete Probleme bei der Austragung der Mannschaftswettkämpfe,
wenn er uns die Uhren überließ. Somit konnte ich nicht mit einer Schachuhr üben.
Taktisch war ich zu Beginn sehr schwach, so wie Spassky, über den man dies auch
sagt - wenngleich er natürlich viel jünger war, als er anfing.
Zwölf ist ein recht hohes Alter, um mit dem Schachspielen zu beginnen
und sich dann zu einem der besten Spieler der Welt zu entwickeln. Wann merkten
Sie, dass sie talentiert genug sein könnten, um Schach zu Ihrem Beruf zu machen?
Nachdem ich die Schule beendet hatte, begann ich ein Studium der Wirtschaftswissenschaften,
für das ich jedoch kein Talent besaß. Schon nach einem Monat brach ich es ab.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich bereits entschlossen, Schach professionell
zu betreiben. Da war ich 18 Jahre alt.
Wie stark waren Sie zu dieser Zeit? Hatten Sie schon Meisterniveau?
Nun, zu dieser Zeit hatte gerade die Juniorenweltmeisterschaft stattgefunden,
die das erste wirklich stark besetzte Turnier war, an dem ich teilnahm. Spassky
gewann, Mednis war auch dabei. Das war 1955 in Antwerpen. Ich selbst wurde nur
Vierter.
Aber Sie waren offensichtlich für die WM qualifiziert, um Ungarn zu vertreten.
Ja, aber ich hatte Glück gehabt, weil viele stärkere junge Spieler schon die
Altersgrenze von 20 Jahren überschritten hatten. Der Verband nominierte mich
einfach.
Hatten Sie davor schon Turniere gewonnen?
Ja, aber mir war es nicht einmal gelungen, das Finale der ungarischen Meisterschaft
zu erreichen. Durch mein gutes Abschneiden bei der Juniorenweltmeisterschaft
bekam ich mehr Selbstvertrauen und gewann schließlich das Halbfinale der ungarischen
Meisterschaft und zog in das Finale ein. Zudem wurde ich für die Nationalmannschaft
nominiert, als Ersatzspieler für Freundschaftsspiele. Tatsächlich hatte ich
immer Musiker werden wollen - ein Wunsch, den meine Eltern noch stärker als
ich hegten. Immerhin hatte ich als kleiner Junge Geige gespielt, was ich zugunsten
des Schachs aufgab.
Geige? Ich hatte gelesen, Sie seien ein ausgebildeter Opernsänger.
Das stimmt, ich bin jetzt Sänger, aber ich zehre dabei von meiner musikalischen
Erfahrung mit der Geige. Leider kann ich sie nicht mehr spielen, da meine Finger
nicht mehr so beweglich sind. Ich spiele nur etwas Klavier, wenn ich übe. Aber
Musik habe ich immer geliebt - nur Klassik allerdings. Doch als das Schachspiel
immer wichtiger für mich wurde, musste ich meine musikalischen Ambitionen aufgeben.
Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich als Berufsschachspieler finanziell
über Wasser halten konnten?
Damals war Schach nicht so organisiert wie heute. Wir erhielten Unterstützung
von manchen Clubs, indem wir sogenannte unsichtbare Jobs innehatten, für die
wir einen kleinen Lohn erhielten. Es gab auch nicht so viele Turniere wie heute.
Zum Beispiel spielte ich 1964 das Turnier in Beverwijk, das erst später nach
Wijk aan Zee verlegt wurde. Die Stadt war größer als Wijk aan Zee, das nur ein
Dorf ist. Doch damals gab es keine Preisgelder. Die niederländischen Organisatoren
sagten, Preisgelder verstießen gegen ihre Prinzipien.
Nur damit ich das richtig verstehe: bei den ersten Turniere der Wijk-aan-Zee-Serie
gab es keine Preisgelder, weil die Organisatoren meinten, dies sei gegen ihre
Prinzipien?
Keine Preisgelder. Wir erhielten eine kleine Aufwandsentschädigung, aber keine
Preisgelder, nein. Erst später, bei meiner zweiten oder dritten Teilnahme, wurden
Preise ausgeschüttet. Die Ausrichter hatten erkannt, dass ohne Preisgelder kein
ernstzunehmendes Turnier ausgetragen werden konnte.
Wie motivierten sie die Schachspieler als es noch keine Preisgelder gab?
Wir mochten Schach, und ich habe nie um des Geldes willen gespielt. Mich haben
immer die aus dem Spiel selbst resultierende Befriedigung und der Wettbewerb
interessiert.
Das verstehe ich, aber Sie mussten doch Essen kaufen, Miete zahlen, etc.
Wir haben immer etwas zusammenbekommen, aber zu Beginn habe ich viele Turniere
gespielt, bei denen es praktisch keine Preisgelder gab. Bei den meisten Turnieren
in Ungarn gab es zum Beispiel auch keine. Als ich das erste Mal ungarischer
Meister wurde, erhielt ich nur eine Trophäe.
Wann war das?
1958. Im Jahr darauf gewann ich nach einem Playoff erneut.
An wie vielen Turnieren in Wijk aan Zee haben Sie teilgenommen? Ich weiß,
dass Sie vier gewonnen haben.
Das habe ich nie gezählt. Ich habe dort viele Male gespielt. Mehr als zehn,
vielleicht fünfzehn Mal. Tatsächlich ist das interessant, denn in den Niederlanden
war ich am erfolgreichsten. Wenn ich mich nicht irre, habe ich dort acht oder
neun Turniere gewonnen. Vier in Wijk aan Zee, dreimal Amsterdam IBM, mindestens
ein Interpolis, und ein weiteres, das mir nicht einfällt. Vielleicht nehmen
wir noch das "Veterans vs. Ladies"-Turnier hinzu, bei dem ich der beste Spieler
des Männerteams war.
Wijk aan Zee 1978 war das am stärksten besetzte Turnier, das Sie gewonnen
haben.
Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, es war ziemlich kurz und hatte, wenn ich
mich nicht irre, insgesamt nur zwölf Teilnehmer. Die früheren Turniere die ich
gewann, wie 1972 und 1975, dauerten länger und hatten mindestens sechzehn Spieler.
Smyslov war 1972 dabei, und 1978, richtig, nahm Kortschnoi teil, auch Timman.
Kortschnoi war sicherlich die Nummer zwei der Welt hinter Karpow. Sein Weltmeisterschaftkampf
gegen Karpow fand in ebenjenem Jahr statt.
Sie haben alle diesen großen Spieler getroffen: Kortschnoi, Timman, Mecking…
über den Kortschnoi einmal sagte, dass er, der in Brasilien lebte, mit der richtigen
Unterstützung Weltmeister hätte werden können. Stimmen Sie ihm zu?
Das ist schwer einzuschätzen. Er war natürlich äußerst talentiert, aber hatte
gesundheitliche Probleme, die sehr ernsthaft waren. Dies war natürlich ein Nachteil,
und er konnte lange Zeit nicht spielen. Ob er Weltmeister hätte werden können,
ist schwer zu sagen. Es gibt viele Schachspieler -Kortschnoi, mich, Timman oder
Keres als Angehöriger der älteren Generation - die nie Weltmeister wurden, obwohl
sie sehr stark waren. Ich glaube, ich habe nur einmal mit Mecking in Wijk aan
Zee gespielt. Das ist eine witzige Geschichte. Wir trafen uns in der Kirche.
Ich bin gläubiger Katholik, wissen Sie, und gehe jeden Sonntag in die Kirche.
In Wijk aan Zee gab es nur eine ganz kleine Kirche, die von Protestanten und
Katholiken gleichermaßen genutzt wurde - was ich so zum ersten Mal gesehen hatte.
Zum Beispiel gab es morgens eine katholische Messe und später den protestantischen
Gottesdienst. Zunächst erschien mir das sehr seltsam, aber dann dachte ich mir:
warum nicht? Letzten Endes beten wir zu einem Gott. Als ich Mecking in der Kirche
traf, sagte ich ihm ganz überrascht: "Ich dachte, Sie wären jüdisch!" Er lachte
und antwortete: "Das dachte ich auch von Ihnen!" Gewiss war dies nur für Bobby
Fischer von Interesse, dessen erste Frage immer lautete: "Glauben Sie an den
Holocaust? Falls ja, dann haben wir nichts mehr miteinander zu bereden."
Mir war nicht klar, dass Geschichte von persönlichen Überzeugungen abhängt.
Ich dachte, die Tatsachen sprächen für sich.
Ja, armer Bobby, glücklicherweise machte er in meinem Fall eine Ausnahme. Er
blieb lange in Ungarn, wissen Sie, und wir trafen uns sehr oft. Wir redeten
und analysierten. Zu dieser Zeit war er immer noch ein sehr starker Spieler.
Das wusste ich nicht.
Ja, er war wirklich sehr stark.
Wann war das?
Vor etwa fünfzehn Jahren.
Lajos Portisch mit seinem altgedienten Schachbrett
Albert Silver: Also war Bobby Fischer Mitte der 1990er Jahre immer noch
in Ungarn.
Lajos Portisch: Ja, er blieb recht lange hier. Oft besuchte er uns, meine arme
Frau, die vor zehn Jahren verstorben ist, und mich. Sie war eine gute Köchin
und servierte Bobby bei seinen Besuchen immer ein reichhaltiges Essen. Bobby
aß nur einmal am Tag, dann aber sehr viel.
Das kann ich mir vorstellen.
Ja, er verspeiste ein Kilo Gulasch.
Meine Güte!
Ja (lacht). An einem Abend analysierten wir vor dem Essen ein kompliziertes
Abspiel, das wir nicht lösen konnten. Dann aßen wir, und als wir fertig waren
sagte Bobby: "Lajos, gib mir fünf Minuten zum Ausruhen." Er legte sich auf das
Sofa im Wohnzimmer, während ich mich vor das Schachbrett setzte und nachdachte.
Nach fünf Minuten sprang er auf und machte ohne zu zögern einen unglaublich
starken Zug. Vielleicht hatte er auf dem Sofa ruhend blind weiteranalysiert,
aber das glaube ich nicht. Er war einfach sehr stark, immer noch. Ja, so war
Bobby
Hat er damals häufig zusammen mit Ihnen analysiert?
Selbstverständlich, ich wollte mit ihm analysieren. Er hatte ein großes Schachverständnis.
Natürlich kannte er die moderne Theorie nicht, so dass ich ihm die modernen
Behandlungsweisen zeigen musste, aber er verstand immer sofort die Feinheiten
und Unterschiede der verschiedenen Varianten. Als wir Botwinniks Spiele analysierten,
sagte er etwas über ihn, das erklärt, warum ich kein ungarischer Botwinnik bin.
Er sagte wortwörtlich: "Weißt du, Botwinnik war immer sehr präzise. Er versuchte,
bis in das kleinste Detail sehr exakt zu spielen." Bobby schätzte ihn sehr.
Allein diese Tatsache zeigt, wie genau Botwinnik spielte.
Sie sprechen davon, als ob Sie ganz anders seien.
Ja, leider habe ich mich nie so lange konzentrieren können. Obwohl ich in meiner
besten Phase eine gute Konzentrationsfähigkeit hatte, reichte diese nicht an
die von Botwinnik oder Fischer heran. Natürlich war ich körperlich gut trainiert
und hatte starke Nerven, aber ich war sehr praktisch veranlagt. Schach war für
mich zudem nicht nur ein Sport, sondern eine Kunst. Beispielsweise schrieb Max
Euwe, der große niederländische Meister, nach meinem ersten Auftritt in den
Niederlanden 1964 in Het Vrije Volk, "Kurz gesagt, Lajos ist ein Sportsmann,
bei dem jedes Spiel ein Meisterwerk ist. Er ist sehr sympathisch, weshalb er
zu den beliebtesten Teilnehmern gehört."
Sie sagen, Sie seien ein eher praktischer Spieler. Meinen Sie damit, dass
Sie bei der Eröffnungsvorbereitung eher nach ordentlichen, soliden Stellungen
suchten, die sich gut spielen ließen?
Nein, ich meine, dass ich nie Eröffnungen analysierte, die ich nicht spielte.
Zum Beispiel habe ich nie die Aljechin-, die Philidor- oder die Skandinavische
Verteidigung analysiert. Das hat mich einfach nicht interessiert. Ich studierte
nur, was mir in der Turnierpraxis nutzte. Es gibt beispielsweise bestimmte Spieler,
die alles wissen wollen. So ein Typ war ich nicht. Das meine ich, wenn ich mich
als praktischen Spieler bezeichne.
Das alles fand vor dem Computerzeitalter statt. Wie haben Sie sich damals
vorbereitet?
Genauso wie heute (lacht). Ich habe schon immer allein für mich analysiert.
Tatsächlich gibt es dazu eine interessante Anekdote, die wiederum Bobby Fischer
betrifft. Wir waren 1970 zusammen bei einem Schachturnier und hatten eine Partie
gegeneinander gespielt - übrigens meine einzige gegen ihn, die ich wirklich
hätte gewinnen müssen. Ich übersah einen forcierten Gewinnweg und die Partie
endete Remis. Nach dem Spiel begannen wir die Analyse und Bobby fragte mich,
"Stimmt es wirklich, dass du acht Stunden pro Tag Schach studierst?" Ich sagte:
"Wieso fragst du? Dasselbe sagen die Leute über dich." "Das stimmt.", sagte
er, "Aber mich halten sie auch für verrückt." (lacht). Ok, natürlich konnte
ich manchmal acht Stunden am Tag analysieren, aber nicht jeden Tag. Das ist
wahrscheinlich meine einzige Ähnlichkeit mit Botwinnik, der auch sehr hart arbeitete.
Wie haben Sie Ihre ganzen Informationen aufbewahrt? Ich habe gehört, dass
Sie ein Karteikartensystem mit fotokopierten oder sogar handschriftlich festgehaltenen
Spielen angelegt haben. Die berüchtigte "Kartothek".
Ja, ich hatte meine eigenen Notizen. Heute ist das leichter, da ich Spiele einfach
ausdrucken kann, aber damals geschah das alles per Hand.
Haben Sie Ihr Vorgehen modernisiert? Zum Beispiel, indem Sie die Daten
in den Computer eingeben und so verwalten?
(Lacht) Nun, Ich habe gelernt, dieses moderne Leben zu akzeptieren. Beispielsweise
sprechen wir gerade miteinander über dieses Skype-Ding.
Aber das ist doch wunderbar. Denken Sie nur daran, dass man dafür vor
nur zwanzig Jahren ein internationales Telefongespräch benötigt hätte, das mit
extrem hohen Kosten verbunden gewesen wäre.
Ja, das hätte uns ein Vermögen gekostet, und heute ist das alles umsonst. Natürlich
ist das Internet nützlich. Man hat zum Beispiel direkten Zugriff auf die Partien
von Wijk aan Zee. Damals mussten wir einen Monat warten, bis sie uns endlich
postalisch erreichten. Aufgrund dieser Informationsmöglichkeiten ist es auch
nicht überraschend, dass junge Spieler heute ihr Leistungsmaximum viel früher
erreichen. Botwinnik sagte immer, dass der Höhepunkt eines Schachspielers zwischen
35 und 40 Jahren liege. Und jetzt sind Anand und Gelfand beide vierzig, aber
hinter ihnen lauert eine Menge junger Spieler. Die aktuelle Nummer eins ist
Magnus Carlsen, mit nur zwanzig Jahren. Viele junge Spieler entwickeln sich
äußerst schnell.
Auch was Computer betrifft, möchte ich Ihnen meine Prinzipien und Ideen darlegen.
Wenn ich analysiere, möchte ich Schachfiguren vor mir sehen und kein Schachbrett
auf dem Bildschirm. Wissen Sie beispielsweise, wie Petrosjan arbeitete? Zur
Vorbereitung auf die nächste Runde fertigte er stets selbst eine Analyse an,
immer mit einem sehr großen Schachbrett. Auch ich bevorzuge diese Arbeitsweise,
obwohl mir die Größe des Schachbretts nicht so wichtig ist - vielleicht war
sie das für Petrosjan. Auf jeden Fall möchte ich Schachfiguren vor mir sehen,
nicht auf einem Monitor. Auch wenn ich eine Partie über ChessBase bekomme, schaue
ich sie nie am Bildschirm an. Lieber drucke ich sie aus, hole mein Schachbrett
und spiele sie dann nach. Zum Beispiel schaue ich nie auf den Monitor, wenn
junge Schachspieler mich um Hilfe ersuchen und dazu ihre Computer mitbringen.
Ich will den Computer nicht sehen, wenn ich analysiere. Wenn ich dann einen
Zug ausführe, den der Computer auch vorschlägt, höre ich manchmal, "Lajos, Sie
spielen wie der Computer." Und dann antworte ich: "Ist das ein Kompliment oder
eine Beleidigung?"
Was halten Sie von der momentanen Turniersituation?
Die Spielpläne haben sich stark verändert. Die Zeitkontrolle von zwei Stunden
für vierzig Züge und einer halben Stunde für den Rest der Partie beeinträchtigt
die gesamte Phase des Endspiels. Ich befürchte, die Herren von der FIDE sind
einfach keine Schachspieler und verstehen deshalb den Geist des Spiels nicht.
Sie sind bloß Funktionäre und ich bezweifle stark, dass sich auch nur ein starker
Spieler im Kreise derjenigen befindet, der die Regeln festlegt. Die Regeln sollten
geändert werden, weil das Endspiel vollkommen ruiniert wird. Natürlich sind
aufgrund der Computer heute keine Spielunterbrechungen mehr möglich, aber dafür
wird sich schon eine Lösung finden lassen.
Was würden Sie bevorzugen?
Ich habe mich mit der Geschichte des Schachs beschäftigt, und im frühen 20.
Jahrhundert sowie auch später gab es die erste Zeitkontrolle nach dreißig Zügen,
nicht vierzig. Warum verkürzt man die Zeit bis zur ersten Kontrolle nicht auf
eine Stunde für die ersten dreißig Züge? Jeder kennt die Eröffnungen heutzutage
außerordentlich gut, aufgrund des Internets, ChessBase, New In Chess usw. So
hätte man mehr Zeit für das Endspiel. Mit Sicherheit ist die aktuelle Situation
nicht gut.
Also sind Sie dafür, weniger Zeit für die Eröffnungen und mehr Zeit für
den Rest der Partie zu verwenden.
Genau. Ich muss Ihnen sagen, dass mir eigentlich das niederländische System
sehr gut gefallen hat, weshalb ich dort auch so erfolgreich war. Dort haben
alle Spiele um dreizehn Uhr begonnen. Wissen Sie warum?
Nein, weshalb?
Die Niederlande waren ein sehr traditionalistisches Land, in dem um 18 Uhr das
Abendessen mit der Familie abgehalten wurde. Also spielten wir fünf Stunden,
bis wir die Partie um 18 Uhr für das Abendessen zwei Stunden lang unterbrachen,
um sie danach fortzusetzen. Falls die eigene Partie noch nicht beendet war,
analysierte man während des Essens. Ich mochte dieses System sehr. Man aß nur
zweimal am Tag, Frühstück und Abendessen, und während wir spielten gab es Snacks
und andere Kleinigkeiten.
Wie waren damals die Spielbedingungen?
Zu Beginn waren sie sehr einfach. Wir waren beispielsweise bei Familien untergebracht,
und es gab nur zwei Hotels in Beverwijk. Auch das Essen war sehr mager. Ich
musste mich sogar mehr als einmal beschweren. Sie waren überrascht, dass jemand
von hinter dem Eisernen Vorhang sich beklagte und mehr Fleisch forderte. Ich
saß damals beim Abendessen und sah Kartoffeln, Kartoffeln, so viele Kartoffeln
und kein Fleisch? Als das Turnier später nach Wijk aan Zee verlegt wurde, verbesserte
sich die Versorgung, weil es dort ein gutes Hotel gab, das Hoge Duin. Heutzutage
ist das alles wohl kein Problem mehr.
Wie haben Sie sich körperlich trainiert?
Ich war ein besserer Schwimmer als Tennisspieler. Beim Tennis redete ich die
ganze Zeit und verärgerte damit meine Partner. Aber ich war ein guter Schwimmer
und schwamm jeden zweiten Tag eine Stunde im besten Schwimmbecken Budapests,
wo eine Bahn für mich reserviert war. Heutzutage singe ich mehr, aber selbst
dafür ist die Vorbereitung des Körpers sehr wichtig. Man muss widerstandsfähig,
konzentriert und trainiert sein. So wie das Schach, kann man auch das Singen
nicht ausüben, wenn man körperlich nicht in Form ist.
Sind Sie an vielen musikalischen Aufführen beteiligt?
Letztes Jahr hatte ich viele Vorträge, weil wir Liszt-Jahr hatten und ich zu
diesem Anlass viele seiner Lieder sang. Meine Lieblinge sind die deutschen Lieder,
von Beethoven bis Strauss. Davon beherrsche ich viele und singe sie häufig.
Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen
haben und ich hoffe, dass wir dies noch einmal wiederholen können.
Gern geschehen!