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Von Herbert Bastian
Der Schweizer Mathematiker Leonhard Euler (* 15.April 1707 in Basel - + 18.September 1783 in St. Petersburg) gilt zu Recht als einer der größten Mathematiker aller Zeiten. Er wirkte vor allem an den Akademien von Berlin und St. Petersburg. Ein unsterbliches Denkmal wurde ihm mit der Eulerschen Zahl e gesetzt, die sich als transzendenter Grenzwert der Folge
ergibt und die Basis der natürlichen Logarithmusfunktion bildet. Aber das bildet nur einen kleinen Ausschnitt seines Schaffens.
Leonard Euler - Portrait von Emanuel Handmann
Weniger bekannt ist, dass Euler sich intensiv mit dem Schachspiel beschäftigt hat. Gesicherte Hinweise dazu liefert der Briefwechsel mit Christian Goldbach [1] aus Eulers Berliner Zeit von 1741 bis 1766. [2]
„Allhier wird stark Schach gespielt: es befindet sich unter andern ein Jud hier, welcher ungemein gut spielt, ich habe einige Zeit bei ihm Lektionen genommen und es jetzt so weit gebracht, dass ich ihm die meisten Partien abgewinne.“ [3]
Ein jüdischer Spieler am Hof in Potsdam, den Philidor trotz Springervorgabe besiegt haben soll, wird auch von Twiss erwähnt. [4] Susanna Poldauf vermutet, dass es sich bei Philidors Gegner um den jüdischen Gelehrten Aaron Samuel Gumperz (1723-1770) gehandelt haben könnte, „der als erster Berliner Jude die für Nichtchristen bestehenden Bildungsschranken überwand und eine Zeitlang sogar als Sekretär von Marquis d’Argens und Maupertuis an der Berliner Akademie der Wissenschaften arbeitete.“ [5] Eulers Brief an Goldbach bestätigt diese Vermutung, denn Gumperz verband sich vordringlich mit Mathematikern. Euler schlug ihn im Herbst 1749 als Redakteur des Almanach juif vor, der im Auftrag der jüdischen Gemeinde und der Akademie der Wissenschaften zu Berlin in Auftrag gegeben worden war. [6]
Berücksichtigt man den Altersunterschied – Euler war 1744 schon 37 Jahre alt, Gumperz erst 21 – dann muss Euler über ein beträchtliches Schachtalent verfügt haben, wenn er Gumperz in der Spielstärke überholt hat. Sein Wunsch, gegen Philidor zu spielen, untermauert dies. Verwunderlich ist das bei einem so begabten Mathematiker natürlich nicht.
Goldbach schrieb am 14. Juni 1751:
„Ich habe schon längst in den Zeitungen gelesen, dass Herr Philidor sich in Berlin bei den größten Schachspielern fürchterlich gemachet, woraus ich vermute, dass er Euer Hochedelgeb. auch nicht unbekannt sein wird.“
Eulers Antwort vom 22. Juni unterstreicht seine Schachkenntnisse:
„Den großen Schachspieler Philidor habe ich nicht gesehen, weil er sich mehrenteils in Potsdam aufhielte. Er soll ein sehr junger Mensch sein, führte aber eine Maîtresse mit sich, wegen welcher er mit einigen Officiers in Potsdam Verdrüßlichkeiten bekommen, welche ihn genötiget, unvermutet wegzureisen, sonst würde ich wohl Gelegenheit gefunden haben, mit ihm zu spielen. Er hat aber ein Buch vom Schachspiel in Engelland drucken lassen, welches ich habe, und darin gewiß sehr schöne Arten zu spielen enthalten sind.“
Euler erwähnt hier die Erstausgabe von Philidors berühmter L’Analyse des échecs, die 1749 in London erschienen war. Philidor (* 1726) besuchte Berlin im Frühjahr 1750 und war 23 Jahre alt.
In einem Brief vom 26. April 1757 an Goldbach teilt Euler eine Lösung des Springerproblems mit.
„Die Erinnerung einer mir vormals vorgelegten Aufgabe hat mir neulich zu artigen Untersuchungen Anlaß gegeben, auf welche sonsten die Analysis keinen Einfluss zu haben scheinen möchte. Die Frage war: man soll mit einem Springer auf einem Schachbrett alle 64 Plätze dergestalt durchlaufen, dass derselbe keinen mehr als einmal betrete. Zu diesem Ende wurden alle Plätze mit Marken belegt, welche bei Berührung des Springers weggenommen wurden. ... Nach einigen hierüber angestellten Versuchen habe ich endlich eine sichere Methode gefunden, ohne zu probieren, soviel dergleichen Marschrouten ausfindig zu machen als man will (doch ist die Zahl aller möglichen nicht unendlich): eine solche wird in beistehender Figur vorgestellt:
Numerische Darstellung bei Euler | Graphische Darstellung (hb) |
Zu einem früheren Zeitpunkt (1751) war Euler mit der Aufgabenstellung konfrontiert worden. Bemerkenswert ist, dass die abgebildete Lösung eine andere ist als die üblicher Weise abgedruckte aus Eulers wissenschaftlicher Arbeit über die Thematik. Eulers Lösung ist die erste zentrosymmetrische nach der Nilakantha-Tour [7], welche von Murray (S. 63) in das 17. Jahrhundert datiert wird. Winternitz [8] gibt ca. 1640 für die Anfertigung des Bhagavantabhaskara an, aber Jelliss[9] weist darauf hin, dass die Nilakantha-Tour nach Mitteilung von 2018 der Leipziger Sanskrit-Forscherin Dr. Maria Schetelich schon in einem Manuskript von 1550[10] enthalten ist.
Eulers Entwürfe und Veröffentlichungen zu diesem Thema werden von dem Schweizer Mathematikhistoriker Jacques Sesiano, mit dem ich eine Zeitlang zu diesem Thema korrespondierte, umfassend beschrieben.[11] Sein Buch in französischer Sprache enthält Kopien der Originalaufzeichnungen von Euler. Die Entwürfe sind im sechsten Notizbuch mit Jahresdaten von 1751 bis 1758 enthalten. Man kann vermuten, dass es einen Zusammenhang mit den Besuchen von Philidor und Voltaire in Potsdam (1750) geben könnte, denn in Frankreich war das Springerproblem, zu dem die Araber bereits im 9. Jahrhundert Lösungen gefunden hatten[12], schon früher bekannt geworden. Erste Lösungen erschienen 1725 in den Récréations von Ozanam. [13] Ausgaben von Ozanams Buch erschienen 1749 und 1750, so dass das Bekanntwerden des Problems in Potsdam und Berlin auch damit im Zusammenhang stehen könnte.
Erstmalig trug Euler seine Arbeit am 2. März 1758 vor der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften vor. [14] Sie wurde 1759 eingereicht und erschien gedruckt erst im Jahr 1766.[15] Die Arbeit enthielt auch eine Lösung für das 10x10-Brett.
Mit dem Schachspieler Euler wurde ich erstmals im Jahr 1990 konfrontiert. Unter der Leitung von Prof. Dr. Hermann Schreiner, der aus Hüttigweiler in meiner saarländischen Heimat stammte und an der Fachhochschule in Mannheim lehrte, war ich als begleitender Trainer mit der Studentenauswahl des Allgemeinen Deutschen Hochschulbundes (ADH) unterwegs zur Studentenweltmeisterschaft nach Odessa. In Moskau machten wir einen Zwischenstopp, und Prof. Schreiner nutzte seine Kontakte zu einem gemeinsamen Besuch im Institut des Exweltmeisters Michael Moissejewitsch Botwinnik (* 17. August 1911 - + 5.Mai 1995).
Der berühmte Patriarch des russischen Schachs erläuterte uns die Arbeiten an seinem Schachprogramm und kam dabei auch auf die Wertigkeit der Schachfiguren zu sprechen. Hellhörig wurde ich, als Botwinnik erläuterte, Leonhard Euler habe als Erster den Schachfiguren Zahlenwerte zugeordnet. Ich fragte nach, und Botwinnik blieb bei seiner Aussage.
Dreißig Jahre lang konnte ich Botwinniks Behauptung weder beweisen noch widerlegen. Erst vor kurzem stieß ich auf einen neuen Hinweis in Lasker‘s Chess Magazine, Vol. II (1904/1905), S. 144. Lasker schreibt:
„It is the discovery of the law that the value of the pieces used in the game of chess have definite proportions. This law has been demonstrated by the celebrated mathematician Euler, and later by the Russian Jänisch.”
Leider ist es mir dennoch nicht gelungen, eine entsprechende Stelle in Eulers Publikationen ausfindig zu machen. Die Hoffnung, etwas dazu bei Jänisch (* 1813 - + 1872) zu finden, der wie Euler in St. Petersburg wirkte, erfüllte sich leider nicht. Lasker (* 1868 - + 1941) kann es wegen der Lebensdaten nicht von Jänisch persönlich erfahren haben.
In seinem voluminösen, dreibändigen, über 900 Seiten starken Werk Traité des applications de l’analyse mathématique au jeu des échecs [16] geht Jänisch nur und ausführlich auf Eulers Arbeiten zum Springerproblem ein, im Zusammenhang mit der Wertigkeit der Figuren erwähnt er ihn nicht. Jänisch kannte sich im Thema gut aus. Er nimmt Bezug auf die Ausführungen dazu von Carrera (1617), die exorbitanten Berechnungen bei Peter Pratt [17] (1817) und einen Artikel von Oppen (1843) in der Deutschen Schachzeitung (1847, Seite 73), aus dem ich zitiere:
„Noch grössere Nachsicht müssen die Männer haben, welche gar beschuldigt sind, dass sie gar zu viel über eben diesen Gegenstand sagen, indem der letztere Vorwurf zugleich der härtere ist und berühmtere Namen berührt; indessen würde der Ruhm des großen Euler wohl wenig verlieren, wenn es sich in der That fände, er habe nur die wichtigsten Fragen über das Wertsystem befriedigend zu lösen gewusst, ...
Mit anderen Worten: Wir können Leonhard Euler getrost als Mitglied der großen Gemeinde der Schachspieler betrachten. Es gibt jedoch keinen überzeugenden Beleg dafür, dass er sich mit der Frage der Wertigkeit der Figuren ernsthaft befasst hat. Sicher ist hingegen, dass Carreras Nachfolger, die italienischen Meister des 18. Jahrhunderts, insbesondere Giambattista Lolli (1763), das getan haben.
Anmerkungen:
[1] Christian Goldbach (1690-1764), deutscher Mathematiker aus Königsberg, pflegte ab 1729 eine umfassende Korrespondenz mit Euler. Bis heute unbewiesen ist die (binäre) Goldbachsche Vermutung, nach der jede gerade Zahl, die größer als 2 ist, sich als Summe zweier Primzahlen darstellen lässt.
[2] A.P. Juskevic und E. Winter (Hg.), Berlin, 1965, Euler, Leonhard und Goldbach, Christian, Briefwechsel 1729-1764.
[3] Euler an Goldbach, 23. Juni/4. Juli 1744, S. 200 in Juskevic/Winter.
[4] Twiss, Chess, 1787, S.53.
[5] Poldauf, Philidor, 2001, S. 53.
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Samuel_Gumperz
[7] Nilakantha, Bhagavantabhaskara, 1640.
[8] Winternitz, Indian Literature III, 1967, S. 503.
[9] KTN6, 2019, Seite 4.
[10] Damodara, Yantracintamani, ca. 1550.
[11] Sesiano, Euler parcours, 2015.
[12] Den besten Überblick dazu findet man auf der Webseite von George Jelliss http://www.mayhematics.com/t/1b.htm .
[13] Band 1 der vierbändigen Ausgabe von 1725. Es werden drei Lösungen der französischen Mathematiker Pierre Raymond de Montmort (1678-1719), Abraham de Moivre (1667-1754) and Jean Jacques d’Ortous de Mairan (1678-1771) gezeigt. Siehe auch die angegebene Webseite von Jelliss.
[14] Sesiano, S. 6.;
http://eulerarchive.maa.org/docs/other/Dom's%20updates%20E(200-399)/E309.html
[15] Euler, Question curieuse, 1766.
[16] Abhandlung über die Anwendungen der mathematischen Analyse auf das Schachspiel
[17] Peter Pratt, Studies of Chess, 5. Auflage, 1817, Scale of powers, S. 69 – 122. Dort findet man eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Ansichten früherer Autoren wie Carrera und Philidor.