Andrew Martin: The ABC of the Classical Dutch
Rezension von Sebastian Vigl
Some like it dutch – Über Geschmäcker lässt sich nicht streiten
Der solide Schwarzspieler wird am Brett danach trachten, den Anzugsvorteil des Weißen zu entschärfen, um Ausgleich zu erlangen. Wer jedoch den klassischen Holländer serviert, dem ist meist an unklaren Stellungen gelegen, die ihm den Kampf um den vollen Punkt ermöglichen. Stellungen, die von beiden Seiten präzise gespielt werden müssen und in denen ein falscher Griff bisweilen nicht mehr gut gemacht werden kann.
Der klassische Holländer führt im Vergleich zu seinen beiden Geschwistern, der Leningrader Variante und den Stonewall, ein Schattendasein, wobei auch die beiden letztgenannten sich nicht immer bester Reputation erfreuen. Trotzdem greifen wagemutige und kämpferische Spieler immer wieder in die holländische Trickkiste, um so manchen schönen Sieg einzufahren. Wer zum Beispiel in der Weltspitze mit Weiß gegen Carlsen, Caruana, Svidler oder auch Nakamura antritt, der muss darauf gefasst sein, sich mit holländischen Stellungsbildern herumschlagen zu müssen.
Warum den klassischen Holländer spielen? Der klassische Holländer bietet dem Schwarzen ausgezeichnete Konterchancen, sorgt für Ungleichgewichte am Brett, aus denen viele unklare, einzigartige Stellungen entstehen können. Das von IM Martin vorgeschlagene Repertoire im Fritztrainer mit 7...Se4 gilt zudem als positionell gesund. Doch „The ABC of the classical dutch“ bietet nicht nur ein Schwarzrepertoire: IM Martin möchte den Schachfreunden in 36 Lehrvideos beides bieten: Ein solides Repertoire mit 7...Se4 und eine strategische Schulung. Denn im klassischen Holländer ist das Erlernen der Zugreihenfolgen meist simpel, das Verstehen der einzigartigen Stellungen erfordert meist mehr Übung.
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Was der Fritztrainer nicht bietet: „The ABC of the Classical Dutch“ bietet kein holländisches Vollrepertoire. Wer sich noch einen Überblick über die ganzen „Anti-Holländisch-Systeme“ verschaffen muss, kann zum Beispiel zu IM Martins „The ABC of the Anti-Dutch“ greifen. Ein Vorteil des klassischen Holländers besteht jedoch, dass er über die Zugfolge 1...e6 erreicht werden kann, womit viele lästige weiße Antworten gegen 1...f5 umgangen werden. Besonderheiten gegen Flankeneröffnungen wie 1.Sf3 und 1.c4 werden ebenfalls nicht in „The ABC of the classical dutch“ behandelt.
Another one bites the dutch - Strategische Lektionen
Der Fritztrainer beginnt mit einem Paukenschlag: Schwarz verliert in den ersten beiden Partien! Ein sehr lehrreiches Konzept: Wie in allen Eröffnungen gilt: Wer die ersten Züge Theorie auf das Brett setzen kann, der hat noch wenig erreicht, wenn er die strategischen Themen und Ideen nicht verinnerlicht hat.
Die folgenden 13 Videos beschäftigen sich mit dem strategischen Know How des klassischen Holländers. Dazu zählen:
• Der holländische Königsangriff,
• der Zug e6-e5,
• die Entwicklung des schwarzen Damenflügels,
• der schwarze Isolani auf e5,
• die „holländische Lanze“ (Kindermann): Der Zug f5-f4,
• das frühe Läuferschach auf b4,
• das weiße Gegenspiel am Damenflügel oder mit dem Zug e4.
Mit den ausgewählten Musterpartien gelingt es IM Martin gut darzustellen, welches Rüstzeug ein Schachspieler mitbringen sollte, wenn er sich auf der schwarzen Seite des klassischen Holländers versuchen will: Ein hohes Maß an Flexibilität. Diese Flexibilität bietet ihm vor allem die schwarze Bauernstruktur: Kein Bauer legt sich in den ersten Zügen der Eröffnung fest, überall am Brett sind Bauernvorstöße möglich. Daraus können sehr ungewöhnliche und dynamische Stellungsbilder entstehen, wie etwa in der Partie Elizarov gegen Glek (Voronezh, 2010):
Eine ähnliche schwarze Viererkette sah man zuletzt in Aronian-Caruana im Sinquefieldcup 2015,
dort bestand sie aus g5, f5, e5 und d5. In der vorliegenden Stellung steht Schwarz schon auf Gewinn nach 14...e5
Das Schwarzrepertoire mit 7...Se4
Ab dem 15. Video werden Musterpartien gezeigt, welche der Repertoireempfehlung 7...Se4 folgen und alle wichtigen weißen Reaktionen darauf abhandeln. Der Zug 7...Se4 bringt Schwarz verschiedene Vorteile, wie GM Simon Williams in seinem Buch „The classical dutch“ schreibt: Ein weißes e4 erschwert wird, der Abtausch eines Leichtfigurenpaares wird den schwarzen Raumnachteil weniger schwer wiegen lassen und, nicht unwichtig gerade auf Vereinsebene: Alle Varianten nach 7...Se4 sind einfach zu verstehen und leicht zu lernen. Ein von Williams aufgezeigter Nachtteil der Variante kommt in Martins Videos leider nicht zur Sprache: Schwächere, aber gut vorbereitete Weißspieler können in der 7...Se4 Variante die Partie in remisliche Gewässer führen.
Die neue Hauptvariante im klassischen Holländer. Eine Art provozierender Abwartezug,
in der Folge orientiert sich der schwarze Aufbau an den weißen Reaktionen.
Der Zug 7...Se4 hat mittlerweile die Züge 7...De8 und 7...a5 abgelöst, gegen die Weiß bei genauer Behandlung gutes Spiel erreichen kann.
Martin geht auf alle wichtigen weißen Erwiderungen im 8. Zug ein. Nach den Damenzügen 8.Dd3, 8.Dc2 oder 8.Db3 und dem Zug 8...SxSc3 kann jeweils die folgende Position entstehen, wenn Weiß auf c3 mit der Dame wieder nimmt:
Stellung nach 9.DxSc3: Hier sollte sich der Schwarzspieler unbedingt an den Zug 9...a5 erinnern, der zum einen einen raschen weißen Bauernvorstoß am Damenflügel mittel 10.b4 verhindert und den weißen Plan mit Te1 gefolgt vom Vorstoß e4 erschwert, da nun Schwarz mit Lb4 eine Qualität zu gewinnen droht.
Entscheidet sich Weiß im 8. Zug den Springer auf e4 wegzunehmen, kann es zu folgender Zugfolge mit von GM Williams geprägten dynamische Zügen 8...fxe4 9.Se1 d5 10.f3 dxc4 11.fxe4 e5!? kommen. Geschieht in dieser Zugfolge hingegen nach 8...fxe4 9.Sd2 d5 10.f3 ist der Zug 10...Sc6!? viel versprechend. IM Martin bleibt in den meisten Repertoireempfehlungen „bibeltreu“, das heißt, er orientiert sich an den in den Bücher von Simon Williams propagierten Abspielen. Hie und da bietet er auch eigene Analysen an, die er für meinen Geschmack zu schnell abspult, so dass man sich den Sinn hinter diesen Manövern alleine am Brett erarbeiten muss.
Die Repertoirevorschläge werden anhand von sieben Musterpartien besprochen. Es folgen Videos zur sogenannten Aljechin-Variante des klassischen Holländers, in der Schwarz schon im sechsten Zug Se4 spielt. Aljechin zufolge erhält der Schwarze ein höheres Maß an Flexibilität, da er mit dem Aufzug des Damenbauern noch abwartet.
IM Martin geht in weiteren Partien auf weiße Abweichungen im 7. Zug wie zum Beispiel 7.b3 (hier scheint der schnelle Vorstoß des schwarzen a-Bauern interessant zu sein), 7.b4 (hier sieht 7...Se4, gefolgt von 8...a5 nicht schlecht aus) oder 7.d5 und das Abspiel mit Sh3 ein. Baut sich Weiß zunächst mit c4, d4, Sc3 und Sf3 auf, zeigt Martin wie Schwarz analog zur nimzoindischen Verteidigung mit Druck gegen den Punkt c3, meist zunächst mit schwarzem Lb4, gutes Spiel bekommt.
Fazit
IM Martins dynamischer Vortragsstil passt sehr gut zu dieser kämpferischen Verteidigung. Wer wie ich alle Partien während des Vortrages auch am Brett nachspielen möchte, der tut sich bisweilen ein wenig schwer, wenn Martin gleich zwei oder drei Züge auf einmal aus dem Mund purzeln. Auch hätte ich mir vor allem bei den für das Repertoire relevanten Partien genauere strategische Analysen über gewisse Abspiele gewünscht. So muss bisweilen selbst erarbeitet werden, was Martin mit „exzellenten Chancen“ oder „Schwarz hat gutes Spiel“ in einigen konkreten Stellungen meint. (Was jedoch kaum schadet..)
„The ABC of the classical dutch“ ist ein erstklassiges Werk für Vereins- und Turnierspieler, die eine neue Waffe gegen 1.d4 schmieden wollen oder ihren holländischen Kosmos erweitern wollen. Gerade für Stonewall-Afficionados stellt der klassische Holländer eine interessante Zweitwaffe dar. Dass Martin auch die Aljechin-Variante des klassischen Holländers ausführlich bespricht hat mich positiv überrascht. Wer mit 7...Se4 gut zu Recht kommt, der mag sich mal an 6...Se4 versuchen.
Ein Tipp für Weißspieler: Gerade weil der klassische Holländer selten geworden ist, dennoch aber Schwarz gutes Spiel liefert, wird der eine oder andere damit konfrontiert werden. Das Studium dieses Fritztrainers kann dazu beitragen, beim nächsten Vereinsabend oder bei einem Turnier nicht vom klassischen Holländer übertölpelt zu werden.
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Andrew Martin: The ABC of the Classical Dutch
• Videospielzeit: 3 Std. 45 min (Englisch)
€ 27,90
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