Rezension The surprising Janowski Variation (3...a6) in the Queen‘s Gambit Declined
Eine ChessBase-Neuerscheinung zur Janowski-Variante im abgelehnten Damengambit. Aha!? Wäre der Zusatz "3. ...a6" dabei unter den Tisch gefallen, so hätte ich sicherlich nicht gewusst, um welche Variante es sich dabei handeln würde - Sie?
Erstmals aufgefallen ist mir das System mit "3. ...a6" in GM Korneevs Buch "Play 1. d4 d5, 2. c4 e6!" aus dem Jahr 2018, in dem Schwarz ein Aufbau analog des orthodoxen Damengambits nach Kramniks Interpretation empfohlen wurde. Nur die letzten drei kurzen Kapitel befassen sich darin alternativ mit "3. ...a6". Aber allein die Kapitelüberschrift "When Winning is a Must" sagt einiges über die Stärke dieses unscheinbar wirkenden Zuges!
Wer den Aufmarsch des weißen Damenbauern mit 1. ...d5 erwidert, steht bekanntlich vor der Frage, wie man am besten dem Würgegriff des orthodoxen oder gar des katalanischen Damengambits entgeht. Hier kann man bekanntlich unterschiedliche Wege einschlagen:
man baut sich solide auf und bedient sich einer der zahlreichen bewährten Hauptabspiele des Damengambits wie beispielsweise der Lasker-, Tartakower-, Ragozin-, Wiener Variante, Slawisch oder man spielt das angenommene Damengambit. In diesen Varianten bleibt Schwarz oft mit einem weißfeldrigen Problemläufer zurück, der entweder eingesperrt oder zum willkommenen Angriffsobjekt auf f5, e6 oder g4 wird.
Wer es etwas ausgefallener mag, wählt vielleicht die Tarrasch- oder Tschigorin-Verteidigung, Keres´ 2. ...Lf5, das symmetrische 2. ...c5 oder gar Albins Gegengambit. Der Nachteil dieser Abspiele: Schwarz muss für seine frühzeitige Aktivität häufig auf das Läuferpaar verzichten oder in Form eines Isolani- bzw. mit einem Gambit- Bauern zahlen. Das gefällt nicht jedem!
Ein Mittelweg aus beiden Herangehensweisen wäre daher wünschenswert: Solidität gepaart mit Aktivität und Raum für Kreativität. Dieser Weg existiert: in Form eben jener Janowski-Variante!
In seiner ChessBase-Neuerscheinung beschäftigt sich der französische Großmeister Fabien Libiszewski, der zuvor bereits als ChessBase-Co-Autor eines hervorragenden französisch-sprachigen Königsindisch-Repertoires in Erscheinung getreten ist, mit Janowskis Antwort 3. ...a6!? sowohl nach 1. d4 d5, 2. c4 e6, 3. Sc3 als auch 3. Sf3.
Janowskis Eröffnungsvariante wurde dabei - wie so viele andere Abspiele - von modernen Engines mit einer Vielzahl neuer Ideen bereichert und erfuhr dadurch eine völlige Neubewertung! Nicht nur die Statistiken sprechen dabei deutlich für Schwarz. Auch die Tatsache, dass sich mit Carlsen, Nakamura, Firouzja, Mamedyarov, Grischuk, Andreikin fast die gesamte Welt-Elite Janowskis 3. ...a6!? bedient, ist ein eindeutiges Prädikatsurteil!
Die Idee ist dabei denkbar einfach und ein typisches Markenzeichen moderner Engineeinflüsse: Schwarz möchte den Bauern auf c4 schlagen und, sofern strukturell nicht nachteilig, mit b7-b7 verteidigen. Oft kann der weißfeldrige Läufer danach auf b7 eine starke Diagonale beziehen. Diese Philosophie zieht sich unter anderem durch die modernen Abspiele des Katalanen, des angenommenen als auch des slawischen Damengambits.
Wenn sich Weiß als Antwort auf a7-a6 zum Durchziehen mit c4-c5 entscheidet, wird sein Zentrum mit b7-b6 und - nach c5xb6 - schnell mit c7-c5 angehebelt. Wählt Weiß stattdessen eine Abtauschvariante mit c4xd5, befreit er den schwarzen Problemläufer auf c8, der anschließend auf e6 ein gutes Feld findet. Dass der früher oft gefürchtete Damenausflug nach b3 mit Blick nach b7 und d5 dabei nicht zu fürchten ist, zeigt Libiszewski anschaulich in unterschiedlichen Abspielen.
Die Vermutung, dass der Tausch der schwarzfeldrigen Läufer, wie früher gern angenommen, außschließlich den Anziehenden bevorteilt, wird in der Variante 3.Nc3 a6 4.cxd5 exd5 5.Bf4 Nf6 6.e3 Bd6 als Fehleinschätzung entlarvt und durch konkrete Analysen untermauert. Schachphilosophisch betrachtet wird man nebenbei Zeuge einer Umbewertung früherer Prinzipien.
Spannend wird es, wenn Libiszewski aufzeigt, welche Freiheiten sich Schwarz in der mit 3. Nf3 a6 4.cxd5 exd5 5. Nc3 h6!? angenommenen Hauptvariante nehmen darf! Bevor Schwarz seine Figuren ins Spiel bringt, verhindert er mit einem weiteren, seinem fünften (!) Bauernzug den Zug Lc1-g5 und behält damit die Basis d5 gut geschützt. Dass Schwarz durchaus mit Erfolg so spielen kann und das definitiv auch sollte, zeigen unter anderem jüngste Partien von Carlsen! In meiner Datenbank finden sich mittlerweile knapp 300 Partien zur Stellung nach 5. ...h6!? und Schwarz kassiert satte 50 Prozent aller Punkte!
Großmeister Libiszewski erklärt dabei über die gesamte Videolänge von sechseinhalb Stunden (!) stets mit großer Fachkunde und einem Lächeln im Gesicht. Der französische Akzent verleiht seinem gut verständlichen Englisch den Charme, um beim Betrachter durchgängig sympathisch anzukommen. Dass man anschließend Schlüsselstellungen des vorgestellten Repertoires konkret auf unterschiedlichen Levels austesten kann, gehört bei ChessBase schon seit Langem zum Standard.