15.11.2018 – In London ist immer etwas los. Als internationaler Finanzplatz gibt es ständig Bewegung. Und wenn in den Schachpartien nichts passiert, wird plötzlich eine Datenpanne entdeckt. Und dann gibt es ja auch noch das Rechts-Links-Problem. Ach ja, und den Brexit... Thorsten Cmiel erklärt alles. | Fotos: Thorsten Cmiel
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London – Welthauptstadt nicht nur im Schach
Am Ruhetag nach einer eher langweiligen vierten Partie und einer üblen Datenpanne des amerikanischen Teams am Dienstag steht heute die Wirtschaft im Mittelpunkt des medialen Interesses in London. So muss etwa ein norwegischer Kollege, der eigentlich drei Wochen lang nur über die Schach-WM berichten sollte, an seinem freien Tag Recherchen zum Durchbruch bei den BREXIT-Verhandlungen anstellen. Tatsächlich wurden die angebliche „Breaking News“ von gestern etwas zu früh verbreitet. Das wäre als wenn einer der beiden Kontrahenten um die Schachkrone morgen seine erste Partie gewönne und danach von den Medien bereits zum neuen Weltmeister ausgerufen würde. Fakt ist: Theresa May musste am Nachmittag ihren Kollegen im Kabinett ein 400 Seiten starkes Papier über Verhandlungsergebnisse mit Brüssel vorstellen, das einen geordneten BREXIT ermöglichen soll und besser sei als gar nichts.
Die Chancen, ihre teilweise skeptischen Kollegen im Kabinett zu überzeugen, waren vermutlich vergleichbar mit einer Schachpartie vor dem ersten Zug: etwa gleich. Zuletzt hatte ein Minister am Freitag zuvor, zeitgleich mit der ersten Partie um die Schachkrone, seinen Job aus Ärger über die falsch geführten Verhandlungen gekündigt: Verkehrsminister Jo Johnson, der jüngere Bruder vom in Deutschland bekannteren Ex-Außenminister Boris Johnson. Die Situation beim BREXIT sei die größte Krise seit dem zweiten Weltkrieg, so Johnson, der vorher anders als sein Bruder für einen geordneten Ausstieg aus der EU geworben hatte. Würde Fabiano in ähnlichen Kategorien wie dieser Politiker denken, hätte er vermutlich ähnlich wie Johnson formuliert. Er war jedoch gut beraten keinen Kommentar abzugeben und so die unangenehme Situation nicht noch weiter zu befeuern.
London – Welthauptstadt der Finanzen
Mit der „Central Line“ erreicht man drei Stationen vom WM-Spielort „The College“ entfernt das Bankenviertel. Angekommen in der U-Bahnstation „Bank“ landet man unweigerlich auf einem typisch großen Londoner Platz, der umrahmt wird von etwa vierstöckigen Gebäuden, die sämtlich eine eigene Geschichte erzählen. In der Ferne kann man einen der wenigen Bankentürme sehen, der zum Glück nicht die Silhouette der Stadt prägt wie das beispielsweise im eher hässlichen Frankfurter Bankenviertel der Fall ist. London hat seinen eigenen Stil, pflegt Traditionen und legt Wert auf historische Bezüge.
Finanzplatz London
Sofort ins Auge springt ein Gebäude, das sich „The Royal Exchange“ nennt. Es wird scheinbar von acht Säulen getragen und ist inspiriert von einer korinthischen Ordnung, einem speziellen antiken Architekturstil. Das Gebäude wurde 1667 nach einem großen Feuer wieder errichtet. Seinen Namen bekam es bereits am 23. Januar 1571 als Queen Elisabeth I vorbeischaute, offenkundig begeistert war und diesen Ort für Handelsleute noch attraktiver machen wollte. Heutzutage finden sich hier wieder einige Weltmarken unter den Mietern: Tiffany & Co. und Montblanc beispielsweise. Übrigens, die London Stock Exchange (LSE), die Aktienbörse, findet sich an einem anderen Ort in London: Am „Paternoster Square“.
Bank of England
In unmittelbarer Nachbarschaft zur „Royal Exchange“ befindet sich die „Bank of England“, die gelegentlich auch als die „Alte Dame der Threadneedle Street“ bezeichnet wird. Heute ist die Bank of England (BOE) die Zentralbank des Vereinigten Königreichs und Hüterin der Geldpolitik. Hier muss in einigen Monaten vermutlich die Unfähigkeit von Politikern in „Ten Downing Street“ und Brüssel in Sachen BREXIT aufgefangen werden.
Die Bank wurde 1694 gegründet und ist eine der ältesten Banken der Welt. Ihre Geschichte begann als Privatbank mit der vornehmen Aufgabe die Regierenden als Staatsfinanzier zu unterstützen. Die BOE befand sich bis 1946 im Privatbesitz und gilt als Blaupause für die meisten modernen Zentralbanken. Das betrifft vor allem den organisatorischen Aufbau der Bankengremien und die einsetzbaren geldpolitischen Instrumente. In einem kleinen Raum tagt beispielsweise ein dreizehnköpfiges Bankenkomitee, das neben anderen Maßnahmen die Zinssätze festlegt.
Bank of England
Über einen Seiteneingang betritt man das Museum der Bank. Der Eintritt ist kostenlos, Fotografieren allerdings verboten. In dem Museum kann man sich beispielsweise in einem Spiel als Notenbankgouverneur ausprobieren: Man soll ein Segelschiff durch Stürme und laue Lüfte segeln, bewaffnet mit einem Steuerrad und zwei Knöpfen für geldpolitische Maßnahmen. Die meisten Besucher bekommen nach Ende des Spiels einen Job als Schiffskoch angeboten, da es für den Job als Kapitän (Notenbankchef) nicht reicht. Das Spiel hat einen ernsten Hintergrund: Die britische Notenbank versucht wie die Europäische Zentralbank die Preise durchschnittlich etwa zwei Prozent pro Jahr steigen zu lassen. So soll die Wirtschaft durch Geldzuflüsse genügend Unterstützung für eine Expansion erhalten und gleichzeitig sollen die Preise nicht zu merklich steigen.
Bankenviertel
Einer der ersten Kunden war der deutsch-britische Komponist Georg Friedrich Händel (1685-1759), der eine Art Girokonto und ein Investmentkonto bei der Bank of England unterhielt und gelegentlich sehr erfolgreich mit Unternehmensinvestments gezockt haben soll. Zur Geschichte der Bank of England gehören Kriegs- und andere Krisenzeiten in denen beispielsweise der Goldstandard ausgesetzt wurde, also die Möglichkeit Geld der Bank gegen Gold zu tauschen. So beispielsweise bei Konflikten mit Frankreich (Goldstandard aufgehoben von 1797 bis 1821). 1903 gab es einen Anschlag bei dem drei Schüsse auf den Sekretär der Bank abgegeben wurden. Der Sekretär war Kenneth Grahame (1859-1932). Dieser ist im englischsprachigen Raum vor allem als Kinderbuchautor bekannt und überlebte bekanntlich die Attacke; George Robinson, sein Attentäter, wurde als „sozialistischer Wahnsinniger“ tituliert und endete in einer Irrenanstalt. Während des Ersten und Zweiten Weltkriegs organisierte die Bank für die britische Regierung die Herausgabe von Kriegsanleihen. Im September 1992 zwang ein gewisser George Soros die Bank of England in die Knie, indem er gegen den Wechselkurs des Pfundes wettete.
Ohne Gold allerdings wäre die Geschichte einer Notenbank natürlich nicht so glanzvoll: Man kann im Museum einen echten Goldbarren, 13 Kilogramm schwer, im Wert von fast 400.000 Pfund anfassen und anheben. Zudem sollen in den Kellern der Bank of England etwa 400.000 Goldbarren lagern – direkt unter dem Museum heißt es. Der Gesamtwert der tonnenschweren unter London gelagerten Goldvorräte wird auf 200 Milliarden Pfund geschätzt.
Londons U-Bahn
Die Datenpanne
Noch ein paar Worte zu Caruanas Datenpanne:
Wer dachte die Spieler müssten sich vor allem gegen Hackerangriffe auf ihre Computer schützen, der wurde jetzt von der Wirklichkeit überrascht. Die Norweger trauten ihren Augen kaum, als Zeitungen und Online-Portale am Dienstagmorgen ein Versehen des Teams des sportlichen Gegners ihres heimischen Helden meldeten: Das Team Caruana hatte Teile der eigenen Vorbereitung im WM-Kampf offengelegt. Unfreiwillig. Vermutlich. Schach lieferte in Norwegen jedenfalls die Breaking News des Tages: Über 100.000 Clicks sammelten die Online-Portale in Norwegen binnen kurzer Zeit.Das Norwegische Fernsehen veröffentlichte einen Screenshot mit den wertvollen Informationen für ihren Landsmann.
This morning a 2-minute clip from one of Caruana's training camps was uploaded on YouTube (now deleted). It featured various activities, chess included. Viewers could also see a laptop screen with a ChessBase file laid open. The greatest intel blunder in chess history or a hoax? pic.twitter.com/nwHL75M2cC
Der Saint Louis Chess Club ist für eine der größten Pannen in der Schachgeschichte verantwortlich: Ein Video, das der Club kurze Zeit auf Twitter und Youtube stellte, lieferte ungewohnte Einblicke in die Vorbereitung des Herausforderers.
Ein Imagevideo zeigt das Sekundantenteam und Fabiano Caruana während der Vorbereitung in einem riesigen Anwesen von Rex Sinquefield und sollte bei einer Sendung des Saint Louis Chess Club eingesetzt werden. Der Herausforderer wurde „cool“ inszeniert, ist unrasiert und mit nacktem Oberkörper beim Basketball zu sehen. Nach etwa zweiten Minuten ist kurz ein Screenshot eingeblendet, der die Chessbase-Oberfläche von Fabianos Laptop zeigt, Informationen über den jeweils verantwortlichen Sekundanten (Leinier Domínguez, Alejandro Ramírez and Ioan-Cristian Chirila) und schlimmer noch die Länge der betrachteten Variante beinhaltet.
Anhand der Überschriften ist zu erkennen, mit welchen Abspielen sich Fabiano während seines Aufenthalts im Trainingskampf vermutlich beschäftigt hat. Beispielweise wurde die Fianchettovariante der Grünfeldindischen Verteidigung vom Herausforderer bis zum 19. Zug vorbereitet. Auch kann man erkennen, dass Fabiano Caruana im Abgelehnten Damengambit mit Lf4 nach Td1 auch den Zug 10...Te8 vorbereitet hat. In der zweiten Partie hatte er noch 10...Td8 gespielt.
Zudem hat Fabiano – nicht ganz unerwartet - einige Varianten in der Russischen Verteidigung vorbereitet. Solche Informationen sind zwar nicht überraschend, aber dennoch höchst unangenehm, schließlich kann das gegnerische Team daraus seine Schlüsse ziehen. Beispielsweise: Er will vermutlich keinen Sizilianer spielen und so weiter. Auf der anderen Seite bietet der eingeblendete Screenshot nur einen kleinen Einblick in die vermutlich deutlich größere Liste an betrachteten Varianten.
Ian Rogers zeigte auf seinem Computer das gesamte Imagevideo, das angeblich von einem der Söhne von Rex Sinquefield (habe keine Bestätigung dazu) erstellt wurde.
Das Team von Magnus Carlsen ließ ebenfalls ein Imagevideo zur WM produzieren. Dort allerdings sind Blicke auf das Schachbrett neutralisiert und auch das Sekundantenteam vom Team Magnus ist nicht völlig bekannt.
Enthüllt: Carlsens Sekundanten
Reaktionen
Fabiano Caruana wollte die Panne verständlicherweise auf der Pressekonferenz nicht kommentieren, dürfte aber nicht sehr erfreut gewesen sein. Magnus Carlsen wusste um die Existenz des Videos, unklar blieb allerdings in der Pressekonferenz, ob er es bereits gesehen hatte. Auf jeden Fall zeigte er sich interessiert.
Der Vorgang zeugt jedenfalls von einem überraschenden Mangel an Professionalität im Team von Fabiano und könnte den Herausforderer in den nächsten Tagen tatsächlich etwas aus der Balance bringen.
Spekulationen
Einige Journalisten im Pressezentrum wollen in der Spielweise von Magnus Caruana in der vierten Runde bereits eine Reaktion auf die Datenpanne entdeckt haben. Tatsächlich hatte Magnus Carlsen überaus vorsichtig agiert und seinem Gegner nur wenig abverlangt. Norwegische Medien spekulierten derweil, ob das Datenleck vielleicht eine absichtlich gelegte falsche Fährte gewesen sein könnte: Espen Agdestein, Manager von Magnus Carlsen und Jon Ludvig Hammer, in London als Berichterstatter tätig, hielten das Material für authentisch.
Judit Polgar meinte bei Ansicht des Videos im Pressezentrum in London, dass die Aufgabe des Teams von Fabiano jetzt darin bestünde, Ruhe zu bewahren und sich nicht irritieren zu lassen. Zum Glück war Mittwoch ein Ruhetag.
Partie 4 – erneut ein komfortables Remis für Schwarz
Die Pressekonferenz zur 4. Partie brachte ansonsten wenig erhellende Erkenntnisse zur eher langweiligen Partie: Magnus Carlsen will nach vier Partien trotz der bislang für Schwarz relativ komfortablen Punkteteilungen noch keinen Abgesang auf den Anzugsvorteil machen. Die Stichprobe sei einfach zu klein, meinte er.
Das Video zur Pressekonferenz
Daniel King zur 4. Partie:
Das Video von Magnus Carlsens Vorbereitung
Das Team von Magnus verdeckt Züge und auch sind einige der Sekundanten nicht zu erkennen.
Das Rechts-Links-Problem
Zum Schluss meiner Berichterstattung aus London sei noch auf ein anderes Kuriosum zumindest aus kontinentaleuropäischer Sicht verwiesen: Die Engländer haben beim Abbiegen mit dem Auto ständig Probleme. Das liegt vermutlich daran, dass man auf der Insel auf der falschen Seite fährt. Zudem könnte man sich fragen, warum bei Fußgängerüberwegen die Blickrichtung angegeben werden muss. Meine These dazu: Das ist ein Mangel an Vertrauen in die Fahrkünste der eigenen Landsleute und nicht nur für Touristen eine hilfreiche Information.
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