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Erinnerungen von und mit Lothar Vogt
Von Dagobert Kohlmeyer
Dienstagabend in der Berliner Karl-Marx-Allee. Das Cafe „Sybille“ hat schon viele interessante Veranstaltungen der Lasker Gesellschaft erlebt. An diesem Abend hat Paul Werner Wagner den Leipziger Großmeister Lothar Vogt eingeladen.
Der heute 58-Jährige gehörte neben Wolfang Uhlmann und Rainer Knaak zu den stärksten Großmeistern der DDR. Zweimal (1977 und 1979) wurde er Landesmeister. Auch nach dem Fall der Mauer ist Lothar Vogt dem Schach treu geblieben, ob als Spieler in der 1. Bundesliga, als Trainer oder Sportpädagoge.
Er wurde 1952 in Görlitz geboren und lernte mit acht Jahren Schach spielen. Schon frühzeitig hatte Lothar Erfolge, bekam bei Motor Görlitz gute Trainer und ging nach eigenen Worten den klassischen Weg: „Ich beschäftigte mich zeitig mit Endspielen, bin damals alle Awerbach-Bände durchgegangen und kannte sämtliche Stellungsbilder. Es war günstig für meine Entwicklung, dass ich schon sehr früh in professionelle Hände geriet.“
Jugendtrainer Heinz Rätsch setze dann im Präsidium des Schachverbandes durch, dass talentierte Jugendliche schon beim Finale der DDR-Meisterschaft der Erwachsenen mitspielen durften. So nahm Lothar Vogt 1967 als 15-Jähriger an der Meisterschaft der Großen in Colditz teil.
1968 wurde er nach Leipzig in ein Sportinternat delegiert, später kamen Rainer Knaak, Thomas Casper und Petra Feustel hinzu. Vogt und Knaak machten dort ihr Abitur, spielten in der Schach-Sonderliga und hatten viel Zeit zum Training. Sie lernten viel von Wolfgang Pietzsch, Artur Hennings und Detlef Neukirch. „Wir analysierten täglich sieben bis acht Stunden lang. Rainer war der Taktiker, der Feuerwerksmann, mein Stil strategischer ausgeprägt.“
An dem Abend im Cafe „Sybille“ gab es ein Wiedersehen mit vielen ehemaligen Weggefährten und Kontrahenten. Mit dem Berliner Wolfgang Thormann spielte Lothar Vogt zum Beispiel gemeinsam bei der DDR-Jugendmeisterschaft 1967. Thormann gewann damals vor Lutz Espig, Vogt wurde Vierter. Er war ein paar Jahre jünger als die anderen Finalteilnehmer. Ein Jahr später klappte es dann auch bei Lothar mit dem Jugendmeistertitel.
1968 bestritt Vogt seinen ersten Länderkampf in der Nationalmannschaft. In Minsk ging es gegen Weißrussland, das war seine Feuertaufe. Gleich darauf fuhr man nach Moskau, spielte dort einen Klubkampf und flog dann noch nach Nowosibirsk, um dort einen weiteres Match auszutragen. Das sind bleibende Erlebnisse, die Vogt nicht vergisst, genau wie seine Teilnahme an einem Superturnier 1977 in Leningrad. 18 Teilnehmer der Weltelite waren dort versammelt, mit An- und Abreise sowie den Ruhetagen war man vier Wochen unterwegs. Heute ist so etwas nicht mehr denkbar.
Wolfgang Thormann, Lothar Vogt
Lothar Vogt spielte bei den Schacholympiaden 1972 in Skopje und holte 11,5 aus 17 sowie 1988 in Saloniki (8,5 aus 12), wobei er stets fleißigster Punktesammler des DDR-Teams war. Zwischendurch war eine Eiszeit, in der die DDR-Spieler durch einen unsäglichen Beschluss der Sportführung von Olympiaden und Weltmeisterschaften ausgeschlossen waren. 1996 betreute Lothar das DSB-Frauenteam bei der Schacholympiade in Jerewan.
Fünfmal spielte der Sachse auf Kuba beim Capablanca-Memorial, was zu seinen schönsten Erinnerungen zählt. 1976 erfüllte er dort seine zweite GM-Norm. In der letzten Partie musste er mit Schwarz gegen keinen Geringeren als Alexander Beljawski gewinnen, der damals schon an die Tür zur Weltspitze klopfte. Lothar schaffte es in einer dramatischen Partie und erhielt den Titel. Das spannende Finale dieses Duells zeigte er an diesem Abend in Berlin noch einmal.
Partie gegen Beliavsky
Beliavsky,Alexander G (2560) - Vogt,Lothar (2480) [E98]
Capablanca Memorial-A 13th Cienfuegos (17), 02.06.1976
1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.Sf3 0–0 6.Le2 e5 7.0–0 Sc6 8.d5 Se7 9.Se1 Sd7 10.Sd3 f5 11.Ld2 c5 12.f4 a6 13.a4 exf4 14.Lxf4 Lxc3 15.bxc3 fxe4 16.Se1 Sf6 17.g4 Kg7 18.Sg2 b6 19.Tb1 Ta7 20.Tb2 Tb7 21.Se3 h6 22.h4 Seg8 23.Db1 Tff7 24.Ld1 De7 25.Txb6 Txb6 26.Dxb6 Se8 27.Db1 Dxh4 28.Dxe4 De7 29.Dd3 Df8 30.Lg3 Txf1+ 31.Sxf1 a5 32.Se3 Ld7 33.Lc2 Df7 34.Lh4 Sgf6 35.g5 hxg5 36.Lxg5 Sh5 37.De4 Sef6 38.Dg2 Sh7 39.Ld8 Sf4 40.Df3 Df8 41.Lh4 Sg5 42.Df1 Lh3 43.Df2 Lg2 44.Kh2 Sf3+ 45.Kg3 Sh3 46.Sf5+ Dxf5 47.Lxf5 Sxf2 48.Ld8 Lh1 49.Lc2 Se1 50.Lb3 Se4+ 51.Kf4 Sd2 52.La2 Sg2+ 53.Kg3 Se3 54.Lxa5 Sexc4 55.Lc7 Lxd5 56.Kf4 Kf6 0–1
1976 schloss Vogt in Leipzig sein Studium als Lehrer für Deutsch und Geschichte ab. In seiner Diplomarbeit beschäftigte er sich mit Thomas Manns essayistischem Werk. Den Lehrerberuf übte Lothar aber nicht aus, sondern wurde Schachprofi. Er bekam wie seine prominenten Kollegen eine Anstellung als Trainer und lebte damit vom Schach. „Wir waren vier bis fünf Spieler (Wolfgang Uhlmann, Rainer Knaak, Lothar Vogt, Uwe Bönsch) und privilegiert“, blickt er heute zurück. Sie konnten sich ganz ihrer Passion widmen, aber ein Wermutstropfen war eben, dass lange Zeit die Vergleichsmöglichkeiten mit der Weltspitze fehlten. Umso größer war die Freude, dass sich der Vorhang für die DDR-Schachspieler ein Jahr vor dem Mauerfall wieder öffnete und sie nach Saloniki zur Schacholympiade fahren konnten.
Ab 1990 spielte Lothar Vogt viele Jahre bei der SG Porz, wurde fünfmal mit diesem Verein Deutscher Meister. Von 1991- 96 leitete er das berühmte Schach-Gymnasium in Altensteig, dessen Gründungsvater Ludek Pachman war. Nach der Schließung der dortigen Schachabteilung ging er zurück nach Leipzig und wurde Landestrainer in Sachsen. Seit zehn Jahren ist Lothar Vogt Internatsleiter des bekannten Sportgymnasiums in Leipzig, das schon viele Olympiasieger hervorgebracht hat. Der Fulltime-Job lässt ihm wenig Zeit zum Schachspielen.
In seiner Karriere hat Lothar Vogt gegen die Weltmeister Smyslow, Tal, Karpow sowie Kasparow gespielt und den Klassenunterschied natürlich gespürt. Als sein schachliches Vorbild nennt er Anatoli Karpow, dessen Spielweise er zutiefst bewundert und mit dem er viel gemeinsam analysiert hat. „Seine Figuren stehen immer richtig. Kaum ein Spieler der Schachgeschichte hatte je so ein Gefühl für die Stellung.“ Vogt bedauert es, dass es seinerzeit nicht zum WM-Duell Fischer-Karpow kam. Es wäre interessant gewesen, wie der junge hungrige Karpow 1975 gegen den damaligen Weltmeister bestanden hätte. Größter Schachspieler aller Zeiten ist für ihn aber Garri Kasparow, mit dem er 1980 bei einem Turnier in Baku selbst die Klingen gekreuzt hat. „Es war eine Caro-Kann-Partie. Ich spielte die Vorstoß-Variante, brachte eine neue Idee (vom Leipziger Gottfried Braun empfohlen), die Kasparow glänzend pariert hat. Das Spiel endete remis, und bei der Analyse war ich höchst erstaunt, wie viele Varianten der damals 17-jährige Kasparow nur so aus dem Ärmel schüttelte. Ich hatte vieles gar nicht gesehen.“
„Schach ist heute viel intensiver
geworden“
Interview mit Lothar Vogt
Von Dagobert Kohlmeyer
Lothar, du warst bei Schacholympiaden als Spieler und auch als Trainer eingesetzt. Schmerzt es dich nicht, dass die deutschen Teams in Sibirien so schlecht abgeschnitten haben?
Natürlich hat es auch mir sehr weh getan. Der Hauptfehler war sicher, dass es vorher zwischen Verbandsführung und den Spitzenspielern kein Gespräch gab. Sonst hätte sich bestimmt eine Lösung gefunden, die Besten nach Chanty-Mansysk zu schicken. Vor zwei Jahren in Dresden war die Schach-Begeisterung groß. Ich habe dort viele bekannte Großmeister von früher wieder getroffen. Die Euphorie von damals ist heute leider nicht mehr zu spüren.
Woran liegt das? Meinst du, das Interesse für unseren Sport ist in Deutschland zu gering?
Das kann man nicht sagen. Die Leute wollen alle spielen. Auch die Bundesliga wird mit Interesse verfolgt. Aber die Nationalmannschaft hat nicht das Gewicht in Deutschland. Von den wenigsten wird angestrebt, Nationalspieler zu werden. Wer gut nachdenkt, realisiert schnell, dass er besser fährt, einen „ordentlichen“ Beruf zu erlernen und Schach nebenbei als Hobby zu betreiben. Man kann das ja auf hohem Niveau tun. Wir haben viele Spieler im Lande und auch viele Turniere, wo auf einem sehr hohen Amateurniveau gespielt wird.
Aber wir haben keinen Magnus Carlsen.
So ist es. Abgesehen davon, dass der Norweger ein Ausnahmetalent ist, erscheint vielen bei uns der Profistatus als Schachspieler einfach zu riskant. Das ist die allgemeine Meinung. Man kann uns nicht mit anderen Ländern vergleichen, wo das Lebensniveau niedriger ist und man vom Schach recht gut leben kann. Man muss ja als Schachprofi bis zum Alter von etwa 45 Jahren genügend Geld verdienen, um eine entsprechende Altersvorsorge zu haben.
Lothar, es war ein interessanter Abend, über dem aber auch ein Hauch Nostalgie schwebte. Ist die frühere Romantik etwas verloren gegangen?
Ja, das sehe ich genauso. Ich war überrascht, wie viele Schachfreunde gekommen sind. Solche schönen Abende sind in der neuen Zeit seltener geworden. Es fehlt die Muße dazu. Fast alle aus dem heutigen Publikum kannte ich aus früheren Jahren. Es sind Kontrahenten und Weggefährten darunter gewesen. Das war wirklich eine Freude, mich mit euch an gemeinsame schöne Zeiten zu erinnern.
Die Welt des Schachs ist nüchterner und kälter geworden, nicht zuletzt durch die ökonomischen Zwänge und die Dominanz der Computer. Bedauerst du das?
Sicher. Das Schach von heute ist viel intensiver, nicht nur wegen der Bedenkzeitverkürzung und anderen Regeländerungen. Die Spieler fahren ausschließlich zu Turnieren, denn sie müssen ja ihr Geld verdienen. Deshalb haben sie keine Zeit mehr, enge Kontakte zu pflegen. Computerkids werden heute schon mit 13 Jahren Großmeister. Sie gehen nicht mehr zur Schule, spielen nur noch Schach. Das ist etwas einseitig. Zu meiner Zeit war man mit 20 Jahren jüngster Großmeister der Welt. Und wir taten noch andere Dinge, studierten usw. Ich sehe die Veränderungen und die heutige Situation ganz nüchtern. Daran wird sich auch nichts ändern.
Du hast viele Schachtalente betreut, ob am Gymnasium in Altensteig oder später als Landestrainer in Sachsen. Gibst du heute noch den Leipziger Nationalspielerinnen Melanie Ohme und Judith Fuchs Tipps?
Ich habe mit beiden eine ganze Zeitlang gearbeitet, auch mit der mehrfachen deutschen Meisterin Tina Mietzner. Mein Fulltime-Job am Sportgymnasium in Leipzig lässt mir heute aber keine Zeit mehr dazu.
Haben Melanie und Judith so viel Talent wie Elisabeth Pähtz?
Elli hatte viel bessere Entwicklungsbedingungen. Sie wurde schon von Kind an durch ihren Vater Thomas Pähtz professionell gefördert. Judith und Melanie studieren jetzt, spielen auch weiter Schach, aber ich denke, irgendwann später werden sie mal andere Prioritäten setzen.
Wie oft bewegst du noch selbst die Figuren?
Recht selten. Ich spiele beim SC Eppingen in der 1. Schach-Bundesliga, aber nur als Ersatz. Wir haben zum Beispiel sechs Ungarn in der Mannschaft, und wenn die Ausländer nicht können, dann springe ich ein. Das weiß mein Mannschaftsleiter, mit dem ich gut befreundet bin. Ich will nur helfen, wenn mal Not am Mann ist. Pro Saison komme ich auf zwei bis vier Partien.
In der Zeitschrift „Rochade Europa“ hast du eine eigene Rubrik „Der Leser ist am Zug“. Du führst sie weiter?
Ja. Ich habe die Spalte schon mehr als 15 Jahre und eine feste Klientel. Die Leute möchten diese Aufgaben nicht missen und warten jeden Monat auf die neue Ausgabe. Das macht mir Freude, und ich werde nicht so schnell damit aufhören. Wie alle Schachzeitungen in Deutschland lebt die „Rochade“ ja schon lange und hat ihre eigene, interessierte Leserschaft.
In zwei Jahren wirst du 60. Wie steht es mit deinem sportlichen Ehrgeiz, dann bei der Senioren-WM mitzuspielen?
Diesen Ehrgeiz habe ich noch. Wenn ich dort starte, möchte ich auch um den Titel mitspielen. Aber die Konkurrenz ist natürlich groß, weil dort viele Schachlegenden am Brett sitzen. Für dieses Turnier würde ich auf jeden Fall zwei Wochen Urlaub opfern.
Danke für das Gespräch!