Nobelpreis mit Cancan
Den Ausländern Geld abzuluchsen hat schon Nikita
Chruschtschow den Schachspielern beigebracht.
Alle kennen den schwedischen Nobelpreis, aber kaum einer
kennt sein russisches Pendant – den Preis von Ludwig Nobel, dem älteren Bruder
von Alfred. Der Unterschied zwischen den Preisen ist in etwa der gleiche wie
zwischen einem Volvo und einem Lada Kalina. Die Schweden geben eine Million
Dollar, wir eine Million Rubel. Aber wie dem auch sei, es gibt den Ludwig
Nobelpreis seit fünf Jahren, und er wird – was für das äußerst korrumpierte
Russland erstaunlich ist – tatsächlich achtbaren Leuten verliehen. Unter den
Preisträgern findet sich kein einziger Beamter oder Oligarch. In diesem Jahr
wurde der Preis dem Historiker Edvard Radzinsky, dem Choreographen Vladimir
Vasilyev und dem Schach-Großmeister Mark Taimanov verliehen.
Vasily Livanov war am Steuer und konnte sich deshalb im Gegensatz zu seiner Frau nicht
entspannen
Das Festessen anlässlich der Feier fand in dem legendären
Moskauer Restaurant „Yar“ statt. Die Organisatoren begründeten ihre Wahl mit
historischen Prämissen: In diesem Etablissement haben sowohl Alfred als
auch Ludwig Nobel es sich gut gehen lassen.
Der Choreograph Vladimir Vasilyev bewirtete den Rektor
des Pariser Konservatoriums Pyotr Scheremetyev mit Cognac
Als der Kosmonaut Igor Volk Präsident der sowjetischen Tennisföderation der
UdSSR war,
brachte er Livanov und Tretyak bei, wie man den
Schläger hält
Wie viele Flaschen Champagner
getrunken, wie viele Spiegel zerbrochen und wie viele Damen abgeknutscht wurden,
kann selbst ein Radzinsky nicht sagen. Vielleicht war gerade deshalb auf
diesem Bankett kein Schriftsteller anwesend. Seine Abwesenheit machte allerdings
ein anderer munterer Erzähler wett – der berühmte Musiker und Schachspieler
Mark Taimanov. Der 84-jährige Großmeister war mit seiner jungen Frau Nadezhda und den 6-jährigen Zwillingen Maschenka und Dima zu dieser Feier
gekommen.
"Diese Kinder sind das schönste Ereignis in meinem Leben.
Als vor 62 Jahren mein erstes Kind Igor geboren wurde, war ich auch glücklich,
aber irgendwie anders – lächelt der Großmeister. Ich bin Nadja sehr dankbar.
Wir sind schon 20 Jahre zusammen."
Wenn Taimanov erst einmal anfängt zu reden, kann man ihn
nicht mehr aufhalten. Mark Evgenyevich holte das gerade erschienene Buch mit
seinen Memoiren hervor und begann sogleich ein paar lustige Geschichten zu
erzählen, auf dass die Anwesenden keine Zeit beim Lesen des Buches verschwenden
.
Churchill trank immerhin armenischen Cognac
Ehrlich gesagt – bin ich ganz zufällig zum Schachspiel
gekommen, begann der Großmeister. Anfang 1937 kamen Filmemacher in die
allgemeinbildende Schule, in die ich ging. Sie suchten einen Jungen für die
Hauptrolle des Geigenwunderkindes in dem Film „Konzert von Beethoven“. Die Musik
zu diesem Film hatte Dunayevsky geschrieben, damals erklang gerade zum
ersten Mal das Lied “Ach, wie schön ist es im Sowjetland zu leben“. Man wählte
mich aus. Der Film hatte großen Erfolg, und man lud mich - ich war schon ein
Kinostar – zur Eröffnung eines Pionierpalastes ein. Der Direktor des Palastes
fragte mich: „Wo würdest du dich denn gern beschäftigen?“ Und ich antwortete, um
in Ruhe gelassen zu werden: „Im Schachklub“. Wen habe ich nicht alles durch die
Musik und das Schachspiel kennen gelernt!
"Erzählen Sie etwas über Stalin", bat Vladimir
Vasylev.
"Eines Abends im Winter kommt der wunderbare Geiger
Mischa Vayman zu mir und beginnt mit Tränen in den Augen zu erklären, dass
er am Vorabend, als er aus dem Konservatorium kam, ausgerutscht, hingefallen und
dabei seine unschätzbar wertvolle Stradivari kaputt gegangen sei. Und
aufgeregt fügte er hinzu, dass es sich schon herumgesprochen hätte und dass er
aufgefordert worden sei, sofort zu Hrapchenko, dem Vorsitzenden des Allsowjetischen Komitees für Angelegenheiten der Künste zu kommen. Ich sage, ich
bin schuld, bereue es, werde es wieder gut machen. Und plötzlich die völlig
unerwartete Reaktion: „Unsinn. Wir geben Ihnen eine andere! Sie fahren zum
Internationalen Geigerwettbewerb nach Brüssel“, sagt der Vorsitzende und zeigt
auf einen Brief von Stalin, in dem der Generalissimus mit eigener Hand
angeordnet hatte: „Hinschicken! Für den Sieg sorgen!“
Ich hatte sogar das Glück mit Winston Churchill ein
persönliches Gespräch führen zu können. 1954, als das Spiel England - UdSSR
stattfand, war ich zu Gast beim britischen Parlament. Während der Pause zwischen
den Debatten luden mich die Gastgeber zu einer Tasse Tee ein. Als wir alle in
die Bar gegangen waren, sahen wir am Tisch mit einem Gläschen Cognac in der Hand
und einer Zigarre im Mund den 80-jährigen Winston Churchill sitzen. Meine
englischen Freunde stellten mich vor. Ich war verlegen und stellte ihm die
erstbeste Frage , die mir einfiel: „Entschuldigung Sir, was trinken Sie ?“ „Den
armenischen Cognac „Dvin“,- antwortete Churchill (Normalerweise trank der
Politiker Whisky . – M.S.) „Und die Zigarre?“ – „Natürlich eine „Romeo
und Julia“ aus Havanna. Damit war unser Gespräch beendet.
Che schaut zu
Dieses Treffen fiel mir ein paar Jahre später wieder ein,
als ich auf Kuba war und den Meister kennen lernte, der sein ganzes Leben lang
in Handarbeit Zigarren für Sir Winston Churchill hergestellt hatte. Der ältere
Kubaner nahm aus dem neben ihm stehenden Fass ein paar Tabakblätter, verdrehte
sie, feuchtete sie mit Spucke an und rollte sie dann auf seinem Knie. Man sagte
mir, dass der Tod von Churchill zu einer persönlichen Tragödie für den
Zigarrenmeister geworden war. Jener war vor Kummer über Nacht weiß geworden und
weinte oft.
Ein Sowjetmensch konnte einem Amerikaner nicht
unterliegen
Nach den Erzählungen von Taimanov lebten die
Schachgroßmeister und viele Künstler lange Zeit sehr arm. Diese Situation wurde
von Nikita Chruschtschow geändert. Er verriet ihnen, wie sie ansehnliche
Honorare bekommen könnten.
Tajmanov und Spasski
Nikita Sergeyevich trafen wir zufällig in der
amerikanischen Botschaft auf einem Empfang zu Ehren des Tages der Unabhängigkeit
der USA. Er kam auf mich zu:
„Sag mal bitte, ihr Großmeister, bekommt ihr Geld
für euren Auftritt im Ausland?“
„Wo denken Sie hin, Nikita Sergeyevich, wir
vertreten unser Land, die Leistungen des sowjetisch aufgebauten Staates sind
alle uneigennützig“.
„Und wenn Sie zu Hause spielen?“
„Wovon sollten wir
sonst leben?“ antworte ich.
Da wurde Chruschtschow nachdenklich.
„Hör mal, das
ist doch nicht richtig! Von den Kapitalisten, die Geld wie Heu haben, nehmt ihr
nichts, und von uns, die wir nicht gerade reich sind, nehmt ihr Geld. Von denen
müsst ihr Geld nehmen, und zwar so viel wie möglich!“
Bald darauf wurde in die
Verordnung über Auslandsreisen sowjetischer Schachspieler der Punkt über das
Honorar eingetragen. Diese Verordnung war bald auch für die Kulturschaffenden
gültig.
Eine dieser Dienstreisen wäre für Taimanov beinahe die
letzte gewesen. Das Match um die Führung im Viertelfinale der Weltmeisterschaft
mit Robert Fischer 1971, welches Taimanov 0:6 verlor, hätte mit seiner
Inhaftierung enden können. Einem der Staatsbeamten war es in den Kopf gekommen,
dass ein sowjetischer Großmeister nicht einfach mit so einem schlechten Ergebnis
gegen einen Amerikaner verlieren könne. Ein solches Resultat, so sagte er, sei
eine vorsätzliche Aktion im Interesse des Imperialismus. Man beschloss Taimanov
zu bestrafen, damit er für die Anderen ein abschreckendes Beispiel sei.
"Als formalen Grund für den Tadel nahm man eine Verletzung
der Zollbestimmungen zum Anlass. Bei der Zollkontrolle im Moskauer Flughafen
bei meiner Rückkehr aus Kanada fand man in meinem Gepäck den Roman von
Solschenizyn „Im ersten Kreis der Hölle“ und beschuldigten mich der Einfuhr
verbotener Literatur", lächelt der Großmeister. Im Gespräch sagte der Leiter
des Zolls mitfühlend zu mir: „Mark, warum sind Sie denn so unvorsichtig? Wäre
Ihr Spiel gegen Fischer besser gewesen, hätte ich Ihnen die Gesamtausgabe von
Solschenizyn bis ans Taxi getragen“.
Man erkannte mir den Titel „Verdienter Meister des Sports“
ab, schloss mich aus der Nationalmannschaft der UdSSR aus und verbot mir als
Pianist aufzutreten.
"Auch heute sind manche Schachspieler nicht zu beneiden",
bemerkte der Wirtschaftswissenschaftler Mikhail Delyagin, deutlich auf
Garry Kasparov anspielend, und Taimanov, als hätte er nur darauf gewartet,
erzählte den Scherz seines Lehrers Mikhail Botvinnik.
"Einmal machte er vollen Ernstes folgende Bemerkung:
„Ehrlich gesagt, ich finde nicht besonders nett, was Garik Kasparov gemacht hat.
In seiner Kindheit war er ein Weinstein, und jetzt, wo sein Vater gestorben ist,
hat er den Namen seiner Mutter angenommen. Meine Situation war ganz ähnlich,
aber ich habe meinen Namen nicht geändert“. Auf die Frage der Zuhörer, wie denn
seine Mutter hieße, antwortete er gelassen: „Rabinovich“.
Der einmalige Geruch von Rostropovich
Taimanov hat den Erinnerungen an komische Situationen, in
die er mit seinen Freunden geraten war, mehrere Kapitel gewidmet.
"Einmal stürzte ich nach einem Konzert in die
Künstlergarderobe von Rostropovich und rufe: „Slava! Du hast alle
verzaubert! – und frage den erhitzten Musiker umarmend: „Was hast du für ein
einmaliges Parfum?“ Worauf er mir antwortete: „Mein Freund, ich schwitze“.
Einmal auf einer Tournee in entlegene Gegenden Russlands
sah Slava in einem Schaukasten einer Musikschule eine Anzeige, in der ein
Streicher gesucht wurde. Er bewarb sich aus Langeweile. Danach kam er ins Hotel
zurück und prahlte: „Ich habe schlecht gespielt, aber man hat mir eine 4+ (in
Russland eine gute Note) gegeben und mich in die Cello-Klasse aufgenommen“, -
erzählt Taimanov und erhebt sein Glas auf das Wohl der Gebrüder Nobel. –
Übrigens, Alexander Nikolayevich Vertinsky hat mich oft zu einem
Gläschen Cognac eingeladen. Er vertrieb sich die Zeit am Abend sehr gern mit
einem Besuch im gemütlichen kleinen Restaurant „Lido“ in Dzintari (in der Nähe
von Riga).
Einmal sitzen wir da und trinken, als am Nachbartisch ein junger
Fanatiker aufsteht und sich an die Anwesenden wendet: „Freunde! Unter uns
befindet sich der großartige russische Schauspieler Alexander Vertinsky. Bitten
wir ihn doch etwas für uns zu singen“! Vertinsky war durch so viel Ungeniertheit schockiert, erhob
sich und sagte mit der ihm eigenen französischen Aussprache des R-Lautes:
„Freunde! Unter uns sind ganz sicher auch Zahnärzte. Aber niemandem würde es
einfallen, um eine Plombe oder Brücke zu bitten. Warum sollte ich also singen?!“
Bei diesen Worten erschien auf der Bühne des Restaurants
Alexander Gradsky und erhob ein solches Geschrei als würde er das Mauerwerk
des Restaurants herausfordern.
Hinter seinem Rücken springen entblößte Mädchen
auf die Bühne und lassen ihre dunkelblonden Zöpfe vor einer Kulisse von
Kirchenkuppeln aus Pappe fliegen.
"Einmal in den 70-er Jahren in den Tagen meiner
Schachauftritte kam in Süditalien der Bürgermeister der Stadt Cosenza mit einer
ungewöhnlichen Bitte auf mich zu: „Maestro, könnten Sie nicht einem Ihrer
Verehrer ein wenig Aufmerksamkeit schenken? Für uns ist das sehr wichtig“.
Natürlich war ich einverstanden, und so näherte sich meinem Hotel zur
verabredeten Zeit ein luxuriöses Cabriolet, an dessen Steuer ein eleganter
„Mister Twister“ saß. Wir hatten ein wunderbares Essen und unterhielten uns
prächtig. Gegen Ende unserer Begegnung lud er mich in Begleitung bezaubernder
Damen in seine Villa ein, - lächelte der Großmeister, sich an das weit zurück
liegende Ereignis erinnernd. Später auf dem Empfang des Bürgermeisters habe ich
gefragt, wer jener Mann gewesen sei. „Ach! – antwortete der Bürgermeister leise,
das ist der Kopf der sizilianischen Mafia“."
Taimanov hatte kaum den Satz beendet, als seine Frau an ihn
herantrat um ihm mitzuteilen, dass die Vorstellung eine zu erotische Wendung
nähme, und man die Kinder deshalb schleunigst evakuieren müsse. Die anderen
Preisträger dagegen wurden munter und rückten näher an die Bühne heran.
Von Maxim
Samohin, 15. 11. 2010 in Gazeta online
http://www.eg.ru/daily/melochi/22628/