Sofia einmal anders – Resümee zum M’tel Masters 2008
Von Dagobert Kohlmeyer
Wieder vereinte die bulgarische Hauptstadt zehn Tage
lang sechs der weltbesten Schachspieler zum traditionellen Maiturnier.
Alexander Newski-Kathedrale in Sofia
Hier stehen Bush und Bin Laden einträchtig nebeneinander
Im Unterschied zu den Vorjahren wurden es keine Topalow-Festspiele, es gab
auch sonst etliche Änderungen. Die Großmeister zogen ihre Figuren nicht wie
bisher im Gand Hotel von Sofia, sondern im Zentralen Militärklub, wo mehr
Platz für die Zuschauer und für eine arteigene Neuerung war. Im prunkvollen
Saal des Palastes spielten Exweltmeister Weselin Topalow und seine Kollegen
in einem riesigen Glaskasten. Hermetisch vom Publikum abgeschirmt, konnten
die Grübler in dem „Aquarium“ ihre Züge ohne störende Geräusche von außen
absolvieren. Die Zuschauer wiederum hatten dadurch die Möglichkeit,
ungestört zu fachsimpeln. Selbst das beim Schach verpönte Handyklingen
musste von Hauptschiedsrichter Joaqim Espejo nicht gerügt werden. Es gibt
jetzt sogar Pläne, im nächsten Jahr mit dem Glashaus nach draußen ins Freie
zu gehen, um noch mehr Publikum anzulocken (siehe unser Interview mit dem
M’tel-Chef Josef Vinatzer). Inwieweit das realistisch ist, muss man
abwarten.
Nachdem Bulgariens Nationalheld Weselin Topalow in den
letzten Jahren zu Hause schon dreimal gewonnen hat, lobte eine Bank des
Landes 50 000 Euro Extraprämie für den Figurenkünstler aus, wenn er den
prestigeträchtigen Wettbewerb auch diesmal für sich entscheiden würde. „Ganz
sicher eine zusätzliche Motivation für mich, mein Bestes zu geben“, sagte
uns Topalow nach Runde 8, als seine Aufholjagd sehr viel versprechend aussah
und er nur noch einen halben Punkt Rückstand zum Leader Iwantschuk hatte.
Dann aber wurde Topalow überraschend durch den Chinesen Xiangzhi Bu
gestoppt. Vor der Schlussrunde rückte damit ein erneuter Erfolg für den
Seriensieger Topalow wieder in weite Ferne.
Die drei Schiedsrichter
Der Ukrainer Wassili Iwantschuk war in Sofia offenbar
mit dem Ziel angetreten, dem Lokalmatador die Suppe gründlich zu versalzen.
In den ersten fünf Runden hatte der 39-jährige Turniersenior alle Partien
gewonnen und bei Halbzeit schon 1,5 Punkte Vorsprung vor Topalow. Der
Bulgare schaltete daraufhin seinen gefürchteten Turbo ein und kam dem
Spitzenreiter bedrohlich nahe. Am Samstag verlor Topalow jedoch gegen
Großmeister Xiangzhi, so dass der Abstand zu Iwantschuk wieder einen ganzen
Punkt betrug. Nun hätte der Großmeister aus Lwow seine letzte Partie gegen
Topalows Landsmann Iwan Cheparinow verlieren und Topalow gegen Teimur
Radjabow (Aserbaidschan) siegen müssen, um gleichzuziehen und ein Stechen um
den ersten Platz zu erzwingen.
Das hielten selbst die größten Topalow-Fans und auch
die Experten vor Ort, unter ihnen Exweltmeister Boris Spasski, für sehr
unwahrscheinlich. Spasski, von 1969-1972 weltbester Schachspieler, ehe er
durch den Amerikaner Bobby Fischer entthront wurde, war in Sofia Ehrengast.
Er wurde von Präsident Georgi Parvanov empfangen, gab eine
Simultanvorstellung und zeichnete am Wochenende die Sieger eines
Kinderschachturniers aus.
Moderatoren des Kinderschachturniers
Den zweiten Platz belegte dort Kiprian Berbatov, ein
Neffe des bekannten Fußballers Krasimir Berbatov. Spasski traf in Sofia auch
die bulgarische Fußball-Legende Christo Stoichkov, und die Teilnehmer des
Schachturniers spielten an ihrem Ruhetag wieder gegen eine Auswahl von
Lewski Spartak. Mit 2:3 zogen sie sich in dem Freundschaftsmatch sehr
achtbar aus der Affäre.
Schirmherr des M’tel Masters war wieder Präsident
Georgi Parvanov, der das Turnier auch eröffnete. Das Fernsehen brachte
täglich Sondersendungen auf mehreren Kanälen. Bei uns wohl kaum vorstellbar.
Leontxo Garcia (re.) kommentiert
Auch sonst scheuten die Organisatoren um Silvio
Danailow keine Mühe, um Spielern, Zuschauern und Gästen etwas Schönes zu
bieten. Die Eröffnungsveranstaltung wurde von TV-Star Violeta Sechova
moderiert.
Die Schöne verdient heute im zweiten bulgarischen
Fernsehkanal ihr Geld.
Zuvor war sie ein erfolgreiches Fotomodell. Für die
Zeitschrift „Maxim“ hat sie sich auch ausgezogen. Die Organisatoren des
M’tel Masters verschickten als Kostprobe die schöne Rückansicht der jungen
Dame, die wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen.
Zur Siegerehrung tauchte Sofias Bürgermeister Bojko
Borissow auf.
Bürgermeister Borrisow
Er stieg auf die Bühne, gratulierte allen Spielern und
äußerte die Hoffnung, dass es in Sofia zu einem Re-Match Kramnik - Topalow
kommen möge. Der charismatische Kommunalpolitiker geht offensichtlich von
der Möglichkeit aus, dass Kramnik im Herbst den WM-Titel von Anand
zurückerobert und Topalow sein Kandidatenmatch gegen Kamsky gewinnt.
Dann soll es nach den Vorstellungen der Bulgaren in
ihrer Hauptstadt zum großen Showdown kommen. Warten wir es ab. Meistens
kommt alles ganz anders. Bürgermeister Borissow gilt indessen als neuer
Stern am Politikerhimmel Bulgariens. Seine Biographie ist außergewöhnlich.
Früher war er Polizist und Bodyguard des damaligen Kommunistenchefs Todor
Shivkov. Ende 2005 wurde der ehemalige Karatekämpfer als Parteiloser
Bürgermeister Sofias. Borissow gewinnt seine Wahlen haushoch, ist
unkonventionell, liebt das Spiel mit den Medien und gilt als Held im Kampf
gegen Korruption und Kriminalität. „Das ist der kommende Mann“, raunte mir
jemand, der es wissen muss, bei der Abschlussfeier des M’tel Masters zu.
Bojko Borissow, der in seinem Auftreten an Arnold Schwarzenegger erinnert,
wird schon heute als künftiger Premierminister Bulgariens gehandelt. –
Schau’n wir mal.
Boris Spasski absolvierte in der vergangenen Woche in
Sofia ein volles Programm.
Neben den offiziellen Terminen gesellte er sich an
jedem Spieltag zum Kommentatorenteam und erfreute das Publikum mit
geistreichen Anmerkungen zu den laufenden Partien und zur Schachhistorie
überhaupt. Oft fiel dabei der Name Bobby Fischer. Am Ende kürte der 10.
Schachweltmeister die Begegnung Radjabow – Xiangzhi aus der 7. Runde zur
besten Partie des Turniers.
T. Radjabow - Bu Xiangzhi D15
Sofia 15.05.2008
Slawisch D15
1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sc3 Sf6 4.e3 a6 5.Sf3 b5 6.c5 g6 7.Se5 Lg7 8.Le2 0-0 9.0-0
Sfd7 10.f4 a5 11.a3 f6 12.Sf3 f5 13.Ld2 Sf6 14.Le1 Kh8 15.Lh4 Le6 16.Se5 Dc7
17.De1 Sbd7 18.Lg5 Sxe5 19.fxe5 Se4 20.Sxe4 fxe4 21.Dh4 Txf1+ 22.Txf1 Te8
23.Lg4 Dd7 24.Tf7 Lxg4 25.Lf6!
25... exf6 26.Txd7 Lxd7 27.exf6 a4 28.fxg7+ Kxg7 29.Kf2 h6 30.Ke1 Te6
31.Dg3 Le8 32.Kd2 g5 33.Kc3 Kf8 34.Kb4 Lf7 35.Ka5 Kg7 36.Kb6 Kf8 37.Kc7 Kg7
38.Kd7 Kf8 39.Df2 Tg6 40.Df5 h5 41.g3 1-0
Die Partie ist vom Sieger im kommenden ChessBase Magazin 124 kommentiert.
Wie in jedem Jahr bekamen die Spieler vor dem
Abschlusscocktail auf der Bühne ihre gerahmten Karikaturen überreicht.
Am gelungensten halten wir die von Iwantschuk, der
seine Muskeln herrlich spielen lässt und von Aronian als Radfahrer.
Wir flogen am nächsten Tag mit Levon Aronian nach
Berlin zurück. Er bestätigte uns, dass er kein Auto besitzt, sondern lieber
mit seinem City-Bike durch die Stadt fährt. „Der Nahverkehr in Berlin ist
doch okay, wozu brauche ich dann ein Auto?“. Levon nahm seine schlechte
Platzierung von Sofia gelassen und vertrieb sich auf dem Airport und im
Flugzeug die Zeit mit der Lektüre von Dostojewski-Erzählungen. „Ich habe
alles von ihm gelesen“, verriet uns der armenische Großmeister. In
Berlin-Tegel wurde er von Vater Grigori und seinem Schwager abgeholt.
Spätestens zur Olympiade in Dresden sehen wir uns wieder, wo die Armenier
mit einer starken Truppe die Goldmedaille von Turin verteidigen wollen.
„Ich möchte sehr gern noch weitere Erfolge feiern“
Interview mit der Schachikone Wassili Iwantschuk
Von Dagobert Kohlmeyer
Was Iwantschuks Turnierleistung von Sofia wert ist,
zeigt der Vergleich mit den Vorjahren. 2007 genügten Weselin Topalow dort
ganze 5,5 Punkte (+1) zum Gesamtsieg. In den Jahren davor errichte er
jeweils 6,5 Punkte. Diese reichten 2008 nur für den zweiten Platz. Und
stolze 8 aus 10, wie sie Iwantschuk holte, schafft man in einem Turnier der
Kategorie 20 in der Tat nicht alle Tage.
Glückwunsch, Wassili! Was für Gefühle bewegen
dich unmittelbar nach dem Sieg?
Es ist immer angenehm, ein so starkes Turnier zu
gewinnen. Das hohe Ergebnis überrascht mich selbst. Aber ich wollte auch am
Ende trotz meines Vorsprungs nicht mauern und habe am Sonntag in der letzten
Partie gegen Iwan Cheparinow nicht auf Remis gespielt, sondern eine scharfe
Variante des Sizilianers gewählt. Ich spielte dieses System schon in
verschiedenen Partien, auch mit Weiß.
Durch den Erfolg in Sofia hast du nicht nur sehr
viele ELO-Punkte gewonnen, sondern bist auch für das Grand Slam Finale in
Bilbao qualifiziert. Keine schlechten Aussichten.
Ja, natürlich. Die spanischen Organisatoren haben mir
hier nach der Siegerehrung auf der Bühne gleich die Einladung und den
Vertrag in die Hand gedrückt. Ich muss jetzt in meinem Turnierkalender
nachschauen, ob ich in der ersten Septemberhälfte Zeit habe. Ich glaube, es
gibt in dem Monat noch die spanische Liga. Das Grand Slam Finale hat jetzt
natürlich Priorität. Ich werde gern dorthin nach Bilbao fahren, um mich mit
den Gewinnern der anderen großen Turniere wie Wijk aan Zee oder Linares zu
messen. (Ob das geplante Grand-Slam-Turnier in Mexiko überhaupt stattfindet,
so wurde in Sofia gemunkelt, ist noch unklar - D. K.)
Wasja, du bist hier unbesiegt geblieben und hast
das übrige Feld deutlich distanziert. Wie erklärst du dir deine gegenwärtige
blendende Form?
Ich habe vorher sehr viel gearbeitet und mich einfach
gut gefühlt. Der erfolgreiche Start tat sein Übriges. Es lief wirklich ganz
prima. Natürlich kann man bei einer derart starken Konkurrenz nicht immer so
spielen und schon gar nicht alle zehn Partien gewinnen. Ein paar Remis
dazwischen sind doch eine ganz normale Sache.
Du warst hier der Turniersenior. Das scheint dich
nicht im Geringsten gestört zu haben?
Die Frage des Alters (Iwantschuk wird im nächsten März
40 - D. K.) stellt sich bei mir nicht. Noch fühle ich mich stark genug und
möchte weitere Erfolge feiern wie hier. Natürlich verfolge auch ich, wie die
jungen Burschen Magnus Carlsen, Teimur Radjabow oder Sergej Karjakin
auftrumpfen. Aber ich denke, dass ich ihnen noch immer Paroli bieten kann.
Was sind deine nächsten Pläne?
Im nächsten Monat komme ich zum Chess Meeting nach
Dortmund, das ist eine neue Herausforderung für mich. Ich habe dort sehr
lange nicht mehr gespielt, es muss über zehn Jahre her sein. Aber ich
erinnere mich sehr gern an frühere Zeiten. (Iwantschuks letzter Start in
Dortmund war 1998 - D. K.) Vor allem an das Superturnier 1992, das ich
gemeinsam mit Garri Kasparow gewinnen konnte, denke ich gern zurück. Ich
will immer weiter und wenn es geht, noch viele Turniere gewinnen.
Du hast in deinem Leben fast alles gewonnen,
warst mit der Ukraine Olympiasieger und Teamweltmeister. In Moskau bist du
im Winter auch Blitz-Champion geworden. Es fehlt nur die Krone, der WM-Titel
im Normalschach. Schmerzt die Niederlage gegen deinen Landsmann Ruslan
Ponomarjow im Finale der FIDE-Weltmeisterschaft 2002 noch immer?
Nein. Es liegt schon so lange zurück, so dass es müßig
ist, heute noch darüber zu reden. Und wenn ich Schach spiele, mache ich auch
keinen großen Unterschied, ob es ein WM-Match oder ein Turnier ist. Ich gebe
in jeder Partie mein Bestes.