Magnus Carlsen in der Stadt

von André Schulz
13.01.2025 – Schon die Meldung, dass Magnus Carlsen in dieser Saison für den Hamburger Kiez-Klub St. Pauli antreten würde, sorgte vor Beginn der Schachbundesliga für eine gewaltige Medienresonanz. Am vergangenen Wochenende trat der weltbeste Schachspieler erstmals auch an - und verursachte einen wahren Schach-Hype, nicht nur in Hamburg. | Fotos: André Schulz

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Magnus Carlsen in der Bundesliga ist kein Novum. Schon 2005 sicherte sich als erster Bundesliga-Klub SF Neukölln die Dienste des damals 14-jährigen Norwegers. Die Premiere missglückte, denn Carlsen verlor seine Partie gegen Peter Heine Nielsen. Der damals beste dänische Großmeister trat für Wattenscheid an. In der folgenden Saison wurde Carlsen von Baden-Baden abgeworben, spielte aber nur vier Partien und in den beiden nachfolgenden Spielzeiten noch einmal jeweils zwei Partien pro Saison. Gegner seiner letzten Bundesligapartie soweit war der polnische Großmeister Bartosz Socko, der gegen den inzwischen 18-Jährigen trotz langer Gegenwehr auf verlorenem Posten stand. Inzwischen gehörte Carlsen mit Elo 2786 schon zu den weltbesten Spielern.

Danach ist einiges passiert. Magnus Carlsen wurden 2013 Weltmeister. Peter Heine Nielsen ist seit langem sein ständiger Sekundant und Trainer.

Peter Heine Nielsen

2022 erklärte Carlsen, dass er zu Weltmeisterschaftskämpfen nicht mehr antritt und gab seinen Titel kampflos auf. Der weltbeste Schachspieler ist er aber immer noch. Und außerdem ist er der Popstar der Schachszene - ob er will oder nicht.

Am Samstag saßen alle drei im gleichen Raum, Magnus Carlsen, Peter Heine Nielsen und Bartosz Socko, diesmal im Trikot des gleichen Teams. Mit sieben Punkten aus acht Partien war Bartosz Socko im vergangenen Jahr einer der Stützen von St. Pauli beim Aufstieg aus der Zweiten Bundesliga Nord in die erste Liga. Wie die Fußballabteilung, die zeitgleich ebenfalls mit ihrer Mannschaft erstklassig wurde, würde das Schachteam aber gegen den Abstieg spielen müssen, das schien von Anfang an klar zu sein. Es sei denn, man konnte sich sich deutlich verstärken.

Bartosz Socko, vorne links

Tatsächlich tat sich etwas im Hamburger Schach. Der Hamburger Unternehmer Jan Henric Buettner hatte seine Jugendliebe zum Schach wiederentdeckt und Magnus Carlsen für gemeinsame Projekte eingefangen. Beide gründeten die Freestyle Chess Operations GmbH und organisierten ein Freestyle Schachturnier mit den weltbesten Spielern in Jan Henric Buettners Weissenhaus Luxury Resort an der Ostsee. Beim Freestyle-Chess wird die Anfangsposition ausgelost. Früher hieß das Fischerschach oder Chess960, aber Freestyle klingt besser.

Das Weissenhaus Luxury Resort ist noch nicht ganz in Hamburg, aber auch nicht weit entfernt. Also fragte Oliver von Wersch, Team-Chef der Schachbundesliga-Mannschaft von St. Pauli mal an, ob da was geht. Es ging was. Magnus Carlsen und St. Pauli - zwei Namen, die gut zusammenpassten. Als Carlsen zum 70-jährigen Jubiläum der Zeit in Hamburg ein Simultan gab, besuchte er als Fußballliebhaber auch ein Spiel von St. Pauli, damals noch zweite Liga. Das Ambiente und die Stimmung gefiel Carlsen. Kurz: Carlsen wollte St. Paulianer werden und brachte auch noch ein paar spielstarke Freunde mit. Es war klar, dass die "Wikinger"-Verstärkung nicht alle Wettkämpfe mitmachen würde, aber ein paar schon.

Am letzten Wochenende war es nun soweit. Magnus Carlsen signalisierte einigermaßen kurzfristig antreten zu wollen, um das Team aus dem Tabellenkeller herauszubringen. Carlsen war immer schon ein ausgewiesener Team-Player. In den ersten vier Wettkämpfen hatte St. Pauli nur einen Mannschaftspunkt ergattern können und befand sich als 14ter auf einem Abstiegsplatz.

Allein schon die Nachricht, dass Magnus Carlsen für St. Pauli spielen würde, löste in den Medien ein riesiges Echo aus. Klar, es ist ein bisschen so, als würde Messi nun für Heidenheim spielen. Am Samstag saß der G.O.A.T (Greatest of all Time) nun leibhaftig in Hamburg am Brett. Für Carlsen war es aber nicht ganz einfach, überhaupt dahin zu kommen. 

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Die Schachabteilung von St. Pauli hätte den Wettkampf natürlich am liebsten in einem der Eventräume des Millerntor-Stadion ausgetragen. Das war aber nicht möglich, weil die Fußballabteilung am Samstag im Stadion ihr Heimspiel gegen Frankfurt spielten. Die Fußballfans sind zu viele und außerdem sind sie zu laut.

Also wich man in Räume im Brahms-Kontorhaus aus, die freundlicherweise von der Firma Statista zur Verfügung gestellt wurden, nicht weit vom Stadion entfernt. Das Brahms-Kontor ist ein sehr edles Bürohaus, in den Jahren 1903 bis 1931 in mehreren Bauabschnitten fertiggestellt, 15 Stockwerke hoch.

Die Bundesliga-Wettkämpfe fanden in einem Saal im zweiten Stock statt. Für die Spieler gab es dort genug Platz, darüber hinaus aber nur wenig für Zuschauer und Presse. Diese konnten sich aber in zwei Nebenräumen verteilen.

Die ehrenamtlichen Macher der St. Pauli-Schachabteilung hatten damit gerechnet, dass einiges auf sie zukommen würde, nachdem klar war, dass Carlsen an diesem Wochenende in Hamburg seine Premiere geben würde, waren aber doch einigermaßen überwältigt. Das Interesse bei den Medien und bei Hamburger Schachfreunden war gewaltig. Am Samstag teilten sich sechs Fernsehteams den knappen Platz und machten Aufnahmen für ihre Auftraggeber. Außerdem gab es an die 1000 Anfragen für Eintrittskarten. Diese konnten nicht ansatzweise erfüllt werden. Nur einige handverlesene Zuschauer erhielten Karten. Außerdem wurden noch ein paar Karten verlost. Das wars. Trotzdem waren die Räume mit Spielern, Helfern, Pressevertretern, etc. sehr gut gefüllt.

Carlsen, dahinter Jan Hendric Buettner, Sebastian Siebrecht und Jan Werner, Teamchef von Düsseldorf.

Im Hintergrund: Zeit-Reporter Ulrich Stock (nicht zu übersehen) und Jonathan Carlstedt

Dem Verursacher dieses Medienorkans war der Rummel sichtbar unangenehm. Der eigentlich eher introvertierte Carlsen wühlte sich durch die Menschenmenge an seinen Platz und schaute sich angesichts der Vielzahl von Kameras, Fotoapparate und Mikrofone, alle auf ihn gerichtet, verlegen und etwas hilflos im Saal um. 

A propros Dresscode: Die beiden Schiedsrichter Hugo Schulz und Stefan Wolff übererfüllten mit ihrem Outfit jeden denkbaren Dresscode.

Am Samstag fertigte Carlsen den jungen Niederländer Max Warmerdam aber dennoch sehr überzeugend ab.

St. Pauli holte zwei wichtige Punkte gegen Solingen im Kampf gegen den Abstieg. Am Sonntag war Wei Yi ein sehr viel schwierigerer Gegner. Carlsen konnte keinen Druck aufbauen und die Partie endete remis. Nach seiner Partie analysiert Carlsen im Treppenhaus zusammen mit Giri und anderen die übrigen Partien, um herauszufinden, ob seiner Mannschaft gegen den hohen Favoriten Düsseldorf vielleicht noch ein 4:4 gelingen würde. Es reichte nicht ganz. 

Video: Arne Kähler / André Schulz

Die wenigen Zuschauer und vielen Medienvertreter wurde von St. Pauli ausgezeichnet versorgt. Es gab kostenlose Heiß- und Kaltgetränke, Schnittchen, Brötchen und Wraps. Die Freestyle Chess Operations GmbH stellte Tütchen mit T-Shirts und einem Aufdruck der Schach-Wikinger zum Mitnehmen bereit. 

Im Zuschauerraum wurden die Partien gezeigt und analysiert. In einem Nebenraum kommentierte Fiona Steil-Antoni zusammen mit den St. Paulianern Benedict Krause und Aljoscha Feuerstack die Partien. Der Stream wurde ins Internet übertragen.

Nach dem Sonntags-Wettkampf trafen sich Medien, Spieler und Organisatoren zu einem Meet and Greet im St. Pauli-Klubheim im Millerntor-Stadion. Man hatte gehofft, dort auch noch einmal Magnus Carlsen vor das Mikrofon zu bekommen, aber der Schach-Popstar war platt. Er schaute ganz kurz auf ein Glas Wasser vorbei und verschwand dann sofort wieder. Carlsens Buddy, der stets verbindliche David Howell, übernahm die Rolle des spielstärksten Spielervertreters und erfüllte stundenlang Selfie- und Autogrammwünsche.

Oliver von Wersch moderierte und fragte Jan Henric Buettner über Carlsen aus

Sebastian Siebrecht gab Tipps fürs Spiel gegen Großmeister: "Ruhig mal was opfern..."

Stefan Löffler, Schachkalender und FAZ

Andrea Hafenstein mit einem Unikat, ein Schachspiel aus Lego. Ihre Krankheitsgeschichte hat sie in zwei Büchern festgehalten. Schach hat ihr sehr geholfen.

Carlsens Terminplan möchte wahrscheinlich auch nicht jeder haben. Über den Jahreswechsel spielte er in New York die Rapid- und Blitz-Weltmeisterschaft mit und bekam dort Ärger mit der FIDE und dem Schiedsrichter, weil denen Carlsen Jeanshose nicht formell genug war. Am ersten Wochenende des Jahres heiratete Magnus Carlsen in Norwegen, in Holmenkollen seine Freundin Ella Victoria. Die Flitterwochen führten aber erst einmal nach Hamburg zu einem Bundesliga-Wettkampf. Nun hat der weltbeste Schachspieler aber eine kleine Pause. Am 7. Februar geht es dann im Weissenhaus Luxury Resort weiter mit dem ersten Turnier des neuen Freestyle Grand Slam. Wenn Carlsen nicht zwischendurch noch ein Online-Turnier mitspielt.

Carlsens Terminplan in Hamburg hatte sogar schon am Freitag Abend begonnen. Jan Henric Buettner hatte Spieler von St. Pauli, aber auch vom Hamburger SK, Medienvertreter und Freunde zu einem Dinner in sein Bootshaus Bar & Grill in der Hafen City eingeladen.

Deutsch-dänische Ecke: Jonas Buhl Bjerre, Rasmus und Frederik Svane, Florian Pütz (Spiegel) und Evi Zickelbein (Hamburger SK)

Leonardo Costa mit seinem Vater

Alexander von Gleich (Vizepräsident Finanzen Deutscher Schachbund) beim Schach vom Foto überrascht

Alexandra Leib (Pressesprecherin St. Pauli Schach) und Oliver von Wersch (Teamchef) hatten eine Menge zu tun und erledigten alles mit Freude

Carlsen erschien dort auch ganz kurz, war aber auch an diesem Tag zu müde, um sich noch länger unters Volk zu mischen.

So gut wie alle deutsche Medien, TV-Sender und Internet-Portale, berichteten noch am Wochenende über Carlsen Besuch in Hamburg. Es war ein bisschen wie ein Papst-Besuch. Einen solchen Medien-Hype um einen Schachspieler hat man vermutlich seit 1972 in Deutschland nicht mehr gesehen. Auch die Fußball-Abteilung von St. Pauli reibt sich etwas verwundert die Augen. Die Fußballer verloren übrigens ihr Spiel gegen Frankfurt. Der nächste St. Pauli-Schach-Heimkampf ist im März. Dann stehen auch große Räume im Stadion zur Verfügung. Auch der Hamburger SK wird an diesem Termin dort seine beiden Heimkämpfe spielen. Ein kleines Schachfestival. Ob Carlsen wieder dabei ist? Man wird es kurzfristig erfahren. Wenn ja, wird es ein großes Schachfestival.


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.
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