Manuel Göttsching: e2-e4 und die Erfindung der Techno-Musik

von André Schulz
11.06.2018 – Chillout, Clubsound und Lounge sind einige Spielarten elektronischer Musik, bisweilen auch unter dem Begriff SoftTechno zusammengefasst. Heutzutage ist diese Art Musik nicht nur in Bars und Clubs als unaufgeregte, aber oftmals finessenreiche Begleit-, auch Tanzmusik weit verbreitet. Als Wegbereiter der Technomusik gilt ein passionierter Schachspieler, Manuel Göttsching. Nicht zufällig heißt sein Album e2-e4 und sieht aus wie ein Schachbrett. | Fotos: André Schulz

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Was hat Schach mit Lounge Music zu tun?

Ende der 1960er Jahre kam der Berliner Manuel Göttsching zur Musik und gründete 1970 zusammen mit Hartmut Enke und Klaus Schulze die Gruppe Ashra Tempel. Die Band nahm meditative und psychodelische, oftmals improvisierte und bisweilen sehr lange Stücke auf. Die Idee war, wie Manuel Götsching in einem Interview erläuterte, aus dem Schema der 3-Minuten-Posongs auszubrechen. Andere Gruppen gingen ähnliche Wege. In Deutschland wurde die Richtung unter dem etwas despektierlichen Etikett "Krautrock" zusammen gefasst. Angeblich soll der einflussreiche britischen Radiomoderator John Peel diesen Begriff erfunden haben. Bekannte deutsche Bands dieser Richtung waren Tangerine Dream, Guru Guru und Can. Gesungen wurde meist auf Englisch, bei Ashra Tempel am liebsten auch gar nicht. Viele junge Musiker werden verblüfft zur Kenntnis nehmen, dass Musik damals nicht mit Programmen auf dem MacBook erzeugt wurde, sondern mit so genannten "Musikinstrumenten". Aber - es gab schon Elektrizität, die E-Gitarre (zunächst: Stromgitarre) war außer im Folkbereich durchgängig verbreitet und einige Bands, gerade auch die Krautrock-Bands, experimentierten mit den noch relativ neuen und teuren "Synthesizern".

Klaus Schulze ging schon 1971 eigene Wege, Götschning und Enke setzten das Ashra Tempel Projekt mit wechselnden Gastmusikern fort, später auch unter dem Namen Ashra. Es soll nicht verschwiegen werden, dass einige der beteiligten Musiker in dieser Szene - so wie viele ihrer internationalen Kollegen auch - Drogenaposteln wie Tomothy Leary huldigten. Am dritten Album von Ashra Temple war Timothy Leary sogar selber beteiligt. Es heißt "Seven Up", nach eine US-Brause, und ist eine Improvisation, die unter LSD-Wirkung aufgenommen wurde. Musiker wie Jim Morrison, Jimmy Hendrix oder Janis Joplin würden, wenn sie noch lebten, die Nachahmung jedoch nicht empfehlen.

Improvisation mit zwei Akkorden 

Am 12. Dezember 1981 nahm Manuel Göttsching in seinem Berliner "Studio Roma" ein improvisiertes, knapp einstündiges größtenteils elekronisch erzeugtes Stück auf, das seiner Zeit weit voraus war und heute als Meilenstein der Techno-Musik gefeiert wird. Das Stück besteht nur aus zwei Akkorden, die über die ganze Zeit wiederholt und variiert werden. Das Stück wurde zwar aufgezeichnet, aber nicht veröffentlicht, da Göttsching zu der Zeit mit keiner Plattenfirma einen Vertrag hatte. Ja, es gab noch kein Youtube und kein Spotify und Musikstücke wurden als Rillen in Vinyl gepresst, in etwas flaches Rundes, das man "Schallplatte", oder kurz "Platte" nannte. Auch der Name "LP" (El-Pi) war gebrauchlich, als Abkürzung für Long Player, im Unterschied zur "Single". Platten wurden auf "Plattenspielern" abgespielt. Diese konnte man nicht in die Hosentasche stecken. 

Plattenspieler | Foto: André Schulz

Erst 1984 erschien das Stück als "LP", war eigentlich aber eine Single, denn es bestand nur aus dem einen Stück. Ein weiteres schockierendes Detail der damals gebräuchlichen primitiven Technik soll hier der Jugend auch noch mitgeteilt werden: Man konnte auf eine Seite einer "Platte" nur ca. 30 Minuten Musik" einrillen. Nach 30 Minuten Spielzeit musste der Anwender die Platte auf seinem Plattenspieler "umdrehen". Danach konnte er die zweiten 30 Minuten hören. Nochmal 2x30 Minuten gab es höchstens auf "Doppel-LPs". 

e2-e4

Göttschings früherer Mitstreiter Klaus Schulze hatte sich an diese Aufnahme erinnert und da er inzwischen auch als Produzent tätig war, presste er das Werk auf Vinyl und brachte es als LP in einer Auflage von 1000 Stück heraus - unter dem Titel: e2-e4. Göttsching hatte in seiner Jugend von seinem Vater Schach gelernt und dieser hatte sich auf seinem Brett die Koordinaten eingetragen. Später spielte Manuel Göttsching hin und wieder auch noch Schach gegen seine Musiker-Kollegen, bis ihm die Partien dann zu lange dauerten. Schon bevor er seine erste Solo-LP herausbrachte, war ihm der Name e2-e4 dafür eingefallen: e2-e4 ist ein Eröffnungszug und seine Aufnahme war die Eröffnung einer Solokarriere. Anfang der 1980er Jahre waren zudem die Star Wars-Filme sehr populär, in denen zwei sehr menschlichen Roboter mitspielte, von denen einer R2D2 hieß. e2-e4 klang so ähnlich.

Auch die einzelnen Squenzen nehmen mit ihren Titeln Bezug auf das Schach und folgen dem Verlauf einer Schachpartie:

1. Ruhige Nervosität
 2. Gemässigter Aufbruch
 3. ...und Mittelspiel
 4. Ansatz
 5. Damen Eleganza
 6. Ehrenvoller Kampf
 7. Hoheit weicht
 (nicht Ohne Schwung)
 8. ...und Souveränität
 9. Remis

Schallplatte | Foto: André Schulz

Zu Zeiten der Vinyl-Aufnahmen waren die Platten-Hüllen oftmals sehr kunstvoll gestaltet. Sie hatten ein Format von knapp 30x30 cm und mit einem schönen Cover konnte man Aufmerksamkeit erregen. Die späteren CD-Cover luden dazu nicht mehr ein, weil sie zu klein waren. Und im heutigen digitalen Zeitalter könnte man darauf auch ganz verzichten. Göttsching nahm das Schachmotiv auch in seinem Cover-Artwork auf. Die Plattenhülle sieht aus wie ein Schachbrett und er hat darauf geachtet, dass eine Seite ohne zusätzlichen störenden Aufdruck war. Man kann e2-e4 also als Schachbrett benutzen und beim Schach auch gut im Hintergrund hören.

Im legendären New Yorker Studio 54 diente das coole e2-e4 als Opener und avancierte bald zum Kulthit der Club-Szene. Ende der 80er Jahre veröffentlichten die italienischen Dance Floor-Produzenten von "Sueno Latino" einen Remix, der bald auf allen Dancefloors der Welt gespielt wurde. Seitdem sind zahlreiche weitere Remixes entstanden.

2006 besann man sich anlässlich des 25-jährigen Jubiläums auf das "Urwerk" der Techno-Musik und seine Entstehungsgeschichte. Seitdem tourt Manuel Götsching mit seinem Meisterwerk durch die Konzerthallen und führt es mit Syntheziser und Gitarre live auf - am 15. Juni, diese Woche, im Rahmen des "Elektronauten"-Festivals in der Hamburger Elbphilharmonie. 

Ashra: Offizielle Seite...

John Peel Archive...

Elbphilharmonie...

 

 

Interview mit Manuel Göttsching in der taz...

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André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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