Rezension zu Markus Ragger Grünfeld 1 und 2
Lange habe ich wirklich mit Spannung eine neue Chessbase-DVD zum Grünfeld-Inder erwartet – und nun ist sie endlich da! Eine zweibändige komplette Grünfeld-Monographie aus der digitalen Feder von Grossmeister Markus Ragger, der mit einer Elo-Zahl von aktuell 2668 der stärkste Spieler Österreichs und für eine Grünfeld-DVD somit genau der richte Mann ist!
Wie kam ich selbst zum Grünfeld-Inder? Nun, Grünfeld war meine erste schachliche Liebe gegen 1. d4! Inspiriert von der vermutlich bekanntesten Grünfeld-Partie überhaupt, wollte ich natürlich auch spielen wie mein damaliges Idol Robert ("Patzer und Freunde nennen mich Bobby") Fischer:
Byrne-Fischer 1956
Byrne,Donald - Fischer,Robert James [D97]
New York Rosenwald–03 New York (8), 17.10.1956
1.Sf3 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.d4 0–0 5.Lf4 d5 6.Db3 dxc4 7.Dxc4 c6 8.e4 Sbd7 9.Td1 Sb6 10.Dc5 Lg4 11.Lg5 Sa4 12.Da3 Sxc3 13.bxc3 Sxe4 14.Lxe7 Db6 15.Lc4 Sxc3 16.Lc5 Tfe8+ 17.Kf1
17... Le6 18.Lxb6 Lxc4+ 19.Kg1 Se2+ 20.Kf1 Sxd4+ 21.Kg1 Se2+ 22.Kf1 Sc3+ 23.Kg1 axb6 24.Db4 Ta4 25.Dxb6 Sxd1 26.h3 Txa2 27.Kh2 Sxf2 28.Te1 Txe1 29.Dd8+ Lf8 30.Sxe1 Ld5 31.Sf3 Se4 32.Db8 b5 33.h4 h5 34.Se5 Kg7 35.Kg1
35... Lc5+ 36.Kf1 Sg3+ 37.Ke1 Lb4+ 38.Kd1 Lb3+ 39.Kc1 Se2+ 40.Kb1 Sc3+ 41.Kc1 Tc2#
0–1
Eine solch geniale Partie kann niemanden kalt lassen, erst recht nicht vor dem Hintergrund, dass Fischer zum Zeitpunkt der Partie gerade einmal 13 Jahre alt war!
Es heißt bekanntlich, die erste Liebe stirbt nie wirklich - und insofern habe ich immer wieder in aller Regelmäßigkeit zurück zu Grünfeld gefunden, zurückversetzt in eine schöne Zeit als ich Schach noch unbeschwert neben der Schule und anderen Aktivitäten abseits aller Eröffnungs- und Mittelspielmonographien spielte. Und jede neue Grünfeld-Partie führt mich wieder ein bisschen zurück in diese schöne Zeit. ;-)
Als Appetizer folgt an dieser Stelle ein kurzer Blick in das Herzstück von Raggers erster Grünfeld-Monographie, die sich hauptsächlich mit der Abtauschvariante nach 1. d4 Sf6, 2. c4 g6, 3. Sc3 d5, 4. cxd5 Sxd5 beschäftigt:
Versuche, den Grünfeld-Inder ins Wackeln zu bringen, brachten über die letzten Jahre eine Menge mehr oder weniger interessanten Nebenvarianten zu Tage, die die gute Reputation dieser Eröffnung jedoch eher bekräftigten. Deshalb nimmt sich Ragger als erstes diesen Abspielen an, die in älteren Monographien zum Grünfeld-Inder kaum Erwähnung fanden, als da wären beispielsweise 5. Da4+, 5. Db3, 5. Sa4 oder 5. g3.
Etwas anders sieht es hingegen mit der früher als harmlos geltenden Smyslov-Variante mit 5. Ld2 aus: Der Anziehende schützt frühzeitig seine Bauernstruktur und plant nach dem Abtausch der schwarzfeldrigen Läufer auf c3 oder g7 oft einen Angriff auf den dann geschwächten schwarzen König. Der Läuferzug nach d2 stellte sich zunehmend als hart zu knackende Nuss heraus, wie es auch Spitzenspieler wie Nepomniachtchi mit Schwarz gegen Anand und Carlsen feststellen mussten. Grossmeister Ragger empfiehlt für Schwarz den frühen Tausch auf c3 gefolgt von kurzer Rochade und schnellem Sc6, um das weiße Zentrum zu attackieren. Seine Analysen sind stichhaltig und führen zu gutem Spiel für den Nachziehenden.
In der alten Hauptvariante, der Abtauschvariante mit 7. Lc4 c5, 8. Se2 Sc6, 9. Le3 O-O, 10. 0-0 empfiehlt Österreichs Nummer 1 das moderne Abspiel mit 10. ...b6, das Schwarz mit gutem Ausgleich und einer aktiven Stellung aus der Eröffnung herauskommen lässt. Diese Variante ist in der Weltspitze und ihren bekanntesten Grünfeld-Indern wie den Spitzen-Grossmeistern Grischuk, Ding, Vachier-Lagrave, Nepomniachtchi, Giri beliebt und hat Schwarz in meiner Datenbank 48% der Punkte eingebracht, ein Ergebnis, das deutlich über dem Durchschnitt von 45% für Schwarz ist.
In der Abtauschvariante mit 7. Sf3 c5, 8. Le3 Da5, 9. Dd2 gibt es von Ragger das zuverlässige 9. ...Sc6 vorgestellt, das zwar in den letzten Jahren dank 9. ...0-0 etwas an Popularität verloren hat, dafür aber nach meinem Empfinden für Spieler bis 2200 deutlich einfacher zu spielen ist.
Interessiert war ich besonders daran zu sehen, was Grossmeister Ragger gegen die Abtauschvariante mit 7. Sf3 c5, 8. Tb1 0-0, 9. Le2 empfiehlt, die sich Anfang der 90er Jahre - oje, schon wieder so lange her - in den Händen von Kramnik und Gelfand zu einer regelrechten Anti-Grünfeld-Waffe entwickelt hatte. Als Fan von Nebenvarianten hoffte ich insgeheim auf eine detaillierte Abhandlung der Variante mit 9. ...Sd7, die Ragger 2016 selbst schon erfolgreich gespielt hat. Diese Variante wird in der Tat kurz als Alternative zum Hauptabspiel vorgestellt, der inhaltliche Kern der Abhandlungen betrifft jedoch die Hauptvariante mit 9. ...cxd4, 10. cxd4 Da5+, 10. Ld2 Dxa2, 11. 0-0 Lg4, die dem Abspiel mit 8. Tb1 seit geraumer Zeit den Zahn gezogen hat.
Ein weiterer Clip beschäftigt sich mit Nebenvarianten wie 8. Le2, 8. h3 und 8. Lb5+, die allesamt etwas Gift versprühen können, wie Kramnik es wiederholt gegen Svidler gezeigt hat. Ragger stattet seine Grünfeld-Anhänger mit soliden Ideen aus, um diesen Abspielen zu begegnen.
Auf der zweiten DVD finden sich dann diejenigen Abspiele, in denen Schwarz zumindest vorerst auf cxd5 verzichtet, als da wären zu nennen die besonders dank GM Avrukh gefürchtete Fianchetto-Variante mit 3. g3, die GM Ragger zuverlässig mit c7-c6 nebst d7-d5 blocken möchte, diverse Abspiele, die nach 4. e3 entstehen, sowie 4. Lg5, 4. Lf4 oder das etwas exotisch anmutende 4. Sf3 Lg7, 5. h4!?
Ragger vergisst selbstverständlich auch nicht die modernen Systeme mit 3. f3 oder 3. h4, die beide mit baldigem c7-c5 gekontert werden oder Raritäten wie 3. Dc2 oder gar 3. d5.
Was die Nebenvarianten gegen Grünfeld angeht, so hat Ragger auch hier einen überaus guten Job gemacht. Ich persönlich tat mich früher etwas schwer mit den eher seltenen Varianten wie beispielsweise 4. e3 Lg7, 5. Db3. Die meisten Repertoirebücher empfehlen hier einen Aufbau mit e6 für Schwarz, was auch Ragger vorschlägt. Oft wird Weiß den Zug Da3 folgen lassen, mit der er die gegnerische Rochade zumindest temporär verhindern möchte. Schwarz kann dies dann mit De7 oder einem Aufbau mit a5, Sc6-b4 kontern. Grünfeld-Papst Peter Svidler hat so schon erfolgreich mit Schwarz gespielt. Aber dieser Aufbau entsprach einfach nicht meinem Geschmack. In besagter Variante fand ich dann mit 5. ...dxc4, 6. Lxc4 0-0, 7. Sf3 c5! ein Rezept, das eher typisch grünfeld-indisches Flair verspricht. Aber das ist nur eine persönliche Anmerkung.
Naturgemäß werden einem nie alle Repertoire-Empfehlungen gleichermaßen gut zusagen, aber diese Erwartungshaltung wird hoffentlich auch kaum jemand an eine Repertoire-DVD stellen.
Insgesamt zwei wirklich starke DVDs zum Grünfeld-Inder vom sympathischen Grossmeister Markus Ragger, die keine Wünsche offen lassen! Insgesamt über 10 Stunden Spielzeit, dazu interaktive Aufgaben mit Video-Feedback und eine extra Grünfeld-Datenbank zum Vertiefen der Materie sowie ein spezielles Tool zum Ausspielen von Schlüssel-Stellungen und der Repertoire-Empfehlungen zeigen: das Warten hat sich zweifellos gelohnt! Ich freue mich schon jetzt auf weitere zukünftige Neuerscheinungen von Markus Ragger!