12.10.2017 – Wer sich beim Warten auf die nächste Schachpartie langweilt, für den haben wir eine nette Idee: wie wäre es mit großen Summen? Man kann beispielsweise jedes Schachfeld mit einer natürlichen Zahl identifizieren: a1 wäre die 1, a2 die 2 … b1 die 9 und so fort bis 64. Addiert man nun 1+2+3...+ 64, so weiß man, dass man richtig addiert hat, wenn 2080 herauskommt. Schneller geht es mit einer Formel. Und die bietet viele Möglichkeiten.
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Mathematische Spielereien
Der neunjährige Carl Friedrich Gauß, der später einer der berühmtesten Mathematiker aller Zeiten werden sollte, hat übrigens schon zu Schulzeiten eine ähnliche Aufgabe eines Lehrers gelöst. Die Schüler hatten als Strafarbeit 1 bis 100 zu addieren. Gauß meldete sich schon nach wenigen Minuten mit der korrekten Lösung. Dem verblüfften Lehrer erklärte er seinen Trick: Packt man die größte und die kleinste Zahl zusammen, also 100+1, sowie die zweitgrößte und zweitkleinste, 2+99 und so fort, so erhält man 50 mal den Wert 101, wobei 50*101 = 5050. Man beneidet den Lehrer nicht.
Tatsächlich ist dies ein Beispiel einer allgemein geltenden Formel. Will man ganz allgemein n Zahlen addieren, so lautet die Summenformel: n*(n+1)/2. Man sieht schnell, dass das Gaußsche Beispiel passt: n=100, (100*101)/2=50*101=5050.
Muss man also wirklich sehr lange auf den gegnerischen Schachzug warten und ist man von der Addition der Zahlen begeistert, so kann man ja einfach mal die Summenformel für immer größere n ausrechnen. Man erhält scheinbar einen immer größeren Zahlenwert.
Nicht aber, wenn die moderne Mathematik Recht hat!
Tatsächlich lässt sich mathematisch zeigen, dass die Summe von unendlich vielen natürlichen Zahlen nicht etwa unendlich groß ist – sondern ihr der Wert -1/12 zugewiesen werden kann! 1+2+3+4 … = -1/12. Das ist kein Scherz, sondern beruht auf der mathematischen Theorie der komplexen Fortsetzung.
Zwei Mathematiker des Numberphile-Youtube-Kanals von Brady Haran zeigen, wie es funktioniert:
Grundlage ist eine Idee von Bernhard Riemann (19. Jahrhundert) und Leonhard Euler (18. Jahrhundert). Beide waren frustriert, dass manche Summen schlicht unendlich zu werden schienen und man sie nicht in den Griff bekam – die Summen verhielten sich, mathematisch gesehen, in gewisser Weise „unanständig“. Das wollten sie ändern.
So betrachteten Riemann und Euler spezielle unendliche Summen, die für manche Werte anständig sind (also gegen endliche Werte konvergieren), für andere Werte aber unanständig unendlich werden und uns entkommen. Tatsächlich fanden sie einen Weg, die „Anständigkeit“ in cleverer Weise auf die Bereiche „unanständigen“ Verhaltens zu übertragen.
Eine dieser Summen ist die Riemann'sche Zeta-Funktion. Sie ist definiert als die Summe 1 + 1 / 2^s + 1 / 3^s + ..... . s ist dabei eine so genannte komplexe Zahl.
Diese Summe hat „anständige“ (konvergente) Bereiche, wie beispielsweise bei s=2.
Addiert man alle inversen Quadratzahlen auf, also 1+1/2^2+1/3^2 … so erhält man pi^2/6, einen möglicherweise überraschenden, aber doch endlichen, „anständigen“ Wert.
Ein Problem taucht jedoch auf für s=-1. Denn dann finden wir 1+1/2^(-1)+1/3^(-2)+.... = 1+2+3+ … eben die Summe der natürlichen Zahlen, die uns ja gerade Kopfzerbrechen bereitet, weil sie gegen unendlich zu streben scheint und uns somit entkommt.
Der Trick nun: die Zeta-Funktion lässt sich auch als höchst kompliziert aussehende mathematische Funktion schreiben, nämlich:
Nimmt man nun an, dass diese Funktion, die sich für manches so „anständig“ verhält, auch in „unanständigen“ Bereichen gelten soll, so lässt sich einmal ganz hart s=-1 einsetzen und ausrechnen – und man erhält: -1/12.
Mehr als Spielerei
Dieser Trick von Riemann und Euler ist nicht nur mathematisch korrekt und weit besser begründbar als in diesem kurzen Artikel, er erweist sich auch als nützlich in der Praxis. Die Summe 1 + 2 + 3 + .... taucht zum Beispiel in der mathematischen Beschreibung des Casimir-Effekts auf, bei der sich zwei Platten im Vakuum anziehen. Das „-“ vor dem 1/12 sagt dabei die Anziehung (statt Abstoßung) vorher. Ersetzt man in der Physik also unendliche Summen in obiger Weise durch endliche Werte, wie hier beim Wert -1/12, so erhält man physikalisch vernünftige Ergebnisse.
Wir hoffen, dass niemandem eine Schachpause lang und langweilig genug sein wird, um bei -1/12 anzukommen. Vielleicht hat der eine oder die andere aber an Zahlentheorie Freude gewonnen – mehr findet sich jederzeit auf Numberphile's wunderbarem Kanal.
Vera SpillnerVielsprachige Quantenphysikerin und Geigenspielerin. Vera Spillner promovierte am Institut für Philosophie in Bonn und hat am Institut für Theoretische Physik in Heidelberg Quantenphysik (Schwerpunkt: Stringtheorie) studiert.
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