Max Deutsch: Das "Genie" als Dilettant

von André Schulz
07.12.2017 – Als Magnus Carlsen Anfang Oktober in Hamburg war, spielte er dort auch eine Partie gegen Max Deutsch. Der junge US-Amerikaner lernt jeden Monat eine neue Fertigkeit. Malen, Klimmzüge, Schach. Nach einem Monat Schachtraining glaubte er, den Weltmeister im Schach schlagen zu können.

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Den Weltmeister im Schach schlagen

Max Deutsch ist ein Genie, schreibt die Presse, genau genommen die US-Presse, denn Max Deutsch ist, obwohl sein Name eigentlich etwas anderes behauptet, US-Amerikaner. Alles, womit sich Max Deutsch beschäftigt, wird zum Erfolg. Hier ist seine Geschichte, so wie er sie auf seiner Webseite veröffentlicht hat:

Im 6. Schuljahr verkaufte er in der Cafeteria schon sein erstes selbst geschriebenes Programm an seine Feunde. Im zweiten Jahr auf der Highschool schuf er ein Visual Effect Studio, das Ergebnis seiner Arbeit wurde schließlich beim Film Festival in Cannes gezeigt. Im Abschlussjahr gründete er noch auf der High School eine Biotech-Firma (ein paar schlaue Leute vom NYU Langone Medical Center halfen dabei), um eine Technik zu entwickeln, mit der taube Menschen Musik hören können. Heute ist der größte Teil dieser Technik eine Standard-Prozedur in Kliniken. Im zweiten College-Jahr auf der Brown University gründete er eine Firma für Zahlungsabwicklungen, eigentlich nur, um günstiger an Essen rund um den Brown Campus zu kommen. Im Abschlussjahr gründete er die Firma "Rhombus" ein Start-up-Service für Designer mit Designern und Technikern rund um den Erdball in acht verschiedenen Zeitzonen. 2015 machte Max Deutsch seinen Abschluss und zog nach San Francisco und arbeitete als Produktmanager für Intuit Quick Books. Nebenbei tat er noch eine Menge andere Dinge, kreierte Portraits aus Legosteinen, fuhr mit seinem Fahrrad Tausende Kilometer, lernte Hebräisch, las alleine im Jahr 2016 nicht weniger als 80 Bücher, war Mitbegründer eine landesweiten Business Publikation, löste blind Rubik's Cube, veröffentlichte Kreuzworträtsel in großen Zeitungen, spielte Blues Gitarre und Jazz-Schlagzeug und gründete noch die Forma Somebody.io, mit der sich jedermann schnell eine eigene Webseite bauen kann. Außedem begann er mit Muskelaufbau zusammen mit einem Personal Trainer und beschäftigte sich mit grünen Smoothies (mit Wasser verdünntes flüssiges Gemüse und Obst). 

Month to Master

Schließlich entwickelte er ein Programm, das er "Month to Master" nannte. Jeden Monat lernt er eine besondere Fähigkeit.

Hier ist seine Projektliste der letzten 12 Monate

2016

November: Sich die Reihenfolge der Karten eines Kartenstapels in zwei Minuten merken

Dezember: Ein realistisches Selbstportrait malen

2017

Januar: Rubik's Cube in 20 Sekunden lösen

Februar: Einen Rückwärtssalto stehen

März: Ein 5-Minuten Improvisations-Blues-Gitarrensolo spielen. 

April: Eine 30-minütige Konversation in Hebräisch führen.

Mai: Ein selbstfahrendes Auto bauen.

Juni: 20 Musicals hintereinander anhand der Noten erkennen.

Juli: Das Samstags-Kreuzworträtsel der New York Times in einer Sitzung lösen

August: 40 Klimmzüge hintereinander schaffen

September: 3 Minuten Freestyle Rap.

Oktober: Weltmeister Carlsen im Schach schlagen

Oha. Wow. Das ist eine Liste! Da bleibt einem der Atem weg. 40 Klimmzüge, das ist eine Menge Holz, oder? Gut, der Rekord liegt bei  612 Klimmzügen, aufgestellt 1994 vom Koreaner Lee Chin-Yong. Da erscheinen die 40 Klimmzüge vielleicht nur einem sportlich nicht so trainierten Internetschreiber als viel. Aber immerhin.

Rubik's Cube in 20 Sekunde. Das klingt aber nach einer Aufgabe. Wo liegt hier der Rekord? Der Niederländer Mats Valk brauchte in seinem schnellsten Versuch 4,47 Sekunden. Aber ok, er ist vermutlich Spezialist und macht den ganzen Tag nichts anderes. Außerdem hatte er einen speziellen leichtgängigen Würfel. 20 Sekunden für Rubik's Cube sind toll. Die meisten können es gar nicht, ich zum Beispiel.

Am meisten hat mich hier das selbstfahrende Auto angesprochen. Tesla kann sich warm anziehen. Ich kaufe es. Dann kann ich beim Fahren die Sache mit dem Würfel üben. Das Kunststück wird mir später im Leben vielleicht einmal sehr nützlich sein.

Ach so, und dann steht da noch als Aufgabe: Den Schach-Weltmeister Magnus Carlsen im Schach schlagen. Huch?

Nochmal: Magnus Carlsen im Schach schlagen.

Um es noch einmal klar zu stellen. Das ist hier nicht die Liste von Levon Aronian. Das ist die Aufgabenliste von Max Deutsch. Magnus Carlsen im Schach schlagen, das klingt wirklich recht ehrgeizig. Vielleicht meint er im Blinduhrensimultan? Aber nein, face to face. 

Auch Carlsen ist schlagbar, oder?

Aber warum eigentlich nicht? Der Norweger spielt nicht schlecht, gut, aber er verliert ja auch immer mal eine Partie. Beim Isle of Man Open, da hat er zwar keine Partie verloren, aber davor beim Worldcup, unterlag er einmal gegen Bu und flog raus. Na bitte, er ist nicht unverwundbar. Und im Sinquefield Cup in St. Louis hat ihn Vachier-Lagrave besiegt. Und im Sommer in Stavanger hat er gleich zwei Partien verloren, gegen Aronian und gegen Kramnik. Auch ein Carlsen kann besiegt werden. Vielleicht - wenn er einen schlechten Tag hat und seine Stellung überzieht, oder wenn man ihn in einer unbekannten Eröffnungsvariante erwischt. Es geht. Man muss nur fest daran glauben.

Ein paar Jahre Turniererfahrung wären dabei natürlich ganz nützlich. Das würde helfen. Und eine gewisse Grundspielstärke. 2700/2750 Elo wären ganz gut. Dann ist die Lücke zu Carlsens Spielstärke von 2830 nicht ganz so groß.

Am 9. Oktober hatte Magnus Carlsen einen ehrgeizigen Zeitplan. Nachmittags war er Talkgast bei der Zeit-Gesundheitskonferenz, abends gab er ein Uhrensimultan gegen einige User seiner PlayMagnus-App. Max Deutsch war nicht dabei. Die Partie gegen den größenwahnsinnigen Ehrgeizling hatte Carlsen offenbar zwischendurch gespielt. Irgendwo im Hotel. Der junge Amerikaner ist tatsächlich aus San Francisco nach Hamburg geflogen, um gegen den Schachweltmeister eine freie Partie Schach zu spielen, im Glauben, er könne ihn schlagen. Und das renommierte Wall Street Journal, das dieses Unternehmen vielleicht auch gesponsert hat, hat daraus für seine Leser tatsächlich eine Exklusivgeschichte gemacht.

Kaum zu glauben. Das ist so, als würde jemand ernsthaft mit seinem Tretroller gegen Lewis Hamilton im Formel Eins-Rennen antreten wollen. Oder meine Mutter (1,65 m) würde behaupten, sie könne nach einem Monat Training die Klitschkos K.o. schlagen. Oder jemand denkt, er könne sich einen Monat lang mit Musik beschäftigen und wäre dann ein Mozart. Alle würden sich totlachen bei derart wahnsinnigen Vorschlägen. Das Wall Street Journal nicht.

Unter dem Namen Max Deutsch ist in der Mega Database keine einzige Partie gespeichert. Turniererfahrung hat der junge Überflieger wirklich keine und hat sich vielleicht tatsächlich von Grund auf neu mit dem Spiel beschäftigt. Welches der geschätzt 100.000 bisher publizierten Schachbücher Max Deutsch wohl zur Vorbereitung gelesen hat? Vielleicht sogar zwei?

Hier ist die Partie:

 
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1.e4 e5 2.Nf3 Nc6 3.Bb5 Nge7 4.0-0 g6 5.d4 exd4 6.Nxd4 Bg7 7.Be3 0-0 8.Nc3 d6 9.Nd5 Bis hierhin sei das Spiel von Max Deutsch laut Carlsen "sehr, sehr gut" gewesen. Doch dies sei ein typischer Anfängerzug, meinte Carlsen. Nxd5 10.exd5 Ne5 Immerhin gibt es eine "antike" Vorgängerpartie. 10...Ne7 11.c4 Nf5 12.Nxf5 Bxf5 13.Bd4 Qh4 14.Bxg7 Kxg7 15.Rc1 a6 16.Ba4 Rad8 17.Qb3 b6 18.Rfe1 Bd7 19.Bxd7 Rxd7 20.Qa4 Re7 21.g3 Rxe1+ 22.Rxe1 b5 23.Qxb5 axb5 24.gxh4 bxc4 25.Rc1 Rb8 26.Rxc4 Rxb2 27.Rxc7 Rd2 28.Kg2 Rxd5 29.Kg3 h5 30.a4 Ra5 31.Rc4 Kf6 32.Rb4 Ke5 33.Kf3 Kd5 34.Rf4 f5 35.Rb4 Kc5 36.Rb8 Rxa4 37.Rg8 Rg4 38.h3 Rg1 39.Ke2 Kd5 40.Ke3 Rg2 41.f4 Rg3+ 42.Kf2 Rxh3 43.Rxg6 Rxh4 44.Kf3 Rh3+ 45.Kg2 Rd3 0-1 (45) Ilyin Zhenevsky,A-Kubbel, A Moscow 1920 11.Re1 Ng4 12.Qf3? Danach kommt Weiß schon in Nachteil. Nötig war 12.c3= um den Sd4 zu stützen. 12...Qh4 13.h3 Nxe3 14.Qxe3?? Das kostet eine Figur. 14.fxe3 Bxd4 15.exd4 Qxd4+ 16.Kh2 Qxb2 war noch einigermaßen erträglich für Weiß. 14...Bxd4 15.Qd2 Bxb2 16.Rab1 Be5 Nun war es an der Zeit, die Partie aufzugeben. Mit gleichem Material war Deutsch chancenlos. Mit einem Stein weniger sind die Chancen kaum besser geworden. 17.Rb4 Qf6 18.Bd3? Kostet weiteres Material. 18.Rb3-+ 18...Bc3 19.Qf4 Qxf4 20.Rxf4 Bxe1 Weiß hat Turm und Läufer weniger, spielt aber noch weiter. 21.c4 Bb4 22.g4 Bd7 23.Kg2 Rfe8 24.h4 Bd2 25.Rd4 c5 26.Re4 Rxe4 27.Bxe4 Bxg4 28.Kg3 Be2 29.f3 Bxc4 30.Kg4 f5+ Womit die letzte weiße Figur vom Brett verschwindet. 31.Bxf5 h5+ 32.Kg3 gxf5 33.Kf2 Bf4 34.Ke1 Re8+ 35.Kf2 Re2+ 36.Kf1 Rxa2+ 37.Ke1 Be3 38.Kd1 Bd3 39.Ke1 Ra1# Noch etwas Figurenballet zum Schluss. Man muss sich beim Schach nicht mattsetzten lassen, sondern kann auch vorher aufgeben. Viele Neulinge wissen das nicht. 0–1
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Deutsch,M-Carlsen,M-0–12017C60Wall Street Journal

Das Wall Street Journal hat von diesem denkwürdigen Ereignis sogar ein Video anfertigen lassen:

Wahrscheinlich ist gut Schach spielen doch noch etwas schwieriger als manche glauben.

 

Wall Street Journal...

Max Deutsch Webseite...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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