Maxim Dlugy: Statement zur Carlsen-Niemann Kontroverse

von André Schulz
11.10.2022 – Der von Carlsen indirekt beschuldigte Maxim Dlugy hat sich mit einer langen Erklärung zur Carlsen-Niemann-Kontroverse zu Wort gemeldet und alle Verdächtigungen von sich gewiesen: "Es gibt keine plausible Methode, bei der ich als Komplize von Hans' angedeutetem Betrug in seinem Spiel mit Magnus auftreten könnte. Es gibt kein Gerät, es gibt keinen tatsächlichen Betrug und ich war in New York City, als das Spiel gespielt wurde." | Foto: (Niemann und Dlugy auf dem Bild) Saint Louis Chess Center

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US-Großmeister Maxim Dlugy hat sich gestern mit einem Statement zur Carlsen-Niemann-Kontroverse zu Wort gemeldet, nachdem Magnus Carlsen in einem Interview während des Generation Cups Dlugys Namen ins Spiel gebracht hatte.

Damit spielte Carlsen darauf an, dass Maxim Dlugy von der Plattform Chess.com wegen Cheatings gesperrt worden war und als Trainer von Niemann tätig gewesen war.

Maxim Dlugy wurde 1966 in Moskau geboren. 1977 übersiedelte er mit seiner Familie in die USA, nach New York. Nach dem Ende seiner Schulausbildung und einigen Erfolgen in Jugendturnieren beschloss er 1984 Schachprofi zu werden. 1986 erhielt er den Großmeistertitel und spielte in diesem Jahr auch bei der Schacholympiade in Dubai in der US-Nationalmannschaft. Von 1990 bis 1993 war Dlugy Präsident des US-Schachverbandes. 

Danach wurde er im Banker-und Investmentbereich aktiv, arbeitete für die Bankers Trust Company of New York und ab 1995  als Fondsmanager für die Trans-National Research Corporation. Zuletzt war er Geschäftsführer der Investmentfirma Optim Advisors. Dlugy war zudem in Russland geschäftlich aktiv und wurde 2005 als Vorstandsvorsitzender eines russischen Metallwerks in Perm wegen vermuteter Untreue verhaftet, aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

in den 2000er Jahre spielte Dlugy kaum Turnierpartien, gab aber offenbar Trainingsstunden. In jüngerer Zeit war er wieder aktiver. Dlugy gilt als sehr starker Blitzspieler.

Maxim Dlugy eröffnete seine Erklärung zunächst mit einem Hinweis auf seine 40-jährige Schachkarriere. Mit der Kontroverse um Hans Niemann sei er durch die Veröffentlichung von vertraulichen Emails durch die Plattform Chess.com hineingezogen worden. Carlsens Erwähnung seines Namens als "Niemanns Mentor" sei wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen, da Dlugy Niemann in seinem Leben nur gelegentlich getroffen habe.

Dlugy weist in seinem Statement daraufhin, dass Chess.com und Magnus Carlsen geschäftlich miteinander verbunden seien, da Chess.com eine Übernahmeangebot der Aktien der Play Magnus Group abgegeben hat. Beide Firmen hätten gemeinsame finanzielle Interessen.

Die Anschuldigungen gegen ihn erklärt Maxim Dlugy in seinem Statement für "völlig absurd und verleumderisch". Dlugy lässt in seiner Erklärung zunächst seine Schachkarriere Revue passieren und erwähnt, dass er 1989 zum Vorsitzenden der ACP und 1990 zum Präsidenten des US-Schachverbandes gewählt wurde. Ab 1989 gehörte er auch zum Vorstand der Grandmaster Chess Association (GMA), später war er Vorsitzender der Association of Chess Professionals (PCA). Er gründete eine Vermittlungsagentur für Schachtraining (www.chessreach.com) und unterstützte Garry Kasparov und Anatoly Karpov bei ihrer Kandidatur für die FIDE-Präsidentschaft. 

Neben seinen geschäftlichen Aktivitäten habe er sich aber auch um seine Form im Blitzspiel gekümmert und dabei auch im Saint Louis Chess Center einmal ein informelles Match gegen Carlsen gespielt. Carlsen hätte danach seine Anerkennung zum Ausdruck gebracht.

Dlugy berichtet, dass er als Trainer aktiv war, unter anderem auch für Kasparov bei Vorbereitungen für Wettkämpfe, und als Autor von Schachbüchern. Für Chess.com habe er als Kommentator gearbeitet und Trainingsvideos produziert.

2013 war Dlugy maßgeblich an der Enttarnung des Betrügers Borislav Ivanov beteiligt.

2015 gründete Dlugy die Chess Max Academy in der Upper East Side von New York City. Seine Schüler gewannen zahlreiche Schulschachpreise.

Hans Niemann habe Maxim Dlugy während der Jugendweltmeisterschaft in Südafrika vor acht Jahren kennengelernt. Niemann war damals elf Jahre alt. Niemann habe großes Talent gezeigt und habe sich rasch verbessert. Eine Zeitlang hätten Dlugy und Niemann bei einigen großen Turnieren an der Westküste zusammengearbeitet. Durch verschiedene familiäre Umstände sei das regelmäßige Training aber bald beendet worden.

Bis zu einem gewissen Zeitpunkt hätte Niemann kein ernsthaftes Interesse an seiner Schachkarriere gehabt, glaubt Dlugy. Das hätte sich geändert, nachdem Niemanns Bewerbung an der Havard University abgewiesen worden war. Niemann hätte sich nun ganz auf sein Schach konzentriert, um ein möglichst guter Spieler zu werden. Zu diesem Zeitpunkt hätte Hans Niemann sich auch wieder an Dlugy gewandt und um Hilfe gebeten. Dlugy und Niemann hätten als Vorbereitung zur US-Jugendmeisterschaft 2021 zusammen Endspiele trainiert und Dlugy hatte die Zusammenarbeit in einem Post auf Facebook dokumentiert. Hans Niemann arbeite inzwischen aber mit einem anderen Trainer zusammen, dessen Namen Dlugy aber nicht nennen möchte.

Maxim Dlugy sieht sich selber als "Mentor" für Hans Niemanns Aufstieg und erwähnte dies in einem Gespräch mit einem Bekannten, der auch mit Carlsen in Kontakt ist. Dlugy glaubt, dass dieses Gespräch die Grundlage für Carlsens Hinweis gebildet habe. Carlsen vermied in seiner Erklärung eindeutige Aussagen und habe es bei Andeutungen belassen. Der Hinweis auf Dlugy, der zugegeben hatte, auf Chess.com gecheatet zu haben, zusammen mit Niemanns Eingeständnis als Zwölfjähriger und als Sechszehnjähriger ebenfalls auf chess.com gescheatet zu haben, sollten den Betrugsverdacht von Carlsen gegen Niemann verdeutlichen, meint Dlugy.

Dlugy führt in seiner Erklärung aus, dass ein Betrug mit technischen Hilfsmittel und einem Helfer, der Enginezüge zum Spieler überträgt, angesichts der Sicherheitsmaßnahmen bei modernen Turnieren nach seinem Verständnis unmöglich sei, besonders im Saint Louis Chess Center. Experten hätten auch keinen Hinweis auf Computerbetrug in Niemanns Partie gegen Carlsen gefunden. Er hätte sogar zweimal suboptimal gespielt und dabei einen Großteil seines Eröffnungsvorteils verloren. Kenneth Reagens Untersuchung zu den Partien von Hans Niemann hätten ebenfalls keinerlei Hinweise auf Betrug ergeben, weder online noch am Brett, so Dlugy.

Dlugy erklärt: "Es gibt keine plausible Methode, die mir oder jemandem, den ich kenne, bekannt ist, einschließlich tausender Posts in den sozialen Medien, bei der ich als Komplize von Hans' angedeutetem Betrug in seinem Spiel mit Magnus auftreten könnte. Es gibt kein Gerät, es gibt keinen tatsächlichen Betrug und ich war in New York City, als das Spiel gespielt wurde."

Dlugy berichtet ins einem Statement auch von seinen Cheatingfällen, genauer: seinen Verstößen gegen die Fairplay-Regeln, bei Chess.com.

In einem Fall, 2017 hätte einer seiner Schüler bei einem Turnier Enginezüge in den Raum gerufen:

"Ich gab zu, dass dies ein Verstoß war, obwohl die jüngsten Videos von Magnus Carlsen, der von einem der besten britischen Spieler, David Howell (https://www.youtube.com/watch?v=qNMcnrmb97g), Ratschläge erhielt, um einen großen Konkurrenten in einem Geldturnier auf lichess.org zu schlagen, einen größeren Verstoß darzustellen scheinen, da er den Zug, der die Partie gewann, absichtlich spielte. Im Video ist deutlich zu sehen, dass Magnus die Sache nicht allzu ernst nahm und zugab, dass er an Ort und Stelle betrogen hatte."

Dlugy berichtet von einem weiteren ungeklärten Zwischenfall 2019 und schließlich von einem Turnier 2020:

"Beim Frühjahrsturnier 2020, an dem ich teilnahm, nachdem mein Konto drei Jahre nach den Ereignissen von 2017 wieder vollständig eingerichtet worden war, wurde ich von chess.com in der 9. Runde des Turniers rausgeschmissen, als ich eine Punktzahl von 6,5/8 hatte, obwohl ich KEINE FREMDE HILFE benutzte!

Ich war schockiert, da ich das Turnier von meiner Wohnung aus spielte und nicht verstehen konnte, was passiert war. Man teilte mir mit, dass ich wegen Verstößen gegen die Fair-Play-Richtlinien rausgeschmissen worden sei und dass ich aufgrund meiner Vorgeschichte 72 Stunden Zeit hätte, um irgendetwas in Bezug auf Verstöße gegen die Fair-Play-Richtlinien zuzugeben, sonst würde mein Konto dauerhaft geschlossen.

...

Ich hatte einfach nicht die Zeit, mich mit dieser Situation zu befassen, und da ich chess.com beim Wort nahm, dass der E-Mail-Austausch weiterhin vertraulich und privat sein würde, wie in ihrer gesamten Korrespondenz angegeben, machte ich den Fehler, zuzugeben, dass ich in einigen der Partien in der Veranstaltung Hilfe in Anspruch genommen hatte."

Als Nachweis dafür, dass er bei dem betreffenden Turnier keine Computerhilfe in Anspruch genommen habe, veröffentlicht Dlugy zum Schluss eine Analyse der fraglichen Partien.

Das Statement von Maxim Dlugy im Original...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.