ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
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Mit seiner Entscheidung, Schach nicht mehr zu fördern, hat das für den Sport zuständige Bundesministerium des Inneren Schach zwar nicht explizit zum Nichtsport erklärt, aber doch ein Signal in dieser Richtung vorgegeben. Mindestens ist Schach für das Bundesinnenministerium kein förderungswürdiger Sport mehr. Für uns Schachspieler wird es nun endlich Zeit, über die Sportcharakter des Schach noch einmal einmal gründlich nachzudenken.
Das Auschlusskriterium war für das Bundesinnenministerium "insbesondere die beim fehlende Denksport fehlende eigenmotorische Aktivität".
Die Formulierung lässt aufhorchen: "Denksport ist kein Sport," steht dort also. Damit nimmt das BMI einen Widerspruch auf, der schon beim Versuch der Definition von Sport beim Deutschen Olympischen Sportbund gemacht wurde. Dort heißt es:
"Die Ausübung der Sportart muss durch eine eigene, sportartbestimmende motorische Aktivität des Sportlers gekennzeichnet sein, die nicht überwiegend in der Bewältigung technischen, motorgetriebenen Geräts besteht. Diese eigenmotorische Aktivität liegt insbesondere nicht vor bei Denksport-, Geschicklichkeits- und Glücksspielen, Bastel-, Funk-, Computer- und Modellbautätigkeiten." Bei seiner letzten Mitgliederversammlung hat der DOSB allerdings ausdrücklich und einstimmig beschlossen, dass seine Sportdefinition eigentlich Unsinn ist, indem es Schach ungeachtet dieses "Sportkriteriums" als dennoch förderungswürdige Sportart anerkannt.
Die Argumentation des DOSB lässt sich vielleicht folgendermaßen zusammenfassen:
1. Denksport ist kein Sport
2. Schach ist kein Denksport
3. Da Schach kein Denksport ist, ist es Sport.
Das BMI hat auf diese in der Tat vielleicht nicht jedem gleich schlüssig erscheinende Argumentation - kurz zusammengefasst - folgendermaßen reagiert:
1. Denksport ist kein Sport
2. Schach ist Denksport
3. Schach ist also kein Sport
Begründung: Beim Schach bewegt man sich nicht wie bei anderem Sport (s.o.)
Der Vergleich des Schachs mit anderen Sportarten, insbesondere in Bezug auf die "sportartbestimmende motorische Aktivität des Sportlers" wurde ja schon an anderer Stelle gezogen, sei hier aber noch einmal kurz angerissen: Beim Schießen beispielsweise kommt es gerade darauf an, sich nicht oder nur ganz wenig zu bewegen. Ein Reiter sitzt nur auf seinem Pferd, das für ihn den weitaus größten Teil der Bewegung absolviert und er kann sich darauf konzentrieren, nicht herunterzufallen. Und welches Ausmaß an sportartbestimmender Eigenmotorik bietet der Auto-Rennsport, wo der Fahrer auch nur sitzt und an seinem Lenkrad dreht?
Manches ist Sport und dann wieder nicht Sport: Wann wird etwas die Bewegung des Gehens zum Sport? Wenn man im Park spazieren geht, ist es offenbar kein Sport. Wenn man beim Olympischen Gehen teilnimmt, dann ist es Sport. Und wenn man dafür trainiert, indem man im Park geht, dann ist das wohl auch eine sportliche Aktivität. Doch das sind Spitzfindigkeiten...
Für das Schach ist es jetzt wichtig, ein möglichst großes Maß an Eigenmotorik zu finden. Mit welcher "richtigen" Sportart wäre denn denn das Schach am ehesten vergleichbar? Gibt es nicht doch einen eigenmotorischen Anteil? Vielleicht ist dies eine Idee: Beim Schach werden nämlich Gewichte aus Holz auf einer fest definierten Fläche angehoben und wieder abgestellt. Findige Schachfreunde wiesen schon darauf hin, dass dies doch mit Gewichtheben vergleichbar ist. Schach ist also in gewissem Sinne Gewichtheben - quasi mit Denkpausen dazwischen. Über Aktivitäten des Gehirns soll hier aber nicht nachgedacht werden, denn Bewegung im Hirn ist beim Sport ausgeschlossen.
Schachfiguren wiegen typischerweise zwischen 10 Gramm (Bauer) und 26 Gramm (Dame). Wer viel mit der Dame zieht und gerne lange Partien spielt, kommt vielleicht auf 600 Gramm bewegtem Gesamtgewicht pro Partie. Bei einem Turnier (neun Runden) schafft man also 3600 Gramm (= 3,6 Kilo) Ist das schon Sport? Man könnte aber das Gewicht der Figuren notfalls auf einfach Weise erhöhen (größere, schwerer Figuren). Bei 1 Kilo pro Figur käme man auf 40 Kilo pro Partie und 360 Kilo pro Turnier. Der Weltrekord beim Stoßen im Schwergewicht von Hossein Rezazadeh liegt bei 263 Kilo. Dieses Gewicht hätte man also deutlich übertroffen, wenn auch nicht mit einer einzigen Sportbewegung, sondern zeitlich etwas verteilt.
Doch Vorsicht: Wenn man das Gewicht für die Schachfiguren zu sehr erhöht, wird mancher vielleicht nicht mehr in der Lage sein, mit der Dame zu ziehen - zu schwer. Und es könnte zu Verletzungen kommen, wenn jemandem eine Figur auf den Fuß fällt. Das ist gut: An Verletzungen erkennt man den Sportler.
Boris Becker beim Schach
Die Verletzung hat er sich aber schon vorher zugezogen.
Der Schachbund könnte mit seinen 90.000 Mitgliedern dem Bundesverband Deutscher Gewichtheber beitreten (20.000 Mitglieder). Dort wird man sich freuen.
Gewichtheber treten allerdings in einer typischen Sportkleidung an und hier könnte es Schwierigkeiten geben. Schachspieler sind sehr eigen bei der Wahl ihrer Kleidung und unterwerfen sich ungern einer kurzlebigen Mode oder anderem Gruppenzwang. Da wird es Widerstand geben.
Vielleicht ist das sogar der Kern des Problems. Schachsportler werden bei der Ausübung ihres Sports meist nicht als solche erkannt. Bei einem x-beliebigen Open weiß man nie: Wer ist Spieler, wer ist Zuschauer? An der Kleidung ist das nur für das geübte Auge festzumachen. Vielleicht fehlt es dem Schach einfach an schachspezifischer Sportkleidung, dann wäre die Diskussion gar nicht erst aufgekommen. Beim Vorzeigen der Schachspieler hätten die Beamten des BMI diesen mit Hilfe seiner Sportkleidung als Sportler sofort identifizieren können. Vorschläge für eine schachtypische Sportkleidung wurden in der Vergangenheit schon häufig gemacht.
Vorschlag für eine sportartbestimmende Sportkleidung
Oder so: Der Spieler links ist als Sportler leider nicht erkennbar. Seine Wahl zum "Sportler des Jahres" in Norwegen war sicher ein Versehen.
Etwas zu aufwändig...
Jennifer Shahades Vorschlag geht uns jedoch zu weit und trifft vielleicht auch nicht jedermanns Geschmack. Immerhin wäre das Cheating-Problem gelöst.
Naked Chess
Der Versuch, über das Gewichtheben in den Sportolymp aufzusteigen wirkt zugegebenermaßen etwas gekünstelt. Aber es gibt ja einen vielleicht besseren Ansatz. Beim Boxen schlägt man sich gegenseitig ins Gesicht, bis einer umfällt oder Blut kommt. Ansonsten entscheidet der Kampfrichter. Das ist unzweifelbar richtiger Sport. Vielleicht kann man also über das Schachboxen wieder zurück zur Gemeinschaft der förderungswürdigen Sportarten finden. Ein Versuch wert ist es allemal. Man erkennt die Schachspieler dann an den geschwollenen Gesichtern.
Boxen und...
... Schach = Sport?
Vladimir Kramnik gegen Vladimir Klitschko, hier beim Schach. Nachher wurde geboxt.
Ein weiterer Vorschlag wurde ebenfalls von der US-Großmeisterin Jennifer Shahade eingereicht: Hula hoop Schach. Fällt der Reifen auf die Erde, ist die Partie verloren.
Hula hoop Schach
Möglicherweise liegt der Ursprung der Frage nach dem Sportcharakter des Schachs aber doch noch ganz woanders. Als das BMI den Schachbund vor sechs Jahren nachdrücklich aufforderte, nun endlich mit geeigneten Maßnahmen die Vorschriften der Antidopingorganisation NADA umzusetzen, reagierten die Schachspieler überrascht. Beim Schach gibt es doch gar kein bekanntes medizinisches Doping (elektronisches Doping wird nicht geprüft), wozu dann Dopingproben?
'Nichts da', lautete es beim BMI. Schach ist doch Sport. Und beim Sport wird gedopt.
Die Schachspieler gehorchten, aber vielleicht zu mürrisch. Möglicherweise ist da etwas hängen geblieben im BMI: "Eine Sportart ohne Doping...? Wer weiß, ob das überhaupt richtiger Sport ist..."
Die ersten Schachspieler gehen aus Protest gegen die BMI-Entscheidung auf die Straße
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20140523