ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
Einer alten Weisheit zufolge kommen im Schachspiel mathematische, sportliche und künstlerische Aspekte zusammen. Je nachdem, wer sich im Schach betätigt, steht der oder anderen Gesichtspunkt im Vordergrund. Michael Dombrowsky hat den Lebensweg von Friedrich Sämisch so erforscht wie kein anderer vor ihm und ist sich sicher: Friedrich Sämisch war ein Künstler. Und so hat er sein jüngstes Werk "Friedrich Sämisch - Schachkünstler" auf 64 Feldern genannt.
Der Autor ist seiner Leidenschaft nach ein Schachfreund und ein Schachspieler, seiner Profession nach aber Journalist. Dombrowsky hat in einer ganzen Reihe von Redaktionen gearbeitet, unter anderem bei Konkret und bei der Bildzeitung. Und dort hat er gelernt, wie man erfolgreich recherchiert. Für seine Sämisch-Biografie hat Michael Dombrowsky seine Fähigkeiten mit viel Gewinn für den Leser eingesetzt und so jenseits der üblichen Anekdoten eine Vielzahl von Details aus dem Leben von Friedrich Sämisch entdeckt, die zuvor alle nicht bekannt waren.
Der erfolgreiche Journalist hat seine Informanten, die er normalerweise - Berufsethos - nicht bekannt gibt. Hier liegen die Dinge anders und so nennt Michael Dombrowsky Ross und Reiter. Zu den Helfern und Informanten gehörte Hans-Jürgen Fresen, der Zugang zu seiner Bibliothek gewährte und Fotos und Informationen aus alten Schachzeitungen lieferte oder Robert Hübner, der am Anfang seiner Karriere mit Sämisch das Turnier in Büsum 1968 spielte, dazu ein schönes Turnierbuch geschrieben hat und seine Erinnerungen teilte. Andreas Saremba machte Micahel Dombrowsky auf die Prozessakten zum Fall Sämisch im Bundesarchiv aufmerksam und Jan Kaspar, Jenny Porschien, Dr. Martin Luchterhand und Peter Ihme halfen mit Dokumenten und Familienurkunden aus den Archiven in Jablonec nad Nisou (Gablonz/Neiße), der Berlin-Sammlung in der Zentral-und Landesbibliothek Berlin, aus dem Landesarchiv Berlin und aus dem Bundesarchiv. Hajo Hecht, Harald Lieb, Stefan Haas, Ulrich Tamm und Jürgen Nickel trugen ebenfalls zum Gelingen des Werkes bei.
Der Sammler listet stolz seine Fundstücke auf. Ein Journalist wie Michael Dombowsky erzählt die Geschichte dahinter. Es ist die Geschichte eine Mannes, der sein Leben tatsächlich dem Schach gewidmet hat. Die Umstände wollten es so.
Sämisch kam am 20. September 1896 in der Schlüterstraße 77 in Berlin-Charlottenburg als eines von sieben Kindern des Schneiderehepaares Frieda und Paul Sämisch zur Welt. Das Haus dort gibt es sogar noch, inzwischen ist es umgebaut. Im Erdgeschoss war das Schneidergeschäft, darüber die Wohnung der Sämischs. 1910 starb der Vater bei einem Verkehrsunfall und der Betrieb ging in Konkurs. Sämisch musst die Schulausbildung abbrechen und begann eine Buchbinderlehre. Zu dieser Zeit begann er sich auch mit dem Schachspiel zu beschäftigen.
1908 verfolgte Sämisch bereits intensiv den Weltmeisterschaftskampf zwischen Lasker und Tarrasch, der in Düsseldorf und München gespielt wurde. Die beiden Meister kommentierten ihre Partien in zwei verschiedenen Berliner Zeitungen und waren häufig unterschiedlicher Auffassung über die Beurteilung der Partien, was Sämisch besonders faszinierte.
Sämisch las zudem regelmäßig die Schachkolumne von Simon Alapin im "Vorwärts". Die übrige Zeitung las er offenbar auch, denn Sämisch fühlte sich von den Ideen der Arbeiterbewegung angezogen und trat später auch zuerst in den Arbeiter-Schachverein ein. 1913 durfte Sämisch dann sogar bei einer Blindsimultan-Veranstaltung von Alapin mitspielen, erhielt Gewinnstellung, vergab sie aber zum Remis.
Als Soldat im Ersten Weltkrieg wurde Sämisch zweimal schwer verwundet. Die erste Verletzung war dramatisch. Sämisch hat später seiner Erlebnisse Bent Larsen erzählt, der sie danach in der Zeitschrift Kaissiber wiedergab. Sämisch hatte man im Behelfslazarett, die Verletzten waren in Eisenbahnwaggons untergebracht, den hoffnungslosen Fällen zugeordnet. Ein Arzt, der auch Schach spielte, entschied im Hinblick auf Sämischs Schachkenntnisse, dass dieser Patient auch vordringlich behandelt werden sollte: "Einen Schachmeister lässt man nicht auf diese Art sterben", lautete die Begründung. Sämisch wurde nach seiner Genesung in den Sanitätsdienst versetzt, dort aber 1917 ein zweites Mal verletzt, diesmal am Arm. Dabei wurde ein Nerv geschädigt, was dazu führte, dass die drei mittleren Finger von Sämischs rechter Hand von nun an permanent gekrümmt waren. Ärzte nenne dies "Krallenhand".
Wegen dieser Kriegsverletzung konnte Sämisch nach dem Krieg seinen Beruf nicht mehr ausüben und entschloss sich schließlich Schachprofi zu werden. Nach dem Ersten Weltkrieg kam das Schachleben jedoch nur langsam wieder in Gang. Der Berliner Kerkau-Palast war einer der Treffs der Schachspieler und hier machte Sämisch mit Efim Bogujubow Bekanntschaft.
Bogoljubow und Sämisch
Beide suchten eine Bleibe und bezogen zusammen als Schach-WG für ein Jahr eine gemeinsame Wohnung, bevor Bogoljubow zurück nach Triberg ging. Tagsüber spielten sie in den Berliner Cafés und nachts in ihrer Bleibe unzählige Blitzpartien oder studierten Eröffnungen. Mit den nach ihm benannten Varianten in der Königsindischen und der Nimzoindischen Variante hat Sämisch der Schachwelt einige seiner Ideen hinterlassen. Auch mit Aljechin freundete sich Sämisch gut an, als der spätere Weltmeister nach 1921 vorübergehend in Berlin lebte.
Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war wirtschaftlich schwierig, politisch lebhaft, für Schachspieler aber einigermaßen unbeschwert. Es gab regelmäßig Turniere und auch Sämisch bekam Gelegenheit, seine Fähigkeiten zu zeigen. In einer Reihe von Turnieren erreichte er vordere Plätze oder gewann sogar. Mit seinem Stil war er gegen manche Gegner internationalen Rangs erfolgreich - gegen Reti hatte er eine deutlich positive Bilanz (+5), gegen andere gar nicht. Bogoljubow beispielsweise zu stark für ihn, wie Sämisch neidlos anerkannte.
Dann kam die Nazizeit. Sämisch war kein Anhänger der Nationalsozialisten, musste sich aber arrangieren, um in dieser Zeit zurecht zu kommen. Auch im Krieg gab es noch Möglichkeiten Turniere zu spielen. Nach einer unbedachten Bemerkung über den Krieg auf der Fahrt zu einer Simultanveranstaltung nach Aachen wurde Sämisch denunziert und angeklagt. Bei der Durchsicht der Akten im Staatsarchiv hat Michael Dombrowsky einige sehr spannende Entdeckungen gemacht, die in dem Buch erstmals veröffentlich sind. Mehr soll hier nicht verraten werden.
Michael Dombrowskys Biographie über Friedrich Sämisch ist sicher die beste, die man sich vorstellen kann. Höchstens Friedreich Sämisch selber hätte es (vielleicht) besser machen können. "Der Mensch und der Schachspieler Friedrich Sämisch haben es verdient", erklärt Dombrowsky seinen Aufwand. Das Werk umfasst etwa 360 Textseiten, in die etwa 100 beispielhafte Partien integriert sind. Dombrowsky hat die zeitgenössischen Kommentare eingefügt und nur dort Korrekturhinweise gegeben, wo es grobe Fehler gab. Viele Bilder, Dokumente und Zeitzeugnisse laden ebenfalls zu dieser spannenden Zeitreise ein. Ullrich Dirr hat das Buch sehr schön gesetzt und gestaltet.
Friedrich Sämisch starb 1975 in Berlin, in einem Altenheim am Wannsee.
"Wenn ich allerdings geahnt hätte, dass mir bevorstand Schachmeister zu werden und zwei Weltkriege überleben zu müssen. Ich hätte vielleicht darauf verzichtet. Aber langweilig ist es nicht geworden, und alles kann man bekanntlich nicht haben." (Friedrich Sämisch)
Michael Dombrowsky:
Friedrich Sämisch -
Schachkünstler auf 64 Feldern, Hamburg, 2023
384 Seiten
Euro 49,00
EAN 9783989260009
ISBN-13 978-3-98926-000-9
Anzeige |