Am 22. Oktober beginnt
die Bundesliga-Saison. Du spielst an Brett 1 für Zehlendorf und hast mit
2415 die schlechteste Elo-Zahl aller Spieler, die an Brett 1 gemeldet sind.
Lothar Vogt hat 2484, Igor Nataf 2583, Jussupow 2595, alle anderen haben
über 2600 bzw. über 2700. Freust Du Dich auf die Saison?
Ja, natürlich, unbedingt. Ich freue mich
sehr darauf. Ich mag es, gegen stärkere Spieler zu spielen. Vielleicht ist
ein ganz klein bisschen Selbstüberschätzung dabei, aber ich glaube nicht,
dass ich zu viel Prügel bekommen werde. Ich spiele gerne gegen stärkere
Gegner, weil ich nichts zu verlieren habe. Ich werde mich gut vorbereiten
und bin sehr, sehr motiviert. Damit kann ich die Elo-Differenz hoffentlich
ein bisschen ausgleichen. Außerdem habe ich gegen die zwei stärksten Gegner
meiner bisherigen Schachkarriere – das waren Epishin und Sakaev – beide
gewonnen. Das gibt Selbstvertrauen. Angst habe ich eigentlich nur, nicht aus
der Eröffnung herauszukommen. Ich kenne das aus anderen Partien: Man kennt
die Eröffnung nicht, merkt schon nach zehn Zügen, da ist etwas schief
gelaufen und kämpft dann noch zwei Stunden ohne wirklich eine Chance zu
haben. Das will ich natürlich nicht. Wichtig ist also, dass ich die Zeit
finde, um mich gut vorzubereiten, damit ich die Eröffnungen heil überlebe.
Dann funktioniert das, glaube ich.
Hast Du einen guten Tipp zum Umgang
mit Niederlagen?
Ich glaube, der Umgang mit den eigenen
Niederlagen ist eines der schwierigsten Dinge im Schach. Man sollte
versuchen, diese Niederlagen möglichst schnell zu vergessen. Als Trainer
versuche ich, die Kinder abzulenken: Sport machen, spazieren,
Fußballspielen. Erwachsenen tut das auch ganz gut.
Viele Leute haben mich schon vor den
psychischen Gefahren einer andauernden Niederlagenserie, die als Außenseiter
in der BL droht, gewarnt. Aber das kenne ich nicht. Ich erinnere mich an ein
Turnier in Dortmund, in dem Shirov mit 0 aus 4 gestartet ist, aber trotz
seiner Niederlagen versucht hat, jede Partie auf Gewinn zu spielen.
Vielleicht haben ihm die Niederlagen etwas ausgemacht, aber er kämpfte immer
weiter. Ich finde das beeindruckend.
Außerdem kann man ja pro Wochenende nur
zwei Partien verlieren, und das ist dann nach drei oder vier Wochen bei den
nächsten Kämpfen schon wieder vergessen und dann geht es wieder neu los.
Blöd wäre natürlich, wenn ich gar nichts hole, wenn ich 1,5 aus 15 mache,
aber das passiert, glaube ich, nicht.
Welches Ziel möchtest Du diese Saison
erreichen?
Ein oder zwei Spieler zu besiegen und
die Anderen etwas ins Schwitzen zu bringen. Das wäre klasse. In Punkten
ausgedrückt ist mein Saisonziel in etwa bei 4 aus 15. Mein Traum wäre
jedoch, meine zweite GM-Norm zu machen. Wenn ich alle 15 Partien spielen
könnte, hätte ich sogar die notwendige Zahl von Partien zusammen und
bräuchte "nur" noch eine Zahl von 2500, um GM zu werden.
Und welches Ziel hat die Mannschaft?
Ein richtig gutes Mannschaftsgefühl
aufzubauen, damit wir nach einem möglichen Abstieg gestärkt in die 2. Liga
zurückgehen können.
Hast Du schon einmal Bundesliga gespielt?
97/98 bei Empor Berlin. Brett 5, 6, und
7, mit einem Ergebnis von 6 aus 15. Das war die Zeit, nachdem Kramnik und
Shirov weggegangen sind und Empor abgestiegen ist.
Was ist reizvoll an der Bundesliga? Für Dich
als Spieler und für die Zuschauer?
Für mich als Spieler ist es reizvoll,
gegen Welt- und Europameister zu spielen, gegen die Besten der Welt. Zu
sehen, wo meine Grenzen als Schachspieler sind.
Für Zuschauer ist die Bundesliga
reizvoll, weil es die stärkste Liga der Welt ist - dort spielen die
allerbesten Spieler und eine Reihe interessanter Charaktere wie z.B. Shirov
und Anand.
Warum macht es Spaß bei Zehlendorf zu
spielen?
Weil ich dort schon sehr lange spiele,
die Leute schon sehr lange kenne und ihre Entwicklung verfolgen konnte, und
weil ich mit den Mannschaftskameraden gut auskomme.
Habt ihr in Berlin eine Fangemeinde, die
sagt: "Wir stehen zu Zehlendorf?"
Im Verein haben wir natürlich schon
einige Fans. Ohne sie hätten wir die BL-Saison auch nicht finanzieren
können. Feedback bekomme ich aber auch sehr viel durch mein
Internettraining. Viele Leute dort sind immer sehr interessiert, wie es mit
Zehlendorf weitergeht, und sie wollen wissen, wie ich mich auf die
Bundesliga vorbereite, wie ich mir das vorstelle. Und da ich im Prinzip
wenig zu verlieren habe, kann ich unsere und meine Fans kaum enttäuschen.
Über die Internetseite
www.schachbundesliga.de kann man ja die Bundesliga gut verfolgen. Warum
sollte der Zuschauer Zehlendorf im Blick behalten?
Weil wir als David gegen Goliath kämpfen
und immer hoffen, den Großen ein Bein zu stellen.
Wer gewinnt dieses Jahr?
Eigentlich müsste es Baden-Baden
schaffen. Bislang waren sie eigentlich immer die stärksten, aber dann
landeten Porz und Werder Bremen doch vor ihnen. Aber die Spielstärke stimmt
und auch vom dem Zusammenhalt her scheint die Mannschaft zu funktionieren.
Und wer steigt ab?
Leipzig, Zehlendorf, wie ich leider
sagen muss, und auch Kirchheim ist ein aussichtsreicher Abstiegskandidat –
aber den vierten Absteiger zu benennen, fällt ganz schwer. Godesberg wird
nicht absteigen, die sind zu stark. Auch Neukölln steigt nicht ab, denn die
Mannschaft verfügt über einen guten Zusammenhalt und eine Reihe starker
Spieler. Vielleicht Solingen oder Eppingen.
Welche Spieler haben Dich letzte Saison
besonders beeindruckt?
Anand, natürlich. Seine Ruhe ist
beeindruckend, sein Ruf, und natürlich sein Schach. Dann auch Volokitin:
sehr jung, sehr stark. Und Nisipeanu ist natürlich auch unglaublich stark.
Kasimdschanow vielleicht auch noch.
Mit Interesse verfolge ich auch die
Partien des Gespanns Jan Gustafsson/Peter-Heine Nielsen. Da sieht man immer
ziemlich schnell, was gerade aktuell ist. Das hat mich einmal zu einer
Katalanisch-Variante inspiriert, die ich erfolgreich gegen Robert Rabiega
angewandt habe.
Und ich verfolge natürlich, was die
Berliner machen, die Neuköllner, die Kreuzberger oder früher auch die
Tegeler. Denn als Berliner will man natürlich wissen, warum Mladen Muse
gegen Adams gewonnen hat und was Rainer Polzin in Zeitnot angestellt hat. Zu
den "richtigen" Berliner Spielern, d.h. den Spielern, die für Berliner Klubs
spielen und in Berlin wohnen, besteht so eine lockere Bindung. Das ist
hauptsächlich Neukölln, wo ich meine Jugendzeit verbracht habe, aber auch
Kreuzberg. Rainer Polzin von den Schachfreunden Neukölln treffe ich
gelegentlich und wir reden dann über die Bundesliga, über die einzelnen
Kämpfe, Abstiegsgefahr usw.
Wie könnte man die Bundesliga möglicherweise
verbessern? Oder ist alles perfekt?
Die Verselbständigung der Bundesliga ist
eine interessante Sache. Ein permanentes Thema ist natürlich auch die
Ausländerproblematik. So wurde Zehlendorf von manchen vorgeworfen, dass wir
keine starken ausländischen Spieler geholt haben – was die einzige
Möglichkeit ist, um nicht abzusteigen. Aber für mich ist es wichtig, dass
die Mannschaft ein Gefühl des Zusammenhalts hat. Dass man sich kennt, dass
man gemeinsam zu den Kämpfen fährt und auch persönlichen Kontakt hat. Aber
wie und ob man die Ausländerregelung ändern kann bzw. sollte, weiß ich
nicht. Da müsste man Juristen fragen. Außerdem können die ausländischen
Spieler die Liga beleben, z.B. wenn wirklich einmal acht Chinesen spielen
oder Baden-Baden seine acht Superstars an die Bretter bringt. Das macht die
Bundesliga eben auch zu dem, was sie ist. Andererseits sehe ich auch, dass
gute deutsche Spieler nicht ausreichend gefördert werden. Jemand, der 2350
hat, aber einfach keine Möglichkeit hat, in der Bundesliga zu spielen, kann
sich nur schwer weiterentwickeln.
Aber eigentlich halte ich mich daraus
und möchte einfach nur mein Schach spielen. Natürlich haben
Amateurmannschaften wie Zehlendorf oder Leipzig im Moment kaum Aussichten,
die Klasse zu halten. Aber damit habe ich keine Probleme. Dann steigen wir
eben ab und irgendwann auch wieder auf. Es wäre schön, wenn sich
Amateurmannschaften in der Bundesliga halten könnten, aber das schafft
eigentlich nur Neukölln.
Du studierst BWL, bist
Schachtrainer und gründest am 3. Oktober eine Schachschule in Berlin? Wie
sieht das Konzept dieser Schachschule aus?
Die Schachschule ist schon gegründet.
Wir haben in zentraler Lage in Berlin am Olivaer Platz einen Gewerberaum von
ca. 70 qm gemietet. Es gab eine Anschubfinanzierung, um die Räume zu mieten,
das Mobiliar zu kaufen und dem Ganzen die Zeit zu geben, in Schwung zu
kommen. Julia Belostotska wird als Kindertrainerin mitarbeiten. Wir arbeiten
professionell, aber in familiärer Atmosphäre. Wir wollen besonders Kinder
und deren Eltern ansprechen, die sich den pädagogischen Wert des
Schachspiels zunutze machen wollen. Wir wollen gute und seriöse Arbeit
leisten und hoffen auf die angemessene Wertschätzung. Jeder ist mit großem
Enthusiasmus dabei und diesen Schwung wollen wir mit in die Arbeit nehmen.
Die Eröffnung findet am 3. Oktober um
11 Uhr mit einem Kinderturnier statt. Die Erwachsenen werden sich gemütlich
hinsetzen, Kaffee trinken, etwas Essen, den Kindern zuschauen, sich
unterhalten, Spaß haben. Wir hoffen auf zahlreiche Besucher, aber bei 70 qm
Fläche wäre eine Anmeldung (info@schachschuleberlin.de oder 0163-55 46 183)
ganz gut.
Das Konzept der Schachschule sieht ganz
grob beschrieben so aus, dass wir vormittags an die Schulen gehen und ab 14,
15 Uhr Kurse in unseren Räumen geben. Julia ist vor allem für das
Kinderschach zuständig. Wir werden verschiedene Angebote anbieten.. Für den
Normalkurs werden wir ungefähr 25 Euro pro Monat verlangen. In diesem Paket
ist ein wöchentliches, doppelstündiges Training inklusive Lehrmaterial
enthalten. Dazu kommt noch einmal im Monat ein Wochenendtreffen. Es sollen
Halbpatenschaften entwickelt werden, d.h. wer möchte, kann für Kinder, deren
Eltern nicht so wohlhabend sind, steuerlich absetzbare Patenschaften
übernehmen.
Ich möchte pro Woche zwei bis drei
Kinderkurse übernehmen, eher die Fortgeschrittenen; mein Schwerpunkt liegt
auf dem Erwachsenentraining, das abends stattfindet. Einzeltraining,
Gruppentraining, Internettraining über www.schach.de natürlich auch noch.
Ich versuche, Internet, Email und Schachschule zu einer Art Fernstudium zu
verbinden. Wir wenden uns dabei an Spieler jeder Spielstärke. Das Ziel ist,
dass die Schachschule ein Anlaufpunkt für jeden wird, der in Berlin
Schachunterricht bekommen möchte.
Eine konkrete Frage an den Trainer: Wie werde
ich möglichst schnell möglichst gut?
Viel trainieren, viele Taktikaufgaben
lösen – das gilt besonders für den Bereich bis 1800-1900. Stärkere Spieler
sollten viele Turniere spielen, und beiden täte ein Trainer sicher gut.
Warum braucht man einen
Schachtrainer? Es gibt doch zahllose Bücher und Millionen von Partien im
Internet und in Datenbanken?
Was mir in Bezug auf Bücher und
Datenbanken einfällt ist, dass sie eine Fülle an Informationen enthalten,
die man nur schwer sortieren kann. Der Trainer sollte komplizierte
Sachverhalte einfach darstellen können. Eine Hauptaufgabe des Trainers
besteht m.E. auch darin, die Fehler seiner Schützlinge zu erkennen, sie
darauf hinzuweisen und diese Schwächen mit Aufgaben und Ratschlägen
abzustellen. Junge – und auch viele alte – Schachspieler erkennen diese
Fehler jedoch nicht. Da spart ein Trainer viel Zeit und Mühe. Ein Trainer
hat somit weniger die Aufgabe, konkret Varianten zu vermitteln, sondern
sollte Denkhilfen geben.
Was ist das Schöne am Beruf des
Schachtrainers?
Es macht immer wieder Spaß. Ich mache
mein Hobby zum Beruf. Ich brauche kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn
ich mich mit Schach beschäftige, denn Schach ist mein Beruf.
Und wie wird man Schachtrainer?
Vor fünf Jahren wurde ich in meinem
Verein gefragt, ob ich nicht Kinder trainieren will, Einzeltraining. So habe
ich ein paar Stunden Probetraining gemacht und das kam gut an. Zunächst mit
Tom Schrödter vom SK Zehlendorf, der dann später einmal zur
Europameisterschaft gefahren ist. Dann haben andere Kinder nachgezogen und
ich hatte auf einmal fünf bis sechs Einzeltrainings zu absolvieren. Später
habe ich den Trainerschein gemacht und ab Anfang 2004 konnte ich auf dem
ChessBase Server schach.de Training geben. Das war damals ganz neu. Daraus
entwickelten sich neue Trainingsmöglichkeiten. Ich habe gemerkt, dass mir
das viel Spaß macht, ich den Leuten etwas beibringen kann und vielleicht die
Möglichkeit besteht, das Schachtraining zum Beruf zu machen.
Was war Dein schönstes Erlebnis als Trainer?
Das war ein Wochenendtreffen mit den
Kindern von Zehlendorf. Da springen eine Menge Kinder herum, alle haben
Spaß, die Eltern backen Kuchen, bringen etwas zu Essen mit, man merkt, wie
sich die Kinder anfreunden und Freundschaften entstehen, die oft ein Leben
lang halten.
Schachschule Berlin
Eröffnung am 3. Oktober in der Bayerischen Str. 32
(Berlin-Wilmersdorf).
Trainer: IM Michael Richter und
Kindertrainerin Julia
Belostoska
Mehr Info per Mail:
info@schachschuleberlin.de
oder per Telefon:
0163/5546183