Leko besiegt Karpow und spielt
nächstes Jahr gegen Kramnik
Von Dagobert Kohlmeyer aus Miskolc
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Partie 8...
Peter Leko hat das Schnellschachmatch gegen Anatoli Karpow in
Miskolc mit 4,5:3,5 gewonnen. Zwei Remispartien genügten ihm am Sonntagabend, um
seinen Halbzeitvorsprung von einem Punkt bis zum Ende des Wettkampfes zu
behaupten. In der 7. Partie schien es sogar, als könne der Ungar schon vorzeitig
alles klarmachen, aber Karpow entschlüpfte als Schwarzer trotz weniger Material
und hoher Zeitnot wieder ins Unentschieden.
Leko gegen Karpov: Alle Partien...
Mit dem
Endergebnis waren Zuschauer und Veranstalter zufrieden, die ihren Schachsportler
Nr. 1 mit stürmischen Ovationen feierten.
Bürgermeister Sandor Kali, der
Schirmherr des Matchs, kündigte noch bei der Siegerehrung auf der Bühne an, dass
im nächsten Jahr an gleicher Stelle ein Duell zwischen Peter Leko und Wladimir
Kramnik stattfindet.
Karpow
erkannte Lekos Überlegenheit an und erklärte das Schlussresultat unter anderem
damit, dass er in letzter Zeit zu wenig Spielpraxis habe. Für Peter seien
dieser Erfolg und die gewonnen Match-Erfahrungen sicher nicht unwichtig, wenn
man an künftige WM-Kandidatenkämpfe denke.
Schauplatz
des Matchs war in diesem Jahr das Nationaltheater von Miskolc. Es liegt an der
Hauptstraße im Zentrum direkt in der Fußgängerzone. Zwischen 1847 und 1857 im
klassizistischen Stil errichtet, war es das erste Theater aus Stein im Lande, in
dem Aufführungen in ungarischer Sprache erfolgten. Schachfreunde nicht nur aus
Miskolc, sondern aus ganz Ungarn strömten zu den Partien von Karpow und Leko.
Besonders am Wochenende war das Theater fast gänzlich gefüllt, trotz
Liveübertragung im Internet. Auch der Internationale Meister Janos Rigo und
seine Frau Kata kamen aus Budapest zum Finale.
GM Berkes beim Simultan
Großmeister Ferenc Berkes
kommentierte an allen Tagen für die Zuschauer im Theatersaal die Züge von Karpow
und Leko.
Miskolc war
eine Reise wert. Die drittgrößte Stadt Ungarns, an den Ausläufern des
Bükk-Gebirges gelegen, hat mehr zu bieten, als man auf den ersten Blick
vermutet. Der barocke Stadtkern ist zum großen Teil restauriert. Im
Hermann-Otto-Museum gibt es eine bedeutende Gemäldesammlung. Sehenswert ist auch
das Kirchenmuseum am Deák ter mit der größten Kollektion von
griechisch-orthodoxen Kunstwerken im Lande. Wir haben dort 88 außergewöhnliche
Ikonen bewundert, die noch gut erhalten sind.
Eine
spätgotische Kirche auf dem Avas-Berg mit ihrem Glockenturm aus dem 16.
Jahrhundert ist das Wahrzeichen der Stadt. Zu Miskolc gehören auch der Ort
Diósgyör und der Kurort Miskolc-Tapalca mit seinem Höhlenbad.
Ein
architektonisches Kleinod ist die Burg Diósgyör mit ihren 24 Meter hohen
Ecktürmen, umgeben von einem Wassergraben. Ihre Blütezeit erlebte die Burg im
14. Jahrhundert zurzeit von König Ludwig dem Großen. Den rechteckigen Innenhof
umgeben teils über drei Meter dicke Mauern. Der junge Museumsführer in
Ritteruniform zeigt den neugierigen Gästen gern alle Verliese der Burg bis zur
Folterkammer und dem Raum, wo noch heute Münzen geprägt werden.
In der
heutigen Zeit bildet die Burg die Kulisse für zahlreiche Kulturveranstaltungen.
Es gibt die Reihe „Miskolcer Sommer“, das internationale Volksfestival „Kalaka“,
Burgspiele, Theateraufführungen und ein Dixielandfestival. In der schönen
Jahreszeit kommen junge Paare gern auf die Burg, um in deren altem Gemäuer ihre
Hochzeit zu feiern oder vor der eindrucksvollen Kulisse Erinnerungsfotos zu
machen.
Ludwig der Große
Wir hatten
das Glück, in der Diósgyöri Varkert Pension direkt an der Burg zu wohnen. Das
gastfreundliche Haus ist erst zwei Jahre alt und befindet sich im Privatbesitz.
Vom Zimmerbalkon geht der Blick direkt zur Burg und in die Berglandschaft. Im
Restaurant der Pension mit Terrasse wird typisch ungarische Küche serviert.
Ein
Geheimtipp sind auch die Miskolcer Restaurants Talizman und Calypso. Wir haben
beide besucht. Im Calypso fand der Begrüßungsabend statt, an dem Bürgermeister
Sandor Kali die Großmeister Karpow, Leko und alle die Leute empfing, die etwas
mit der Organisation des Schachmatchs zu tun hatten.
Am Ruhetag
lud das Stadtoberhaupt auch noch ins schöne Rathaus ein, wo eine Weinverkostung
für die rechte Stimmung sorgte.
Eingang zum Rathaus
Tokajer der
besten Sorten wurden selbst von Karpow und Leko nicht verschmäht. Die Spieler
nippten jedoch immer nur, und Peter sagte mit Augenzwinkern: „Sonst kann ich für
meine morgigen Züge nicht garantieren“.
Nach dem
Weingenuss im Rathaus ließen einige Unentwegte den Abend in Miskolc-Tapalca
ausklingen. Es zählt zu den führenden Thermalkurorten Ungarns. Das einmalig
schöne Höhlenbad in Tapalca ist erst kürzlich modernisiert und ausgebaut worden.
Die Grottenhöhle ist außergewöhnlich und wird vor allem von jungen Leuten gern
besucht. Man kann draußen und drinnen schwimmen, die Sauna besuchen und die
verschiedensten Massagen nehmen. Im Wellness-Bereich fehlen auch Elektrotherapie
und Solarium nicht. Im Garten gibt es einen Kinderpool und ein Freibad.
Schach wurde
natürlich auch wieder gespielt. Der nächste Wettkampftag brachte zwei Remis mit
umgekehrten Vorzeichen, weil der Weiße seinen Vorteil jeweils nicht verwerten
konnte. Bei Leko war die Überlegenheit beträchtlich, aber er ließ Karpow in der
5. Partie, einem angenommenen Damengambit, mit Schwarz ins Remis durch
Dauerschach entschlüpfen. „Ich hätte nur meine Figuren zurückziehen müssen und
nach dem Turmtausch im Damenendspiel mit einem Mehrbauern gute praktische
Chancen gehabt, zumal Karpows Bedenkzeit sehr knapp war. Aber mit wenigen
Sekunden auf der Uhr schaffte der alte Fuchs das Unentschieden.“
Das sechste
Spiel (Meraner Variante) war eine sehr positionelle Angelegenheit, in der Leko
ganz genau spielen musste, um nicht in Nachteil zu geraten. Doch sein starkes
Turmmanöver nach b4 und der anschließende Damentausch sicherten ihm das Remis.
„Der Partieverlauf war astrein und hätte auch einem Kampf mit klassischer
Bedenkzeit zur Ehre gereicht“, konstatierte Peter hinterher.
Nachher auf
der Straße mussten beide, ehe sie ins Auto stiegen, noch viele Autogramme
schreiben.
Genau wie tags zuvor, als spielfrei war und sie bei einer Talkrunde
unter anderem jeder eine Glanzpartie zeigten. Leko kommentierte am Demobrett
sein Spiel gegen Teimur Radjabow in Morelia/Linares und Karpow seine
„Unvergängliche“ gegen Topalow in Linares 1994. Peter nickte anerkennend: „Eine
der besten Partien aller Zeiten“.
Bei einem
Ausflug nach Lillafüred lernten wir den vielleicht schönsten Erholungsort
Ungarns kennen. Er liegt gut 10 Kilometer von Miskolc’ Zentrum entfernt, gehört
aber noch zum Stadtgebiet. Das malerische Tal wird von drei Gebirgszügen
umrahmt. Bestimmendes Gebäude ist das Hotel Palota. Es wurde ab 1927 erbaut und
1930 als Schloss im Stile der Neorenaissance eröffnet. Das imposante Bauwerk
liegt in einem riesigen Park mit Hängegärten. Von dort hat man einen
wunderschönen Ausblick auf das Tal des Szinva-Bachs und den Hamori-See. Der Bach
fließt auch durch Miskolc. In der Nähe des Schlosshotels plätschert ein
Wasserfall. Wie Peter Leko erzählte, hat er vor einigen Jahren auch schon in dem
imposanten Haus gewohnt und dort ein Trainingslager absolviert. Zum Ort gehört
die Stephanshöhle, deren Tropfsteine sehenswert sind und deren Mikroklima
heilende Wirkung haben soll.
Der Eingang zur Höhle mit klaren Ansagen
Wir danken
unserer Reisführerin Ilona und dem Fahrer Christian sehr, dass sie uns in dieser
erlebnisreichen Woche so viel von Miskolc und seiner schönen Umgebung gezeigt
und darüber hinaus interessante Einblicke ins ungarische Leben von heute
ermöglicht haben. Bürgermeister Sandor Kali, der sich heftig für das Schach
engagiert, hat die Pläne für das nächste Jahr schon genannt. Wie er mitteilte,
geht die Schachtradition in Miskolc weiter. Nächstes Jahr spielen Kramnik und
Leko, es gibt also quasi eine Neuauflage des WM-Kampfes 2004 von Brissago.
Vorstellbar ist für die Enthusiasten in der Region später auch ein
Großmeisterturnier in Miskolc. Die Stadt hat den Ehrgeiz, Schachmetropole von
Ungarn zu werden.
Text:
Dagobert Kohlmeyer
Fotos: Dagobert Kohlmeyer, Frederic Friedel
Das kleine Land Ungarn hat eine Vielzahl von
bemerkenswerten Schachtalenten hervor gebracht. Vielleicht wird man in Zukunft
auch von dieser jungen Dame hier mehr hören:
Die 8-jährige Timea Hercsik mit ihrem Idol Peter Leko
Der große Moment: Timea macht den ersten Zug
Timea mit ihrer jüngeren Schwester
Timea hat seinerzeit Schach von ihrer Mutter
Gabriella gelernt. Auch die kleine Schwester Dalma begeistert sich für das
Spiel. Gab es da nicht schon einmal eine ungarische Schachfamilie mit sehr
talentierten Mädchen
Timea mit ihrer Trainerin Zsuzsa Veröci