Andrew Martin: Spiel im Dameninder 7...Sa6 - in 60 minutes
Rezension von FM Hans Wiechert
Damenindisch ist und bleibt eine beliebte Verteidigung und 4.g3 die häufigste weiße Fortsetzung, um den schwarzen Aufbau zu bekämpfen. Moderne Meister wissen, dass man den Gegner immer wieder vor Probleme stellen muss. Und da die Theorie der Varianten nach 4…La6 umfangreich ist und stetig wächst, geht Schwarz gern neue Wege. IM Andrew Martin empfiehlt die klassische Variante 1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 b6 4.g3 Lb7! – mit einer neuen Idee! Denn in der Hauptvariante dieses Systems setzt Schwarz nach 5.Lg2 Le7 6.0-0 0-0 7.Sc3 mit dem abwartenden 7…Sa6!? auf Flexibilität. Sergei Tiviakov hat mit dieser Strategie zahlreiche Erfolge erzielt und immer mehr starke Spieler schätzen die Vorzüge dieses Systems. Schwarz wartet ab, flexibel, umsichtig und konstruktiv, um auf alle weißen Pläne angemessen reagieren zu können. Lassen Sie sich von IM Andrew Martin die Geheimnisse des Tiviakov-Systems zeigen. Auf dieser beliebten „60-Minuten“ Reihe verrät Ihnen der erfahrene Trainer und beliebte Autor, wie Schwarz auf 8.b3, 8.Te1, 8.Lf4, 8.Lg5, 8.a3, 8.Da4 oder 8.d5 antwortet. In nur einer Stunde lernen Sie ein modernes, solides und strategisch fundiertes Konzept im Dameninder kennen, mit dem Sie Ihre Gegner vor unerwartete Probleme stellen können.
Ein flexibles System des Nachziehenden gegen die
weiße Hauptvariante im klassischen Dameninder
Andrew Martin, seines Zeichens Internationaler Meister, Schachkolumnist, Schachbuchautor und Verfasser zahlreicher Lehrvideos, zuletzt bei der Britschen Meisterschaft als Kommentator der täglichen „Game of the Day“-Videoserie aktiv, analysiert in dem vorliegenden Trainingsvideo eine interessante schwarze Spielweise im klassischen Dameninder. Nach den Zügen 1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 b6 4.g3 Lb7 5.Lg2 Le7 6. 0-0 0-0 7.Sc3 spielt Schwarz nun 7...Sa6!? und vermeidet damit u.a. die nach 7...Se4 8.Sxe4 Lxe4 9.Se1 Lxg2 10.Sxg2 entstehende Stellung, die extrem remislich ist und dem Nachziehenden kaum Möglichkeiten eines Spiels auf Sieg überlässt.
Abb. 1: Die Ausgangsstellung nach 1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 b6 4.g3 Lb7 5.Lg2 Le7 6.0-0 0-0 7.Sc3 Sa6!?
Insbesondere der holländische Großmeister Sergej Tiwjakow hat sich als Befürworter der schwarzen Spielweise hervorgetan, sodass es kaum verwunderlich ist, dass dessen Partien in dem Video vermehrt auftauchen.
Der Zug 7...Sa6 verfolgt die Idee, zunächst ein „waiting game“ zu spielen und sich bezüglich seines Spielplans noch nicht festzulegen. Der Zug ist indes in fast allen Abspielen nützlich, meistens wird der Springer nach c5 überführt und übt hiernach Druck auf das Zentrum aus. Das Video ist in elf Clips aufgeteilt, die wie folgt gegliedert sind:
Clip 1: Introduction
Clip 2: Game one 8.d5 – Pham Chuong – Cao Sang
Clip 3: Game two 8.d5 – Grooten,H – Tiviakov,S
Clip 4: Game htree 8.Bf4 – Potkin,V – Tiviakov,S
Clip 5: Game four 8.Bf4 – Sakaev,K – Iljin,A
Clip 6: Game five 8.Bg5 – Shneider,A – Tiviakov,S
Clip 7: Game six 8.Qa4 – Tatai,S – Tiviakov,S
Clip 8: Game seven 8.b3 – Michenka,J – Sodoma,J
Clip 9: Game eight 8.b3 – Hera,I – Ovsejevitsch,S
Clip 10: Game nine 8.b3 – Horvath,C – Tiviakov,S
Clip 11: Game ten 8.Re1, 8.a3 and conclusion – Kreisl,R – Ipatov,A
Wie man obiger Auflistung unschwer entnehmen kann, werden die einzelnen Abspiele vom Autor anhand vollständiger Partien analysiert, ein didaktisch guter Ansatz, wie ich meine, denn so erhält man einen guten Einblick in typische Mittelspielpläne und -strukturen, nicht nur einzelne, losgelöste Eröffnungszüge.
Nun einige Worte zu den verschiedenen weißen Fortsetzungen: Der im zweiten und dritten Clip behandelte weiße Zug 8.d5 vermag nach der kräftigen Erwiderung 8...Lb4! nicht zu überzeugen, im Gegenteil, Schwarz erhält das Traumfeld c5 für seinen a6-Springer, außerdem droht die Zersplitterung der weißen Bauernstruktur nach dem Schlagen auf c3. Die gut ausgewählte Musterpartie Pham Chuong – Cao Sang zeigt eindrucksvoll, was dem Weißen in dieser Variante blühen kann. Nachstehend ein Auszug aus der Partie mit einer kleinen Testfrage an den Leser:
Abb. 2: Stellung nach 14.Sb3. Der schwarze Springer wird befragt. Wie erhält Schwarz hier positionellen Vorteil?
In den nächsten beiden Clips wird der Zug 8.Lf4 beleuchtet, hier zeigt der Autor auf, dass der Nachziehende nach 8...Se4! ausgleichen sollte. Insbesondere die Gewinnpartie Tiwjakows gegen Exeuropameister Wladimir Potkin belegt eindrucksvoll, welche Ressourcen in der schwarzen Stellung stecken
Clip sechs befasst sich mit der Variante 8.Lg5!? Martin erklärt, dass dieser Zug nicht recht in das weiße Set-up passe, da es sich „nicht wirklich um ein Damengambit und auch nicht um Katalanisch“ handle. Ich stimme dem Autor diesbezüglich zu, dennoch erscheint mir dieser Zug die kritische Fortsetzung zu sein, die die gesamte Variante auf den Prüfstand stellt. Martin analysiert die Stammpartie Schneider-Tiwjakow aus dem Jahre 1992 ausführlich und erwähnt auch die kritische Variante 15.Sf5 Te8 16.f3! (s. Abb. 3), geht hier aber nicht weiter ins Detail. Gemäß Rustem Dautow (Megabase 2015) entwickelt der Weiße hier eine starke Initiative. Houdini zeigt „+0.7“ an, Schwarz hat eine sehr ungünstige Benoni-Struktur erreicht und ist vom Ausgleich ein gutes Stück entfernt.
Abb. 3: Stellung nach 16. f3: Weiß hat starke Initiative gemäß Dautow (s. Megabase)
Der nächste Cip thematisiert die ältere Fortsetzung 8.Da4, die die etwas exponierte Stellung des Randspringers auf a6 direkt ausnützen möchte, aber nach 8...Dc8! verpufft die weiße Aggression wirkungslos und Schwarz kann komfortabel ausgleichen, wie der Autor anhand der Modellpartie Tatai-Tiwjakow nachweist.
Im Folgenden wird in drei Clips ausführlich auf die Variante 8.b3 eingegangen, hier läuft der Autor zu Hochform auf und erklärt auf sehr instruktive Weise die schwarzen Ideen. Sehr gut gelungen! Insbesondere die Erläuterungen rund um die Struktur der so genannten „hängenden Bauern“ und deren Vorzüge in den konkret in dieser Variante vorkommenden Stellungen sind absolut sehens- und hörenswert.
Abschließend befasst sich der Autor noch mit einigen Nebenvarianten wie 8.Te1 oder 8.a3 (die beide als recht harmlos für Schwarz anzusehen sind) und fasst die Erkenntnisse des Trainingsvideos kurz zusammen.
FAZIT:
Mir gefallen die Ausführungen des Autors rund um die interessante 7...Sa6-Variante im klassischen Dameninder im Großen und Ganzen gut, die schwarzen Ressourcen und Kontermöglichkeiten gegen die typischen weißen Pläne werden aus meiner Sicht treffend dargestellt. Man bekommt auch als „Rookie“ einen recht guten Überblick über das gesamte Abspiel und sollte nach dem Durchsehen des Videos, gepaart mit eigenen Analysen sowie Engineabgleich (heutzutage Standard), in der Lage sein, dieses System erfolgreich in der Turnierpraxis anzuwenden. Was mir daran besonders gefällt, ist die Tatsache, dass man ein System an die Hand bekommt, das einerseits solide und theoretisch fundiert, andererseits aber auch dynamisch genug ist, um in kritischen Turniersituationen (man denke nur an das allseits bekannte „Letzte-Runde-Szenario“) oder gegen elotechnisch signifikant schwächere Gegner mit Schwarz auf Gewinn spielen zu können.
Für das Verständnis des Videos genügen Schulenglischkenntnisse, der Autor spricht ein sauberes britisches Englisch, auch wenn er bisweilen recht schnell voranschreitet, was eventuell der etwas kompakteren Struktur der 60-Minuten-Videos von Chessbase geschuldet sein könnte.
Als Kritikpunkt sei aufgeführt, dass man im Unklaren gelassen wird, welche Fortsetzung aus weißer Sicht denn nun die kritische sei und wo es sich lohne, weitere eigene Analysearbeit reinzustecken. Wie bereits oben erwähnt, erscheint mir 8.Lg5!? dieses Kriterium zu erfüllen, wonach der Schwarze vielleicht doch lieber zu der vom Autor zwar kurz erwähnten, aber nicht weiter analysierten sehr soliden Fortsetzung 8...Se4!? greifen sollte, um den m.E. tendenziell eher für Weiß günstigen benoni-artigen Abspielen nach 8... c5 9.d5 exd5 9.cxd5 d6 10.Sh4! aus dem Weg zu gehen.
Ich bewerte das Trainingsvideo mit der Schulnote „gut“.
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Andrew Martin: A waiting Game in the Queen's Indian 7...Na6
• Videospielzeit: 60 Minuten (Englisch)
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