Mit Beth Harmon und Walter Tevis in Lexington

von André Schulz
12.01.2021 – Das Leben von Walter Tevis und seiner Figur Beth Harmon weist viele Parallelen auf. Beide wurden als Kinder tabelettensüchtig und später Alkoholiker. Beide "lebten" in Lexington, Kentucky. Und beide fanden Erlösung im Schach. Eine Spurensuche in Lexington.

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Die Hauptfigur in Walter Tevis Roman "Queen's Gambit" Beth Harmon wächst in Lexington auf, mit jetzt knapp 300.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt von Kentucky, nach Louisville (600.000), Der US-Bundesstaat Kentucky, der früher einmal noch zu Virginia gehörte, liegt im Südosten der USA. Von Washington ist Lexington etwa 860 km entfernt. 

An den Ortsnamen um Lexington lässt sich die Herkunft der europäischen Einwanderer erkennen. Von Washington kommend fährt man durch Winchester. Im Nordosten von Lexington findet man Paris und im Westen des Ortes schließt sich gleich Versailles an. Wenn man von hier nach Norden fährt, kommt man nach Frankfort. Das ist mit nicht einmal 30.000 Einwohnern die Hauptstadt von Kentucky.

Kentucky trägt den Beinamen "Bluegrass State", denn im Frühling prägen die blaugrün blühenden Grasflächen hier das weite Landschaftsbild. In den Bergen zwischen Kentucky und Tennessee liegt die Wiege der US-amerikanischen Folk-und Country Musik und "Bluegrass" ist eine Richtung darin.

Fährt man von Versailles nach Süden in Richtung des "Bluegrass Golf Clubs" und verfährt sich, dann bringt es einen unter Umständen nach "Keene". Da riecht es doch vom Namen her schon etwas nach Schach.

Die Hauptstraße von Keene

Tatsächlich ist es von Lexington zum heutigen US-Schachzentrum nicht mehr weit. Auf der I-64 erreicht man das im Westen liegende Saint Louis und das Saint Louis Chess Center in etwa sechs Autostunden, ein Klacks für amerikanische Verhältnisse.

Die I-64: Immer geradeaus

Der Autor von "Queen's Gambit" Walter Tevis (1928-1984) wurde eigentlich in San Francisco geboren. Sein Vater stammte aber aus Kentucky und dieser zog mit seiner Familie dorthin zurück als Walter Tevis zehn Jahre alt war. 

Tevis besuchte in Lexington die Model High School und studierte an der University of Kentucky. Während seiner Studienzeit jobbte er in einem Billiard-Salon und veröffentlichte später mit seinen Beobachtungen der Billard-Spieler die Erzählungen "The Hustler" (1959, dt: Haie der Großstadt) und "The Color of Money" (1984, dt: Die Farbe des Geldes). Beide Geschichten dienten als Vorlage für zwei sehr erfolgreiche Filme. Auch Tevis' Roman "The Man, who Fell to Earth" (1963, dt. Der Mann, der vom Himmel fiel) wurde verfilmt, mit David Bowie in der Hauptrolle.

Nach Abschuss seines Studiums unterrichtete Walter Tevis erst in Science Hill, dann an der University of Kentucky in Lexington Englisch.

Seinen Roman "Queen's Gambit" veröffentlichte Walter Tevis erst 1983. Die Geschichte von Beth Harmon ist eigentlich in Teilen seine Geschichte. Beth Harmon wächst in einem Waisenhaus auf und lernt dort mit acht Jahren das Schachspiel vom Hausmeister. Walter Tevis litt in seiner Kindheit an Chorea rheumatica und verbrachte ein Jahr in einem Sanatorium, als er neun Jahre alt war. Schach hatte er als Siebenjähriger gelernt. Die Kinder in Beth Harmons Waisenhaus werden mit Pillen ruhig gestellt, Beth Harmon wird tablettenabhängig. Auch Walter Tevis wurde als Kind wegen seiner Krankheit lange mit Tabletten behandelt. Auf die Tablettensucht folgte bei Beth Harmon und auch bei Walter Tevis eine Alkoholsucht.

Nachdem seine Eltern ihn nach ihrem Umzug nach Lexington nachgeholt hatten, war Walter Tevis dort ein Außenseiter und fand keinen Anschluss unter den gleichaltrigen Jungen. "Ich fühlte mich dort, als sei ich als Außerirdischer vom Himmel gefallen, erzählte Tevis einmal in einem Interview. Er begann Pool Billiard zu spielen. In den Pool Salons beobachtete er, wie die Spieler dort um große Geldsummen spielte. Mit einem Freund spielte er selber bis tief in die Nacht Pool, aber auch Schach. In "Queen's Gambit" ist auch Beth Harmon eine Außenseiterin. Ihr Fluchtpunkt ist das Schachspiel.

Tevis schrieb zunächst kleinere Erzählungen, die er an Magazine verlaufen konnte. Dann kamen die Erfolge "Haie der Großstadt" und "Der Mann, der vom Himmel fiel." Eine Zeitlang war Tevis sogar von den Filmemachern in Hollywood umworben. Er lebte einige Zeit mit seiner Familie in Mexiko und erhielt schließlich eine Anstellung als Dozent an der Universität in Athens. Inzwischen war er zum Alkoholiker geworden, trank in der Nacht und dozierte am folgenden Morgen vor seinen Studenten. In dieser Zeit verlor er die Fähigkeit zum Schreiben. Viele Jahre lang erschien nichts mehr von Walter Tevis. Er bestritt sein Leben an der Grenze, zweimal versuchte er sich das Leben zu nehmen.

In den 1970er Jahren begann er dann, sich intensiver mit dem Schachspiel zu beschäftigen. Tevis studierte Walter Korns "Modern Chess Openings", das gleiche Buch, aus dem auch Beth Harmon im Film ihr Eröffnungswissen bezieht. Walter Tevis nahm an Turnieren teil und wurde auch als Schachkorrespondent aktiv. Als Berichterstatter reiste er nach Las Vegas und spielte das National Open mit, verlor dort aber jede Partie - eine gegen ein Mädchen, das ihn in elf Zügen Matt setzte. 

Aus seinen Erlebnissen und Beobachtungen der Schachgemeinde in Las Vegas zog Walter Tevis die Inspiration für seinen späteren Roman "Queen's Gambit". Zugleich war er von der Person des Bobby Fischer beeindruckt. Fischer hatte 1970 einen weiteren Anlauf auf den Weltmeistertitel unternommen und diesen im Sturm erobert. "Ich habe wirklich viele manische Spieler gesehen. Aber mit Fischer würde ich keine Partie Krocket spielen", urteilte Walter Tevis über den US-amerikanischen Schachweltmeister. "Schach ist ein Spiel für Einzelgänger", wusste Walter Tevis. Sie flüchten ins Schach vor ihren persönlichen Problemen." So wie Beth Harmon. Wie Walter Tevis oder auch Bobby Fischer.

In seinen letzten Jahren zog Walter Tevis nach New York, um sich von der lebhaften Metropole anregen zu lassen und wieder die Kraft zum Schreiben zu finden. Hier erschien erst "Queen's Gambit", dann "Color of Money." Kurz nach dem Erscheinen von "Color of Money" starb Walter Tevis mit 56 Jahren an Lungenkrebs.

Walter Tevis ist außerhalb der USA als Autor einigermaßen unbekannt geblieben. Aber die Verfilmungen seiner Bücher sind große Erfolge. Nach "Haie der Großstadt", "Die Farbe des Geldes" und "Der Mann, der vom Himmel fiel ist es nun die Netflix-Serie "Damengambit". Es ist die erfolgreichste Netflix-Serie aller Zeiten mit über 100 Mio. Zuschauern. Die Serie macht die junge Schauspielerin Anya Taylor-Joy endgültig zum Shooting Star und bringt auch neuen Glanz auf das Werk des Schriftstellers Walter Tevis. Und auch die Provinzstadt Lexington in Kentucky gerät ins Scheinwerferlicht. Elisabeth Harmon ist jetzt vermutlich die bekannteste, wenn auch virtuelle, Bürgerin der Stadt. Das Queen's Gambit-Fieber hat alle gepackt.

Die Seite "Visitlex" hat alte Fotos aufgetrieben, wo man die Orte und Geschäfte sieht, die in Walter Tevis Zeit dort gestanden haben und die er in seinem Roman beschreibt.

Lexington Main Street, rechts das Kaufhaus von Ben Snyder, wo Beth Harmon eingekleidet wurde, links das Phoenix Hotel, wo Walter Tevis Billiard spielte. | Foto: Kentucky Bildarchiv

 

So sieht das heute aus | Google Street View

Und das 21c Hotel in Downtown Lexington bietet nun für die Fans der Serie einen "Harmon Room" an. Die Einrichtung ist mit Originalmöbeln im Stil der 1960er Jahre gehalten und als i-Tüpfelchen hat man an die Decke des Zimmers große Schachfiguren geklebt. Es sind die Figuren, die Beth Harmon bei ihren Studien und in ihren Partien in ihrer Fantasie sieht und die ihr Kraft und Inspiration verleihen. 

Der Harmon Room | Foto: Kentucky Radio

Hier kann man das Zimmer buchen...

 

The Queen's Gambit Guide to Lexington...

Kentucky Sports Radio: Harmon Room...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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