Die Tatschache, dass Wolfgang von Kempelen im
Jahr 1770 am Hofe Marie Theresias seinen Schach spielenden Automaten vorstellen
konnte, verdankt er in gehörigem Maße dem Umstand, dass auch die zweite
türkische Belagerung Wiens im Jahr 1683 gescheitert war. So blieb Österreich und
auch das übrige Europa weiter der christlichen Kultur verbunden, Kempelen konnte
seine Maschine bauen und wählte dafür sicher nicht zufällig die äußere
Erscheinung eines Türken. Wollte er seiner Maschine dadurch etwas Mystisches
verleihen oder wurde bei den Türken tatsächlich viel Schach gespielt?
In der Mitte des 18.Jh. hatten einige Ingenieure große Fertigkeit im Bau von
mechanischen Automaten erlangt und mit einigen der Maschinen versuchte man das
Leben nach zu ahmen. Berühmt war z.B. die künstliche Ente von Jaques de
Vaucanson, die dieser 1738 in Paris vorgestellt hatte. Sie bestand aus
vergoldetem Kupfer und konnte wie eine richtige Ente trinken, fressen, quaken,
im Wasser plantschen und Futter verdauen. Der Zeitgeist findet seinen
literarischen-kritischen Niederschlag in der Erzählung "Der Sandmann" von E.T.A.
Hoffmann (1815) . Der Student Nathanel verliebt sich dort in das Mädchen Olimpia,
doch diese ist ein dem Menschen täuschend echt nachgebildeter Automat. Erst als
sich die beiden Erbauer streiten wird Nathanel das Geheimnis enthüllt. "Erstarrt
stand Nathanel - nur zu deutlich hatte er gesehen, Olimpias toderbleichtes
Wachsgesicht hatte keine Augen, statt ihrer schwarze Höhlen; sie war eine
leblose Puppe".
Angeregt zum Bau seines Türken wurde von Kempelen
durch einen französischen Zauberers namens Pelletier, der am Hof in Wien
gastiert hatte. Diesen wollte er übertreffen und kam wohl gleichzeitig auf die
Idee, dass man das ahnungslosen Publikum auch mit viel Illusion verblüffen
könne.
Von Kempelens Automat bestand aus einem Tisch mit
einem Schachbrett, hinter dem eine lebensgroße mechanische Puppe, der Türke, saß
und anscheinend die Züge ausführte.
Heute weiß man, dass in der Konstruktion ein
Mensch verborgen war, doch das damalige Publikum musste glauben, dass die
Maschine tatsächlich Schach spielen konnte, und das auch noch sehr gut. Die
Maschine war eine der Attraktionen am Wiener Hof und sein Ruhm verbreitete sich
durch die Zeitungen über ganz Europa.
Bis ins Detail akribisch ausgeführte 3-D-Animation
Mit der Zeit wurde dem Erbauer seine Erfindung
lästig und als er ließ ihn allmählich verschwinden. Als Maria Thersia 1880
starb, war der Türke so gut wie vergessen. Doch der Thronfolger Joseph II,
benötigte für seinen Hof Attraktionen und erinnerte sich an den Schachautomaten.
Von Kempelen musste den Türken wieder aufbauen und wurde sogar von seinem König
auf Europatournee geschickt. Die erste Station war Paris, wo der Türke gegen
Phildor und den späteren amerikanischen Benjamin Franklin spielte. Es folgten
weitere Stationen in London und Deutschland bis Kempelen endlich wieder in
Wien war und den Tüprken nun endgültig wegpacken konnte. Stattdessen widmete er
sich seinem Lieblingsprojekt, einer Sprechmaschine. 1804 starb von Kempelen,
doch sein Türke sollte weiter leben.
Der neue Besitzer des Türken hieß Johann Nepomuk Mälzel. Mälzel, u.a. mit
Beethoven gut befreundet, war eigentlich Klavierlehrer, hatte aber dann Mechanik
studiert und Musikautomaten gebaut, die er auf Jahrmärkten ausstellte. Als der
siegreiche Napoleon in Wien weilte, erbat der "Hofmechanicus" Mälzel eine
Audienz und versuchte dem Feldherrn Prothesen für dessen versehrte Soldaten zu
verkaufen. Nebenbei erzählte er auch vom Schachtürken, was der Schachfreund
Napoleon sehr interessant fand. So kam es zur berühmten Partie zwischen Napoleon
und dem Türken. In diesem saß nun vermutlich der Wiener Meister Allgaier
versteckt.
Mälzel verkaufte den Automaten an Napoleons Schwiegersohn Eugenie. Später leaste
er ihn zurück und ging damit in Europa auf Tournee. Die Faszination, die von der
"denkenden Maschine" ausging, war ungebrochen. Jahrelang reiste Mälzel in Europa
umher, ließ seine Musikautomaten auftreten und den Türken - in diesem saß
inzwischen sein Sekretär Schlumberger - Schach spielen. Mälzel pflegte
allerdings einen
aufwändigen Lebensstil und schließlich rückten ihm seine Gläubiger so dicht auf
den Leib, dass er zusammen mit Schlumberger und dem Türken die Flucht in die USA
antrat.
In verschiedenen amerikanischen Städten
wiederholte Mälzel die Auftritte des Türken und verblüffte auch das
amerikanische Publikum. Natürlich wusste man inzwischen, dass der Türke ein
Trick war, nur wusste man nicht wie er funktionierte. In den USA zog der Türke
auch die Aufmerksamkeit eines jungen Autors namens Edgar Allen Poe auf sich, der
seine Beobachtungen in der Geschichte "Mälzels Schachspieler" veröffentlichte.
Bei einer Reise nach Kuba verstarb 1838 Schlumberger an Gelbfieber und damit war
auch das Schicksal des Türken besiegelt. In Kuba hatte sich Mälzel zudem
finanziell ruiniert, auf der Rückreise erschoss er sich.
Der Türke wechselte den Besitzer, aber das Interesse war erloschen. Schließlich
landete er in einem Museum und wurde dort bei einem Brand am Am 25.Juli 1854 zerstört.
Bis heute hat sich der Ruhm des Schachtürken, in gewisser Hinsicht der Vorläufer
der Schachcomputer, erhalten und es gab einige Versuch ihn nachzubauen. Die
Mechanik wurde mit der so genannten "Blackbox" nachgebaut. Ein Team am
Heinz-Nixdorf-Forum in Paderborn realisierte im letzten Jahr sogar einen
kompletten Nachbau.
In Fritz 9 gibt es nun erstmals virtuelle Gegner, die
als animierte 3D-Figuren grafisch auf dem Bildschirm die Züge ausführen. Es
versteht sich fast von selbst, dass als Verbeugung vor der Leistung eines
Wolfgang von Kempelen eine der beiden Figuren dem Äußeren des
Schachtürken entspricht. Mit diesem wird die Wiener Schachkultur und ein Stück
Schach- und europäische Kulturgeschichte vermittelt und vor allem ganz viel
Schachatmosphäre geschaffen. Denn das Magische am Schach ist seine Einbettung in
die menschliche Kultur. Mit Fritz 9 wird es jetzt auch auf ihrem PC sichtbar.
Die Animation kann vom Anwender beliebig gedreht und gezoomt oder
in der Perspektive geändert werden.
Mehr über den Schachtürken:
Der erste Schachcomputer war keiner...