Monte Carlo statt Alpha-Beta?

von Stephan Oliver Platz
16.01.2019 – Bisher arbeiteten Schachprogramme zumeist nach der so genannten Alpha-Beta-Methode. Das spektakuläre Google Projekt Alpha Zero basiert indes auf dem "Monte Carlo"-Ansatz. Auch die Komodo-Entwickler setzen jetzt mehr und mehr auf diese Methode - mit Erfolg. Stephan Oliver Platz erklärt den Unterschied und zeigt die Fortschritte.

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Komodo MCTS glänzt mit Alpha-Zero-Techniken

Vor etwas mehr als einem Jahr machte das Schachprogramm Alpha Zero Schlagzeilen, indem es auf sensationelle Weise Stockfish 8 besiegte. In den veröffentlichten Partien beeindruckte die an Anderssen und Morphy erinnernde Spielweise mit Opfern von Bauern und Figuren "auf Position". Viele Schachfreunde würden sich gerne Alpha Zero zulegen, wenn es denn erhältlich wäre und auf herkömmlichen Rechnern betrieben werden könnte. All das ist bekanntlich nicht der Fall. Doch glücklicherweise gibt es mit Komodo MCTS ein für einen erschwinglichen Preis erhältliches Schachprogramm, das ähnliche Techniken wie Alpha Zero einsetzt und auf herkömmlichen Rechnern installiert werden kann. Diese Version macht seit ihrem ersten Erscheinen große Fortschritte, wie nicht zuletzt zwei bemerkenswerte, im Dezember 2018 gespielte Partien zeigen.

Eine taktische Meisterleistung

In der Auftaktrunde der Division 2 des laufenden TCEC 14-Turniers, das von vielen als die eigentliche, wenn auch inoffizielle Schachcomputerweltmeisterschaft angesehen wird, besiegte Komodo MCTS auf spektakuläre Weise Nirvana 2.4. Erst opfert Komodo mit Weiß einen Bauern, dann die Qualität und schließlich auch noch einen Läufer, doch schon nach der Annahme des Bauernopfers steht Schwarz auf verlorenem Posten:

 
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1.e4 c5 Die sizilianische Verteidigung verspricht einen spannenden Kampf. Die vielen scharfen und weit ausanalysierten Varianten erfordern allerdings ein hohes Maß an präziser Vorbereitung. Das gilt aber natürlich mehr für menschliche Schachspieler. Die elektronischen Monster sollten doch mit so etwas klarkommen, oder? 2.Nf3 e6 3.d4 cxd4 4.Nxd4 Nc6 5.Nc3 a6 6.Be2 Qc7 7.f4 Nf6!? 7...b5! 8.Nxc6 8.e5!? 8...dxc6 9.0-0 b5 10.Be3 Be7 11.e5 Nd5 12.Nxd5 cxd5 13.c3 Bd7 14.Qd2 a5 15.Bd4 0-0 Kann das gutgehen, in den gegnerischen Angriff hineinzurochieren? 16.a3 Bc5 Strategisch gesehen ist dieser Zug problematisch, denn Weiß bietet den eigenen "guten" Läufer zum Abtausch an. Aber andererseits droht ein weißerKönigsangriff , und da könnte es ratsam sein, das weiße Angriffspotential durch Abtausch zu dezimieren. Der Vorstoß b5-b4 böte sich an, um ein Gegenspiel aufzuziehen und dem "schlechten" Läufer d7 mehr Spielraum zu verschaffen. Aber das ist nicht so einfach, wie die folgende Variante zeigt: 16...Rfb8 17.Bd3 g6 18.g4 Bf8 19.f5 b4 20.axb4 nach 20.fxg6 fxg6 21.Qg5 hält Qd8!= das Gleichgewicht 20...axb4 21.Rxa8 Rxa8 22.Qf4! besser als 22.cxb4 Qb8 23.Bc3 Qb6+ 24.Qf2 24.Rf2? exf5 25.gxf5? Ra1+ 26.Kg2 d4!-+ 24...Qxf2+ 25.Rxf2 Rb8 denn Weiß kann den gewonnenen Bauern nicht verteidigen, ohne ein baldiges Remis durch Zugwiederholung zuzulassen: 26.Rf4 Bh6 27.Rf3 27.Rd4? Be3+ 27...Bf8 28.Rf4 Bh6 usw. 22...Ba4 23.h4 bxc3 24.bxc3 Qe7 25.h5 g5 26.Qf3 h6 und Weiß steht besser. Er kann zu einem günstigen Zeitpunkt die f-Linie öffnen, auf der bereits seine beiden Schwerfiguren verdoppelt sind und vorher noch seine Streitkräfte zweckmäßig umgruppieren, ohne dass Schwarz selbst viel unternehmen kann. 17.Rfc1 Nach 17.Bxc5 Qxc5+ 18.Qd4 hätte Weiß im Endspiel wegen seines "guten" Läufers einen kleinen Vorteil. 17...Rfc8 18.g4 Qd8 Konsequent wäre hier 18...Bxd4+ , um sich durch Abtausch zu entlasten 19.cxd4 oder 19.Qxd4 Qc5 mit Damentausch 19...Qb6 20.Kf2 will Weiß den Turmtausch vermeiden, muss er Schwarz die c-Linie überlassen 20.Rf1 b4! 21.f5 bxa3 22.Rxa3 Qb4! 20...Rxc1 21.Rxc1 b4! 19.Kg2 Rab8 19...Qh4!? 20.Qe3! Qe7 20.Kg3 Bf8 20...b4!? 21.cxb4 Bxd4 22.Rxc8 Qxc8 23.Qxd4 axb4 24.a4! 21.b4! Damit unterbindet Komodo jedes mögliche schwarze Gegenspiel durch b5-b4, und außerdem bleibt der Ld7 durch den eigenen Bauern auf b5 blockiert. Be7 22.Bd3 g6? Einen solchen Zug sollte man eigentlich nur machen, wenn der Gegner einen dazu zwingt. Jetzt fällt es Weiß leichter, auf dem Königsflügel Linien zu öffnen. 22...Rc6 kam in Betracht, um vorsorglich die sechste Reihe zu kontrollieren, was nach einem späteren f4-f5 wichtig werden könnte. 23.h4! Bxh4+? Das sieht schon sehr nach Selbstmord aus. Ein menschlicher Spieler hätte vielleicht 23...h6 versucht, um 24.h5 mit g5 zu beantworten 25.Rf1± 24.Kf3+- Die offene h-Linie ist viel mehr wert als der verlorene Bauer. Außerdem steht der schwarze Läufer h4 gefährdet und droht mit g4-g5 abgeschnitten zu werden. Be7 24...Qf8? 25.g5! und Schwarz hätte keine Verteidigung mehr gegen den durch Tc1-h1 oder Dd2-h2 oder Kf3-g4 drohenden Figurenverlust. 25.Rh1 Schon droht Dd2-h2! mit Angriff auf h7 oder evtl. Th1-h3, Ta1-h1 und Dd2-h2, wonach alle drei weißen Schwerfiguren auf der offenen h-Linie angreifen. Bf8 25...Qf8 wäre noch eine Idee, aber danach gewinnt Weiß mit 26.f5! 26.Rh3 genügt auch, z. B. f5 27.gxf5 exf5 27...gxf5? 28.Qh2+- 28.e6! Bxe6 29.Qe2 Bd7 30.Qe5+- 26...f6 26...exf5 27.gxf5+- 27.Rxh7! Kxh7 28.Rh1+ Kg8! 29.Qh2 Kf7 29...Qg7? 30.g5!+- 30.fxe6+ Ke8! 30...Bxe6? 31.Bxg6+! Kxg6 32.Qh7+ Kg5 33.Qh5# 30...Kxe6? 31.Bf5+! gxf5 32.gxf5+ Kxf5 33.Qh3+ führt ebenfalls zum Matt 31.Bxg6+ Kd8 32.exd7 Kxd7 32...fxe5+ 33.Bf5+- 33.exf6 Bxf6 34.Bf5+ Kc6! 34...Kd8? 35.Bc5! Be7 36.Qe5+- 34...Ke8? 35.Re1+ Be7 36.Qd6 Qf7 37.Bf6+- 34...Ke7? 35.Qe2+ Kd8 36.Qe6+- 35.Qh6+- 26.Rh3 Das ist jetzt besser als 26.Qh2 h6 26...h6 27.Rah1 Bg7 27...axb4 28.axb4 Bg7 29.Rxh6!+- 27...Kh7? , um den Bauern h6 noch einmal zu decken, scheitert an 28.Qh2 f5 29.Rxh6+! Kg8 29...Bxh6? 30.Qxh6+ Kg8 31.Qh8+ Kf7 32.Rh7# 30.Rh8+ Kf7 31.Qh7+ Ke8 31...Bg7 32.Qxg7+! Kxg7 33.R1h7# 32.Rxf8+! Kxf8 33.Qh8+ Ke7 34.Rh7# 28.Rxh6! Ein schönes Qualitätsopfer im Stile Paul Morphys. Rxc3 Verzweiflung macht sich breit. 28...Bxh6 hilft aber auch nicht mehr: 29.Rxh6 jetzt droht Dd2-h2 mit baldigem Matt Kg7 auch nach 29...Qf8 entscheidet 30.f5 30.f5! Qg8 30...exf5 31.e6+ 31.fxg6 Kf8 32.Qg5 Rb7 33.Qf6+- 29.Qh2! Wieder ein schöner Zug, der auch noch den Läufer d3 opfert. Das ist noch stärker, als den Turm c3 zu schlagen. Rxd3+ 30.Ke2 f5 30...Rxd4? 31.Rh8+ Bxh8 32.Qxh8# 30...Bxh6? 31.Qxh6 und wieder lässt sich das Matt nicht verhindern nach 30...f6 gewinnt 31.Rxg6! oder auch 31.Rh8+ Kf7! 31...Bxh8? 32.Qxh8+ Kf7 33.Rh7# 32.Rxd8 Rxd8 33.Kxd3+- 31...Qf8 32.Rxf6!+- 31.Rxg6! Qf8 31...Rxd4? 32.Qh8+! Kf7 33.Rxg7# 31...Kf8? 32.Rxg7! Kxg7 33.Qh7+ Kf8 34.Bc5+ 32.Rf6! Re3+ Vor der Aufgabe noch ein kleines "Racheschach". Auch alle anderen Züge verlieren, wie die folgenden Varianten zeigen: 32...Bxf6? geht nicht wegen 33.Qh7# Zu einer hübschen Mattwendung führt 32...Qf7 33.Qh7+ Kf8 34.Bc5+ Ke8 35.Qh8+! Bf8 35...Bxh8 36.Rxh8+ Qf8 37.Rhxf8# 36.Qxf8+! Qxf8 37.Rxf8# 32...Qxf6 nützt auch nichts mehr, denn nach 33.Qh7+ Kf7 34.exf6 Ke8 34...Rg8 35.Qh5+ Kf8 36.Bc5# 35.Qxg7 Kd8 36.Rc1! wird dem schwarzen König der Rückzug abgeschnitten, so dass Matt in wenigen Zügen unvermeidlich ist 32...Bh6 Ist das ein Ausweg? 33.Rxf8+ Rxf8 oder 33...Kxf8 34.Qxh6+ Ke8 35.Qh8+ Kf7 36.Rh7+ Kg6 37.Qg7# 34.Qxh6 Kf7 35.Bc5! nun ist guter Rat teuer, denn außer sinnlosen Turmopfern bleibt nur noch Rg8 35...Re8 verteidigt e7, ermöglicht aber 36.Qh7# 36.Qf6+ Ke8 37.Qe7# 33.Kxe3 Qxf6 und Schwarz gab gleichzeitig auf. Die Partie zeigt, dass Komodo MCTS in der Lage ist, im Stile der Romantiker wie Morphy oder Anderssen zu spielen. Erst opferte er einen Bauern, dann die Qualität und schließlich auch noch einen Läufer, und das alles auf guter, positioneller Grundlage. 1–0
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Komodo MCTS 2217.003479Nirvana 2.431601–02018B49TCEC Season 14 - Division 21.1

In dieser Partie beeindruckt besonders die unvoreingenommene Herangehensweise, die wohl auch mit der von Komodo MCTS angewandten Monte Carlo-Suchmethode zusammenhängt.

Monte Carlo tree search (MCTS) - was ist das?

Im Gegensatz zur herkömmlichen Alpha-Beta-Suche wird in diesem Verfahren keinerlei Schachwissen vorausgesetzt, abgesehen von den Spielregeln und den möglichen Ausgängen einer Schachpartie: Sieg, Niederlage oder Remis. Grob gesprochen läuft die Sache so ab: In einer gegebenen Stellung werden die möglichen Züge ausprobiert, indem das Programm gegen sich selbst spielt, bis ein Ergebnis erzielt ist: 1, 0 oder 1/2. Wie der Zug aussieht, der das beste Ergebnis erzielt, spielt keine Rolle. Ob der Zug einen Bauern, eine Figur oder die Dame preisgibt, einen Doppel- oder Tripelbauern zulässt, gegen irgendwelche ehernen Spielgrundsätze verstößt, ist ganz und gar unerheblich, solange er erfolgreich ist. Man könnte das eine unvoreingenommene Herangehensweise nennen. Durch eine große Anzahl an zu Ende gespielten Partien werden Rückschlüsse gezogen auf die besten Züge in einer bestimmten Stellung. Mit den erfolgreichsten Fortsetzungen beschäftigt sich das Programm ausführlicher als mit den erfolglosen. So entsteht ein "Suchbaum", der zum Schluss eine Zugwahl zulässt, die rein ergebnisorentiert ist.

Bekanntlich hat Alpha Zero neun Stunden lang gegen sich selbst zahllose Partien gespielt und aus den Ergebnissen gelernt, wofür allerdings gewaltige Rechenkapazitäten bereitgestellt wurden, denn sonst hätten neun Stunden wohl kaum ausgereicht. Anschließend jedoch war Alpha Zero in der Lage, es mit Stockfish 8, einem der besten Schachprogramme der Welt, aufzunehmen. Auf einen Nenner gebracht, bedeutet das: KI (künstliche Intelligenz) lernt durch Ausprobieren rein aus der Erfahrung heraus.

Wirksam = ästhetisch schön?

In diesem Zusammenhang sei an die einst zwischen Weltmeister Dr. Emanuel Lasker und seinem Erzrivalen Dr. Siegbert Tarrasch geführte Diskussion um den "ästhetischen" Wert eines Zuges erinnert. Lasker schrieb dazu vor Beginn seines WM-Kampfes gegen Tarrasch im Jahre 1908 folgendes:

"Dr. Tarrasch ist ein Denker, der tiefe und vielschichtige Überlegungen liebt. Er ist bereit, die Effektivität und Zweckmäßigkeit eines Zuges anzuerkennen, wenn er ihn gleichzeitig als schön und als theoretisch korrekt betrachtet. Aber ich akzeptiere diese Art von Schönheit nur, falls und wenn sie gerade zweckmäßig ist. Er bewundert eine Idee um ihrer Tiefgründigkeit willen, ich bewundere sie wegen ihrer Wirksamkeit. Mein Gegner glaubt an Schönheit, ich an Stärke. Ich finde, daß ein Zug dadurch, daß er kraftvoll ist, auch schön ist." (a)

Daraus wird deutlich, dass Weltmeister Dr. Emanuel Lasker am Schachbrett rein ergebnisorentiert dachte. Ganz genau diesen Ansatz verfolgt auch Komodo MCTS.

Alpha-Beta Suche bald ausgereizt?

In einem im Dezember 2018 veröffentlichten Interview stellte Komodo-Entwickler IGM Larry Kaufman fest, dass Komodo MCTS zehnmal so schnelle Fortschritte mache wie die "normale" Komodo-Version, die bekanntlich auf die bewährte Alpha-Beta-Suche setzt. (b) Stark vereinfacht kann man dazu folgendes feststellen:

Bei der Alpha-Beta-Suche geht es darum, möglichst viele Züge und Varianten von vornherein auszuschließen, weil ihr Ergebnis offenkundig ungünstig ist. Der Alpha-Wert gibt dabei an, wieviel Spieler A mindestens erreichen wird, wenn ein bestimmter Zug gespielt wird. Der Beta-Wert beschreibt hingegen, wieviel in diesem Falle Spieler B durch seinen besten Gegenzug höchstens erreichen wird. Wenn ich also einen Zug prüfe, der einen Springer gewinnt und feststelle, dass der Gegner durch seinen besten Gegenzug höchstens einen Bauern dafür bekommt, so könnte ich dieser Fortsetzung bei sonst gleichen Bedingungen einen Wert von +2.00 zuweisen. Nun sehe ich mir einen anderen Zug in derselben Ausgangsstellung an und stelle fest, dass ich damit zwar einen gegnerischen Turm schlagen kann, mein Gegner bei bestem Gegenspiel aber dafür mindestens meine Dame und drei Bauern bekommt, so dass das Endergebnis bei -7.00 liegt.

Auf diese Weise bekommen alle möglichen Züge in einer Stellung Werte zugewiesen. Diejenigen Züge mit den besten Werten kommen ganz nach oben und werden sofort näher und tiefer untersucht, während diejenigen mit den schlechtesten Werten als letzte drankommen und gewöhnlich auch bei größerer Suchtiefe keine besseren Ergebnisse liefern. Sollte dieser Fall dennoch eintreten, so findet unverzüglich eine Neubewertung statt, und ein bisher beispielsweise mit -2.55 bewerteter Zug rückt plötzlich mit einem Pluswert an die erste, zweite oder dritte Stelle. Die Stellungen werden im Gegensatz zum Monte Carlo-Verfahren jedoch nicht ausgespielt (es sei denn, dass ein Matt gefunden wird), sondern bis zu einer mit der Zeit immer größer werdenden Suchtiefe weiterverfolgt und die entstehenden Stellungen nach vorher genau festgesetzten Gesichtspunkten bewertet. Hierbei spielt nicht nur der Wert der Figuren und Bauern eine Rolle, sondern auch positionelle Faktoren wie z. B. Königssicherheit, Bauernschwächen, offene Linien, Raumvorteil, Zentrumsbeherrschung usw.

Dieses geniale Verfahren wurde in den letzten Jahren immer mehr verfeinert und hat sich als außerordentlich erfolgreich erwiesen. Dennoch könnte es sein, dass der Spielraum für Spielstärkesteigerungen irgendwann ausgeschöpft ist. Zu denken gibt, dass die neueste Stockfish-Version 10, in welche die Programmierer und ihre zahllosen freiwilligen Tester etwa zehn Monate Entwicklungsarbeit investierten, um gerade mal 15 ELO-Punkte im Vergleich zu ihrer Vorgängerversion Stockfish 9 zulegen konnte (64-bit, 1CPU, laut CCRL-ELO-Liste 40/40 vom 12. Januar 2019). (c)

Vergleichen wir damit die drei Vorgängerversionen: Stockfish 7 erschien am 2. Januar 2016 und hat eine ELO-Zahl von 3246. Stockfish 8 vom 1./2. November 2016, also nur 10 Monate später, machte einen Sprung auf 3301 ELO, steigerte sich also um 55 ELO-Punkte. Das entspricht einem Zuwachs von 5,5 ELO je Entwicklungsmonat. Stockfish 9  vom 30. /31. Januar 2018 kam etwa 15 Monate später heraus und bringt mit 3367 ELO 66 mehr als die Vorgängerversion auf die Waage, was 4,4 ELO Steigerung je Entwicklungsmonat bedeutet. Nun gingen 10 Monate ins Land, bevor die neueste Version Stockfish 10 fertig war. Diese erschien am 30. November 2018 und bringt 3382 ELO auf die Waage, also nur noch 15 ELO-Punkte mehr als Stockfish 9. Daran sieht man, dass die Kurve mit nur noch 1,5 ELO Zuwachs je Entwicklungsmonat plötzlich stark abflacht.

Diese Beobachtungen könnten darauf hindeuten, dass das Entwicklungspotential bei den Schachprogrammen mit den herkömmlichen Alpha-Beta-Suchmustern tatsächlich bereits weitgehend ausgeschöpft ist. Aber natürlich sollte man nicht vorschnell urteilen. Warten wir daher Stockfish 11 ab, erst dann wissen wir mehr, ob dieser Trend sich verfestigt oder nicht. Jedenfalls wird aus dem oben Gesagten deutlich, warum die Komodo-Entwickler Larry Kaufman und Mark Lefler die größten Fortschritte ihrer MCTS-Version zutrauen. Im laufenden TCEC-Wettbewerb (TCEC 14) konnte sich Komodo MCTS bereits sensationell bis in die „Premier League“, und damit in die Klasse der besten 8 Schachprogramme vorarbeiten.

Komodos positionelles Meisterstück

Dass das neuartige Programm mit der Monte Carlo-Suchtechnik bereits jetzt in einzelnen Partien einen Giganten wie Stockfish 10 besiegen kann, ist bemerkenswert. Die folgende Partie wurde am 21. Dezember 2018 mit einer Bedenkzeit von 40 Minuten je 40 Züge ausgetragen. Beide Programme liefen dabei auf je vier Prozessoren. Durch ein überraschendes Bauernopfer gelingt es Komodo MCTS, seinen formidablen Gegner positionell an die Wand zu spielen. Bemerkenswert ist, dass nach dem 26. Zuge von Weiß alle drei auf dem Brett vorhandenen Springer auf Randfeldern stehen:

 
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Computerschach auf höchstem Niveau zeigt die folgende Partie der "Giganten" Komodo 12.3 MCTS und Stockfish 10: 1.e4 c5 2.Nf3 Nc6 3.d4 cxd4 4.Nxd4 e6 5.Nc3 Qc7 5...a6 6.Be2 Qc7 ist auch üblich und bedeutet oft nur Zugumstellung. 6.Be3 6.Ndb5 erweist sich nach Qb8 als Tempoverlust, denn der Springer wird bald durch a7-a6 vertrieben. 6...a6 7.Qd2 Nf6 8.0-0-0 Bb4 Fesselt den Springer c3 und droht mit Sf6xe4. 8...Be7 9.f3 0-0 10.g4 b5 11.g5 Ne8 12.h4 Ne5 13.Kb1 Bb7 14.h5 Rc8 15.Qg2∞ Karjakin - Morozevich (Wijk aan Zee 2009). Die MEGA Database von ChessBase enthält diese interessante Partie mit den Originalanmerkungen von Sergey Karjakin. 9.f3 Ne5 10.g4 0-0 10...h6!? 10...Bxc3!? 11.g5 Nh5 12.Kb1 Rb8 13.Qe1 Bxc3 Schwarz wartete mit diesem Abtausch, bis Weiß seine Dame nach e1 gezogen hatte, um dadurch ein Tempo zu gewinnen. 14.Qxc3 14.bxc3? b5 wäre besser für Schwarz. 14...Qxc3 15.bxc3 b5 16.Bc1 Re8 17.Nb3 g6 17...Nxf3? 18.Be2!+- 18.Be2 Nc4 19.Rhe1 Rb6 20.Ka1 Rc6 21.h4 f6 22.Bf1! 22.gxf6 Nxf6 stellt nur den schwarzen Springer besser. Mit dem Textzug plant Komodo ein positionelles Bauernopfer, wie wir gleich sehen werden. 22...Ne5 Jetzt hängen gleich zwei weiße Bauern: c3 und f3. 23.gxf6 Auch 23.Nd4 kam in Betracht, z. B. Rxc3 24.gxf6 Nxf3 24...Nxf6? 25.Bb2 Rc4 26.Nxb5! Nxf3 27.Nd6 Nxe1 28.Bxc4 Nxc2+ 29.Kb1 Ne3 30.Rc1 Nxc4 31.Rxc4 Rf8 32.Bxf6 Rxf6 33.Rxc8++- 24...Rc7!? 25.Ba3!= Nxf6? 26.Bd6+- 25.Kb2! Nxe1 26.Kxc3 e5 27.Nxb5! axb5 28.Rxe1 Nxf6 29.Bxb5 Bb7 30.Kd3 Ra8 31.a4 23...Nxf3! 23...Nxf6?! 24.Na5 Rc7 25.Bf4 d6 26.Rxd6 Nxf3 27.Re3 Nxh4 28.Bg5! Nd5! 29.Rg3 stärker als 29.exd5 Nf5 29...Nxc3 30.Bd3! Der Springer h4 hat jetzt kein Fluchtfeld mehr, und eines der beiden schwarzen Rösser geht verloren. 24.f7+! Ein hübscher Zwischenzug, der den Zweck hat, den schwarzen König auf ein ungünstiges Feld zu zwingen. Der Bauer f6 wäre ohnehin nicht zu halten gewesen. 24.Re3 Ne5 25.Na5 Rb6 26.Ba3 Nxf6 27.Bc5 Rb8 28.Bd6 Neg4!∞ 24...Kxf7 25.Re3 Nh2! 25...Ne5 26.Na5 Rc7 27.Be2 Nf6 28.Ba3 Neg4 29.Bxg4 Nxg4 30.Rf3+ Kg7 30...Kg8 31.Bd6 Ra7 32.Rdf1 Ra8 31.Bd6 Ra7 32.Bc5 Ra8 33.Nb7 Bxb7 34.Rxd7+ Kh6 35.Rff7 Rh8 36.Rxb7 und Weiß ist am Drücker. 26.Na5 Alle drei Springer stehen jetzt auf Randfeldern, und das auch noch unter der Verantwortung zweier ELO-Giganten! Rc7 27.Bh3! Damit nimmt Komodo MCTS dem schwarzen Springer h2 die letzten Fluchtfelder. Es droht jetzt einfach Td1-h1 oder Td1-d2 mit Angriff auf diese Figur. Nf4 27...Nf6? 28.Re2 Nhg4 28...Nf3? 29.Rf1 Rxc3 30.Bb2 Nd4 31.Bxc3 Nxe2 32.Rxf6++- , und auch in dieser Variante zeigt es sich, dass der schwarze König auf f7 schlecht steht 29.e5! Rxc3 30.Rd3 Rxd3 31.cxd3 Nxe5 32.Rxe5 Schwarz hat zwar drei Bauern für einen Läufer, aber die weißen Figuren beherrschen das Brett. 28.Ba3! Ein starker Zug, der vor allem La3-d6 droht, denn auf der Diagonalen b8-h2 stehen gleich drei ungedeckte schwarze Figuren. 28.Rh1 Nxh3 29.Rxh3 Ng4 30.h5 gxh5 31.Rxh5 h6∞ 28...e5 29.Bd6 Ra7 30.c4 Ra8 Der "Springer am Rand" steht in dieser Stellung auf a5 erstaunlich gut, denn er würde die Entwicklung des Läufers c8 sogar dann noch verhindern, wenn der Bauer d7 nicht vom Läufer h3 angegriffen wäre: 30...Bb7? 31.Bc5! und wenn der Turm nach a8 geht, verliert der Läufer b7 seine Deckung also vorher den Springer nach c4 locken? 30...bxc4? 31.Nxc4 dummerweise ist jetzt der Bauer e5 doppelt angegriffen Kf6 oder 31...Nxh3 32.Rxh3 Ng4 33.Bc5!+- 32.Rd2 Nxh3 sonst geht ein Springer verloren 33.Rxh2! Nf4 34.Rf3 Bb7 endlich ist (im 34. Zuge!) der schwarze Damenläufer entwickelt und er greift auch noch den weißen Königsbauern an, aber leider geht 35.Bxe5+! Rxe5 36.Rxf4+ Ke6 37.Nxe5+- Kxe5 38.Rf7 Bxe4 39.Rxh7 mit Qualitätsgewinn. 31.Rde1 Über den schwarzen Mehrbauern will keine rechte Freude aufkommen. Weder Ta8, noch Lc8 können ins Spiel eingreifen. Mit dem nächsten Zuge tauscht Stockfish seine einzige wirklich gut stehende Figur ab, um wenigstens den auf h2 gestrandeten Springer in Sicherheit zu bringen. Nxh3 Schon wieder drei Randspringer, aber nicht mehr lange! 32.Rxh3 Ng4 33.Rf3+ Kg8 34.Kb2 Ra7 34...Re6 35.c5! Re8 35...Ra7? 36.Rf8+ 36.h5! gxh5 37.Rh1 Kg7 38.Rxh5 Kg6 39.Rff5 h6! Dieser Zug hält die schwarze Stellung gerade noch zusammen, aber jedenfalls erobert Weiß jetzt bei besserer Stellung seinen geopferten Bauern zurück: 40.Rh4 Nf6 41.Rxe5 usw. 35.Ref1 Ra8 36.a4! Schon wieder so ein überraschender Bauernzug! bxa4 Nach 36...bxc4 37.Kc3! kommt Weiß durch das aktive Eingreifen seines Königs in Vorteil. 37.c5 Ein positionelles Meisterstück von Komodo MTCS. Schwarz ist völlig überspielt. Zwar kann er den weißen König noch vorübergehend ablenken, aber das wird nur einen kleinen Aufschub bringen: a3+ 38.Kc3 a2 39.Kb2 a1Q+ 40.Kxa1 h5 41.Ka2 Kh8 42.Rf7 Kg8 Ein schwerer Fehler wäre 42...Ne3? 43.Bxe5+! Kg8 oder 43...Rxe5 44.Rf8+ Kg7 45.R1f7+ Kh6 46.Rh8# 44.Rg7+ Kh8 45.Re7+ Kg8 46.Rxe8+ Kh7 47.Rh8# 43.Kb2 Ne3 44.Rf8+! Rxf8 45.Rxf8+ Kg7 46.Re8 Ng4 47.Re7+ Kf6 48.Nc4 Bb7 Schwarz könnte versuchen, mit 48...g5 49.hxg5+ Kxg5 seinen h-Bauern freizumachen, aber es reicht nicht ganz, z. B. 50.c6! dxc6 oder 50...h4 51.cxd7 Bxd7 52.Rxd7 Re8 52...h3 53.Rh7 52...Rh8 53.Nxe5! 53.Rh7 Nf6 54.Be7!+- 51.Nb6! h4 52.Nxa8 h3 53.Bxe5 Nxe5 54.Rxe5+ Kf4 55.Re8 h2 56.Rh8 Kg3 57.Rxh2! Kxh2 58.e5 Kg3 59.Nc7 Kf4 60.e6 und gewinnt. 49.Nb6! Bxe4 49...Rd8 50.Nxd7+ Rxd7 51.Rxd7 Bxe4 52.Bc7 Ne3 53.Bd8+ Kf5 54.Ra7+- Nxc2? 55.c6! 49...g5 50.hxg5+ Kxg5 51.Rxd7 Bxe4 52.Be7+ Kf5 53.Nxa8 Bxa8 54.Ra7+- 50.Nxa8 Bxa8 51.Rxd7 a5 Nach 51...Bc6 52.Be7+ Ke6 53.Rd6+! Kxe7 54.Rxc6 Kf7 55.Rxa6+- gewinnt Weiß leicht mit seinem Turm gegen den Springer. 52.Be7+ Kf5 52...Ke6 53.Rd8! Kxe7 54.Rxa8 Nh6 55.Ra7+ Kd8 56.Rxa5 Nf5 57.Ra4+- 53.Rd6! Der Textzug ist noch stärker als 53.Ra7 , was ebenfalls zum Gewinn reicht. 53...Ne3 54.Rf6+ Ke4 54...Kg4 55.Rxg6+ und der Läufer e7 deckt den Bauern h4. 55.Rxg6 Kf5 56.Rh6 Bf3 57.c6! Nd5 58.Bd8 Ne3 59.Bxa5 Kg4 60.Bd8 Kf5 61.Kc1 61.c7!? Bb7 62.Kc3!+- 62.Rb6? Nc4+ 61...Bg4 62.c7 Ke4 63.Rxh5! Kf3 63...Bxh5? 64.c8Q , aber auch andere Züge würden die Partie nicht mehr retten. 64.Rxe5 und Schwarz gab auf. Was für eine beeindruckende Positionspartie! 1–0
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WhiteEloWBlackEloBResYearECOEventRnd
Komodo 12.3 MCTS 64-bit 4CPU3295Stockfish 10 64-bit 4CPU34641–02018B48CCRL 40/40134.3

Komodo MCTS gibt es zusammen mit der herkömmlichen Komodo-Version für 89,90 Euro im ChessBase Shop. Der Vorteil dabei besteht darin, dass der Anwender von der Monte Carlo-Methode Gebrauch machen kann, ohne dafür auf die bewährte Alpha-Beta-Methode verzichten zu müssen. Die abwechselnde Verwendung der beiden Suchtechniken ermöglicht tiefere Einblicke in komplizierte Stellungen, was sowohl beim Analysieren von Partien, als auch bei der Vorbereitung von Eröffnungsvarianten mit Hilfe des Computers nützlich sein kann.

Komodo gibt Gas! Die neue Version des mehrfachen Weltmeisterprogramms spielt nicht nur stärker als jemals zuvor. Mit ihrer neuen "Monte-Carlo" Version - basierend auf KI-Techniken - spielt sie auch deutlich aggressiver.

Quellen:

(a) Zitiert nach Harold C. Schonberg, "Die Großmeister des Schach", S. 119

(b) http://www.chessdom.com/komodo-mcts-monte-carlo-tree-search-is-the-new-star-of-tcec/

(c) http://computerchess.org.uk/ccrl/4040/cgi/compare_engines.cgi?class=Single-CPU+engines&print=Rating+list&print=Results+table&print=LOS+table&table_size=12&cross_tables_for_best_versions_only=1

 


Stephan Oliver Platz (Jahrgang 1963) ist ein leidenschaftlicher Sammler von Schachbüchern und spielt seit Jahrzehnten erfolgreich in der mittelfränkischen Bezirksliga. Der ehemalige Musiker und Kabarettist arbeitet als freier Journalist und Autor in Hilpoltstein und Berlin.

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