Nach zwei Tagen Dauerregens zeigte
sich Biel am Dienstag wieder von seiner sonnigen Seite. Angeblich soll es dabei
gestern sogar zu einem lokalen Sturm gekommen sein, wurde der Turnierleitung
berichtet. Vielleicht war es ein lokaler Miniaturwirbelwind - man hat von solchen Phänomenen
schon gehört - , der einen Ast seinem Mutterstamm entriss und das geparkte Auto
eines Turnierteilnehmers beschädigt haben soll. Auch sonst hat die
Turnierleitung unter Peter Burri mal mit diesem mal mit jenem Vorfall zu tun und
regelt die anlaufenden Dinge mit der gebührenden - in der Schweiz besonders -
Gelassenheit und Routine. Man merkt, dass das Turnier auf 36 Jahre alte
Erfahrung zurück blickt.
Peter Bohnenblust (v.li.) Beat Rüegger, Matthias Gallus
Während Alexander Morozevich ohne
Hektik wohl seinem Turniersieg zusteuert, hat es Christopher Lutz und Viktor
Kortschnoj in der siebten Runde erneut getroffen. Lutz verlor seine Partie gegen
Pelletier und meinte nachher, er hätte eigentlich recht chancenlos verloren.
Kortschnoi, für den es hier nicht gut läuft, wollte heute mit Gewalt gegen
Smirin gewinnen und wurde bald ausgekontert. Durch seinen Sieg hat sich
Pelletier nun etwas nach vorne gearbeitet, doch der Abstand zur oberen
Tabellenhälfte beträgt 2 volle Punkte.
Alexander Morozevich
Morozevich und Pelletier angespannt
Smirin konzentriert
Kortschnoj bald Zuschauer zusammen mit seiner Frau
Partieübertragung
Sergey Karjakin mit Mutter
Im Meisteropen neutralisierten sich die Kräfte an den
ersten Tischen mehr oder weniger schnell zum remis. Sergey Karjakin, der von
seiner Mutter begleitet wird, zeigt heute gegen den Vorjahresteilnehmer des
GM-Turniers Vladislav Tkachiev, was in ihm steckt, holte sich den ganzen Punkt
und reihte sich in die jetzt achtköpfige Führungsgruppe ein.
Alexandra Kosteniuk verlor gegen Andrej Schchekachev und
fiel auf Platz 31 zurück. Seit Karjakin und Kosteniuk Anfang des Jahres ihren
Wettkampf im Dannemann-Center in Brissago spielten, hat man das Gefühl, man
muss beiden zugleich erwähnen, wenn sie wieder in der Schweiz spielen. In den
beiden Open spielen nur sehr wenige Frauen mit, die dadurch besonders
auffallen.
Nathalie Bonnafous
Gaby Livschitz
Wenn man sich z.B. die Ranglisten der letzten
Europameisterschaft anschaut und mit der Teilnehmerliste des Meisteropens
vergleicht, weiß man, dass viele Spielerinnen auch hier erfolgreich mitspielen
und Praxis gegen starke Spieler sammeln könnten. Vielleicht fehlt ihnen der
Mut, sich so wie Alexandra Kosteniuk, Gaby Livshitz, Petra Schuurmann, Nathalie
Bonnafous oder Alexandra Wilson einfach mal ins Feuer zu werfen. Grund dafür
besteht aber eigentlich nicht.
Al-Modiakhi aus Quatar liegt in der Spitzengruppe
Openspezialist Semen Dvoirys
Biel-Veteran Tukmakov
Leonid Kritz aus Deutschland
Milos Pavlovic spielt in Biel immer riesig.
Vadim Milov ist nicht zufrieden und zur Zeit nur auf Platz 51.
GM Rashkowsky
Timo Reusser, 10 Jahre als, ist jedenfalls nicht mutlos.
Er schlägt sich schon im Allgemeinen Open und hat bereits eine Spielstärke von
fast 1800. Wetten, dass man noch öfter von ihm hören wird.
Timo Reusser
GM-Turnier - Stand nach sieben Runden
1. Morozevich 5,5
2. Smirin 5,0
3. Bacrot 4,5
4. Pelletier 2,5
5. Lutz 2,0
6. Kortschnoi 1,5
Die
Partien zum Nachspielen...
Meisteropen - Stand nach sieben Runden
1. Al-Modiakhi
2. Shariyazdanov
3. Avrukh
4. Riantzev
5. Al-Sayad
6. Sedlak
7. Kuzmin
8. Karjakin
alle 5,5, Punkte.
...
Prominenz auch unter den Zuschauern: Alexander Bakh, Schiedsrichter, Organisator des Aeroflot-Open und neuerdings mit
führender Funktion im russischen Schachverband hat auf dem Weg nach Dortmund
eine Pause in Biel eingelegt.
Zwei Mädchen mit Fritz im Foyer. Wahrscheinlich sprechen sie jetzt nicht über
Schach, sondern über wichtigere Dinge.
Blitzen, analysieren und quatschen auf der Empore des Kongresszentrums.
Übrigens gibt es auch im Schach kaputt gespielte Sportgeräte, wie man hier
sieht:
Das Festival wirft defekte Figuren in Sammelkisten. Irgendwann werden sie wohl
weggeworfen. Peter Burri erzählte, dass heute meist die Türme zuerst defekt
sind, früher seien es die Könige gewesen, was immer das auch bedeuten könnte.
Wenn man viele defekte Figuren eingesammelt hat, sieht das ein wenig
so aus, wie
die Angebote auf dem Hamburger Fischmarkt, vielleicht auch wegen der
Bananenkiste, die nebenan steht. Immerhin kann man Schachfiguren länger in
solchen Kisten aufbewahren als Fisch. In Deutschland würde übrigens sicher bald ein
Schachfigurenpfand eingeführt, sobald der Bundesumweltschutzminister Trittin
von solchen Praktiken erführe.
Werbung! Zwei Stars stehen außerhalb des Kongresszentrums. Sponsor Opel hat
zwei seiner neuen Modelle für den Fahrdienst des Turniers zur Verfügung
gestellt. Im Bild sieht man den Meriva. beeindruckend ist der zweite Wagen, ein
Vectra mit einem starken Motor und Tiptronicschaltung (keine Kupplung), dessen Knöpfe am Lenkrad an die
Formel Eins erinnern. Werbung Ende!
Industrie - und Kunststadt Biel
Die mittelalterliche Stadt Biel hat sich im Laufe
der Zeit kaum vergrößert, bis Mitte des 19.jh. die Industrie, vor allem die
Uhrenindustrie sich hier ausbreitete und für Bevölkerungszunahme, Wachstum und
große Veränderungen in der Infrastruktur sorgte.
In der Schachwelt ist Biel
für sein Schachfestival bekannt. Doch sonst ist die zweisprachige Stadt, die
sich immer als Biel/Bienne bezeichnet, eigentlich eine der wichtigsten
Industriestandorte der Schwei und vor allem durch seine Uhrenindustrie berühmt. Große Namen der Schweizer Uhrenindustrie sind hier beheimatet, so
Rolex und Omega.
Omega rüstete mehrere Apollomissionen mit Uhren aus
Mega-Omega im Museum Neuhaus: So funktioniert eine Uhr. Ist doch eigentlich
nicht so schwer.
Durch die Einfuhr billiger Digitaluhren aus Fernost geriet
die Schweizer Uhrenindustrie Mitte der Siebziger Jahre in eine Krise und erholte
sich, als sie die Swatch erfand. Dennoch sind die großen Zeiten der weltweit
dominierenden Schweizer Uhren Vergangenheit. Nach einem Bevölkerungsrückgang
um etwa 15.000 Einwohner setzt die Stadt heute die Schwerpunkte auf
Kommunikationsdienstleistungen, aber auch Tourismus.
Obwohl Biel eine "Industriestadt" war und zum Teil noch ist, sieht die
Stadt nicht so aus, wie man sich solche Städte vorstellt oder vielleicht aus
Deutschland kennt.
Velomobil mit Botschaft. Der Besitzer Parsival macht Werbung für die
Kunstsprache Esperanto.
Hässliche Fabrikhallen gibt es nicht. Stattdessen prägt
eine bezaubernde Altstadt das Stadtbild, die Schüss fließt in ihrem
kanalisierten Bett durch die Stadt und verbreitet Gemütlichkeit.
Blick durch das Geländer auf die Schüss.
Der starke frankophone Einfluss sorgt für Betriebsamkeit
auf den Strassen und in den vielen Straßencafés. Auch die "Neustadt"
ist so neu nicht und die Straßenzüge der Fußgängerzone (mit
"Begegnungszone") sind ausgesprochen hübsch.
Stadtbilder:
Ein alter Bauernschuppen.
Gerechtigkeitsbrunnen auf dem Burgplatz
Häuserfassade am Burgplatz
Der Gerechtigkeitsbrunnen auf dem Burgplatz.
Blick durch zwei Häuser auf den Erker des Zunfthaus der Waldleute.
Brunnenfigur mit Stadtfahne.
Die Stadtkirche
Der Platz vor der Stadtkirche wird der Ring
genannt, weil sich hier früher das Gericht versammelte und sich ringartig
aufstellte. Der Brunnen entstand 1546. Die Figur ist ein Bannerträger mit der
Stadtfahne.
Häuser des 17 Jh. an der Untergasse
Haus mit Zunftzeichen der Bäcker
Der Rotschettenturm an der nördlichen Ecke der Stadtbefestigung.
Laubengang an der Obergasse
Bar in historischem Ambiente
Farbenspiel hinter alter Fassade
Durchgang zwischen den Gassen.
In diesem Haus übernachtete Johann Wolfgang von Goethe auf seiner zweiten Reise
durch die Schweiz. Heute wäre er vielleicht auch mit dem Fahrrad gekommen, wer
weiß? Das Haus steht gegenüber dem Vennerbrunnen, dem Wahrzeichen von Biel,
der im Moment von einer Baustelle drum herum verunziert wird.
Das Treppenhaus des Gerichts wurde von einem Künstler farbig gestaltet und
zeigt die vier Jahreszeiten.
Bieler Museen
Biel hat fünf Museen. Centre Müller ist ein
Maschinenmuseum, Omega beheimatet ein Uhrenmuseum. Das Museum Schwab hat zur
Zeit wegen Renovierung geschlossen.
Museum Schwab
Dort werden Funde der Urgeschichte und
Archäologie ausgestellt. Das Kunstmuseum ist das CentrePasqueArt. Im Museum
Neuhaus werden verschiedene Ausstellungen zu Kunst und Geschichte angeboten.
Das Museum Neuhaus
Das CentrePasqueArt stellt derzeit "Bilder "
von
Fabrice Gygi aus.
Genau genommen handelt es sich um monochrome graue Gemälde in
der Einheitsgröße von 150x300cm, die immer gegenüber aufgehängt sind. Titel
der Ausstellung: "Happiness Overdose".
In einer zweiten Ausstellung werden Objekte von Erik
Steinbrecher vorgestellt.
Skulpur auf dem Museumsdach. Es regnete stark.
In einer weiteren Ausstellung über Aktfotografie werden u.a. Fotos von Man Ray
gezeigt.
Last, but not least. Im Nebengebäude sieht man die Installation
"Grabmal der verstorbenen Sprachen".
Im Museum Neuhaus werden verschieden Ausstellungen
in mehreren Abteilungen angeboten. Im Erdgeschoss gibt es Bilder, Texte und weitere Materialien zur nahe
Biel gelegenen Taubenloch-Schlucht zu sehen. Derzeit beschäftig die Schlucht
die Bieler Politiker, denn vor Kurzem kam dort ein Kind wegen Steinschlag zu
Tode, und es wird darüber gestritten, ob man das hätte verhindern können.
Die dramatischen Felswände der Taubenloch-Schlucht
Eine andere Abteilung zeigt Stücke aus der
Bieler Industriegeschichte. Dazu gehören viele Uhren. Biel beheimatet aber auch
eine Drahtindustrie und Textilfabriken.
Schweizer Hängeuhren
Ein Uhrmachermeister bei der Arbeit.
Das Museum Neuhaus ist nach der einflussreichen
Politikerfamilie Neuhaus benannt. In einer der Abteilungen sind im Original
Räume und Mobiliar des Wohnhauses der Familie zu sehen. Unter den Möbeln
befindet sich auch ein Schachtisch.
Eine weitere Abteilung beherbergt eine Aufsehen
erregende Sammlung von Geräten rund ums Kino. Dazu gehören eine Vielzahl alter
Kameras, Projektionsgeräte, die ersten Maschinen zur Herstellung bewegter
Bilder, Filmplakate und vieles mehr.
Ein früher Zeichentrickfilm mit Vorführapperat
Frühe Kameras
Alte Prokktonsapperate
Filmplakat mit Jeanne Moreau
Kunst und Heimat verbindet sich mit den Namen
Robert und Walser. Dem Werk des Schriftstellers Robert Walser (Der Gehülfe
u.v.m.) ist ebenfalls eine Abteilung im Museum gewidmet. Robert Walser wurde zu
Lebzeiten verkannt und nach seinem Tod erst berühmt. Sein Bruder Karl war
Buchillustratur. Zu Lebzeiten gefeiert, geriet er zu Unrecht in Vergessenheit.
Eine ganze Dynastie von Malern war die Familie
Robert. Bekannt sind vor allem Léo-Paul Robert und seine Söhne Phillipe und
Paul-André.
Phillipe Robert: Schlosspark von Nidau
Text und Fotos: André Schulz