Schach und Musik. Moskauer Ferien
Von Anvar Tourdyev, Postgraduierter Student am
Staatlichen Moskauer Konservatorium
Am Freitag, den 6. Januar, ein Tag vor dem
orthodoxen Weihnachtsfest, fand im Oktyabr’sky Schachklub die traditionelle
offene Neujahrsmeisterschaft des Moskauer Staatlichen Konservatoriums statt.
Vierzehn Spieler nahmen teil: Professoren und Studenten des Konservatoriums,
berühmte Moskauer Musiker und Komponisten sowie Solisten des Bolschoi Theaters.
Das Interesse von Musikern am Schach kommt nicht von ungefähr und hat tiefe
Wurzeln. Bekanntlich war François André Danican Philidor, der stärkste
europäische Spieler in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, auch ein
berühmter Komponist, und man findet seinen Namen in musikalischen Lehrbüchern.
Aber was Tradition angeht, so begann eine wirkliche Verbindung zwischen Schach
und musikalischer Kultur zur Zeit der Sowjetunion, als das Interesse an diesen
Bereichen menschlichen Schaffens so groß war wie nie zuvor. Eine wichtige Rolle
spielten dabei natürlich die kreativen Aspekte des Schachs und die
bohemienartige Atmosphäre beider Welten. In Erinnerung ist noch ein
Schachwettkampf zwischen dem Komponisten Sergey Prokofiev und dem herausragenden
sowjetischen Geiger David Oistrakh (letzterer gewann den Wettkampf überzeugend).
Übrigens trat Prokofiev in Simultanveranstaltungen gegen Capablanca an und
unterhielt freundschaftliche Kontakte zu dem großen Kubaner.
Aber auch mancher Berufsschachspieler stand in direkter Verbindung zur Musik.
Hier ist zuallererst Mark Taimanov zu nennen, nicht nur Großmeister und
Weltmeisterschaftskandidat, sondern auch Pianist, der am Leningrader
Konservatorium seinen Abschluss gemacht hat, und danach eine erfolgreiche
Konzertkarriere einschlug, bei der er im Duo mit Lyubov Bruk auftrat. (Joel
Lautier interviewt Mark Tajmanov, 2002...)
Von den
Moskauern muss Boris Abramovich Shatskes erwähnt werden, der ein Buch über die
“Englische Eröffnung” schrieb und zur gleichen Zeit am Moskauer Konservatorium
Klavier unterrichtete. Ein besonderer Platz auf dieser Liste gebührt
Ex-Weltmeister Vassily Vassilyevich Smyslov, dessen Gesangstalent auch außerhalb
von Schachkreisen bekannt ist.
Ohne zu übertreiben kann man sagen, dass die Sowjetzeit in Russland sowohl für
das Schach als auch für die Musik ein goldenes Zeitalter war. Am Konservatorium
wurde eine Schachsparte ins Leben gerufen, deren Mannschaft sich aktiv an
Hochschulwettkämpfen beteiligte, und manchmal sogar weit vorne landete, einmal
sogar auf dem 2. Platz (hinter der Mannschaft vom Institut für Köperkultur, die
aus Berufsschachspielern bestand, aber noch vor der Mannschaft der staatlichen
Moskauer Universität).
Die Schachsparte wurde in den 90er Jahren geschlossen, genau wie viele andere
Schach- und Nichtschachorganisationen des damals turbulenten Landes. Aber als
sich die wirtschaftliche und kulturelle Lage in Russland verbesserte, nahmen
viele vergessene Traditionen wieder ihren verdienten Platz ein.
Schiedsrichter
Im Klub
Die neue Schachsparte des Moskauer Konservatoriums gibt es seit fünf Jahren. Das
Neujahrsblitzturnier für Musiker zeigt, wie aktiv ihre Mitglieder sind. Der
Wettbewerb fand dieses Jahr bereits zum fünften Mal statt. Normalerweise nehmen
daran etwa 20 Spieler teil, und auch dieses Mal blieb die Teilnehmerzahl nur
knapp darunter, trotz der strengen Kälte, die einen Tag zuvor über Moskau
hereingebrochen war. Leider mussten einige begeisterte Schachfans wegen
Krankheit absagen, darunter der Gewinner des Internationalen Tschaikowsky
Wettbewerbs, der Cellist Alexander Knyazev, der Geiger Nikolay Savchenko, der
Dekan des Fachbereichs für Komposition (ein erfahrener Meisterkandidat,
ehemaliger Meister von Kislovodsk), Alexander Koblyakov, ein berühmter Pianist,
Professor Alexey Nasedkin und auch der Klarinettenstudent Alexey Balashov, Sohn
von Großmeister Yury Balashov.
Trotzdem war das Turnier ziemlich stark besetzt. Nikolay Lugansky, Pianist und
Gewinner des Internationalen Tschaikowsky Wettbewerb nahm teil,
Der Starpianist Nikolay Lugansky am Flügel...
...und am Brett.
Begelman Lugansky und Tantsov kiebitzen bei Kasparov
der Komponist Yury Kasparov (ein Namensvetter des weltstärksten Spieler; übrigens war Garrys
Onkel ebenfalls Komponist und trug den Titel Verdienter Künstler
Aserbaidschans), Verdienter Künstler Russlands,
Yury Kasparov, Verdienter Künstler Russlands
Oleg Tantsov (Klarinettenlehrer
am Konservatorium), Alexander Kirov (Geige), außerordentlicher Professor am
Konservatorium, der sich mit einem Schwarzsieg in einer Simultanveranstaltung
mit Anatoly Karpov bleibenden Ruhm erworben hat, wobei das Simultan zu einer
Zeit gespielt wurde, als Karpov auf der Höhe seines Ruhmes stand,
Alexander Kirov
Dmitry Galynin
(Kammerorchester), Professor am Konservatorium, der Solist des Orchesters des
Bolschoi Theaters, Sonya Belyaeva (Oboe),
Sonya Belyaeva
der bekannte Moskauer Blitzspieler
Boris Begelman (Geige),
Boris Begelman
sowie Studenten und Postgraduierte des Konservatoriums,
darunter der Autor dieser Zeilen.
Kolesnikov
Anvar Tourdyev
Die Neujahrsatmosphäre passt perfekt zum Blitz mit seinem Humor, seiner
Nervosität, seiner Hektik, den Überraschungen und plötzlichen Launen des
Schicksals.
Begelman - Kolesnikov
Busyrev-Lugansky
Busyrev, Tourdyev
Kasparov-Busyrev
Kasparov und Tourdyev bei der Analyse
Lugansky-Begelman
Oseev
Turdyev-Busyrev
Weiß patzte einen Turm ein.
Der Modus des Turniers wirkt attraktiv: zuerst nehmen alle Spieler
in einem Turnier jeder-gegen-jeden teil, in dem sich die acht besten für den
K.O-Wettbewerb qualifizieren, und danach Wettkämpfe über zwei Partien
gegeneinander austragen. Das Finale besteht aus vier Partien. Bei
Punktgleichheit kommt es zum Tie-Break, in dem mit 4 Minuten gegen 5 gespielt
wird, die Seite mit den 5 Minuten jedoch gewinnen muss.
Das Qualifikationsturnier brachte einen erbitterten Kampf um die
Qualifikationsplätze, lediglich der erste Platz stand lange vor dem Ende fest:
Borya Begelman übernahm gleich zu Beginn die Führung, erlitt nur eine Niederlage
und blieb bis zum Ende an der Spitze. Mir gelang es, mir in der vorletzten Runde
den zweiten Platz zu sichern.
N |
Name |
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 |
7 |
8 |
9 |
0 |
1 |
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3 |
4 |
Pts |
Places |
1 |
Galynin |
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0 |
1 |
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0 |
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0 |
1 |
1 |
1 |
7= |
6-7 |
2 |
Pogorelsky |
0 |
* |
0 |
0 |
0 |
0 |
1 |
0 |
0 |
0 |
0 |
1 |
0 |
1 |
3 |
11-13 |
3 |
Begelman |
1 |
1 |
* |
1 |
0 |
1 |
1 |
1 |
1 |
1 |
1 |
1 |
1 |
1 |
12 |
I |
4 |
Lugansky |
1 |
1 |
0 |
* |
0 |
0 |
1 |
0 |
1 |
1 |
= |
1 |
1 |
1 |
8= |
4-5 |
5 |
Tourdyev |
1 |
1 |
1 |
1 |
* |
1 |
1 |
1 |
1 |
= |
= |
1 |
= |
= |
11 |
II |
6 |
Parsadanov |
0 |
1 |
0 |
1 |
0 |
* |
0 |
0 |
1 |
1 |
1 |
1 |
0 |
1 |
7 |
8 |
7 |
Oseev |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
1 |
* |
0 |
0 |
= |
0 |
1 |
0 |
1 |
3= |
10 |
8 |
Busyrev |
= |
1 |
0 |
1 |
0 |
1 |
1 |
* |
1 |
1 |
0 |
1 |
1 |
1 |
9= |
III |
9 |
Kasparov |
1 |
1 |
0 |
0 |
0 |
0 |
1 |
0 |
* |
1 |
1 |
1 |
= |
1 |
7= |
6-7 |
10 |
Belyakova |
0 |
1 |
0 |
0 |
= |
0 |
= |
0 |
0 |
* |
= |
0 |
0 |
= |
3 |
11-13 |
11 |
Tantsov |
1 |
1 |
0 |
= |
= |
0 |
1 |
1 |
0 |
= |
* |
1 |
1 |
1 |
8= |
4-5 |
12 |
Kolesnikov |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
1 |
0 |
* |
= |
0 |
1= |
14 |
13 |
Kirov |
0 |
1 |
0 |
0 |
= |
1 |
1 |
0 |
= |
1 |
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= |
* |
0 |
5= |
9 |
14 |
Belyaeva |
0 |
0 |
0 |
0 |
= |
0 |
0 |
0 |
0 |
= |
0 |
1 |
1 |
* |
3 |
11-13 |
Nach hartem Kampf war ich in allen drei Wettkämpfen erfolgreich
und wurde zum vierten Mal hintereinander Meister des Konservatoriums (der
erfahrene Schachveteran Koblyakov triumphierte 2001).
Ich möchte mich noch bei den Mitgliedern des Oktyabr’sky Klubs für den
herzlichen Empfang und die feierliche Atmosphäre bedanken – ohne jeden Zweifel
ist dies der beste Klub in Moskau. Nach dem Turnier erhielten alle
Finalteilnehmer und alle weiblichen Teilnehmerinnen Geschenke überreicht und die
Clubverwaltung improvisierte ein festliches Abendessen. Und ich glaube, dieses
freundschaftliche Schachfest hat alle glücklich gemacht – Spieler, Organisatoren
und sogar die Schiedsrichter des Turniers!
Tourdyev-Belyaeva
Partie zum Nachspielen...
Vor der Partie bot ich meinem Gegner Remis
an, aber er lehnte ab. Das kam für mich wenig überraschend, da dies das fünfte
Jahr in Folge ist, wo ich Remis anbiete, nur um zu hören, wie Sonya das Angebot
ablehnt. Trotzdem enden alle unsere Begegnungen in der Regel doch friedlich.
Diesmal gab es eine lustige Partie.
1.d4 d5 2.c4 Sc6 3.Sf3 Lg4 4.cd Lf3 5.dc Lc6 6.Sc3 e6 7.e4 Dd7?! 8.d5 ed 9.ed
De7+ 10.Le3 0-0-0 11.dc?! Ich spielte diesen Zug leichten Herzens.
11…Td1+ 12.Td1 bc?! Besser war es, ein paar der nutzlos stehenden Figuren zu
entwickeln. Jetzt nimmt der tückische weiße Läufer mit Tempo eine drohende
Stellung ein:
13.La6+ Kb8 14.0-0 Sf6 15.LBc5!? De8 16.Lf8 Df8! Ich rechnete mit 16…Tf8
17.Tfe1! mit Damenfang, und nach dem Textzug hatte ich geplant, ‘mir etwas
einfallen zu lassen’. Weiß muss sich jetzt anstrengen, um im Spiel zu bleiben.
17.Td4 Sd5 18.Tfd1 Dc5? 19.Sd5 Sd5 20.Td5 De7 21.Tb5+ Ka8 22.Lb7+ Kb8 23.La6+
und Remis. Beachtung verdiente 23.Lf3+ Kb8 24.Lg4+ mit Damengewinn, aber wer
weiß schon, ob ein Sieg mehr Wert ist als gute Laune?
Die Preisträger: Busyrev, Tantsov, Tourdyev, Begelman
Und die beiden Co-Sieger Tantsov und Tourdyev