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Beginn und Abschied mit Anand-Simultan: Hans-Walter Schmitt tritt am 3. Oktober nach 25 Jahren als Schach-Organisator ab
Hans-Walter Schmitt hat die deutsche Schach-Szene lange Zeit so geprägt wie kein anderer Organisator. Die Weltspitze gab sich bei den Chess-Classic-Wettbewerben die Klinke in die Hand. Die gleichzeitigen Open führte der Bad Sodener in immer neue Höhen. Jahr für Jahr pilgerten die Schach-Begeisterten zu seinen Events und sorgten für Rekorde. Damit ist am Tag der Deutschen Einheit Schluss. Am 3. Oktober schließt der 67-Jährige das Kapitel nach einem Vierteljahrhundert so ab, wie er es in Bad Soden begonnen hatte: mit einem Simultan an 40 Brettern von seinem Freund Viswanathan Anand. Mit Schmitt unterhielt sich Hartmut Metz.
Herr Schmitt, vor 25 Jahren richtete Ihr Schachverein Frankfurt-West ein Simultan mit Viswanathan Anand aus. Wie war es damals?
Hans-Walter Schmitt: Der frisch fusionierte SC Frankfurt-West aus den altehrwürdigen Gründervereinen der Main-Taunus-Vereinigung SK Unterliederbach und SC Sindlingen hervorgegangen, hatte mich 1992 zum Vorsitzenden gewählt. Zusammen wollten wir den Frankfurter Westen zum Hort der neuen Frankfurter Schachschule machen und gleichzeitig ein Schnellschachturnier der Extraklasse aufbauen, bei dem sich die extrovertierte Schachwelt mit der ganz normalen Gesellschaft verbinden sollte.
Bis zum 70. Geburtstag des neuen Vereins hatten wir zwei Jahre Zeit, um uns etwas Ordentliches einfallen zu lassen. Und der erst kürzlich in Hamburg verstorbene „Zeit“-Autor Wolfram Runkel brachte mich mit seinem unvergessenen Artikel „Wie einst der große Capablanca …“ auf die Idee: Viswanathan Anand beschrieb er als den charismatischsten Schachstern der Gegenwart, - und höllisch schnell spielte der „Tiger aus Madras“ zudem … Das war mein Spieler! Den wollte ich unbedingt kennenlernen, er schien mir als Galionsfigur und Zugpferd der Richtige. Viele Spielervermittler mussten einfach passen, zu fern dieser Mann vom Subkontinent, zu unbekannt, zu viel beschäftigt der Schnellschachspieler aus Chennai.
Chess Classic, Bühne
Über Umwege kam ich an den Entdecker vieler Schachtalente, Frederic Friedel von der aufstrebenden Computer-Firma ChessBase, heran. Als Neuling in der Szene war es natürlich nicht leicht - aber ich hatte damals schon immer meinen Zaubertrank dabei und brachte süffisant meinen Arbeitgeber Siemens ins Gespräch - nicht der kleine Schmitt mit seinen Ideen boxte den Weg frei, sondern der Konzern Siemens. Mein Team war damals schon für 180 Millionen Umsatz gut. Ich stand in Hongkong 1992 auf dem obersten Treppchen der weltbesten Vertriebsstrategen. Das beeindruckte die Schach-Leute dann doch ein bisschen. Mein großer Antreiber im Schach, Bobby Fischer, der die Sowjets im Alleingang 1972 geschlagen hatte, sollte Viswanathan Anand sein. Wir beide hatten später auch eine musikalische Seelenverwandtschaft mit Freddy Mercury und den legendären Queen-Songs wie „The Show must go on“ und „We are the Champions“ sowie den Pet Shop Boys mit „Go West“.
Kein Wunder, dass die die Titelsongs Ihrer Chess Classic wurden. Jedenfalls entwickelte sich eine Freundschaft mit dem Inder. Zuweilen wohnt er Tür an Tür mit Ihnen in Bad Soden.
Anand beim Simultan
Schmitt: Ja, es fing an mit dem Simultan am Freitag, 8. Juli 1994, bei dem 162 Spieler mitmachen wollten. Flugs bastelten wir noch ein zweites Simultan am Tag darauf. Beide ausverkauft mit jeweils 40 Teilnehmern – die Simultan-Norm für die Frankfurt Chess Classic war festgezurrt. Kein Spieler mehr, keiner weniger, es wurden insgesamt bis heute 20 dieser Veranstaltungen zelebriert. Das Erstlingswerk 1994 war schon ein Hammer, aber in den Jahren 1995 und 1996 ließ Vishy mich zweimal aus guten Gründen im Stich: 1995 New York ging es im World Trade Center gegen Kasparov um den Titel, und 1996 stand die Hochzeit mit seiner besseren Hälfte Aruna an.
Die lange Pause hatte aber auch ihr Gutes: 1995 spielten Eric Lobron und Vladimir Kramnik ein Match. Und 1996 waren Kramnik, Alexei Shirov, Robert Hübner und Peter Leko die großartigen Ersatzleute, die ein doppelrundiges Turnier ausfochten. Shirow siegte damals. 1997 waren wir dann mit Anand, Anatoly Karpov, Veselin Topalov und Lobron unterwegs. Danach kam dieses unvergessene Match in Lausanne gegen Karpov. Nach einer siebenrundigen Groningen-Schlacht im K.o.-System traf Anand dann beim WM-Finale der FIDE 1998 auf einen ausgeruhten Karpov über sechs langsame Partien und musste sich erst im Schnellschachstechen beugen. Geradezu unglaublich, hatte er doch vorher im Main-Taunus-Zentrum Karpov mit 3:1 einfach überrollt.
Levon Aronian, Hans-Walter Schmitt, Vishy Anand
Und es wurde noch etwas Größeres daraus: Für Ihren Freund organisierten Sie immer wachsende Schnellschach-Events.
Schmitt: Ja, das stimmt. Endlich hatte Garry Kasparov uns auf seinem Radarschirm entdeckt. Der Weltkonzern Siemens machte alles möglich – und wir nutzten das Zeitfenster, um Kasparov, Anand, Kramnik und Vasily Ivanchuk ans Brett zu bringen. Die Nummer eins bis vier der Welt, weil der Feigling Karpov sich mit rechtsgültigem Vertrag kurzfristig am 23. Mai 1998 „krank“ meldete und wir dann Ivanchuk im Elsass fanden. Ich sagte ihm, wer spielt - und als er den Namen Kasparov hörte, sagte er sofort zu. Worauf ich ihn ermahnte, dass er doch zuerst einmal noch seinem Salär fragen müsste, darauf kam kurz seine Antwort: Das sei ihm egal, das werde schon stimmen. Ich hatte also ein Superturnier, welches Anand vor Kramnik gewann. Kasparov und Ivanchuk spielten um den dritten Platz. Durch die gezielt eingesetzte Note, laut der wir Karpov androhten, ihn auf 250.000 Dollar Schadensersatz zu verklagen, hatten wir auch für das Jahr 1999 ein Superturnier vor der Brust: Diesmal mit ihm, Kasparov und Kramnik – sowie neben den drei großen K natürlich Anand. Mir gefielen diese ganzen Entwicklungen ausgezeichnet und unseren Schachfreunden und Sponsoren auch.
Die Turniere gewannen zunehmend an Popularität, sogar Turnierbücher wurden darüber verfasst – die Frankfurt Chess Classic wurden legendär. Als erster Veranstalter in der Schach-Historie hatten Sie die komplette Top Ten an einem Ort versammelt.
Schmitt: Zuerst kamen noch im Jahre 1999 die „Big Four“, Kasparov, Kramnik, Anand und Karpov, in die Ballsporthalle im Frankfurter Westen. Wir ließen die Puppen tanzen. 1392 zahlende Zuschauer an einem Abend, 13 Minuten „Aktuelles Sportstudio“ mit Vishy Anand gegen Box-Weltmeister Vitali Klitschko an der Torwand: 1:0 für Vishy, vier Minuten „Tagesthemen“, fünf Minuten „Heute Journal“.
Carmen Kass und Hans-Walter Schmitt
Heute kaum mehr vorzustellende Sendezeiten!
Schmitt: Ja, ein wahrer Schachhype ging durch Deutschland! Nur kein deutscher Schachstar war leider weit und breit zu sehen. Dies wollen wir jetzt ändern. Damals legten wir noch einmal eine Schippe drauf und versuchten organisatorisch das Unmögliche: die Premiere der Top Ten – es gelang. Der Titel hatte es in sich. Es gelang uns, die Schach-Weltspitze mit der kompletten Gesellschaft zu verbinden. Siemens Giants, Frankfurt-West Masters, Ordix Open mit 424 Teilnehmer und die Computer-Matches „Fritz on Primergy“ gegen die weltbesten Spieler und der Start der Chess960-Zukunft begann mit zwei Partien Artur Jussupow gegen „Fritz on Primergy“.
Dann folgte der Wechsel nach Mainz.
Schmitt: Wir wussten, dass die Chess Classic in Frankfurt zu Ende gehen würde, denn unsere Promotorin, die Kultur- und Sportdezernenten Sylvia Schenk, wechselte das Metier. Sie wurde Präsidentin beim Bund deutscher Radfahrer. Aber der weiße Ritter aus Mainz, Oberbürgermeister Jens Beutel, war bereits unterwegs – er sah das gewaltige Potenzial des 2000-jährigen Schachspiels für die 2000-jährige Stadt Mainz und setzte alle Hebel in Bewegung, um den großen Schnellschachwettbewerb mit Viswanathan Anand als FIDE-Weltmeister gegen Vladimir Kramnik als Braingames-Weltmeister zu bekommen. Was für ein Auftakt mit unseren Ehrenmitgliedern Vishy und Vlady! Es sollten danach noch neun weitere Superjahre folgen mit jeweils großen Höhepunkten. Anand gewann den Chess-Classic-Titel elfmal. Er war der beste Schnellschachspieler der Welt, ehe er dann 2007 in Mexiko City die vereinigte Krone auch im langsamen Schach gewann und dann endgültig 2008 in Bonn das i-Tüpfelchen auf seine Karriere setzte – wir waren mittlerweile unzertrennliche Freunde geworden.
Was hat Sie mehr überrascht: Der Aufstieg oder das abrupte Ende der Chess Classic?
Schmitt: Der Aufstieg, weil wir unseren anspruchsvollen Zehn-Jahres-Plan um vier Jahre unterschritten. Aber das Ende nach 17 Jahren war auch sehr gut organisiert. Wir hatten bei den Chess Tigers keine zu dicken Beulen oder offene Schrammen verursacht. Unser neues Baby, die Schachschule mit den Chess Tigers und Artur Jussupow, war schon fünf Jahre alt und gedieh. Die Chess Tigers Universität ist das Fundament, auf dem jetzt unsere Schulschach-Erfolge ruhen.
Was machen Sie jetzt? Die Chess Tigers sind geblieben, Ihre Schachschule soll erfolgreich sein.
Schmitt: Neun internationale Schulen mit 46 Schach-AGs bieten einstündige und doppelstündige „Intensiv“-Einheiten an. Sie bringen Woche für Woche 405 Schachschüler an die Bretter. Dafür brauchen wir auch genügend Turniere für Jugendliche, die bei den Chess Tigers unser Hans-Dieter Post arrangiert.
Nun kennen und fördern Sie Anand sein halbes Leben. Im Dezember wird er 50 – und ist der einzige Senior, der mit der absoluten Weltspitze noch immer mithalten kann. Wie erklären Sie sich das? Oder hat Ihnen das Vishy erklärt, woran das liegt?
Schmitt: Viswanathan Anand ist für mich der vielseitigste und beste Spieler aller Zeiten und dazu ein Mensch geblieben von allerhöchster Wertschätzung, ein Mensch gebliebenes Genie und harter Arbeiter. Egal ob Blitz-, Schnell- oder Langsamschach, egal welche Formate K.o.-Turniere, Matches oder Rundenturniere. Wo er noch immer ausbaufähig ist (lacht), ist im Open- und Chess960-Format.
Ihre Passion für Chess960 teilt er noch nicht – aber Open spielt er jetzt doch auf Isle of Man … Glauben Sie, dass Anand noch lange aktiv bleiben wird? Gar ein neuer Viktor Kortschnoi?
HW Schmitt und Viktor Kortschnoj
Schmitt: Auf keinen Fall. Ich wünsche ihm die Einsicht, dass er irgendwann nicht mehr selbst spielt, wenn es zur Plackerei wird und der Abstieg aus der Top Ten der Welt beginnt. Dann soll er uns lieber in Deutschland helfen, einen jungen Menschen an die absolute Spitze zu bringen.
Vincent Keymer! Er ist jetzt 14, Sie unterstützen ihn auch. Was trauen Sie dem Jungen zu? Kann er in die Fußstapfen von Anand treten?
Schmitt: Alles traue ich ihm zu, aber ein Vishy kann er niemals werden, die Zeiten haben sich zu gewaltig geändert. Der Wettbewerb ist viel härter geworden an der Weltspitze. Mit Wattestäbchen kommt man nicht mehr weit, man muss Tag und Nacht hart arbeiten und leidenschaftlich, fast fanatisch Schach lieben. Menschen wie Anand braucht es, um den Stab, das Wissen im offenen Wettbewerb weiterzugeben. Ich sehe da in Deutschland noch reichlich Luft nach oben, die mangelnde Disziplin und die erfüllbare Sehnsucht mit unermüdliches Training zur Spitze zu kommen, machen uns Nationen wie Indien, China, Iran, Russland, Kanada und USA deutlich. Unsere Leistungspyramide im Jugendschach ist einfach nicht breit genug, zu wenig geförderte Jugendliche, die unbedingt an die Spitze wollen – ein Vincent Keymer ist leider zu wenig für Deutschland.
Vincent Keymer
Kommen wir zu Ihrem Jubiläum am 3. Oktober: Sie feiern ab 16 Uhr im H+ Hotel in Bad Soden (Königsteiner Straße 72-74) mit einem Doppel-Simultan die Freundschaft mit Anand. Traditionell - wie immer bei den Chess Classic früher - an 40 Brettern. Dem Diktat musste sich selbst einst Garri Kasparow beugen.
Schmitt: So ist es halt bei den Chess Tigers, wir wollen vergleichbare Wettbewerbe und wir wollen immer Wettbewerbe der Besten organisieren. Wir wollten niemals „Nullachtfünfzehn“!
Wie ist die Gegnerschaft des Ex-Weltmeisters beim Simultan?
Schmitt: Viele Freunde aus den letzten 25 Jahren wollen noch einmal mit dem Weltmeister spielen in freundlicher und vertrauter Umgebung hier im altehrwürdigen Mendelsson-Bartoldy-Saal des H+ Hotels, wo vor 19 Jahren die denkwürdige „Premiere der Top Ten“ stattfand. Der gemittelte DWZ- und Elo-Schnitt ist 1728.
Was wird sonst noch geboten? Auch Vincent Keymer tritt gegen 40 Spieler an.
Schmitt: Vincent hat im letzten Jahr in Bad Nauheim ein kleines 23-iger Simultan gegeben mit einem 100-Prozent-Ergebnis, obwohl Alexander Krastev mit 2345 Elo mitspielte.
Gerüchte behaupten, das Doppel-Simultan mit der Youth Classic wäre nach 25 Jahren Ihr Abschluss als Organisator. Ist es tatsächlich Ihr letzter Event?
Schmitt: So soll es sein, wir konnten die Chess-Tigers-Geschicke am 7. September in gute Hände legen. Der neue Vorsitzende heißt Prof. Dr. Ralph Neininger.
Ein vieljähriger Oberliga-Spieler aus Freiburg …
Schmitt: Zudem übernimmt unser langjähriger stellvertretender Vorsitzender Hans-Dieter Post das komplette Turniermanagement hier in der Region. Ich werde die Zeit genießen als beratender Ehrenvorsitzender ohne jegliches Stimmrecht in den Vorstandssitzungen. Unsere Chess Tigers Training Center GmbH leite ich weiter und hoffe, dass ich meinen Einfluss gelten machen kann, damit die vielen Schüler in den Schulen auch gute Turniere zum Mitmachen bekommen. Ich würde mich riesig freuen, wenn die Youth Classic für die Jugend das wird, was die Chess Classic immer für alle waren. Mein Traum bleibt weiter: ein neuer deutscher Weltmeister, dafür wäre ich bereit, „alles“ zu geben.
Letzte Frage: Was schenken Sie am 11. Dezember dem 15. Weltmeister zum 50. Geburtstag? Es wurde über ein Buch gemunkelt.
Viel Prominenz bei den Chess Classic
Schmitt: Nein, nein, in diesen Wettbewerb zum 50. Geburtstag werde ich nicht mit den vielen indischen und weltweiten Schachjournalisten in den Ring steigen, um ein Marketing-Schnäppchen mit meinem besten Freund zu machen. Mein Plan ist es, ein vernünftiges Werk herzustellen mit den aus seiner und meiner Sicht interessantesten 25 regionalen Partien aus Frankfurt, Mainz und Bad Soden sowie 25 WM-Partien. Dazu gesellen sich 50 kleine bekannte oder unbekannte Geschichten. Meine Ideen sind schon fixiert, die Richtung ist klar, aber jetzt schließen wir am 3. Oktober noch erst das letzte Kapitel – danach kümmere ich mich mit versierten Weggefährten um „25 Jahre – Mein Weg mit Anand“.
Master Class Band 12: Viswanathan Anand
Als Viswanathan Anand auf der europäischen Schachbühne erschien, hatte er in Indien schon einige Erfolge erzielt, die indischen Jugendmeisterschaften und als Jugendlicher auch die Landesmeisterschaften der Erwachsenen gewonnen. Mit gerade einmal 14 Jahren wurde Anand 1984 für die Schacholympiade in die indische Nationalmannschaft berufen. 1987 wurde er Juniorenweltmeister, 1988 verlieh die die FIDE dem 19-jährigen den Titel eines Großmeisters.