Nach Ausschluss: Russisches Team wieder bei FIDE-Weltmeisterschaft dabei

von André Schulz
18.11.2025 – Bei der Teamweltmeisterschaft in Linares ist erstmals seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wieder ein russisches Team bei einem internationalen Mannschaftswettbewerb am Start, wenn auch unter FIDE-Flagge. Das FIDE Council hat dies zugelassen, steht damit aber im Widerspruch zur IOC-Empfehlung. Kritiker sehen auch den Status der FIDE als anerkannten Sportverband im IOC gefährdet. | Fotos: Patricia Claros (FEDA), wenn nicht anders angegeben.

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Nachdem Russland im Februar 2022 sein Nachbarland Ukraine mit einem Angriffskrieg überzogen hatte, wurden die russischen und die weißrussischen Sportverbände mit ihren Mannschaften auf Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees von den internationalen Sportwettbewerben ausgeschlossen. Nach Russland und Weißrussland wurden auch keine internationalen Sportveranstaltungen mehr vergeben. Vom Ausschluss nicht betroffen sein sollten russische und weißrussische Sportler, die als Individualsportler an Wettbewerben teilnehmen wollen. Dieser Empfehlung folgte auch der Weltschachbund FIDE. Russische Spieler konnten und können als neutrale Sportler unter der Flagge der FIDE an Einzelsportveranstaltungen teilnehmen, nicht aber als Team Russland oder Weißrussland auftreten.

Seitdem dieser Beschluss gefällt wurde, arbeiten die russischen Behörden jedoch auf diplomatischen Wegen daran, diese Entscheidung zu umgehen oder aufzuheben und nutzen dabei ihren Einfluss in verschiedenen Ländern und Sportverbänden.

Im Schach stand der Ausschluss der russischen und weißrussischen Teams zuletzt bei der FIDE-Generalversammlung am Rande der letzten Schacholympiade in Budapest im September 2024 zur Diskussion. Der Schachsport spielt für Russland eine besondere Rolle, da Schach traditionell schon in der Sowjetunion und danach in Russland als Volkssport eng mit der Regierung verknüpft war und ist. Nicht nur die Erfolge sowjetischer und dann russischer Schachspieler in Einzel- und Mannschaftswettbewerben wurden zu Propagandazwecken genutzt. Auch hochrangige Schachturniere dienten der Herausstellung der sowjetischen bzw. russischen Position. Wie wichtig das organisierte Schach in Russland ist, kann man daran sehen, dass der ehemalige Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Kreml-Sprecher Dmitri Peskow dort im Aufsichtsrat sitzen.

Lange Zeit stand der Präsident der autonomen russischen Republik Kalmückien dem Weltschachbund als Präsident vor. Kirsan Ilyumzhinov war 1995 ins Amt gewählt worden und gehörte zur russischen Nomenklatura mit engen Verbindungen in die russische Regierung. Diese schickte ihn gerne als harmlos wirkenden Emissär, wenn es für russische Verbündete eng wurde. Nicht zufällig war Ilyumzhinov der letzte offizielle hochrangige Gast bei Hussein und Gaddafi, als diese kurz vor ihrem Sturz standen.

Wenn es teure, hochklassige Turniere zu veranstalten und zu bezahlen galt, konnte Ilyumzhinov notfalls bei der russischen Regierung nachfragen und fand Gehör. Einer der Oligarchen wurde dann beauftragt, mit seiner Firma als Sponsor aufzutreten. 2014 fand die FIDE beispielsweise keinen Ausrichter für die Neuauflage des Weltmeisterschaftskampfes Carlsen gegen Anand. Die russische Regierung und offiziell der Russische Schachverband sprangen ein, und die Weltmeisterschaft fand in den inzwischen leeren Sportanlagen der Wintersportolympiade in Sotschi statt. Vladimir Putin kam persönlich zur Schlussfeier und gratulierte Carlsen.

Nachdem Ilyumzhinov infolge seiner Verwicklungen in dubiose Bank- und Ölgeschäfte in Syrien nicht mehr haltbar war – das US-Schatzamt hatte ihn auf seine schwarze Liste gesetzt, wonach auch die FIDE keine Bank mehr für seine Finanzabwicklungen fand – wurde mit Arkadij Dvorkovich ein anderer Russe zum Nachfolger gewählt. Dvorkovichs Vater war ein bekannter Schachschiedsrichter in der UdSSR, und Arkadij Dvorkovich hatte ebenfalls gute Kontakte in die Schachwelt – und in russische Regierungskreise. Zeitweise war Dvorkovich Wirtschaftsberater der Regierung, dann stellvertretender Ministerpräsident. Danach war er der Hauptorganisator der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland. Von dort kam er zur FIDE.

Arkady Dvorkovich bei der Eröffnung in Linares

Nach seiner Wahl machte der neue FIDE-Präsident eine gute Arbeit. Er berief Fachleute in die Gremien und agierte bei verschiedenen Entscheidungen verbindlich. In Russland wird man froh gewesen sein, dass man über Dvorkovich weiter Einfluss im Weltschachbund ausüben konnte. Dann kam allerdings der Angriff auf die Ukraine. Man kann sich vorstellen, dass Dvorkovich als Vertreter Russlands an der Spitze eines für Russland wichtigen Sportverbandes bald unter Druck stand, die Sanktionen gegen Russland wieder aufzuheben. Dieser Vorschlag wurde bald auch wiederholt vorgelegt. 

Foto: FIDE

Bei der Generalversammlung der FIDE in Budapest im Herbst 2024 stimmte die Mehrheit der Delegierten jedoch dagegen, die Sanktionen gegen Russland und Weißrussland generell wieder aufzuheben. Viele Delegierte fürchteten nachteilige Konsequenzen in den Beziehungen zum IOC, wenn die FIDE von der generellen Politik des Olympischen Komitees abweichen würde. So geschah es mit dem von Russland kontrollierten Boxverband IBA, dem das IOC die Anerkennung als Sportverband entzog.

Tatsächlich hat das IOC noch im Mai 2025 den Ausschluss der russischen und weißrussischen Sportverbände und ihrer Teams bekräftigt. Auch bei der Wintersportolympiade 2026 in Cortina d'Ampezzo sollen russische und weißrussische Teams nicht starten dürfen. „Die Empfehlung der IOC-Exekutive aus dem März 2023 bezüglich Mannschaften von Athleten mit einem russischen Pass bleibt bestehen“, teilte das IOC mit: „Sie basiert auf der Tatsache, dass eine Gruppe neutraler Einzelathleten per Definition nicht als Mannschaft angesehen werden kann.“ Einzelsportler betrifft die IOC-Empfehlung nicht, sie dürfen als „neutrale Athleten“ in Italien dabei sein.

Bei der FIDE-Generalversammlung stimmten die Delegierten allerdings für einen Antrag, mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) Konsultationen über die Möglichkeit einer Aufhebung einiger Beschränkungen für Kinder und schutzbedürftige Gruppen durchzuführen.

Live-Video von der Generalversammlung

Nun findet sich aber aktuell schon ein russisches Team im Teilnehmerfeld der Team-Weltmeisterschaft der Frauen, die am Montag in Linares begonnen hat. Sie nehmen dort als „neutrales Team“ unter der Flagge des Weltschachbundes teil.

Nicht nur George Mastrokoukos sieht das als eklatanten Verstoß gegen die IOC-Empfehlungen, der den ohnehin nicht ganz einfachen Status des Schachs als anerkannte Sportart im IOC gefährden könnte.

Die FIDE begründet das gemäß George Mastrokoukos wie folgt: Beim Meeting des FIDE Council im Juli 2025 wurde beschlossen, dass man die Teilnahme eines Teams von russischen Spielerinnen unter neutraler Flagge erlauben möchte, wenn das Internationale Olympische Komitee sich nicht dagegen ausspricht. Angeblich hat das FIDE Council dann einen Brief mit dieser Anfrage an das IOC geschickt, aber keine Antwort bekommen. Das wurde als stillschweigende Zustimmung gedeutet.

Am Montag, dem Tag des offiziellen Beginns des Turniers, hat der ukrainische Verband einen offiziellen Protest an den spanischen Ausrichterverband adressiert, berichtet Peter Heine Nielsen auf X. Auch die Ukraine ist mit einem Team am Start. Man kann sich aber kaum vorstellen, dass die beiden Teams gegeneinander antreten können.


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.
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