Nachruf auf Holger Winterstein (1955-2018)

von André Schulz
24.01.2018 – Letzte Woche haben wir einen lieben Kollegen verloren. Holger Winterstein erschien am Dienstag (16.1.) nicht zur Arbeit und hatte sich auch nicht abgemeldet. Da so etwas in seiner Zeit bei ChessBase noch nie vorgekommen war, musste etwas Schlimmes passiert sein. Die Polizei wurde benachrichtigt und fand ihn in seiner Wohnung tot im Bett, in der Nacht friedlich für immer eingeschlafen. (Foto: Nadja Wittmann)

ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024 ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024

ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan

Mehr...

"Bis morgen in alter Frische!"

Die Nachricht von Holgers Tod traf die Kollegen am Dienstag Mittag und sorgte für große Bestürzung. "HoWi", wie Holger häufig kurz gerufen wurde, war ein sehr beliebter und geschätzter Kollege, dessen plötzlicher Verlust großes Entsetzten hervorrief. Am Freitag hatte er noch mit seiner Mannschaft vom Hamburger Schachklub, HSK 16, deren Mannschaftsführer er war, in der Bezirksliga D des Hamburger Schachverbandes im vereinsinternen Duell gegen HSK 15 einen Schach-Wettkampf gespielt.  Montag erschien er wie gewohnt zur Arbeit und verabschiedete sich am Abend auf seine bekannt fröhliche Art, meist verbunden mit der Grußformel: "Bis morgen in alter Frische!"

Holger Winterstein (Foto: Nadja Wittmann)

Holger Winterstein übernahm vor elf Jahren bei ChessBase die Aufgaben in der Versandabteilung. Er konfektionierte die eingegangenen Bestellungen, stellte die Sendungen zusammen und kümmerte sich um einen schnellen Versand. Die Kunden von ChessBase schätzen die rasche Erledigung ihrer DVD-Bestellungen. In der Kette der Mitarbeiter, die daran beteiligt sind, war Holger das letzte Glied und mit seiner Tatkraft mitverantwortlich, dass die Waren das Haus zügig verließen. Zu den Sendungen, die er zusammenstellte, gehörten nicht nur unzählige Bestellungen von Privatkunden, sondern viele sehr umfangreiche Aufträge, Bestellungen von Händlern aus dem europäischen Ausland, aber auch aus Übersee - mit zum Teil sehr komplizierten Zollanforderungen. Je nachdem, um welche Auftragsgröße es sich handelte, um welches Zielland und welche Terminanforderungen dabei zu beachten waren, musste Holger auch entscheiden, welcher Dienstleister der richtige war. Das alles erledigte er mit großer Souveränität, zeitweise allein, später zusammen mit Thomas Meyer. In den letzten Jahren übernahm er außerdem auch noch den Support für das Fritz&Fertig-Kinderschach-Programm.

Regelmäßig herrschte und herrscht in unserer Versandabteilung besondere Alarmstimmung: sechsmal im Jahr, wenn der Versand des ChessBase Magazins ansteht, das sehr viele Abonnenten in aller Welt hat, und ganz besonders nach den Rabatttagen, an denen viele Kunden ihre Bestellungen aufgeben. Aber auch an diesen stürmischen Tagen behielt Holger die Übersicht, ließ sich nicht die gute Laune verderben und erledigte seine Arbeit mit der gewohnten Sorgfalt. Schlechte Laune kannte er nicht.

Holger Winterstein bastelt sich einen Blumenkorb aus DVDs (Foto: Nadja Wittmann)

Zur Arbeit kam Holger stets per Fahrrad, im Sommer wie im Winter, bei Regen, Sturm, Schnee oder Gluthitze. Offenbar erledigte er alle seine Wege mit dem Fahrrad. Ein paar Mal wurde ihm das Fahrrad geklaut. Einige Unfälle hatte er auch. Der Weg von seiner Wohnung in Lurup zum ChessBase-Büro war alles andere als eine Kurzstrecke - knapp 15 km vom Hamburger Westen nach Barmbek, morgens hin, abends zurück, fast 30 km am Tag, 150 km in der Woche, 600 km im Monat, weit über 6000 km im Jahr. Seine Fahrleistung auf dem Drahtesel erfüllte Holger durchaus mit Stolz.

Doch vielleicht war es die Liebe zum Spiel, die in Holgers Leben den größten Raum einnahm. Als Schüler gehörte er zur Schulschachgruppe SG HHUB (Schachgemeinschaft Heinrich Hertz-Uhlenhorst Barmbek). 1973 trat er als 18-Jähriger in den Hamburger Schachklub ein und blieb seinem Schachverein immer eng verbunden. Er nahm an den Mannschaftswettkämpfen teil und beteiligte sich organisatorisch am Vereinsleben.

Holger mochte aber nicht nur das Schachspiel. Er liebte alle Arten von Spielen und brachte es besonders im Bridgespiel zur Meisterschaft. Er spielte in der Bridge-Akademie Hamburg und im Bridge- und Turnierclub Hamburg. Außerdem spielte er als "Howi1111" online bei ACOL at BBO, einer Bridge-Online-Plattform, die besonders in den Commonwealth-Ländern weit verbreitet ist. Zusammen mit seinem Hamburger Bridge- und Schachkollegen Ralf Kadler und anderen Bridgepartnern war Holger dort sehr erfolgreich und ist in der "Hall of Fame" der Seite gleich zweimal verzeichnet, als "Expert Player" und als "Tourney League Winner". ACOL at BBO widmete Holger einen kleinen, aber weltweit sichtbaren, Nachruf:

"We are sorry to hear from Ralf in Hamburg that Holger Winterstein (howi1111) passed away on Tuesday 16 January. Holger was a fine player who regularly took part in our Tournaments - with success, having his photo in the gallery of past winners."

ACOL at BB0...

Ralf Kadler und Holger Winterstein, Sieger bei einem Bridge-Turnier (Foto: Ralf Kadler)Holger war in Bridgekreisen ein überaus beliebter Bridgepartner. Er war ein ausgezeichneter Spieler, aber er brachte viel Geduld auch für schwächere Spielpartner auf und versuchte ihnen einen Teil seiner Kenntnisse zu vermitteln. "Holger spielte gut, aber nicht verbiestert. Und er war ein sehr ethischer Spieler", urteilte sein Bridge-Partner Ralf Kadler. Bisweilen erzählte Holger den staunenden Kollegen Anekdoten aus der Bridgewelt, wo reiche ältere Witwen nach Bridgekreuzfahrten den deutlich "jüngeren" Schiffsarzt heirateten (und überlebten). Oder dass die Wertungszahl im Bridge immer die höchste Zahl ist, die ein Bridgespieler je erzielt hat (anders als im Schach, wo die Elo-Zahl auch schrumpfen kann). Viele Geschichten erzählte Holger nicht, aber wenn er sie erzählte, dann nahm er sich Zeit dafür und erwartete von seinen Zuhörern Geduld.

Neben seinem Sinn für das Spiel zeichnete sich Holger durch einen unglaublichen Optimismus aus. In seinem Leben wurde er nicht unbedingt vom Glück verfolgt. Nach der Schulausbildung hatte er Vermessungswesen studiert, das Studium jedoch nicht abgeschlossen. Dann absolvierte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann und arbeitete als Fachberater für Elektronikwaren im einstigen Hamburger Elektronik-Kaufhaus Brinkmann an der Mönckebergstraße, bis dieses 2001 insolvent ging. Schließlich fand er nach einiger Zeit bei ChessBase eine neue Wirkungsstätte und vielleicht auch einen kleinen Familienersatz. Zuhause in Lurup lebte er alleine.

Holger erzählt (Foto: Nadja Wittmann)

Trotzdem oder gerade deshalb war er sozial engagiert, war Pate beim Kinderhilfswerk "Plan International" und engagierte sich persönlich bei Werbeaktionen. Holger hatte ständig neue Ideen und schaute stets nach vorne. Jede Woche glaubte er aufs Neue, dass er nun endlich die "sechs Richtigen" im Lotto getippt hätte. Freitags kam er immer und diskutierte den aktuellen Spieltag in der Fußball-Bundesliga.  

Am letzten Freitag kam er nicht mehr.

Holger Winterstein wurde 62 Jahre alt.


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

Diskutieren

Regeln für Leserkommentare

 
 

Noch kein Benutzer? Registrieren