11.12.2008 – Gestern begann in der ehemaligen chinesischen Hauptstadt Nanking (Nanjing)
offiziell mit der Eröffnungsfeier das Pearl Spring-Turnier, das erste richtige
Superturnier in der (internationalen) Schachgeschichte Chinas. Das sechsköpfige
Feld bilden Veselin Topalov, Vassily Ivanchuk, Levon Aronian, Peter Svidler,
Sergei Movsesian und als Vertreter des Gastgebers Bu Xiangzhi. China hat
bekanntlich eine eigene Schachvariante, aber das Interesse am internationalen
Schach wächst und laut Xie Jun sollen schon 3 Mio. Chinesen diese Schachform
beherrschen, 300.000 seien im Schachverband organisiert. Die Eröffnungsfeier war
laut Leontxo Garcia das Beste, was er in 25 Jahren als Schachjournalist gesehen
hat. Heute fand die erste Runde statt (9 Uhr MEZ). Bu nutzte seinen Heimvorteil
gegen Movsesian zum Sieg, die beiden übrigen Partien endeten remis. Turnierseite...Bericht, Bilder, Partien...
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Das neue China - im großen Stil!
Von Lentxo Garcia
Nanjing, den 10. Dezember
Es wäre
wunderbar, wenn das Schachspiel sich unter den 1.300 Millionen Chinesen
tatsächlich in einen Massensport verwandeln würde. Die ersten Schritte in diese
Richtung werden bereits unternommen. Heute beginnt in Nanjing ein neues Turnier
der Weltelite, das stärkste aller Zeiten in China. Die Begegnungen der ersten
Runde sind: Aronian-Topalov, Ivanchuk-Svidler und Movsesian-Bu. Die radikale und
rasche Verwandlung des "Reichs der Mitte" ist beeindruckend.
Dies ist
mein zweiter Besuch in China. Die Leser werden vielleicht lachen, wenn ich ihnen
erzähle wie kurios mein erster Aufenthalt sich gestaltete. Das war vor fast zehn
Jahren, als eine spanische Firma mich nach Tianjin (10 Millionen Einwohner, 120
Kilometer von Peking entfernt) schickte, um Schachuhren zu testen. Mein
Arbeitstag bestand daraus, um acht Uhr morgens in eine Fabrik zu gehen, im Lager
irgendeinen Karton aus dem Regal zu ziehen, die Uhren herauszunehmen und sie auf
einen Tisch zu legen, wo ich mit acht oder zehn Arbeitern (die meisten von ihnen
mit den typischen „Mao-Hemden“ bekleidet) bis fünf Uhr nachmittags (mit einer
Stunde Mittagspause) an einem Tisch stand, um das unaufhörliche Geklimper beim
Drücken der Knöpfe zu koordinieren, das dazu dienen sollte, deren Widerstand zu
messen.
Die
Verwandlung Chinas hatte schon damals begonnen, aber verglichen mit dem, was ich
gerade gesehen habe, ist der Unterschied so himmelschreiend wie der zwischen dem
Spanien der siebziger Jahre und dem der heutigen Zeit. Im Jahre 1999 gab es in
China noch weit mehr Fahrräder als Autos. Heute sind die Staus zur Rush-Hour schrecklich. Auch wenn
es hier immer noch mehr Fahrräder gibt als in Spanien, sind jedenfalls nicht
mehr so viel mehr als in Holland. Übrigens haben die Ampeln hier eine
Sekundenanzeige, damit man weiß wie lange man warten muß und ob es noch reichen
wird, um einen Telefonanruf zu erledigen, sich die Fingernägel sauber zu machen,
oder vom belegten Brot abzubeißen, bevor die Ampel wieder auf grün springt. Es
ist eines der Symbole dafür, wie im neuen chinesischen Kapitalismus - der wild
aussieht, aber in Wirklichkeit der eisernen Kontrolle der kommunistischen
Regierung unterliegt – jeden Moment nutzt, um mit wahnsinniger Geschwindigkeit
zu wachsen, obwohl die Krise auch bis in diese Breitengrade vordringt. Mich
erstaunt, dass die Benzinpreise fallen denn allein mit dem, was hier verbraucht
wird muß die Nachfrage enorm sein.
Und die
Unterschiede hier in Nanjing (mit 7,5 Mill. Einwohnern, 350 km südöstlich von
Shanghai) zum China von vor zehn Jahren, finden sich nicht nur im Verkehr
wieder. Neue Autobahnen, Wolkenkratzer, Neonlichter, Luxuseinkaufszentren,
Mobiltelefone, westliche Kleidung und Werbung für multinationale Firmen (allein
in Nanjing gibt es davon 107), Mc Donald´s, riesige Möbelmärkte wie IKEA, usw.
Wenn man die chinesischen Schriftzüge wegnehmen und die Fotos durch andere
Personen ersetzen würde, könnte man sich auch in jeder anderen europäischen oder
amerikanischen Großstadt befinden.
Dies ist
wenigstens der Eindruck, der einem bleibt, wenn man aus dem Autofenster schaut,
nachdem man gerade einer der kilometerlangen Brücken über den majestätischen
Jangtse (der längste Fluß Chinas und der drittlängste der Welt nach Nil und
Amazonas), passiert hat, deren Bau 10 Jahre in Anspruch genommen hat. Dennoch
ist das “wirkliche” China im Innern weiterhin praktisch völlig in Takt: seine
reichhaltige Geschichte, seine raffinierte Kunst, seine exquisiten Speisen und
die unzähligen Teesorten; vor allem aber die außergewöhnliche Sensibilität und
Feinfühligkeit der Leute.
Wenden
wir uns aber dem Schach zu, denn das ist es vermutlich, was die Leser hier
eigentlich erwarteten, auch wenn ich hoffe, dass die Einleitung Ihnen trotzdem
gefallen hat. Die Kulturen Chinas, Japans, Koreas und Vietnams haben seit jeher
viele Gemeinsamkeiten, auch wenn dies nicht verhindern konnte, dass es zu
grausamen Kriegen und Gemetzeln kam, wie zum Beispiel das „Massaker von Nanjing“,
welches 1937 in den Händen der Japaner 300.000 Menschen das Leben kostete.
Vorher, Mitte des 19. Jahrhunderts, (Nanjing war während zehn Dynastien die
Hauptstadt Chinas), zerstörten die kaiserlichen Truppen den Porzellan Turm,
eines der Weltwunder dieser Epoche. Einer der geteilten Werte der Asiaten ist
es, dass ein sehr kultivierter Mensch Kenntnisse in den Bereichen Musik,
mentaler Sport, Poesie und Kunst in eben dieser Reihenfolge besitzen sollte.
Die
Denksportarten für die Massen (und zwar in massiver Art und Weise) sind in
diesen Ländern schon immer “Go” und Varianten des Schachs (chinesisches Schach,
koreanisches Schach, japanisches Schach oder Shogi) gewesen, und sie sind es
ebenfalls, die viel Geld bewegen konnten. So sehr, dass es nicht einmal ein
gesteigertes Interesse daran gibt, diese auch in den Westen zu exportieren, weil
der Markt in diesen Ländern selbst schon genug hergibt. Der Import des
traditionellen Schachs funktioniert jedenfalls perfekt und die Entwicklung geht
immer schneller voran. Heute, während des Essens, erzählte mir der
Generalsekretär der FIDE aus Singapur, Ignatius Leong, dass er gerade in Korea
und Vietnam gewesen ist, wo seriöse Infrastrukturen entstehen und es über alle
Regionen verteilt sehr gute Schachlehrer gibt. Wenn der Leser sein Augenmerk
allein auf die Vietnamesen richten mag, die kürzlich bei den
Jugendweltmeisterschaften U-18, 16, 14, 12, 10 und 8 aufs Siegertreppchen
gestiegen sind, wird er leicht die erfreulichen Resultate dieser Vorgehensweise
erkennen.
Dasselbe
kann ich für Indien bestätigen, wo es im Schatten der Hitze von Anands Erfolgen
jedes Jahr viele Medaillen regnet. Die Zukunft des Schachs ist dort, wo es
seinen Ursprung hat: in Asien und zwar mehr als in jeder anderen Region der
Welt, auch wenn Japan diesbezüglich noch sehr jungfräulich dasteht, weil Shogi
dort ein Dauerbrenner ist.
Darum
trat der kanadische Wirschaftsnobelpreisträger Robert Mundell, der auch als “der
Vater des Euros” bekannt ist, offenene Türen ein, als er Nanjing besuchte und
erklärte, die chinesischen Städte könnten ihre Weltoffenheit am leichtesten
unter Beweis stellen, wenn sie internationale Schachturniere organisieren
würden, die einen hohen Werte an Intelligenz, Harmonie, Universalität,
Geschichtsträchtigkeit unter Verwendung des Internets unter Beweis stellen
würden. Und nun sind wir hier: bei einem neuen Schachturnier, das geboren wurde,
um wenigstens 5 Jahr zu überleben und mit der Möglichkeit, dieses in den Grand
Slam einzubinden; der Preisfond ist dieses Mal 250.000 Euro bei sechs Spielern.
Der einzige Punkt, der mir nicht ganz klar ist, weil er die Präsenz eines
Publikums merklich erschwert ist, warum das Turnier in einem Hotel, auch wenn es
wirklich exzellent ist, das 60 Kilometer Autobahnfahrt vom Stadtzentrum entfernt
liegt. Ich werde versuchen, herauszubekommen wieso das so ist.
Die
wunderschöne Eröffnungsfeier
Während
des elfstündigen Fluges von Frankfurt nach Nanjing, den ich mit einem halben
Dutzend Schachspielern teilte, (Levon Aronian und Arianne Caoili (seine Frau);
Veselin Topalov, Silvio Danailov (Topalovs Manager und Sekundant) und Paco
Vallejo (sein Sekundant) sowie Boris Kutin, Präsident der ECU), war ich sehr
neugierig darauf, wie wohl ein Schachturnier in China so sein würde. Aber meine
Vorstellungskraft reichte nicht aus, um das zu erahnen, was dann geschah: eine
zehnköpfige Delegation erwartete uns am Flughafen, schon vor der Passkontrolle,
damit die Abwicklung der Formalitäten schnell und problemlos ablaufen konnte.
Ein Autokonvoi, begleitet von einer Polizeieskorte mit Blaulicht und
Sirenengeheul, brachte uns innerhalb einer Stunde zum Hotel, immer auf der
linken Spur der Autobahn klebend. Bei unserer Ankunft, erwarteten uns zahlreiche
offizielle Persönlichkeiten, viele freiwillige Helfer und ein Großteil des
Hotelpersonals in martialischer Art und Weise in der Eingangshalle des Hotels
postiert, um uns die angemessene Ehre zu erweisen. Alles andere, wie
Internetverbindung, Verpflegung und Zimmer entsprechen demselben Niveau an
Gastfreundschaft. Den Spielsaal habe ich bis jetzt noch nicht gesehen, aber ich
bin sicher, er wird genau so wunderbar sein.
Das bisher unvergeßlichste Erlebnis ist die Eröffnungsfeier
gewesen; die beste, die ich in meinen 25 Jahren “Dienstzeit” als Journalist je
erlebt habe (und Kutin, der bei noch viel mehr Turnieren zu Gast war als ich,
sagt dasselbe). Natürlich
spreche ich hier von den Eröffnungsfeiern der Schachturniere, denn es wird
schwerlich möglich sein, dass irgendjemand in den nächsten einhundert Jahren die
Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele übertreffen wird, die am 8. August in
Peking stattfand. Ort der Veranstaltung, mit zig musikalischen und tänzerischen
Darbietungen auf höchsten Niveau, in bunten Kostümen und mit einer
Choreographie, die an Perfektion grenzte, war das Zentrum für Kultur und Kunst,
eine riesige Veranstaltungshalle bis oben hin voll mit 1.000 Zuschauern (unter
ihnen viele Studenten).
Vorher
kamen die sechs Teilnehmer auf die Bühne (genau gesagt waren es nur fünf, weil
der leicht verwirrte Ivanchuk erst 3 Stunden vor der ersten Runde ankommen wird,
aber Kutin vertrat ihn auf der Bühne). Jeder der Spieler, alle mit Maßanzügen in
chinesischem Design, hatte ein kleines chinesisches Mädchen an der Hand und
hielt eine kurze Rede bevor er seine Nummer für die Auslosung der Paarungen zog.
Levon Aronian, Boris Kutin und Veselin Topalov in Anzügen der ortsüblichen Mode
Svidler hält eine Ansprache
All dies,
nachdem in aller Feierlichkeit und Andacht der chinesischen Nationalhymne
gelauscht wurde, in Anwesenheit von berühmten Persönlichkeiten, wie z.B. der
Vizepräsidentin des chinesischen Olympia-Komitees.
Märchenhafte Eröffnungsfeier
Schwarz und Weiß
Zurück im
Hotel, war die chinesische Ex Weltmeisterin Xie Jun so nett, sich zu mir zu
gesellen. Sie ist immer noch genauso charmant wie damals, als ich sie bei der
Schacholympiade in Manila 1992 zum ersten Mal interviewte. Aber jetzt hat sie
einen anderen Beruf: sie hat jetzt eine sechsjährige hochbegabte Tochter, die
sie über alles liebt und leitet eine offizielle Behörde zur Erkennung und
Ausbildung von Talenten in internationalem Schach, chinesischem Schach und Go in
der Region von Peking. Sie gibt zu, dass als sie noch sehr viel reiste, sie mit
dem Gedanken gespielt hatte, nach Europa überzusiedeln. Aber am Ende bemerkte
sie, dass wir Europäer zu unabhängig sind. Sie vermisste die menschliche Wärme
und die gegenseitige Abhängigkeit der Landsmänner und –Frauen von einander.
Außerdem erzählte sie mir, dass das internationale Schach in China sehr schnell
voran schritte, auch wenn es immer noch ein „Minoritätensport“ sei, verglichen
mit den 300 Millionen Go-Spielern. „Nur“ 3 Millionen spielten Schach und 300.000
Spieler seien Verbandsspieler, aber es gehe voran und bald werde das
internationale Schach das chinesische Schach überrunden „weil die strategischen
Basiskonzepte beide Schacharten ähnlich sind und das internationale Schach mehr
Spaß macht“. Dieser Satz kommt mir sehr gelegen, um diese Chronik zu beenden und
schlafen zu gehen, während ich moderne chinesische Musik höre: Nanjing ist immer
noch bekannt als „Stadt aus Stein“, wegen der bekannten Mauer, die heute
zerstört ist, aber die Stadt während mehrerer Jahrhunderte beschützte. Vielleicht
wird dieses Turnier auch eine Mauer einreißen und das Schach das Land mit der
größten und am meisten voranstrebenden Bevölkerung der Welt „überfluten“.
Nachdem was ich Ihnen gerade geschildert habe und wenn man den 300 Personen
glauben darf, die in der Organisation dieses Turniers mitarbeiten, wird dieses
Turnier ein großes Echo auslösen.
Übersetzung aus dem Spanischen: Nadja Woisin, ChessBase
ChessBaseDie ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.
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