Nachdruck aus
Neues Deutschland mit freundlicher
Genehmigung des Autors.

„Jester’s Game“ für drei – das zeitgemäße Schach
für die neoliberale Globalisierung:
Eben noch Dein Freund – und schon rammt er
Dir ein Messer in den Rücken …
Wie ein Narr am Brett: So
fühlen wir uns oft, wenn wir beim Schach mal wieder in eine Anfängerfalle
tappen. Künftig dürfen wir während einer Partie jedoch in Würde den Narren
geben: dank „Jester’s Game“, schließlich ist der „Hofnarr“ – englisch: Jester
– Namensgeber und wichtige Figur in dieser neuen Version des Königlichen
Spiels. Die obendrein gleich für drei Teilnehmer angelegt ist; der Autor Dr.
René Gralla hat sich vom Erfinder Heinrich Koller (60) aus Riedenburg im
Altmühltal die Feinheiten von „Jester’s Game“ erklären lassen.
Kreative Köpfe denken sich immer wieder mal
eine Schachvariante für mehr als zwei Gegner aus. Bisher allerdings ohne
dauerhaften Erfolg. Nun aber wollen Sie, Herr Koller, Ihr „Jester’s Game“ für
drei auf den Markt bringen. Warum?
Der Wunsch, das königliche
Spiel zu erweitern, geht zurück bis auf das Mittelalter. Alle früheren Versuche
sind aber daran gescheitert, dass die Leute unbeirrbar am Quadrat klebten,
nämlich am Viereck als Grundform des Feldes. Aus geometrischen Gründen kann ich
aber nicht drei Personen an einem Quadrat vereinen, ohne dass es in der
Zentralregion des Schachplanes zu Übergangsschwierigkeiten kommt: Dort müsste
ich, wenn ich das Viereck bewahren wollte, entweder Haken schlagen lassen oder
Bögen ziehen.

Heinrich Koller
Das beantwortet aber noch nicht die
Grundfrage: Wozu brauchen wir ein Trio-Schach?
Wer selber einmal „Jester’s
Game“ ausprobiert, stellt fest: Im Vergleich dazu ist das normale Schach
langweilig und trocken. Und das ist ja auch klar: Zu dritt macht die Sache
einfach mehr Spaß. Zumal Sie bei „Jester’s Game“ einen Zusatzkick kriegen: Jede
Partie endet mit einem Sieger – und mit zwei gleichrangigen Verlierern. Und das
garantiert auf jeden Fall einen harten und spannenden Kampf.
Für das eingangs angesprochene Problem des
Designs – drei Denksportler fighten auf einem virtuellen Center Court in einem
einzigen Match um Sieg und Platz – haben Sie eine verblüffende Lösung gefunden:
Dreiecke an Stelle der gewohnten Schachquadrate …
… dieser Kniff macht es
möglich, dass Sie, wie Sie das aus dem klassischen Schach kennen, geradeaus und
diagonal ziehen – und trotzdem parallele Wirkungen in beide Richtungen erzielen,
mit Blick auf Ihre anderen beiden Gegner.
An welchen
Punkten wechseln die Figuren von Dreieck zu Dreieck?
So wie im Schach, wo die
Steine von Quadrat zu Quadrat wandern. In „Jester’s Game“ dürfen Sie für
Stellungswechsel sowohl Längsseiten als auch Spitzen der Felddreiecke nutzen.
Trioschach – in „Jester’s Game“ heißen die
Parteien Gelb, Rot und Blau - ist belastet mit einer besonderen Schwierigkeit.
Nehmen wir an, Gelb knöpft sich zuerst die Roten vor, beide Seiten müssen
Verluste hinnehmen – während Blau seine Truppen schont und nicht eingreift. Da
wäre Blau beim finalen Showdown der lachende Dritte – und der mutige, aber
vorzeitig ausgepowerte erste Angreifer der Gelackmeierte …
… es sei denn, der rote König
wird von den Gelben doch matt gesetzt: Dann ist die Partie plötzlich zu Ende –
und Gelb der Gesamtsieger. Neben Rot hätte nämlich auch Blau verloren – weil es
dem Dritten nicht gelungen ist, seinerseits einen der feindlichen Monarchen in
einem Mattnetz zu fangen.

Folglich hätte Blau im gegebenen Fall den
Roten helfen müssen – um den gelben Sturm zu stoppen und ein vorzeitiges Aus
nicht nur für Rot, sondern eben auch für den zunächst scheinbar unbeteiligten
Blauen zu verhindern?
Richtig. In „Jester’s Game“
ist eben auch Ihr psychologisch-taktisches Geschick gefragt. Wenn Sie merken,
dass einer der drei Kontrahenten besonders stark ist, sollten Sie mit dem
schwächeren Dritten – der eher auf Ihrem Niveau liegt – ein Zweckbündnis
eingehen. Gemeinsam haben Sie bessere Chancen, die dominierende Macht auf dem
Brett zu kontrollieren und Unentschieden zu halten.
Werden solche Allianzen ausdrücklich ausgehandelt?
Nein. Das läuft intuitiv ab:
Sie müssen die konkrete Situation analysieren und erkennen, wer sich gerade auf
Ihre Seite geschlagen hat. Und wer momentan Ihr Feind ist.
Wie im richtigen Leben …
… das ist ja auch der Clou
bei „Jester’s Game“. Vergessen Sie aber nie: Ein Matt irgendwo auf dem Brett
beendet sofort das Spiel. Folglich hält jede Koalition nur kurzfristig; auch Ihr
aktueller Bündnispartner bleibt Ihr Gegner. Aufschlussreich ist insofern die
Reaktion von Managern, denen ich das Spiel demonstriert habe. Die haben mir
gesagt: Das läuft ja ab wie der tägliche Überlebenskampf in meiner Firma; heute
liiere ich mich mit einer Person, morgen rammt sie mir das Messer in den Rücken.
„Jester’s Game“ – das zeitgemäße Schach für
die neoliberale Globalisierung?
Ja (lacht)!
Psychotricks bei „Jester’s Game“ sind das
eine; hinzu kommt, dass Gelb, Rot und Blau jeweils über einen Extra-Bauern
verfügen - sowie über eine Zusatzfigur, den „Jester“, zu deutsch: „Hofnarr“.
Ich habe das Arsenal pro
Partei – 18 Steine, zwei mehr als im gewohnten Schach – erweitern müssen, um in
der Startstellung das optische Gleichgewicht zu schaffen: König vis-à-vis König,
Turm vis-à-vis Turm, und so weiter.
Wie zieht der „Jester“?
Der „Hofnarr“ ist äußerst
behend und mobil, weil er in sich die Fähigkeiten von Dame und Springer
vereinigt. Mit einer wichtigen Einschränkung: Der „Jester“ muss passiv bleiben.
Bekanntlich schlägt ein Narr niemals zu, folglich darf der „Jester“ auch im
Schach keine fremde Figur niederstrecken und beseitigen. Geschweige denn matt
setzen.
Welche Rolle spielt dieser „Jester“ dann überhaupt noch in einer
Partie?
Die gleiche Rolle, die früher
einem Hofnarren zugestanden hat. Der Schalk unterhält und schützt seinen
Herrscher – und „Jester’s Game“ spiegelt das in einer Sonderklausel wieder: Der
Hofnarr kann nur dann aus einer Partie eliminiert werden, wenn er aus zwei
Richtungen bedroht wird – zum Beispiel Rot und Blau Arm in Arm gegen den gelben
Jester. Damit nicht genug: Die Figur, die es wagt, sich am Narren eines Königs
zu vergreifen, hat zugleich ihr eigenes Schicksal besiegelt: Da es sich nicht
schickt, einen Narren zu schlagen, muss der Angreifer zusammen mit dem Jester
von der Bühne abtreten.
Spieler werden es sich also dreimal
überlegen, bevor sie einen Jester antasten, der sich schützend vor seinen
Monarchen wirft …
… so schaut es aus. Das macht
den schwachen Narren im Ergebnis zu einer wichtigen Figur.
Abgesehen
vom neuen „Jester“ hat Ihr Schach mit 100 Dreiecken ein größeres Spielfeld als
die normale 64-Felder-Ausgabe. Ändert das etwas an den sonstigen
Zugmöglichkeiten?
Nein. Die Rochade, das
Schlagen „en passant“ mit einem Bauern, die Beförderung eines Fußsoldaten zum
Offizier, insbesondere Dame, nach dem Durchstoß bis zur Basis des Kontrahenten,
der „Grundlinie“: All das ist auch in „Jester’s Game“ möglich.
Planen Sie Turniere in Ihrem Hofnarren-Schach?
Ende 2006 lassen wir einen
internationalen Cup in „Jester’s Game“ ausspielen. Voraussichtlich an einem Ort
in der Schweiz.
Wie lange basteln Sie eigentlich schon an Ihrer
Schachvariante?
Den ersten Prototyp habe ich
1974 rausgebracht.
Gut drei Jahrzehnte Tüfteln an „Jester’s
Game“: Das ernährt eigentlich nicht seinen Mann …
… ich mache auch noch andere
Sachen. Im Hauptberuf bin ich Produktentwickler. Ich war der erste, der eine
elektronische Feuchtregelungsanlage gebaut hat.
Was, bitte, ist das denn?!
Da stecken Sie einen Fühler
in den Boden, messen die Feuchtigkeit, und bewässern entsprechend Ihre –
meinetwegen – Radieschen.
Weitere Informationen zu „Jester’s
Game“ (Regeln und Musterpartien online):
www.jestersgame.com; Preise
pro Spielsatz: zwischen 50 und 70 Euro
Ist Bobby Fischer einer von uns – in der Internationale der Schachnarren?
Narrenschach für Drei – mit
dem gelben, roten und blauen Dämlack gleich auf dem Brett: Das lässt uns
Normalo-Schächer aufatmen, die wir uns oft genug selber wie arme Suppenkasper
hinter dem Brett gefühlt – und aufgeführt - haben. Insbesondere wenn wir mal
wieder in eine dieser notorischen Eröffnungsfallen für Dummies getappt sind –
von denen eine sogar jenen viel sagenden Namen trägt, der schnell zum peinlichen
Label für das Opfer werden kann: das berüchtigte „Narrenmatt“.
Besagter Taschenspielertrick
für Ahnungslose – neudeutsch: „Fool’s Mate“ – geht ja so:
1.f3(?!?!) e5 2.g4?? Dh4#
.
Und eigentlich scheint der
Blitzschluss derart absurd, dass er in der Praxis niemals vorkommen dürfte.
Leider ist das aber ein Irrtum: Murphy’s Law - „Was schief gehen kann, geht
schief." - gilt selbstverständlich auch und sowieso im Reich der 64 Felder – und
eines der Opfer ist sogar schon mal, wenn die Auguren nicht irren, kein
Geringerer als Bobby Fischer himself (!) gewesen.
Über
dieses denkwürdige Ereignis hat der niederländische Schachjournalist und
Buchautor Tim Krabbé in seinem Kult-„Open Chess Diary“ in der Ausgabe 9. Juni
2001 bis 26. September 2001
berichtet: auf
www.xs4all.nl/~timkr/chess2/diary_7.htm
.
Anlass dafür ist das
Auftauchen eines bis dato unbekannten Spielers gewesen, der im Internet unter
dem Pseudonym „guest71“ die absurdesten Eröffnungen wählte – total irre
Auftaktmanöver wie am 1. Juli 2001 gegen einen Meister Zhong 1.f3(?!?!)
… (die legendäre „Hammerschlag-Eröffnung“) 1…. d5 2.Kf2! ...
(ein unfassbarer Plan) 2.... g6 3.Ke3!! ... (weiter geht's!)
3.... Lg7 4.Kf4!!! ... (ein sensationeller Ausguck) ... - und am Ende
doch gewann (!!); zum Beispiel gegen den sicher ziemlich zerknirschten Zhong im
26. Zug.
Das kann eben nur ein Genie
wie Bobby Fischer schaffen, er muss es damals also tatsächlich inkognito gewesen
sein – was aber nichts daran ändert, dass sich auch ein ganz Großer dem Gesetz
des Mr. Murphy beugen muss; siehe ein 3-Minuten-Blitz-Match von „guest71“ gegen
den französischen IM Robert Fontaine, der seinerzeit ELO 2452 hatte und unter
dem Kampfnamen „Beber“ antrat.
Weiß: „guest71“
(angeblich Robert James „Bobby“ Fischer? /seinerzeit: USA)
Schwarz: Beber
(aka: IM Robert Fontaine/France)
3-Minuten-Blitz, 24.April 2001, ICC 3 0
Froms Gambit
1.f4 e5 2.f5(?!?) d5
Nach 9 Sekunden Grübeln, wie
wir bei Tim Krabbé lesen, setzte Weiß fort:
3.
g4?? …

Offenbar konnte IM Robert
Fontaine das alles nicht fassen, jedenfalls studierte er die Stellung
geschlagene 13 Sekunden lang – bis zum finalen Schlag:
3…. Dh4# 0:1
Da haben wir es: das
„Narren-Matt“ – und noch dazu gegen einen Giganten wie den heutigen Neu-Bürger
von Island, Robert James Fischer. So verrückt ist Schach – und auf die
Verrücktheit lässt sich noch einer drauf setzen: dreieinhalb Jahre später ein
Déjà-Vu des Narrenmatts nach dem Muster „guest71“ vs. „Beber“ von 2001.
Weiß: Massoud Amini/Germany
Schwarz: Dr. René Gralla/Germany
5-Minuten-Blitzpartie,
2.November 2004, Hamburg/Germany, Bar-Café "Roxy"
Froms
Gambit
1.f4 e5 2.f5(?!) d5
3.g4??.Dh4# 0:1

Vorsicht also: Nicht nur in
der Politik, sondern auch auf dem Brett sind an 365 Tagen die Narren los. Um so
dankbarer müssen wir deswegen Heinrich Koller aus dem fränkischen Riedenburg
sein für dessen neues „Jester’s Game“ – mit gleich drei vom Regelwerk
legitimierten Schach-Narren auf dem Brett. Komme da noch einer und sage: „Oh
mein Gott, hier sind mal wieder die Doofen am Werk!“ Da können wir jetzt
frohgemut erwidern: „Genau … aber welchen Narren hätten’s den gern? Den in gelb,
rot oder blau?!“
Und so sieht es auf dem
100-Dreiecke-Brett aus, wenn die Narren los sind: hier die Homepage
www.jestersgame.com .

Auf dass sie ewig leben möge:
die Internationale im Narrenschach.
Dr. René Gralla, Hamburg