Spanisch für Eroberer - Ein strategisches Weißrepertoire mit 6.d3
Im Vergleich zu den Hauptvarianten ist sind bei 6.d3 konkrete Variantenkenntnis weniger entscheidend. Unabdingbar ist es hingegen, die grundlegenden Pläne und strategischen Motive zu verinnerlichen. Eben diese möchten wir Ihnen mit der vorliegenden DVD na
Der Abbruch der Kandidatenturniers schlug in den vergangenen Tagen große Wellen. Allerortens entwickelten sich rege Diskussion über das "ob", "wann" und "wie" der Fortsetzung. Insbesondere die Frage, wie man es mit Radjabov hält, scheint sich als Gretchenfrage etabliert zu haben. Das ehemalige aserbaidschanische Wunderkind hatte sich im Anflug eines zweiten Frühlings sehr überraschend für das Kandidatenturnier in Jekaterinenburg qualifiziert, seine Teilnahme aufgrund großer Sorgen um das Krisenmanagement der FIDE bei Auftreten eines Coronafalls im Teilnehmerfeld abgesagt. Jetzt besteht er darauf, bei Wiederaufnahme des Turniers ins Teilnehmerfeld aufgenommen zu werden.
Kaum beleuchtet wurde hingegen das Thema, wie der Abbruch und die Wiederaufnahme im Sommer, Herbst oder Winter sich auf die Dynamik in der Tabelle ausüben wird. Denn klar ist: der sich aktuell völlig außer Form befindende Ding könnte in der zweiten Hälfte noch einmal eine, wenn auch zweifelsohne sehr geringe Chance bekommen, um den Turniersieg mitzuspielen. Und der bisherige Mann des Turniers, Ian Nepomniachtchi, muss hingegen versuchen, seinen Schwung zu konservieren. Das Aufeinandertreffen dieser beiden unterschiedlichen Charaktere in Runde 6 machte zwei Dinge sehr deutlich: das Formhoch bzw. Formtief sowie auch die Tiefe der Vorbereitung.
Ian Nepomniachtchi überzeugte mit tiefer Vorbereitung | Foto: Lennart Ootes / FIDE
Beginnen wir einmal nicht mit den ersten Zügen dieser spanischen Partie, sondern steigen mittendrin ein, in der Stellung nach 21.g3:
Der starke weiße Sd5 ist seinem Widersacher auf d8 hoch überlegen. Klar ist, dass Schwarz den Springer nicht lange auf einem derart zentralen Feld dulden kann. Doch wird der Springer, wie in der Partie geschehen, mittels ...c6 und ...Lg5 nach e2 zurückgedrängt, so nimmt er von dort den schwachen Bauern auf d4 aufs Korn. Der Springer steht auf e2 natürlich weniger prachtvoll als auf d5, der schwarze Läufer ist allerdings immer noch keinen Deut besser geworden.
Ding sah sich zu Errettung seines Bauern d4 gezwungen, 24...d5 zu spielen. Nach 25.exd5-cxd5 kann sich die Dame aufgrund des Spießes nach ...Lf6 nicht auf d4 bedienen, nach 26.Db3 machte der starke weiße Freibauer auf der b-Linie jedoch das Rennen. Nepo baute damit seine Tabellenführung auf einen ganzen Punkt aus, Ding liegt (erstmal) ziemlich abgeschlagen auf dem letzten Platz.
Die Partie der beiden Protagonisten in Jekaterinenburg ist eine Werbeveranstaltung für die vor wenigen Tagen erschienene DVD "Spanisch für Eroberer". Darin stellen wir ein Weißrepertoire im Spanier mit 6.d3 vor, das in seiner positionellen Grundidee genau auf ein solches Szenario "guter Springer gegen schlechter Läufer" abzielt. Wir erobern also nicht das gesamte Brett, sondern erstmal nur die weißen Felder - "Spanisch für Eroberer der weißen Felder" hätte als Titel allerdings einen etwas hakeligen Touch.
Spanisch für Eroberer - Ein strategisches Weißrepertoire mit 6.d3
Im Vergleich zu den Hauptvarianten ist sind bei 6.d3 konkrete Variantenkenntnis weniger entscheidend. Unabdingbar ist es hingegen, die grundlegenden Pläne und strategischen Motive zu verinnerlichen. Eben diese möchten wir Ihnen mit der vorliegenden DVD na
8.a3 ist der Schlüsselszug unseres gesamten Repertoires. Nach der Deckung des Bauern e5 durch 7...d6 stellt Schwarz die postionelle Drohung auf, mit 8...Sa5 unseren spanischen Läufer auf b3 abzutauschen. Diesem wird mit a3 ein Rückzug auf a2 gewährt und dabei sichergestellt, dass er die lange Diagonale a2-g8 nicht verlassen muss. Im Gegensatz zum klassischen spanischen Aufbau mit c2-c3 wird dabei dem Springer das Feld c3 überlassen - von dort wird der Zugriff der weißen Figuren auf das Zentrum gestärkt.
Schwarz hat nun eine Fülle an verschiedenen Zügen, die wir in vier Kapiteln aufgeteilt haben: (1) Aufbauten rund um das Chigorin-Manöver ...Sa5 und ...c5, (2) 9...Le6 bzw. 9...Sd4 (was oftmals in einer Zugumstellung mündet), (3) das direkte 9...Lg4 sowie (4) Smyslov-Aufbau (mit ...h6 und ...Te8), Breyer (9...Sb8) oder 9...Lb7. Das strategische Ziel des Weißen ist dabei jedoch immer gleichbleibend: wir erobern die weißen Felder. Drei Ausschnitte aus Partien, die den Kampf um die weißen Felder verdeutlichen:
(1) Vachier-Lagrave 1-0 Piorun, Gibralter 2017
Schwarz hat das Chigorin-Manöver ...Sa5 und ...c5 ausgeführt und seinen Springer nach getaner Arbeit wieder in Richtung Zentrum befördert. Weiß konnte in der Zwischenzeit seinen schwarzfeldrigen Läufer auf f6 tauschen und den Springer auf d5 platzieren. Die weißen Felder sind erobert. Doch Vorsicht ist geboten: Schwarz plant in der Folge im Stile des Sveshnikov Sizilianers um den Sd5 herumzuspielen und mit ...g6, ...Lg7 und dem Vorstoß ...f5 am Königsflügel zu agieren. Weiß setzt den Hebel 14.a4! an - wichtig ist dabei, schwarzes ...b4 sofort mit a5! zu kontern, sodass Schwarz nicht die Gelegenheit bekommt, selbst mit ...a5 abzuschließen. Der Bauer auf b4 wird dann mittels c3 attackiert.
Das gut getimete 17.a5 von MVL setzt Piorun gewaltig unter Druck. Schwarz gewann nach 17...bxc3 18.bxc3-Sxa5 zwar vörläufig einen Bauern auf a5, der a6 konnte jedoch bereits wenige Züge später nicht mehr verteidigt werden und Weiß drang in der Folge am Damenflügel ein.
(2) Nepomiachtchi ½- ½ Aronian, London Chess Classic 2017
Der spanische Eroberer Nempomniachtchi konnte in dieser Partie den Spanisch-Experten Levon Aronian unter Druck setzen.
Ein Szenario, wie wir uns es wünschen. Schwarz hat ähnlich wie in der Partie Nepomniachtchi-Ding mit dem schlechten Läufer zu kämpfen, Weiß mit den Vorteilen auf der a-Linie sowie der Kontrolle über die weißen Felder zwei Trümpfe auf der Hand. Zu betonen ist, dass die Engines sich hier im Bereich des Ausgleichs bewegen und Aronian diese wie auch einige andere Partien in solchen Stellungstypen remisiert hat. Sollte auch der objektive Vorteil für Weiß gering sein, einfacher zu spielen sind Stellungen dieser Art jedoch allemal.
(3) Karjakin ½- ½ Ding, Candidates Berlin 2018
Das sicherlich drastischste Beispiel eines schlechten Läufers liefert abermals unser tragischer Held dieses Beitrags, nämlich Ding Liren. Es ist die Schlussrunde des Kandidatenturniers in Berlin, Fabiano Caruana führt mit 8.0 Punkten vor Sergey Karjakin und Shakriyar Mamedyarov mit je 7.5 und Ding Liren mit 7.0 Punkten das Feld an. Es bedarf keiner großen Rechenkünste um zu sehen, dass Ding sich in einer Must-Win-Situation befindet, möchte er noch eine Chance auf das Erreichen des WM-Matches mit Magnus Carlsen hoffen. Karjakin spielt im Spanier 6.d3 und nach wenigen Minuten steht folgende, offensichtlich von beiden Spielern angestrebte Stellung auf dem Brett:
Karjakin hat alle gewünschten Figurentäusche erzielen können und steht nach 16.De2! zum Durchbruch e5 bereit, wonach die schwarze Struktur stark beschädigt wäre. Das Konzept Dings ist nun denkbar einfach, aber in Anbetracht der Tabellensituation auch an Tragik schwer zu überbieten. Er schließt mit den Zügen ...e5 und später ...b4, gefolgt von ...g5 das gesamte Brett ab und stellt die Behauptung auf, Weiß könne die schwarzfeldrige Blockade niemals überwinden.
Trotz massiver weißfeldriger Schwächen hält Dings Stellung am Ende - nach einem taktischen Übersehen Karjakins kommt er einem Sieg sogar noch nahe. Der Rest ist bekannt - Caruana schlägt Grischuk, gewinnt damit das Kandidatenturnier 2018 und scheitert im Herbst desselben Jahres nur knapp an Carlsen. Bezüglich der Frage, was unser Weißrepertoire gegen den Dingschen Beton-Aufbau vorsieht, so haben wir eine schlaue Verbesserung im 13. Zug parat. Um die weißen Felder wird dabei dennoch gekämpft, jedoch unter besseren Bedingungen.
Vier Partien zum Nachspielen:
Zur DVD "Spanisch für Eroberer"
2013 legte Vishy Anand mit den Zügen 6.d3, 8.a3 und 9.Sc3 ein bis dato unbekanntes Konzept in der Spanischen Eröffnung vor. Auf diese Weise werden die Unmengen an Theorie in den Breyer-, Zaitsev- und Marschall-Systemen nach 6.Te1 umgangen. "Spanisch für Eroberer" widmet sich diesem geradlinigen Aufbau und legt ein vollständiges Repertoire nach dem Zug 6.d3 vor. Dabei decken wir Spanische Nebenvarianten wie das Jänisch-Gambit oder die Steinitz-Variante nach 3...d6 nicht ab, geben aber auf zwei Bonustracks noch einen Einblick, wie gegen die drei relevantesten Spielweisen (neben der Hauptvariante mit 5...Le7) vorgegangen werden kann. Diese sind der offene Spanier (den wir mit 5.d3 aus dem Spiel nehmen können, dabei Schwarz aber Zusatzoptionen gewähren), das Archangelsk-System mit 5...Lc5 bzw 5...b5 und 6...Lc5 sowie die Berliner Mauer (3...Sf6).
Das Material zu dieser DVD entstand neben Alexanders langjähriger Arbeit an diesen Varianten in zwei intensiven Vorbereitungssessions vergangenes Jahr, eine davon in München und eine davon im Anschluss an ein Turnier in Athen. Alexander brachte als Spanisch-Experte dabei den Großteil der Varianten ein. Selbst bin ich vor ca. zehn Jahren dem e-Bauern untreu geworden und zu 1.d4 gewechselt, kenne die Stellungen des Spaniers also eher von der schwarzen Seite. Meine Rolle auf dieser DVD besteht also darin, das System selbst zu erlernen, allgemeinere Bemerkungen anzustellen und insbesondere die Fragen zu stellen, die vielleicht Ihnen als Zuschauer gerade durch den Kopf gehen.