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Frederic Friedel/Christian Hesse: Schachgeschichten
Bücher über Schach gibt es unzählige, aber dieses ist eine besondere Publikation. Die beiden Autoren Frederic Friedel und Christian Hesse zeigen darin auf unterschiedliche Weise ihre große Leidenschaft für das Schachspiel. Das kommt auf jeder Seite des Buchs zum Ausdruck. Im Vorwort bezeichnet Garri Kasparow die zwei Freunde als Dream-Team, dem es gelungen ist „unterhaltsame und herzerwärmende Geschichten am und neben dem Brett“ zu schreiben. Ich kenne beide auch seit vielen Jahren und kann das nach der Lektüre des Buchs nur bestätigen. Beim Lesen wurden zudem viele Erinnerungen wach, die ich hier an der einen oder anderen Stelle anklingen lassen möchte.
ChessBase-Mitgründer Frederic Friedel hat in den vergangenen Jahrzehnten alle Größen des Schachs hautnah erlebt und schreibt nun sehr plastisch über seine Begegnungen mit den Weltmeistern von Max Euwe bis Magnus Carlsen und Hou Yifan. Da ich seit den 1980er Jahren ebenfalls viele Koryphäen, darunter alle lebenden Weltmeister, getroffen habe, rollte beim Lesen quasi noch einmal die eigene Reporterlaufbahn im Zeitraffer vor meinen Augen ab. Deshalb erlaube ich mir auch ein paar persönliche Anmerkungen.
Frederic, wir waren ja bei vielen Events in Deutschland (Dortmund, Berlin, Hamburg, München, Frankfurt/Main, Mainz, Bonn etc.) und auch in anderen Ländern gemeinsam unterwegs. Ich erinnere mich, wie du bei einem großen Blitzturnier der Weltelite 1994 in München jungen Spielern wie Wladimir Kramnik vor der Partie euer Schachprogramm „Fritz 3“ erklärt hast, denn in dem Turnier spielte auch ein Computer mit. Der emotionslose Geselle erreichte das Finale gegen Kasparow, in dem der Mensch (noch einmal) die Oberhand behielt. Wir berichteten auch mit vielen engagierten Kollegen über das Superturnier 1996 auf Gran Canaria, das Kasparow wiederum gewann. Du zeigtest mir dort mit Hilfe einer Engine, welchen Zug Karpow im Endspiel ausführen musste, um die zweite Partie gegen Garri nicht zu verlieren. Und schließlich erlebten wir 2002 in Bahrain, wie der amtierende Weltmeister Wladimir Kramnik gegen Deep Fritz spielte und nach wildem Verlauf ein 4:4 erreichte. Mit der Zeit wurden die „Monster“ von ChessBase immer stärker und waren am Ende vom Menschen (Kramnik vs. Deep Fritz, 2006 in Bonn 2:4) nicht mehr zu besiegen. Zu Kasparows vorherigen Duellen gegen die IBM-Maschine Deep Blue gibt es packende Schilderungen von dir im längsten Kapitel des Buchs.
Ich teile Frederic Friedels Auffassung im Spasski-Kapitel über die angenehme Persönlichkeit von Boris. Dieser ist mein Lieblingsweltmeister und machte neben Wassili Smyslow, der auch ein begnadeter Sänger war, den größten Eindruck aller Champions auf mich. Die Erlebnisse, Gespräche und Interviews mit den beiden an vielen Schauplätzen waren auch für mich nachhaltig und bereichernd. Ein Kapitel im Buch ist dem Ehepaar Kortschnoi gewidmet, und gleich zu Beginn wird Viktor als sehr unhöflicher Mann beschrieben. Stimmt! Genauso habe auch ich ihn erlebt. Die Übersetzung seiner Biographie „Ein Leben für das Schach“ aus dem Russischen ins Deutsche war Knochenarbeit für mich und wurde nicht leichter dadurch, dass sich seine Frau Petra gern eingemischt hat. Als ich das Ehepaar im Herbst 2003 in der Schweiz besuchte, war Petra eine gute Gastgeberin, aber mit scharfer Zunge…
Von den Schachstars der jungen Generation hat mich, ähnlich wie Frederic, die Chinesin Hou Yifan am meisten beeindruckt. Ich lernte sie als 12-Jährige bei der Schacholympiade 2006 in Turin kennen und verfolgte seither aufmerksam den weiteren Weg dieses Ausnahmetalents. 2008 in Wijk aan Zee wohnten wir unter einem Dach, und das schüchterne Mädchen war schon selbstbewusster. 2015 in Dortmund erschien Yifan dann als eloquente und bezaubernde junge Frau, die das Großmeisterturnier bereicherte. Natürlich kamen Frederic Friedel und Christian Hesse damals beim Chess Meeting im Revier auch vorbei. Wie Frederic der Karriere von Yifan außerhalb des Schachs einen Schub geben konnte, erfährt man genauer im Buch. (Kapitel Hou Yifan - Frauen auf dem Vormarsch) Die vierfache Weltmeisterin ist heute jüngste Professorin für Staatswissenschaften in Shenzhen. Was Hou Yifan im Schach geleistet und bisher überhaupt aus ihrem Leben gemacht hat, verdient höchste Bewunderung.
Auch der andere Autor Christian Hesse ist auf seine Art vom königlichen Spiel verzaubert. Das Schachfieber erfasste ihn 1972, als Fischer und Spasski in Reykjavik ihr Jahrhundertmatch austrugen. Der Professor für Stochastik schafft wie kein Zweiter den Spagat zwischen Mathematik und Schach. Nach seinen Bestsellern „Expeditionen in die Schachwelt“ und „Damenopfer“ bestätigt er hier erneut die Worte von Svenonius, der einmal sagte: „Schach ist kristallklare Mathematik in Dramenform.“ Und Christian Hesse schreibt nicht bierernst darüber, sondern gekonnt und unterhaltsam zugleich. In dem spannenden Kapitel „Fermat im Schach“ schildert er, wie sich Generationen von Mathematikern über Jahrhunderte bemühten, den berühmten Lehrsatz des Pythagoras weiter zu entwickeln und untersucht haben, ob nicht nur die quadratische Version, sondern z.B. auch eine kubische Version, also hoch drei ( möglich ist. Renommierte Gelehrte und Hobby-Mathematiker bissen sich die Zähne daran aus. Am Ende kommt Hesses Spagat, denn er versucht etwas anderes und verbindet diese Gedanken mit dem Schach sowie einer großartigen Studie von Jan Timman. Und schon hat er ein neues Genre von logischen Schachrätseln kreiert. Anspruchsvoll!
Viele Schachspieler sind ja auch sehr gute Mathematiker. Es herrscht überwiegend Konsens darüber, dass Schach eine Art mathematisches Modell darstellt. Das sagte mir Wassili Smyslow schon vor vielen Jahren in einem Interview. Er verwies darauf, dass ein Schachprogramm Stellungen bis zu einer bestimmten Figurenzahl absolut genau berechnen kann. Aber keine Maschine könne die Erfindungsgabe des Menschen ersetzen. Ich hoffe, das bleibt noch lange so!
„Das Denken gehört zu den größten Vergnügungen der menschlichen Rasse“, lässt Brecht seinen Helden Galilei sagen. Christian Hesse macht sich immer wieder diesen Spaß und denkt über Dinge nach, auf die wir Normalbürger selten kommen würden. Besonders originell finde ich sein Kapitel „Alles Zufall, oder was?“ Hesse ist ja Stochastiker, und hier sinniert er über die Faszination besonders großer Zufälle. Der Autor teilt uns u.a. mit, dass Frederic Friedel und er am gleichen Tag Geburtstag haben. Es ist der 2. August. Friedel ist Jahrgang 1945, Hesse Jahrgang 1960. Damit nicht genug, die größte Überraschung kommt noch: Auch Christians Mutter, ein Onkel und eine Tante von ihm haben am 2. August Geburtstag. Hesse ist also (Zitat) „Teil eines sehr seltenen Geburtstags-Quintuplets.“ Eine solche Wahrscheinlichkeit ist geringer als die Chance, den Jackpot zu knacken, schlussfolgert der Autor und schreibt: „Vielleicht ist das der Grund, warum ich mich zu einem nicht unerheblichen Teil mit dem Zufall befasst habe.“
Lieber Christian, ich kann auch ein eigenes Zufallsbeispiel beisteuern. Genau wie der 12. Schachweltmeister habe ich am 23. Mai Geburtstag. Wir beide liegen fünf Jahre auseinander. Sein Vater hieß Jewgeni, meiner Eugen - derselbe Name! Nächster Zufall: Unsere beiden Väter starben früh, unsere Mütter wurden alt. Letzter Zufall: Wir zwei hatten es eilig, auf die Welt zu kommen; jeder erblickte bereits nach acht Monaten das Tageslicht. (Was uns momentan trennt, darüber schweige ich lieber.) Kann man die Wahrscheinlichkeit all dieser Zufälle begreifen oder gar berechnen?
Im Buch präsentiert Christian Hesse auch Schachstudien, die zu den Geburtstagen der beiden Autoren von dem bekannten Problemkomponisten Werner Keym verfasst wurden. Diese zum 75. Geburtstag von Frederic Friedel ist leicht vom Blatt zu lösen.
Die vier Figuren befinden sich auf der f-Linie (f2, f4, f5 und f8) entsprechend der Anfangsbuchstaben von Frederic und Friedel. Die Felder wiederum richten sich nach seinem Geburtsdatum 2.8.45. Als versierte Schachfreunde finden Sie die Lösung ganz schnell.
Ein sehr lesenswertes Buch für jeden, der Freude an Geschichten über die menschliche Seite der Schachwelt und an Denkaufgaben hat. Es wird nicht nur von Garri Kasparow im Vorwort, sondern auch noch von vier anderen Weltmeistern gelobt. Bei einer zweiten Auflage sollte der Verlag schönere Porträtfotos der Schachkoryphäen zulassen. Diese im Buch vorgestellten Persönlichkeiten haben nicht nur lobende Worte, sondern auch gelungenere Fotos, vielleicht von Frederic Friedel, verdient. Der hatte doch meist eine feine Kamera dabei, um die Begegnungen mit seinen Schachhelden festzuhalten.
Das Buch hat 285 Seiten und kostet 20 Euro. Viel Vergnügen bei der Lektüre und beim Gewinnen neuer Einsichten!
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