Neue Ideen für das Londoner System: mit 3.c3 attackieren!

von Stefan Liebig
10.11.2024 – „Mein neues Baby“, nennt Elisabeth Pähtz den gerade erschienenen Fritz Trainer „Das ultrakreative Neo-London-System. In zehn (!) Stunden Videolaufzeit erklärt die deutsche Großmeisterin alles, was man wissen muss, um diese Variante erfolgreich einzusetzen.

Das Neo-London-System bietet viele neue, kreative Möglichkeiten, um Ihre Gegner schon in den frühen Phasen der Partie vor ernsthafte Probleme zu stellen.

Bei solch umfangreichem Material ist es nicht ganz einfach, den perfekten Zugang zu finden. Denn letztlich geht es ja nicht darum, die unzähligen Varianten auswendig zu lernen, sondern darum, sie sinnvoll in das eigene Repertoire einzubinden und ihre Strategien und taktischen Möglichkeiten zu verstehen. Die Einleitung (hier kostenlos zu sehen) und das gut strukturierte Inhaltsverzeichnis sind da sicher gute erste Anhaltspunkte. Wer sich aber systematisch einarbeiten möchte, dem sei dieses kostenlose Video empfohlen: 

In Folge 151 von Ellis Schatztruhe erläutert die Autorin im Interview mit Arne Kähler die Grundzüge ihres Eröffnungskompendiums. In einer knappen Dreiviertelstunde skizziert sie die wichtigsten Varianten und ihre engineunterstützte Herangehensweise. Wer sich dabei also gleich passende Notizen macht, kann sich die ihn besonders interessierenden Analysen aus dem Fritz Trainer zielgenau heraussuchen.


Der perfekte Überblick: Folge 151 von Ellis Schatztruhe zeigt, wie kreativ und oft auch giftig das Neo-Londoner System ist.  

Das London-Kompendium

Die Liste von ChessBase-Produkten zum Thema Londoner System ist lang: Simon Williams, Nigel Davies, Henrik Danielsen und Yannick Pelletier veröffentlichten Analysen aus verschiedenen Blickwinkeln. Natürlich gibt es auch entsprechende Powerbooks und Powerbases.

London System Powerbase 2023 ist eine Datenbank und enthält insgesamt 8570 Partien aus der Mega 2023 bzw. der Correspondence Database 2022, davon sind 249 kommentiert.

Das Powerbook London System 2023 basiert auf mehr als 366.000 Partien von unterschiedlichen Partieanfängen und ECO-Codes, denen aber jeweils gemeinsam ist, dass Weiß d4 und Lf4 spielt sowie auf c4 verzichtet.

Die meisten London-Fritz Trainer aber stammen von Elisabeth Pähtz. Die vor dem gerade erschienenen Werk bereits das „Jobava London System“, den „Taktik Turbo Londoner System“ und zum Einstieg „Das Londoner System – Staunen! Spielen! Siegen!“ veröffentlicht hat.

Das Jobava London System, benannt nach dem georgischen Spitzenspieler Baadur Jobava, ist eine Nebenform des Londoner Systems, welches sich prinzipiell in nur einem kleinen Detail unterscheidet - der weiße Springer wird frühzeitig auf c3 etabliert!

Auf dieser DVD stellt Elisabeth Pähtz so ziemlich alle Verwicklungen vor, die es mit Weiß zu kennen gilt. Wer das Londoner System liebt und die Eröffnung studiert hat, erhält damit das taktische Rüstzeug für eine erfolgreiche Praxis - denn wer die typisch

Das Londoner System (1.d4 gefolgt von 2.Lf4) ist bei Vereinsspielern schon immer beliebt gewesen. Aber als Magnus Carlsen vor drei Jahren bei der Blitz-WM erstmals zu 2.Lf4 griff, avancierte das Londoner System zu einer der Trenderöffnungen unserer Z

Wie gesagt, alle Autoren nahmen verschiedene Perspektiven ein, doch gemeinsam hatten alle Lehrvideos, dass sie dem immer noch existierenden Vorurteil entgegentreten, beim Londoner System handele es sich um eine langweilige Eröffnung. Sicher haben die Autoren mit ihren Analysen zur inzwischen großen Popularität des Londoners beigetragen. 


Das Kernstück des „Neo-Londoners“: 3.c3!

3.c3!

Neugierig wird man sofort, wenn man zunächst im Titel liest, dass es sich um „Neo-London“ und einen „ultrakreativen“ Ansatz handelt, um dann zu sehen: Der Kernzug dabei lautet 3.c3! Pähtz fordert damit auf: „Entdecken Sie das Neo-London-System – die kreative und verbesserte Version des klassischen Londoner Systems!“ Der Zug 3.c3 und damit das Verzögern von Lf4 bieten ihr zufolge nämlich zwei entscheidende Vorteile:
Der erste ist das Entschärfen der effektiven schwarzen Verteidigung mit …c5 und …Db6. Der zweite ist das aktive Angriffsspiel von Weiß, wenn Schwarz schematisch mit …Lf5 sofortiges Gegenspiel sucht. Denn durch das dann folgende sofortige Db3 zeigen sich oft Lücken in der Defensive des Nachziehenden.

Interessant sind dabei aber nicht nur die neuen Ansätze, die dieser Kurs zeigt, sondern auch die Übergänge zu Varianten von Vorgängerkursen. Über eine andere Zugfolge landet man plötzlich doch nach acht Zügen wieder in einer Stellung, die man bereits kennt – hat aber unangenehme Entgegnungen von Schwarz ausgeschaltet. Ein gutes Beispiel dafür ist dieses kostenlose Video – doch natürlich liefert die Autorin auch hier noch neue Aspekte, die sich in der Zwischenzeit ergeben haben.

Fazit

Der neue Kurs von Deutschlands Spitzenspielerin birgt ungezählte Neuerungen und oft überraschende Ideen. Wer seinen Gegner überraschen will, ist mit diesen scharfen, oft forcierten Varianten gut bedient. Sollte sich Schwarz zudem nach den harmlos wirkenden ersten Zügen in Sicherheit wiegen, kann es für den Nachziehenden schnell ein böses Erwachen geben. „Neo-London“ zeichnet sich vor allem durch seine Überraschungseffekte aus. So ist dieses aktive System unvorhersehbarer als seine Vorgänger. Ob kreativ oder „ultrakreativ“ – egal, denn die vielen neuen und mit modernen Engines überprüften Möglichkeiten werden so manchen Gegner schnell ins Grübeln bringen. Ein weiterer Pluspunkt für den praktischen Einsatz sind die vielen Vorschläge zu sehr frühen Zügen, die bislang in der Praxis noch nicht oder nur sehr selten angewendet wurden.

Ergänzt werden die zehn ausführlichen, in Unterkapitel gegliederten Abschnitte durch umfangreiches Trainingsmaterial und interaktive Übungen im ChessBase Books-Format. Das Ausspielen von kritischen Stellungen, Lösen von Aufgaben hilft, das eigene Wissen zu testen und mit dem Eröffnungstrainer zu festigen. Außerdem sieht man dort in der Online-Datenbank auch, dass die Neo-London-Varianten auch in der absoluten Weltspitze gerne eingesetzt werden. 

Zehn Stunden Videospielzeit sind der Beleg einer beeindruckend umfangreichen, akribischen Analysearbeit. Elisabeth Pähtz gibt Spielern aller Spielklassen ein ausführliches Repertoire an die Hand, das viele Schwarzspieler vor große Probleme stellen wird. 


Hier noch ein Beispiel aus der Großmeisterpraxis:

Erigaisi,A2762½–½Keymer,V2726
2024
1.Nf3 Nf6 2.d4 d5 3.c3 e6 4.Bf4 c5 5.e3 Bd6 6.Ne5 0-0 7.Bd3 Qc7 8.Nd2 b6 9.h4 Ba6 10.Bxa6 Nxa6 11.h5 h6 12.Rh3 cxd4 13.exd4 Nc5 14.Kf1 Nfe4 15.Nxe4 Nxe4 16.Qg4 Nf6 17.Qe2 Ne4 18.Qg4 Nf6 19.Qh4 Ne4 20.Re3 Bxe5 21.Bxe5 Qd7 22.Kg1 f6 23.Bh2 Rae8 24.Qg4 Qb5 25.Qe2 Qxe2 26.Rxe2 f5 27.Be5 Nf6 28.Bxf6 gxf6 29.a4 Kf7 30.f3 Rg8 31.Kf2 Rg5 32.Rh1 Reg8 33.Rh2 f4 34.Re1 e5 35.a5 bxa5 36.Ra1 Rb8 37.Ra2 e4 38.fxe4 dxe4 39.Rh4 Rf5 40.Rg4 Rbb5 41.c4 Rb3 42.d5 a4 43.Rxa4 Rxb2+ 44.Kg1 Ke7 45.Ra6 Rg5 46.Rxg5 fxg5 47.Re6+ Kd7 48.Rxe4 Rc2 49.Re6 Rxc4 50.Rxh6 g4 51.Rg6 Rc1+ 52.Kf2 Rc2+ 53.Kf1 Rc1+ 54.Ke2 Rc2+ 55.Kf1 Rc1+ 56.Ke2 Rc2+ ½–½

Die Autorin: Elisabeth Pähtz

Elisabeth Pähtz (Jahrgang 1985) ist seit vielen Jahren die beste deutsche Schachspielerin. Seit 1998 ist sie Nationalspielerin und wurde 2001 WGM, 2004 IM und 2022 GM. Im Jahr 2002 wurde sie erstmals Weltmeisterin in der U18, drei Jahre später auch in der Königsklasse, der U20. 2017 gewann sie Bronze bei der Schnellschachweltmeisterschaft und 2018 wurde sie Europameisterin im Schnellschach, sowie Vizeeuropameisterin im Blitzschach und seit 2022: GM!


Stefan Liebig, geboren 1974, ist Journalist und Mitinhaber einer Marketingagentur. Er lebt heute in Barterode bei Göttingen. Im Alter von fünf Jahren machten ihn seltsame Figuren im Regal der Nachbarn neugierig. Seitdem hat ihn das Schachspiel fest in seinen Bann gezogen. Höhenflüge in die NRW-Jugendliga mit seinem Heimatverein SV Bad Laasphe und einige Einsätze in der Zweitligamannschaft von Tempo Göttingen waren Highlights für den ehemaligen Jugendsüdwestfalenmeister.

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