Der Rekord wurde gebrochen!
Von Dejan Bojkov
Anfang November wurde in Bulgarien ein neuer Schachclub aus der Taufe gehoben.
Sein Name lautet Levski, Sofia. Ein interessanter Name – Levski ist einer der
größten Vereine in Bulgarien, nicht nur im Fußball, sondern in fast allen
Sportarten. Aber bislang hatten sie keinen Schachclub. Die einfache und
wirkungsvolle Idee, den Club nach einer der größten Persönlichkeiten der
bulgarischen Geschichte zu nennen, hatte Schachorganisator Nikolay Todorov.
Todorov verfiel auch auf den Gedanken einer Weltrekord-Simultanveranstaltung.
Und stellte sich die Frage, welche Zeit dafür am besten geeignet wäre –
zweifellos die Zeit während des Wettkampfs Topalov-Kamsky, Ende Februar!
Mitte Januar begann Kiril Georgiev mit intensiver Vorbereitung
auf diesen Rekordversuch, der ihm einen Eintrag im Guiness-Buch der Rekorde
einbringen sollte. Der ehemalige Präsident des bulgarischen Schachverbands, Dr.
Mikhail Iliev, hatte das Programm für den GM entwickelt. Dr. Iliev ist der
offizielle Mediziner der bulgarischen Nationalmannschaft, nationaler
Schachmeister und Sponsor eines der stärksten Frauenteams in Bulgarien.
Kiril Georgiev bei der Vorbereitung
Wie Kiril später in einem Interview verriet, so sah das
Programm eine Menge Spaziergänge vor (mindestens fünf bis sechs Stunden pro
Tag), die Georgiev ohnehin zu seinen bevorzugten Fitnessübungen zählt. Dazu
kamen noch etliche Saunagänge pro Woche. Zwei GMs, Atanas Kolev und Valentin
Lukov, standen ihm als Sekundanten zur Seite.
Im Inter Expo Center wurde speziell für das Simultan ein
ungefähr 500 Meter langes, einzigartiges Schachlabyrinth errichtet. Einen Monat
vor Beginn des Simultans entschieden die Organisatoren, dass jeder Teilnehmer
die Staunton-Figuren, mit denen er oder sie spielte, als Geschenk erhalten
sollte, sowie das Schachbrett auf dem gespielt wurde, dazu noch den persönlichen
Sticker und eine Urkunde zum Beleg, an diesem Guiness-Weltrekord teilgenommen zu
haben. Das Interesse an diesem Simultan war enorm, mehr als 620 Leute trugen
sich als mögliche Spieler ein, aber schließlich konnten nur 360 an den Start
gehen. Aber auch diejenigen, die nicht gegen den GM spielen konnten, amüsierten
sich gut. Per Lotterie wurden achtzig zusätzliche Preise vergeben, darunter 20
Schachuhren.
Am 21. Februar, Punkt 11 Uhr, wurde die Simultanveranstaltung
offiziell eröffnet. Um 11 Uhr 35 führte Frau Vesela Lecheva – Präsidentin von
SAYS, den ersten Zug aus. Auch andere Politiker waren bei der Veranstaltung
zugegen, darunter der Bürgermeister der Region, Izgrev Panayot Bonchev, und der
Präsident des bulgarischen Schachverbands, Dr. Stefan Sergiev. Das Fernsehen
berichtete den ganzen Tag.
An Brett Eins spielte ein Priester gegen den Großmeister, der
es mit insgesamt 360 Gegnern zu tun hatte.
Um den Rekord im Simultan zu brechen, musste Georgiev
mindestens gegen 322 von ihnen gewinnen (mehr als 80 %). Der Priester war der
erste, der den Punkt mit dem GM teilte.
Insgesamt musste die bulgarische Schachlegende etwa einen halben Kilometer
zurücklegen, bevor er an allen Brettern gezogen hatte. So erstaunt es nicht,
dass nach sechs Stunden nur acht (!) Züge geschehen waren. Den Regeln zufolge
hatte Georgiev das Recht, jede Stunde eine Pause von fünf bis zehn Minuten
einzulegen.
Kiril ist bei allem, was er macht, Profi. Obwohl er gewöhnlich halboffene
Eröffnungen spielt, entschied er sich dieses Mal für ein aggressiveres Vorgehen
und zog in den meisten Partien 1.e2-e4! Seine Hauptwaffe waren Gambits, mit
denen er die Zahl seiner Gegner schnell reduzieren wollte. Dennoch war seine
Aufgabe alles andere als leicht, da viele seiner Gegner erfahrene Spieler mit
einer Elo-Zahl um die 2.000 waren.
Kuriose Dinge spielten sich während des Simultans ab. Hier eine Geschichte, die
IM Kalin Karakehajov erzählte: “Vladimir Petrov, ein neun Jahre altes
Nachwuchstalent, erreichte eine sehr soliden Stellung und bot dem GM ein
keineswegs abwegiges Remis an. Georgiev lehnte ab, nur um zwei Stunden später
seinerseits Remis vorzuschlagen. Aber nun zeigte der junge Mann Charakterstärke
und lehnte das Angebot mutig ab!” Dieser lobenswerte Mut wurde belohnt, als der
junge Mann nach 13 Stunden seine Partie schließlich gewann!
Gegen elf Uhr abends rief ich Nikolay Todorov,
Hauptorganisator und Präsident des Levki Clubs an. “Wie sieht es aus? Hält Kiril
durch?” “Kiril geht es gut”, antwortete er, “aber was seine Gegner betrifft, so
bin ich nicht so sicher. Sie sehen sehr müde aus…” Ungefähr um diese Zeit
stattete die russische Frauengroßmeisterin und berühmte Journalistin Maria
Makaricheva dem Spielsaal einen Besuch ab.
Kiril Georgiev ist berühmt für seine Hartnäckigkeit. Nach 14 Stunden Spielzeit
war bereits offensichtlich, dass er den Rekord brechen würde. Allerdings
leisteten zu diesem Zeitpunkt 14 Spieler immer noch Widerstand. Kirils
Sekundanten Lukov und Kolev rieten ihm, Remis anzubieten. Aber der Großmeister
hielt seine Stellungen für gewonnen und bewies das in nur vierzehn Minuten!
Nach 14 Stunden und 8 Minuten (manche Quellen sprechen von 14 Minuten) gewann
Georgiev seine letzte Partie, womit er auf 284 Siege, 70 Remis und nur sechs
Niederlagen kam. Damit hatte er um die 88% erzielt.
Der Rekord war gebrochen!
GM Dejan Bojkov
www.dejanbojkov.blogspot.com