ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.
PLÖTZLICHER TOD IN KALMÜCKIENS STEPPE
Wer ist der Größte am Brett? Der Champ des Weltschachbundes FIDE, der Bulgare
Wesselin Topalow (31), und der konkurrierende „Weltmeister im Klassischen
Schach“, der Russe Wladimir Kramnik (31), fechten das untereinander aus in
Kalmückiens Hauptstadt Elista vom heutigen 23. September bis zum 13. Oktober
2006. Hintergründe und Prognosen erfährt der Schachautor ART KOHR vom
WM-Experten ANDRÉ SCHULZ; der 47-jährige Hamburger betreut als Redakteur den
Internetauftritt von ChessBase, das meist besuchte Schachnachrichtenportal in
der Welt.
ART KOHR: Zwei Weltmeister im Schach, die sich gegenseitig den Rang streitig
machen. Wie ist es dazu gekommen?
ANDRÉ SCHULZ: Das geht zurück auf eine Auseinandersetzung vor 13 Jahren zwischen
dem damaligen Weltmeister Garri Kasparow aus Russland und dessen britischem
Herausforderer Nigel Short einerseits und dem seinerzeit amtierenden Präsidenten
des Weltschachbundes Florencio Campomanes andererseits. Streitpunkt war die
optimale Vermarktung der WM. Da der Konflikt nicht beigelegt werden konnte,
privatisierte Kasparow kurzerhand den Schachtitel und begann,
Weltmeisterschaften unabhängig von der FIDE auf die Beine zu stellen.
A. KOHR: Die FIDE ist vergleichbar mit der FIFA im Fußball?
ANDRÉ SCHULZ: Kann man so sagen. Seinen Titel verteidigte Kasparow 1993 zunächst
erfolgreich gegen Short und 1995 gegen den Inder Viswanathan Anand. Neben den
Weltmeisterschaften wird noch eine Weltrangliste geführt, in der Kasparow
ebenfalls Erster war. Solange er den Titel innehatte, gab es wegen seiner
Dominanz kaum Legitimationsprobleme. Das änderte sich im Jahr 2000. Kasparow
verlor einen Wettkampf und den Titel an seinen Landsmann Wladimir Kramnik.
Dieser dominierte in der Weltrangliste nicht so wie sein Vorgänger. Das
Vorhandensein von zwei Weltmeistern war für die Vermarktung von Schach
ungünstig. Die Schachwelt drängte auf eine Wiedervereinigung. 2002 trafen sich
in Prag alle wichtigen Leute im Schach und vereinbarten einen entsprechenden
Plan zur Durchführung.
A. KOHR: Die Umsetzung hat vier Jahre gedauert. Warum?
ANDRÉ SCHULZ: Zum Teil gab es Probleme mit den Rechten, zum Teil haperte die
Organisation auf Seiten der FIDE. Kasparows Teilnahme komplizierte den Vorgang
außerdem. Ein geplanter Wettkampf zwischen dem FIDE-Weltmeister von 2001, Ruslan
Ponomarjow, und Kasparow wurde kurzfristig aus unbekannten Gründen abgesagt. Es
gibt Gerüchte, wonach Russlands Staatschef Wladimir Putin dahinter steckte, weil
dieser kein Interesse daran hatte, seinen politischen Gegner Kasparow als
Schachweltmeister aufgewertet zu sehen. Schach hat in Russland immer noch einen
hohen Stellenwert und Kasparow ist sehr populär. Putin und der FIDE-Boss Kirsan
Iljumschinow, gleichzeitig Präsident der autonomen russischen Teilrepublik
Kalmückien, pflegen nun ein herzliches politisches Verhältnis. Das war nicht
immer so.
A. KOHR: In den Wiedervereinigungsprozess ist Bewegung gekommen nach Kasparows
offiziellem Abschied vom Profisport 2005; der Ex-Weltmeister will alle Kräfte
auf die Abwahl Putins konzentrieren.
ANDRÉ SCHULZ: Kasparows Ausstieg hat die Sache zweifellos leichter gemacht. Als
starke Persönlichkeit hat er immer polarisiert und sich nicht nur Freunde in der
Schachwelt gemacht.
A. KOHR: Jetzt das historische Match zwischen Kramnik und Topalow, um endlich
die Spaltung der Schachwelt zu überwinden – allerdings in Elista tief in der
kalmückischen Steppe.
ANDRÉ SCHULZ: Das ist wirklich schade. Schach boomt, und es ist absurd, dieses
lange erwartete Wiedervereinigungsmatch fernab der Metropolen ausgerechnet in
Elista zu veranstalten. In Madrid, London, New York, Paris, Moskau oder Berlin
hätte man viel mehr Fans erreicht. Aber in Elista ist eben FIDE-Präsident
Iljumschinow zu Hause. Immerhin kann man über das Internet die Partien allesamt
live mitverfolgen.
A. KOHR: Kramnik reist nach Elista mit der Behauptung, der so genannte
„klassische“ Weltmeister zu sein. Was soll uns das Attribut „klassisch“ sagen?
ANDRÉ SCHULZ: Traditionell entscheiden Zweikämpfe über die Titelträger im
Schach; das zieht sich durch die Geschichte des Spiels. Die klassische
Bedenkzeit beträgt zudem 40 Züge in zwei Stunden undsofort. Mit seinem Titel
gibt Kramnik zum Ausdruck, dass er seinen Weltmeistertitel unter traditionellen
Bedingungen gewonnen hat. Die FIDE hat nämlich in den letzten 10 Jahren eine
Reihe von unglücklichen Experimenten mit dem Format und verkürzten Bedenkzeiten
durchgeführt, die in der Schachwelt kritisch aufgenommen wurden und die dem
jeweiligen FIDE-Weltmeister einiges an Legitimation raubten. Der amtierende
FIDE-Weltmeister Topalow hat allerdings im letzten Jahr in San Luis ein
WM-Rundenturnier gegen die besten Spieler der Welt gewonnen, jedoch bei
verkürzter Bedenkzeit.
A. KOHR: Wieviele Partien sind in Elista angesetzt?
ANDRÉ SCHULZ: Zwölf Partien mit klassischer Bedenkzeit; Sieger ist, wer zuerst
6,5 Punkte geholt hat. Bei Gleichstand nach 12 Partien werden vier
Schnellpartien mit 20 Minuten Bedenkzeit pro Partie und 10 Sekunden Zugabe pro
Zug ausgetragen. Bringt auch das keine Entscheidung, folgen zwei Blitzpartien,
mit fünf Minuten Bedenkzeit. Sollten Kramnik und Topalow dann immer noch
gleichauf liegen, verlangt das Reglement eine so genannte „Sudden Death“-
Partie. Beim „plötzlichen Tod“ bekommt Weiß ein leicht erhöhtes Zeitkonto von
sechs Minuten, dem Schwarzen werden weiterhin bloß fünf Minuten zugeteilt. Im
Ausgleich dafür genügt Schwarz ein Remis für den Gesamtsieg, während Weiß nach
einem Unentschieden endgültig gescheitert ist und folglich auf jeden Fall
gewinnen muss.
A. KOHR: Wie hoch ist das Preisgeld?
ANDRÉ SCHULZ: Eine Million Dollar, die unabhängig vom Ausgang zwischen Kramnik
und Topalow geteilt werden. Trotzdem ist der Wettkampf in gewisser Hinsicht ein
Alles-oder-Nichts-Match; nur der Gewinner qualifiziert sich für das nächste
WM-Turnier 2007 in Mexiko. Der Verlierer ist von der Teilnahme ausgeschlossen.
A. KOHR: Wie darf sich der Sieger von Elista nennen? Super-Weltmeister
vielleicht?
ANDRÉ SCHULZ: Nein, der ist schlicht und ergreifend der Schachweltmeister, so
wie es früher war. Einen zweiten gibt es dann ja nicht mehr.
A. KOHR: Die Presse feiert den Shooting Star Topalow seit dem WM-Durchmarsch des
Bulgaren 2005 in San Luis. Ist Topalow auch in Elista der Favorit?
ANDRÉ SCHULZ: Ich tippe auf Kramnik. Die beiden sind zuvor bereits mehrfach am
Brett aufeinander getroffen, und da hat Topalow mit bisher 5:10 Zählern das
Nachsehen gehabt. Kramnik hat außerdem eine viel größere Matcherfahrung. 2004
bog er seinen Titelkampf gegen den Ungarn Peter Leko in Brissago in der letzten
Partie noch um.
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Alle Partien des WM-Kampfes Kramnik gegen Topalow in Elista ab 23. September
2006, 13 Uhr MEZ, live auf dem Server www.schach.de; weitere Infos zur
Weltmeisterschaft bei
www.chessbase.de