Neun Eiskugeln für die Dame
Von Peter Münder
Fotos: Thomas Schloemann, Benjamin Bartels
Der Slogan „Sportbetonte Schule“ auf den grünen
T-Shirts der zweihundert in der Turnhalle versammelten Schüler und
Schülerinnen ist unübersehbar. Hier an der Barmbeker Grundschule kann man
neben den üblichen Sportarten auch Judo und Biathlon betreiben, außerdem
beteiligen sich schon seit etlichen Jahren Mannschaften am großen
Schachturnier „Rechtes gegen Linkes Alsterufer“, das es mit über dreitausend
Teilnehmern schon vor einigen Jahren ins Guinness Buch der Rekorde geschafft
hat.
„Ihr habt ja eine wirklich tolle Schule“, schwärmte
Bildungssenatorin Dinges-Diering in ihrer Eröffnungsrede,
Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig
„Schach statt Mathe- das hätte ich auch gern an meiner
Schule gehabt“. Dass das Vorhaben „Schach statt Mathe“ gerade in diesem Jahr
der Dresdner Schacholympiade und im „Jahr der Mathematik“ durchgeführt wird,
sei auch ein passendes Signal: „Hohes Konzentrationsvermögen, Vorausplanen,
strategisches Denken- all das, was ein erfolgreicher Schachspieler braucht,
das benötigt man auch für die Lösung mathematischer Probleme.
Schach statt Mathe
Wir haben uns von der erfolgreichen Studie an der Uni
Trier überzeugen lassen, die stärkere mathematische Leistungen durch
Schachunterricht nachwies und unterstützen daher gern dieses langfristig
angelegte Projekt“. Hier fällt also in Zukunft eine Wochenstunde Mathematik
aus, dafür wird dann Schach gespielt- unter Anleitung speziell geschulter
Lehrer, die kompliziete Eröffnungsmanöver und Endspiele, strategische
Probleme und Opferkombination spielerisch und leicht verständlich vermitteln
sollen.
„Wir Eltern haben dieses Projekt, das ja schon einige
Monate erfolgreicher Probezeit hinter sich hat, begeistert unterstützt“,
erklärt der Elternratsvorsitzende der Schule Genslerstraße, Norbert Ortmann.
„Die Untersuchungen der Uni Trier, die erwiesen haben, wie man mit einer
Wochenstunde Schachunterricht mathematisches Denken fördert, haben uns
überzeugt“. Die Trierer Vergleichsstudie lief über vier Jahre an der
Olewig-Grundschule und ergab: Das Mathe-und Leserverständnis der
Schachspieler war schließlich doppelt so gut wie der Durchschnitt der
Schüler in Rheinland-Pfalz, das Sprachverständnis war sogar dreimal so gut
wie das der Nicht-Schachspieler.
Wenn Björn Lengwenus mit den Kindern am Demobrett
brisante Stellungen diskutiert, dann versteht man auch, warum er mit seinen
Ideen so erfolgreich ist.
Björn Lengwenus zeigt Schach
Statt trockener Theorie oder langen Diskussionen über Vor-und Nachteile von
Grünfeldindisch oder der Bird-Eröffnung, zeigt er mit spannenden,
spielerischen Mitteln, wie man mit Eiskugeln den Wert der Figuren
anschaulich macht oder wie eine durchschlagende Ablenkungsstrategie
funktioniert. „Stellt euch vor, ich bin ein Monster im Urwald, habe hier in
meinem kleinen silbernen Koffer einen Schatz und ihr wollte diesen Schatz
klauen- wie macht ihr das?“ fragt er die Kinder, die sich sofort mit
originellen Vorschlägen melden.
Wer weiß es?
Wenn einer das Monster ärgert und ablenkt, kann sich der andere anschleichen
und unbemerkt mit dem Schatz verschwinden, meint ein Junge.
„Sehr gut! Und hier, in dieser Stellung auf dem
Demo-Brett, wo die schwarze Dame auf der D-Linie vom Turm auf D8 gedeckt
wird, funktioniert das genauso- nämlich wie?“
Der Wert der Figuren wird noch einmal bestimmt: „Wieviel
Eiskugeln ist ein Turm wert?“ fragt er ins Publikum. „Fünf!!!“ brüllt es ihm
entgegen. „Genau, und wie viel Eiskugeln ist die Dame wert?“ „Neun!“ lautet
die korrekte Antwort.
Jetzt heißt es Eiskugeln zählen
Die gewinnbringende Lösung des Ablenkungsmanövers
findet sich schnell: „Mit dem weißen Turm von e-1 nach e-8 ziehen, Schach
bieten, der schwarze Turm auf d-8 wird abgelenkt und muß schlagen, weil
schwarz sonst matt ist und dann kann man auch die schwarze Dame schlagen“,
weiß ein kleines Mädchen.“ Ja und dann, wie geht es weiter? Mit all diesen
gewonnenen Eiskugeln haben wir immer noch nicht die Eisdiele erobert!“
Der erste Zug
Beim anschließenden Blitzturnier an zwei Tischen
moderiert Schulschachexperte Lengwenus ein Vierer-Turnier Mädchen gegen
Jungen wie ein Fußballspiel.
Presserummel
„Eben noch schien alles so ausgeglichen zu sein- doch
jetzt!
Da bricht der Springer durch, zerstört die
Bauernstruktur und haut Lücken in die Verteidigung, da nützt Weiß nun auch
nicht mehr die materielle Überlegenheit!
Nun geht die Schlacht von vorne los!
Mein Gott, ist das spannend!“
Mehr Kameras als beim Fußball
Schach macht müde
Björn Lengwenus erklärt das Konzept
Auch die Schüler haben ihre Meinung
Das Blitz-Turnier wird von Lasse und Ole gewonnen, doch dann kommt das
eigentliche Highlight: Jetzt können 180 Schüler und Schülerinnen an den
langen Tischen Platz vor den aufgebauten Schachbrettern Platz nehmen und
zeigen, was sie können.
Wettkampf Jungen gegen Mädchen
Bei den Anfängern sieht man zwar oft das gierige, viel
zu schnelle Zuschnappen und genüssliche Aufreihen der eroberten Figuren,
doch bei den Älteren mit etwas mehr Erfahrung spürt man schon, das Pläne
geschmiedet und Strategien für einen Sieg entwickelt werden.
Die Lehrer Schreiben die Ergebnisse auf
Emotionen
Interview
Jedenfalls sind alle mit Feuereifer und hoch motiviert
bei der Sache.
Rainer Woisin hatte in seiner Ansprache auch den
Stuttgarter Mathematik-Professor Christian Hesse erwähnt, der dieses
Hamburger Projekt wissenschaftlich begleitet.
ChessBase-Geschäftsführer Rainer Woisin übergibt Geschenke
Hesse hat vor allem die Steigerung der Motivation, das
systematische Lernen und Analysieren und die Koordinierung
verschiedener Fähigkeiten durch das Schach in seinen Untersuchungen betont.
Der geniale Mathematiker, der in Harvard promoviert hat, Dutzende von
hochkarätigen Arbeiten über diffizile Aspekte der Stochastik (Zufalls- und
Wahrscheinlichkeitsberechnung), über „Mehrfeldproblem in der
Kontinuumsmechanik“ und „statistische Aspekte neuronaler Netzwerke“
veröffentlichte, schrieb auch einen herrlichen Band über „Expeditionen in
die Schachwelt“ und einen großartigen Artikel über das Thema „Schönheit in
Schach und Mathematik“. Mit dieser anvisierten Synthese von Ästhetik und
berechnendem Kalkül hat er, wie ich finde, die Ur-Faszination des
Schachspiels genauer erfasst als die meisten der in Ehren ergrauten
Theoretiker. Der Kampf auf dem Brett besteht ja nicht nur aus dem
knallharten Kalkül eines mit computermäßiger Präzision kalkulierenden
Rechenvorgangs, sondern auch aus verblüffenden Überraschungseffekten, die
durch faszinierende Opfer oder fehlerhafte Kombinationen zustande kommen.
Die Logik und Unausweichlichkeit mancher „unsterbliche“ Partien besticht
eben durch ihre ästhetische Faszination- nicht umsonst gibt es ja bei
bedeutenden Turnieren auch heute noch Schönheitspreise für Glanzpartien.
Da der routinierte Schachspieler ja meist Züge
antizipiert und im voraus berechnet, die manchmal noch in weiter Ferne
liegen, könnten skeptische Eltern, die von „Schach statt Mathe“ noch nicht
restlos überzeugt sind, auch die zukünftige Entwicklung ihrer Sprösslinge
eher kritisch einschätzen. Vielleicht sollten sie sich vom begeisterten
Schachspieler Professor Wilhelm Hornborstel, dem Direktor des Hamburger
Museums für Kunst und Gewerbe, überzeugen lassen, der in seiner
Eröffnungsrede der herrlichen Ausstellung „Schachpartie durch Zeiten und
Welten im Mai 2005 sagte: „Als Schüler am Kölner Gymnasium bewunderte ich
den genialen Schachspieler Robert Hübner, der in einer Parallelklasse war
und später hörte ich dann immer wieder von erfolgreichen Bankern, dass gute
Schachstrategen auch gute Banker abgeben“.
Die "Zeugnisse"
Fazit, bzw. Ausblick: Das Projekt „Schach statt Mathe“
wird sicher ein großer Erfolg, doch alte Schachhasen wussten eh schon immer:
„Wer Schach spielt, hat mehr vom Leben“.
Schulleiterin, Senatorin und Initiator sind zufrieden
Rainer Woisin, Benjamin Bartels (ChessBase), Björn Lengwenus