New York 1924: Lasker weist Aljechin die Grenzen auf

von André Schulz
07.05.2020 – Das Topspiel der 3. Runde beim großen Schachturnier im New Yorker Alamac Hotel lautete Alexander Aljechin gegen Emanuel Lasker. Wer glaubte der junge Meister hätte leichte Hand mit dem Turniersenior, befand sich im Irrtum. Reti und Tartakower brillierten hypermordern. Aber Reti patzte auch.

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Man sollte meinen, die Reisestrapazen hätten ganz besonders Emanuel Lasker zugesetzt. Wie berichtet, war die Anreise nach New York für den zweiten Schachweltmeister gründlich schief gegangen. Nach einer Schachreise in Finnland wollte Lasker mit der Fähre nach Hamburg fahren und dann von dort auf die SS Cleveland umsteigen. Die finnische Fähre blieb jedoch im Eis der Ostsee stecken. Lasker ging mit seinem Gepäck von Bord und lief, erst über das Eis, dann über Land, zum nächsten Bahnhof. Glück im Unglück: Mit dem Zug kam er über Berlin gerade noch rechtzeitig am Hamburger Hafen an, um die abfahrbereite SS Cleveland zu besteigen. Wie mir der Berliner Meister berichtete, halfen ihm die Nachrichten seiner Frau Martha- sie hat ihren Mann diesmal nicht begleitet -, die gute Laune auf der langen Reise nicht zu verlieren.

Frau Lasker hat ihrem Emanuel für jeden Tag der Reise Proviant eingepackt, hartgekochte Eier, Wursstullen, Dauerwürste, usw., und einen Zettel mit guten Wünschen und nützlichen Hinweisen dazu gesteckt, solche wie: "Vergiss nicht, die Wäsche abzugeben".

Ankunft in New York

Die besten Zeiten sind für den einstigen Schachweltmeister vorbei. Nicht nur schachlich, auch materiell. So richtig geschickt war Lasker in Gelddingen nie. Aber auch er hat sein ganzes Geld in Kriegsanleihen gesteckt und damit verloren. Der gute bezahlte Wettkampf gegen Capablanca vor drei Jahren kam da wie gerufen. 

"Ich habe mich gar nicht mehr als Weltmeister gesehen", erzählte Lasker mir am Frühstückstisch. "Mein letzter Wettkampfsieg lag doch schon so lange zurück. Ich habe mich eher als Herausforder, denn als Titelverteidiger betrachtet. Das Klima auf Kuba hat mir sehr zugesetzt. In Berliner Luft wäre das sicher anders gelaufen."

Wenn man sieht, wie energisch Lasker seine Partie hier gegen Aljechin spielte, mag man dem weit über 50-Jährigen diese Prognose sofort glauben. 

So oft hatten Aljechin und Lasker noch gar nicht Gelegenheit, gegeneinander zu spielen. 1914, Aljechin war erst 22 Jahre alt, gab es in Moskau eine Schaupartie, die Aljechin gegen den damaligen Weltmeister remis spielen konnte. Auch die Partie in der Vorrunde des Turniers von St. Petersburg 1914 endete ohne Sieger. Die beiden Finalpartien gingen jedoch an Lasker. Nun sieht man sich also zehn Jahre später hier in New York wieder.

Das Alamac Hotel

Die Partie nahm dann aber einen ernüchternd einseitigen Verlauf zum Nachteil von Alexander Aljechin. Man kann gar nicht genau sagen, wo genau die Schwierigkeiten begannen, eigentlich von Anfang an. Aljechin, der ja ein Turnierbuch plant, setzte sich sofort nach der Partie an einen Tisch in der Bar und hat die Partie dort gründlich analysiert. Im ersten Entwurf versah er fast jeden seiner Züge kopfschüttelnd mit einem Fragezeichen. Es kostete einige Überredung, wenigstens die Hälfte der Fragezeichen wieder zu entfernen. Auf der anderen Seite waren alle Züge von Lasker Weltklasse.

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Beim Hinauslaufen haben wir auch noch Lasker an der Garderobe erwischt und nach der Partie befragt. "Ich glaube, 22. f5 war sehr schlecht. Ich habe ihn dann Matt gesetzt," rief er gut gelaunt und verschwand in den Straßen New Yorks. 

 

Zu den Siegern der Runde gehört außerdem Efim Bogoljubow gegen Frank Marshall.

Wie kam der Sieg zustande, fragten wir den mächtigen Deutschrussen nach der Runde:

"Ich hatte Weiß", sagte Bogoljubow.

Ja, und?

"Wenn ich weiß habe, gewinne ich, weil ich Weiß habe". 

Und mit Schwarz?

"Dann gewinne ich, weil ich Bogoljubow bin", erläuterte er nach kurzem Nachdenken. "Den Spruch sollten Sie sich patentieren lassen", riet ich ihm noch.

In Wirklichkeit war es aber so, dass Frank Marshall einen Mattangriff mit einem Bauernopfer abwehren musste und dann ein schlechtes Endspiel hatte.

 

Der Angriff auf der langen Rochade machte die Abwehr 24...f5 nötig. Bogoljubow strich den Bauern ein und gewann das Endspiel.

Aljechin und Bogoljubow hocken häufig zusammen. Neben der landesüblichen folkloristischen Liebe zum Wodka haben die beiden auch einmal eine Zelle geteilt, als 1914 das Turnier in Mannheim wegen des Krieges abgebrochen wurde und die russischen Schachspieler interniert wurden. Aljechin entließ man man bald wegen Wehruntauglichkeit und schickte ihn nach Hause. Bogoljubow lernte eine Frau kennen und blieb in Deutschland. Auch Aljechin hat aber inzwischen seine Heimat verlassen. Niemand weiß, wie es dort jetzt aussieht.

Wodka gibt es in der Bar übrigens nicht, aber Prohibition. Im Hotel arbeiteten jedoch eine Reihe von freundlichen Bediensteten, die gegen ein kleines Trinkgeld gute Tipps geben, wo man am Abend gesellig sein kann. In der Hotelbar wird auch eine neuartige schwarze Limonade ausgeschenkt, hier im Land erfunden. Eigentlich war das Gemix einmal als Medizin gedacht. Es schmeckt merkwürdig und wird sich kaum durchsetzen.  

Kein Bier, aber Coca Cola

Als die Runde lief, ging Bogoljubw einige Male zum Tisch von Aljechin und betrachte angestrengt grimassierend die Partie, was Aljechin sichtlich nicht behagte. 

Der Pole Kasavery (Xaver) Tartakower kam wieder mit einer extravagenten Eröffnung, 1.e4 e5 2.f4 exf4 3.Le2. Er nennt seinen Stil hypermodern. Im Prinzip schert man sich nicht um die Grundsätze des Schachs, gewinnt trotzdem und behauptet, man hätte genau deswegen gewonnen. Es ist aber eine ganz alte Eröffnung, "Eingeschränktes Läufergambit"genannt, zurecht vergessen. Tartakower hat damit aber in der ersten Runde schon einmal gewonnen, gegen Bpgoljubow.

Nach der merkwürdigen Eröffnung spielte Tartakower aber solide weiter, erhielt eine gute Stellung und gewann, während Yates verwirrt wirkte.

 

Yates spielte hier 10...De4, aber man weiß nicht warum.Weiß nahm einfach den Bauern auf c7 weg.

Nachher auf die Eröffnung angesprochen, meinte der geistreiche Tartakower lachend: "In den ersten drei Zügen ist alles erlaubt!"

Auch Reti spielte gegen Maroczy die "Moderne", mit einem Läuferfianchetto gleich am Anfang. Der Ungar wurde überspielt und stand auf Verlust, hatte aber noch ein Ass im Ärmel.

 

Stellung nach 24... Dxf3. Schwarz hatte eine versteckte Drohung, die Reti nicht würdigte. Der Tschechoslowake spielte 25.b6? und warf damit den Sieg weg. Es folgte 25... h4 26.Td4 Te5 27.Da6 hxg3 28.hxg3 Th5 29.Th4 Txh4 30.gxh4 Dg4+ 31.Kf1 Dh3+ 32.Kg1 Dg4+ und Remis durch Dauerschach. Mit 25.Db4 hätte Weiß das Manöver laut Aljechin verhindern können. Vielleicht war 25.Ld4 gefolgt von 26.Dc3 noch einfacher.

Richard Reti

Partien

 

Tabelle

Rg. Name 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Pkt.
1 Saviely Tartakower       1           ½ 1 2.5
2 Alexander Alekhine     0       1       1 2.0
3 Emanuel Lasker   1       ½           1.5
4 Efim Bogoljubow 0       ½         1   1.5
5 Edward Lasker       ½   ½ ½         1.5
6 Jose Raul Capablanca     ½   ½       ½     1.5
7 Geza Maroczy   0     ½     ½       1.0
8 Richard Reti             ½     ½   1.0
9 Dawid Markelowicz Janowski           ½         ½ 1.0
10 Frank James Marshall ½     0       ½       1.0
11 Frederick Dewhurst Yates 0 0             ½     0.5

Master Class Band 4: José Raúl Capablanca

Er war ein Wunderkind und um ihn ranken sich Legenden. In seinen besten Zeiten galt er gar als unbezwingbar und manche betrachten ihn als das größte Schachtalent aller Zeiten: Jose Raul Capablanca, geb. 1888 in Havanna.

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André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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