Noch mehr über Natschiwan

von ChessBase
01.07.2003 – Die Juniorenweltmeisterschaft in Natschiwan findet nicht nur in einem interessanten Land mit netten Leuten statt, sondern auch an einem überaus historischen Ort. Im zweiten Teil seines Berichts erzählt Dorian Rogozenko diesmal über Geschichte, Kultur und Geografie der Exklave. Bei den Jungen führt Shakhriyar Mamedyarov (AZE) mit 8/10, einen halben Zähler vor dem Bulgaren Azarov. Leonid Kritz befindet sich mit 5,5 Zählern im oberen Mittelfeld. Bei den Mädchen zieht die Georgierin Nana Dzagine an der Spitze einsam ihre Kreise (7,5/8). Bericht, Fotos, Partien...

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Noch mehr über Natschiwan
Von Dorian Rogozenko

Nach dem positiven Feedback auf meinen vorangegangenen Bericht von den Juniorenweltmeisterschaften wurde mir klar, dass die Menschen ein echtes Interesse daran haben, mehr über Geschichte, Kultur und Geografie fremder Nationen zu erfahren, vor allem, wenn es um ein Land wie Aserbaidschan geht.  

Die Daten meines letzten Berichts basierten hauptsächlich auf Gesprächen mit Ortsansässigen; heute werde ich mit ein paar ganz exakten Informationen über Natschiwan aufwarten.

Die “Insel”, von der ich letztes Mal sprach, die vom Hauptteil Aserbaidschan isoliert ist, nennt sich Autonome Republik Natschiwan. Die hiesige Bevölkerung umfasst 350.000 Menschen (1998). Die Juniorenweltmeisterschaft wird in der Hauptstadt der Autonome Republik Natschiwan ausgetragen – der Stadt Natschiwan, mit 67.523 Einwohnern (1998). Die exakte Entfernung zwischen Natschiwan und Baku (der Hauptstadt Aserbaidschans) beträgt 536 Kilometer.

Die Autonome Republik Natschiwan ist ein typisches Bergland. 32% des Territoriums (Ebenen am Araz-Fluss) liegt 600-1000 Meter über dem Meeresspiegel, 48% bis 2000 Meter und 20% oberhalb 2000 Meter. Es ist das älteste aserbaidschanische Land, mit einer viele Jahrhunderte währenden Geschichte und einer Fülle an Kulturmonumenten.

Mit einem Alter von 3.500 Jahren ist Natschiwan eine der berühmtesten antiken Städte im Nahen Osten. Neueste Forschungen ergaben, dass das Wort Natschiwan von ’Nahunte’ aus der Sprache der Elamiter (Südiran) abgeleitet ist. Gebäude in Natschiwan Stadt sind wissenschaftlich auf 1539 v.C. zurückdatiert.   

Im Lauf seiner Geschichte wurde Natschiwan, kulturelles und industrielles Zentrum der Region, von vielen Herrschern angegriffen. Nach dem zweiten russisch-iranischen Krieg (1826-1828) wurde das Territorium schließlich von Russland annektiert.

Nach der Revolution im Februar 1917 fand am 15. April des gleichen Jahres in Baku ein Kongress kaukasischer Moslems statt, und nach langen Disputen wurde beschlossen, eine territoriale Föderation zu gründen.

Am 28. Mai 1918 rief man die Volksrepublik Aserbaidschan aus, deren Regierung sofort von der Türkei anerkannt wurde. Doch auf Grund der instabilen inneren Situation in der Türkei marschierten die Russen im April 1920 in Aserbaidschan ein. Aserbaidschan wurde Teil der Sowjetunion – die Sozialistische Sowjetrepublik Aserbaidschan. Das Territorium der Autonomen Republik Natschiwan wurde gemäß der Vereinbarung von Moskau vom 16. März 1921 und von Gars vom 13. Oktober 1921 als Bestandteil der Aserbaidschanischen SSR festgelegt.  

Ende 1980 führte der Zerfallsprozess der ehemaligen UDSSR dazu, dass der Konflikt zwischen der Bevölkerung Aserbaidschans und Armeniens wieder aufflammte. Dieses heiße und kontroverse Thema beiseite lassend, möchte ich nur erwähnen, dass gegenwärtig die Beziehungen zwischen Armeniern und Aserbaidschanern nach wie vor sehr gespannt sind.

Der nationale Stolz des Volkes von Aserbaidschan ist leicht zu bemerken. Westlern werden allerdings einige Dinge ungewöhnlich erscheinen, so wie die vielen Nationalflaggen oder die sogar noch zahlreicheren Porträts des Präsidenten von Aserbaidschan, Mr. Haydar Aliyev. So gibt es z.B. den Haydar-Aliev-Park oder gar ein Haydar-Aliev-Museum. Aber wie bereits in meinem früheren Bericht erwähnt, ist das Wohlwollen der lokalen Bevölkerung sehr beeindruckend. Eine derart respektvolle Haltung gegenüber Schachspielern habe ich sonst nur während der Schacholympiade in Elista 1998 erlebt.

Auf die Juniorenweltmeisterschaften zurückkommend, die Atmosphäre zwischen den Spielern ist großartig. Am Abend vor dem Ruhetag waren viele Teilnehmer in einer Disco; am Ruhetag selbst gab es schöne Sightseeing-Trips, während am Nachmittag ein Fußballturnier mit Mannschaften aus Schachspielern und sogar Schiedsrichtern organisiert wurde. Ein interessanter Moment, um sich ein besseres Bild von der spezifischen Situation hier zu machen. Wenn nachts ein Spieler aus der Disco gehen wollte, um einen Spaziergang zu machen, wurde er von einem der Sicherheitsleute aufgehalten, mit der Begründung, dass wir nicht allein in die Stadt gehen durften. Nach einer langen Diskussion mit dem Sicherheitschef, um den Grund für dieses Verbot zu erfahren, sagte er, „Okay,  wir können es euch nicht untersagen, aber wenn ihr ausgehen wollt, muss ich wissen, wann und wohin“. Der Wunsch auszugehen schwand irgendwie...

Nach dem Ruhetag begannen einige Probleme aufzutauchen. Im Hotel gab es ein paar seltsame Vorfälle. Die größte Enttäuschung aber war, dass der holländische IM Jan Werle auf Grund einer Lebensmittelvergiftung aus dem Turnier ausscheiden musste.

Medizinische Betreuung und Veranstalter taten alles, um Jan zu helfen, aber nach langer Überlegung entschlossen wir, dass es keinen Sinn hatte, das Turnier unter Krankheit fortzusetzen (ich bin Jans Trainer hier).

Das war sehr schmerzvoll, umso mehr, da dass Turnier für Jan sehr gut lief. Bereits in der 7. Runde, bei der Begegnung gegen GM Azarov, klagt er über üble Magenprobleme. Während der Runde bekam er ein paar Pillen, aber auf Grund seines schlechten Zustands gelang es ihm nicht, die Partie zu einem logischen Abschluss zu bringen; er musste Remis geben, in absoluter Gewinnstellung mit Mehrfigur.

Im achten Durchgang (mit 4,5 aus 7) konnte Werle überhaupt nicht spielen; nach anderthalb Stunden Figurenschieben gab er auf, und wir fuhren sofort ins Krankenhaus. Die Diagnosen waren widersprüchlich (er wurde von diversen Spezialisten konsultiert). Es machte keinen Sinn, hier all die Befunde aufzulisten, die ich während mehrerer Stunden in zwei Krankenhäusern zu hören bekam. Tatsache ist, Jan Werle fühlte sich so schlecht, dass bald klar wurde, dass er das Turnier nicht würde beenden können.

Wegen dieses Vorfalls war mir eigentlich gar nicht danach, diesen Bericht überhaupt zu schicken, aber er wurde geschrieben, bevor all dies passierte, also hier ist er.

Der Stand bei den Jungen nach der 9. Runde:

1 Mamedyarov – 7,0 aus 9
2-5 Harikrishna, Ganguly, Azarov, Zubov – 6,5

Die Partien der Runden 1 bis 10 zum Nachspielen...

 

Mädchen:

 

1 Dzagnidze 7 aus 7 (!!)

2 Dronavalli 5,5

6 Spieler mit 4,5 Punkte

 

Die Partien der Runden 1 bis 8 zum Nachspielen...

 

Die offizielle Seite: http://www.chess.az/eng

 

 


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