Nodirbek mit französischer Eintagsfliege?

von Thorsten Cmiel
23.01.2025 – Der Usbeke Nodirbek Abdusattorov fegte in Runde zwei des Tata Steel Masters seinen zwei Jahre jüngeren indischen Gegner mit einem ungewöhnlichen Eröffnungskonzept gegen die Französische Verteidigung vom Brett. Das Ganze wurde eingeleitet mit einem frischen sechsten Zug. Was steckt dahinter? | Fotos: Tata Steel Chess

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Dieser Beitrag erschien zuerst auf Thorsten Cmiels Blog Chessecosystems. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Heutzutage führen Eröffnungsvorbereitungen auf Top-Level meist zu nicht viel mehr als Ausgleich, angenommen beide Spieler haben sich auf die gleichen Varianten vorbereitet. Wenn man das akzeptiert, wird die Vorbereitung wieder etwas entspannter als es sich viele Amateure machen. Man sucht nach einer interessanten Idee und versucht sein Glück. So einfach kann Schach sein. Dieses Konzept haben wir 2024 bei Gukesh gesehen, sowohl in Toronto beim Kandidatenturnier als auch beim Weltmeisterschaftskampf und wenn man etwas zurück schaut, dann war dieses Konzept schon 2023 ein Teil der Eröffnungsvorbereitung von Ding Liren in seinem Wettkampf mit Ian Nepomniachtchi.

   

   


Der mit Abstand wichtigste weiße Aufbau in der Vorstoßvariante gegen die Französische Verteidigung beginnt mit dem weniger stürmischen Zug des a-Bauern (6.a2-a3). Als ich die Übertragung sah, dachte ich zunächst an einen Übertragungsfehler. Das war nicht der Fall. Nodirbek hatte seinen a-Bauern aggressiv zwei Felder vorgeschoben. Was ist davon zu halten? Zunächst sichert der Zug das Feld b5 für den weißen Läufer. Aber der Zug wirkt gleichzeitig nicht sonderlich attraktiv, denn das Feld b4 wird nach Tausch der Bauern auf d4 dauerhaft geschwächt. Zunächst ist nach 6.a2-a4 der Schwarzspieler dran, eine überzeugende Aufstellung für seine Figuren zu finden. In dieser Partie gelingt das dem Inder nicht vollends überzeugend. Entschieden wird die Partie aber durch eine spätere Entscheidung.

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Das ist ein Blick in die weltweit bislang wichtigste Datenbank für Schachpartien, die Chessbase Mega Database 2025. Die kennt den von Nodirbek gespielten Zug sogar. Allerdings kann man den Zug normalerweise vernachlässigen, denn wie wahrscheinlich ist es den neunthäufigsten Zug mit zudem guten Schwarzresultaten (35,8% für Weiß) vorgesetzt zu bekommen?

Schaut man in die Datenbank aller Partien bei Li-Chess, dann ist der Zug 6.a4 zwar auch noch ein relativ seltener Gast, aber dort finden sich immerhin über 250.000 Partien mit diesem Zug. Die Qualität ist natürlich nicht vergleichbar, da die meisten Partien Blitz- oder Bulletpartien sind, aber man kann davon ausgehen, dass es bei der hohen Anzahl an Partien durchaus Spezialisten gibt, welche die Variante für sich schon etwas zurecht gelegt haben. Ein Indiz für die Spielbarkeit der Variante ist die Häufigkeit schon.


Man muss wohl schon die sofortige Antwort des Inders konzeptionell hinterfragen. Leon Luke tauschte früh auf d4 die c-Bauern und eroberte so das Feld b4. Auf der anderen Seite gibt das dem Gegner die Chance seinen Springer später auf das Feld c3 zu stellen. Dort steht der Springer zwar auch oft nicht ideal, aber wenn man weiter denkt und die weißen Läufer nach b5 gestellt hat, mag es eine zusätzliche Idee sein, a4-a5 folgen zu lassen und dann könnte der Springer via a4 eine neue schwarzfeldrige Perspektive erhalten. Außerdem kann der Springer über e2 ins Spiel gebracht werden. Interessant ist, dass Mendonca in zwei Partien gegen Abdusattorov – einen Monat zuvor hatte der Usbeke den ebenfalls unüblichen Zug 6.g3 nebst Lh3 gespielt – ernsthafte Probleme bei der Aufstellung seines Königsspringers bekam.

Während Schwarzspieler heutzutage oft Lösungen für den sprichwörtlich schlechten Läufer finden und suchen, fehlt vielen Französisch-Spielern ein ähnlich ausgeprägtes Gespür für den Springer g8. gerade in der Vorstoßvariante könnte das ein wichtiger Aspekt der Eröffnungsvorbereitung sein.

   


In dieser Stellung sollte Schwarz kurz rochieren und danach stünde er etwas schlechter, da es im schwer fällt ausreichendes Gegenspiel zu organisieren. Ihm fehlen die Hebel. Das dürfte den Inder auf die falsche Idee gebracht haben. Wenn er lang rochiert, dann kann er eher am Königsflügel expandieren. Dieser Gedanke ist aber hier nicht ausreichend, da Weiß mit seinem Angriff viel schneller ist. Nodirbek gab nach der Partie an, dass ihn der Zug überraschte. Schaut man in die Datenbank der Online-Plattform Li-Chess, dann war erst dieser Zug neu. In dem Fall zu Recht.

Idee kurz erklärt von Nodirbek Abdusattorov

   


Die Eröffnungsidee 6.a4 stammt von Rustam Kasimdzhanov, ebenfalls Usbeke und in der Bundesliga aktiv. Dort hatte dieser ein noch krasseres Konzept einige Wochen zuvor selbst verwirklicht. Gegen den starken iranischen Großmeister Tabatabaei hatte „Kasim“ seinen neuen Lieblingszug bereits im zweiten Zug auf das Brett gestellt. Das dürfte Nodirbek noch motiviert haben.


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Thorsten Cmiel ist Fide-Meister lebt in Köln und Milano und arbeitet als freier Finanzjournalist.
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