Sehr geehrter Herr Prof. von Weizsäcker,
wie ich der Internetseite
www.chessbase.de entnehmen konnte, werden die vier die deutsche Eloliste
anführenden Spieler (Naiditsch, Meier, Friedman, Gustafsson) mangels Einigung
über das Spielerhonorar nicht an der Schacholympiade 2010 in Chanty-Mansijsk
teilnehmen.
Ausweislich des o.g. Berichts plant Bundestrainer Bönsch anstelle dessen, ein
"junges Team" antreten zu lassen. Ein persönliches Gespräch mit Herrn Bönsch
ergab, dass voraussichtlich u.a. Bogner, Baramidze und Buhmann dieses Team
bilden werden. Dies sei von der "Leistungskommission" des Deutschen Schachbundes
so bestimmt worden.
Für mich ergeben sich in Anknüpfung daran folgende Fragen und Überlegungen:
1. Durch welche Personen wird die "Leistungskommission des Deutschen
Schachbundes" gebildet?
2. Nach welchen Kriterien wird die Deutsche Nationalmannschaft aufgestellt?
Nach meiner festen Überzeugung sollte erstes Kriterium für die Aufstellung der
Nationalmannschaft die Spielstärke sein. Zwar können neben der Spielstärke auch
"weichere" Kriterien miteinfließen, jedoch muss die Spielstärke die klare
Richtschnur für die Nominierung bleiben. Hierbei müssen sich zwar nicht
sämtliche Überlegungen dem Diktat der Elozahl unterordnen. Jedoch sollte die
Elozahl (oder auch die DWZ) als unangefochtenes und objektiviertes Maß der
Spielstärkenbestimmung auch hier grobe Richtschnur bleiben.
Völlig absurd sind die hin und wieder zu vernehmenden Äußerungen maßgeblicher
Funktionäre, ein Spieler sei "zu alt". Beinahe jeder heutige Spitzenspieler
wurde in seiner Jugend gefördert. Ziel der Jugendförderung begabter Spieler ist
die volle Entfaltung der individuellen Leistungsfähigkeit. Verwehrt man
allerdings diesen ehemals geförderten, heutigen Spitzenspielern dann die
Möglichkeit zu spielen, so pervertiert die so wichtige Jugendförderung zum
sinnentleerten Selbstzweck. In Wahrheit gibt es weder alte noch junge, weder
harte noch weiche, weder "richtige" deutsche noch eingewanderte Spieler: es gibt
nur gute und schlechte Spieler.
Folgt man bei der Nominierung der Nationalmannschaft aber schon nicht der
Spielstärke, so hat sich die Aufstellung aber zumindest an sachlichen Kriterien
auszurichten. Will man etwa - wegen der Enttäuschung über die vermeintliche
'Geldgier' der Besten - einer (ebenso vermeintlich) 'unverbrauchten'
Jugendmannschaft die Chance geben, so wäre dies zwar zumindest im Ansatz ein
sachliches Kriterium. Allerdings ist es dann völlig unverständlich, den bereits
29-jährigen Rainer Buhmann (um jedes Missverständnis zu vermeiden: den ich
persönlich und schachlich über alle Maßen schätze) mitzunehmen. Im Übrigen
könnte man dem verständlichen Wunsch nach einer "jugendlichen" Mannschaft ebenso
gut dadurch Rechnung tragen, dass man diese - wie vor zwei Jahren in Dresden -
als B-Mannschaft nominiert.
Apopos B-Mannschaft: Fast mutet es an, als sei die Aufstellung durch eine
heimliche Liebe des Bundestrainers zum Buchstaben "B" motiviert. Dies würde
sogar seine eigene Aufstellung in den Bereich des Möglichen rücken. Doch Spaß
beiseite: Die Nominierung der Deutschen Schach-Nationalmannschaft vollzieht sich
momentan leider tatsächlich jenseits aller sachlichen und schachlich-sportlichen
Erwägungen. Diese werden ersetzt durch Intransparenz, Unberechenbarkeit und
nicht zuletzt durch persönliche Animositäten. Es scheint, als habe die Art und
Weise der langjährigen Führung der FIDE durch Campomanes und Iljumschinow auch
auf den Deutschen Schachbund abgefärbt. Um es ganz klar zu sagen: Es ist mir
völlig unverständlich, dass offenbar geplant ist, mich als (sowohl nach Elo als
auch nach der DWZ) besten der nunmehr verfügbaren deutschen Spieler nicht zur
Schacholympiade in meine alte Heimat mitzunehmen.
Mit der Hoffnung auf eine baldige Stellungnahme verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Igor Khenkin